Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Der historische Institutionalismus
3. Die Entwicklung der Anerkennung der gleichgeschlechtliche Ehe in Kanada und den USA
4. Gründe für den Unterschied der legalen Stellung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Kanada und den USA
4.1. Unterschiede in den föderalen Zuständigkeiten
4.2. Direktdemokratische Elemente als Blockade
4.3. Rechtliche Einordnung
5. Resümee
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
The union of a man and woman is the most enduring human institution, honored and encouraged in all cultures and by every religious faith. Ages of experience have taught humanity that the commitment of a husband and wife to love and to serve one another promotes the welfare of children and the stability of society. Marriage cannot be severed from its cultural, religious and natural roots without weakening the good influence of society.
Präsident George W. Bush (CNN.com 2004)
When we as a nation protect minority rights, we are protecting our multicultural nature. We are reinforcing the Canada we cherish. We are saying proudly and unflichingly that defending rights, not just for those that happen to apply to us, not just those that everyone else approves of, but all fundamental rights, is at the very soul of what it means to be a Canadian. (...)Our laws must reflect equality, not as we understood it a century or even a decade ago, but as we understand it today.
Premierminister Paul Martin (Edited Hansard 2005)
Die beiden vorangestellten Zitate des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush und des ehemaligen kanadischen Premierministers Paul Martin, die sie jeweils in einer Stellungnahme zur gleichgeschlechtlichen Ehe äußerten, drücken zwei vollkommen gegensätzliche Meinungen zum Eherecht für gleichgeschlechtliche Paare aus. Während Bush jede nicht-heterosexuelle Ehegemeinschaft als einen Angriff auf religiöse, kulturelle und natürliche Ansprüche sieht, verteidigt Martin in seiner Rede das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe als Ausdruck für Gleichheit und gar für kanadische Identität.
Diese Zitate lassen erahnen, dass das Eherecht für gleichgeschlechtliche Paare ganz unterschiedliche Wege in den beiden nordamerikanischen Nachbarstaaten gegangen ist. In der Tat können homosexuelle Paare seit 2005 in Kanada die Ehe eingehen (vgl. LEGISinfo 2005). Die USA hingegen stellt bis heute einen Flickenteppich hinsichtlich des Eherechts für Homosexuelle dar: Jeder Staat entscheidet selbst, ob seine homosexuellen Bürger die Ehe eingehen dürfen oder nicht (vgl. National Gay and Lesbian Task Force National 2009a).
Woran liegt es, dass die beiden Staaten, die so vielen ähnlichen Einflüssen ausgesetzt sind, sich gerade im Hinblick auf die rechtlichen Möglichkeiten für Homosexuelle unterscheiden? Mit dieser Frage setzt sich diese Arbeit auseinander. Gemäß dem historischen Institutionalismus wird der Einfluss betrachtet, den Institutionen Kanadas und der USA auf die rechtliche Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe ausüben.
Hierzu werden zunächst die für diese Untersuchung relevanten Grundannahmen des Ansatzes des historischen Institutionalismus vorgestellt. Anschließend werden die rechtlichen Entwicklungen in der Anerkennung des gleichgeschlechtlichen Eherechts in Kanada und den USA nachgezeichnet, bevor drei verschiedene mögliche institutionelle Ursachen für die untersuchten Unterschiede skizziert werden. Erstens wird gezeigt, wie unterschiedliche föderale Zuständigkeiten in Kanada und den USA die legale Stellung der gleichgeschlechtlichen Ehe beeinflussen. Außerdem wird dargelegt, wie direktdemokratische Elemente in den USA als Blockade-Einrichtung gegen das Eherecht Homosexueller benutzt werden können. Zuletzt wird ein Blick auf die unterschiedliche rechtliche Einordnung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Kanada und den USA geworfen: Während die Kanadier das Eherecht für gleichgeschlechtliche Paare als Gleichheitsrecht verstehen, wird es in den USA als Recht zum Minderheitenschutz gesehen. Dass die Differenzen zwischen der englisch- und französischsprachigen Bevölkerung auf der kanadischen Seite und die amerikanische Sklaverei und die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre auf der amerikanischen Seite eine Rolle spielen, soll in diesem Schritt geklärt werden.
2. Der historische Institutionalismus
In meiner Arbeit folge ich Miriam Smith und untersuche im Sinne des historischen Institutionalismus, wie unterschiedliche Institutionen in Kanada und den USA die Entwicklung der Anerkennung des Eherechts für gleichgeschlechtliche Paare beeinflussen und beeinflusst haben (Smith 2008: 7). Entsprechend der viel genutzten Definition Douglass C. Norths sind in dieser Arbeit Instititutionen definiert als „the rules of the game in a society or, more generally . . . the humanly devised constraints that shape human interaction“ (1990: 3). So gelten gemäß des historischen Institutionalismus so wohl Regierungsinstitutionen, als auch die generelle politische Struktur der Polity - wie zum Beispiel der föderalistische Aufbau eines Staates - als auch die von der Polity hervorgebrachten Normen als Institutionen (vgl. Ikenberry 1994: 7, 12-15). Auch Policies selbst und Auswirkungen von Policies der Vergangenheit können als Einschränkungen im Sinne von Norths Institutionenbegriff wirken und werden deshalb von historischen Institutionalisten ebenfalls als Institutionen behandelt (vgl. Pierson 2006: 120; Smith 2008: 8).
Eine in dieser Arbeit wichtige Annahme des historischen Institutionalismus ist, dass Institutionen nicht von heute auf morgen entstehen. In einem langwierigen Prozess kommen sie zustande und haben weitreichende Auswirkungen auf die Entstehung neuer Institutionen (vgl. Goodin 1996: 19).
Historische Institutionalisten betonen, dass die Ergebnisse einer Maßnahme immer von ihrem Zeitpunkt und ihrem Ort abhänge (vgl. Ikenberry 1994: 11). Die Vorstellung, dass vorangegangene Maßnahmen in einer kausalen Beziehung zu zukünftigen stehen, bezeichnen historische Institutionalisten als „path dependence“, Pfadabhängigkeit (vgl. Ikenberry 1994: 11; Pierson 2000: 252). Sie gehen davon aus, dass kollektives Handeln und politische Entwicklungen maßgeblich von Institutionen der Polity bestimmt seien (vgl. Hall und Taylor 1996: 6).
So entsteht eine neue Policy nicht im Vakuum. Institutionen beeinflussen das Ergebnis des Schaffensprozesses neuer Policies (vgl. Hall und Taylor 1996: 8; Ikenberry 1994: 11; Schmidt 1982: 104; Smith 2008: 159). Paul Pierson fasst diese Erkenntnis wie folgt zusammen: „The necessary conditions for current outcomes occurred in the past” (2000: 263). Auch die Machtstellung der verschiedenen Akteure und ihr Spielraum in der Gestaltung neuer Institutionen, seien durch Institutionen abgesteckt (vgl. Goodin 1996: 20; Hall und Taylor 1996: 21; Smith 2008).
Ebenfalls wichtig, um die Fragestellung dieser Arbeit zu analysieren, ist die Annahme des historischen Institutionalismus, dass Institutionen die Wahrnehmungen von Einzelnen und Gruppen mitlenken, indem sie deren Präferenzen und Motive prägen (vgl. Goodin 1996: 20; Hall und Taylor 1996: 8; Pierson 2000: 259). Nach dem kulturellen Ansatz des historischen Institutionalismus seien es Institutionen, die „cognitive templates for interpretation and actions“ hervorbrächten (vgl. Hall und Taylor 1996: 8). Durch Bildung dieser kognitiven „Vorlagen“ seien sie verantwortlich dafür, welche Maßnahmen Bürger und der Staat als politisch annehmbar und notwendig erachten (vgl. Ikenberry 1994: 15).
Die vorangegangenen Annahmen des historischen Institutionalismus bilden die Basis dieser Arbeit. Nach einem Blick auf die Entwicklung des Eherechts für gleichgeschlechtliche Paare in Kanada und den USA wird folglich der Einfluss von Institutionen auf die Entstehung neuer Policies, nämlich einem Eherecht für Homosexuelle, und auf Wahrnehmungen, also der rechtlichen Einordnung eines solchen Rechts, dargelegt.
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- Arbeit zitieren
- Kathrin Biegner (Autor), 2008, Gleichgeschlechtliche Ehe in Kanada und den USA, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/150773
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