Rumänisch im Kontext des Balkansprachbundes. Balkanische Strukturen des Rumänischen und andere romanischen Sprachen (Französisch, Spanisch, Italienisch)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Gliederung

1. Einleitung: Rumänisch als balkanische Sprache

2. Der Balkansprachbund
2.1 Begriffsdefinition
2.2 Die wichtigsten Merkmale des Balkansprachbundes nach Schaller

3. Vergleichende Untersuchung: Balkanische Strukturen des Rumänischen und die Äquivalenz entsprechender Strukturen im Französischen, Spanischen /> und Italienischen
3.1 Der nachgestellte bestimmte Artikel
3.2 Zusammenfall von Genitiv und Dativ
3.3 Die analytische Komparation
3.4 Das Zahlsystem von 11 bis 19
3.5 Eingeschränkter Infinitivgebrauch
3.6 Analytische Bildung des Futurs mit dem Hilfsverb „wollen“
3.7 Verdopplung des Objekts
3.8 Verwendung von Personalpronomen in der Funktion von Possessivpronomen

4. Zusammenfassung

5. Literaturangaben

1. Einleitung: Rumänisch als balkanische Sprache

Unter den romanischen Sprachen nimmt das Rumänische eine Sonderstellung ein – dies ist in der Romanistik unumstritten. Die rumänische Sprache, die sich aus dem Latein entwickelte, das während der römischen Herrschaft über die Provinz Dakien in dieser Region „gesprochen wurde, hat […] seinen grundlegend romanischen Charakter bis heute bewahrt, unterscheidet sich aber in einer Reihe grammatischer und lexikalischer Erscheinungen von allen anderen romanischen Sprachen.“[1]

Diese Sonderstellung des Rumänischen erklärt sich dadurch, dass der Sprachraum, in dem Rumänisch gesprochen wurde und wird, geographisch vom Rest der Romania isoliert liegt. So behielt das Rumänische im Gegensatz zu den anderen romanischen Sprachen zum einen archaische Formen des Lateins bei und verarbeitete zum anderen im Laufe der Jahrhunderte die Einflüsse der umliegenden Sprachen der Balkanstaaten.

In der vorliegenden Arbeit werden die balkanischen Strukturen des Rumänischen und die Äquivalenz entsprechender Strukturen in drei anderen romanischen Sprachen, im Französischen, Spanischen und Italienischen, im Mittelpunkt stehen. Denn das Rumänische, das genealogisch gesehen eine romanische Sprache darstellt, jedoch sprachgeographisch gesehen in einen Kranz nichtromanischer Sprachen eingebettet ist, eignet sich sehr gut für sprachwissenschaftliche Untersuchungen.

Die rumänische Sprache soll im Kontext des so genannten Balkansprachbundes im Hinblick auf ihre balkanischen Strukturen untersucht werden, oder, genauer gesagt, im Hinblick auf jene Strukturen, die gemeinhin als balkanische Strukturen angesehen werden. Parallel dazu stellt sich die Vergleichsfrage, was die jeweils „romanische” Äquivalenz der jeweiligen Struktur im Französischen, Spanischen und Italienischen ist.

Es soll gezeigt werden, in welchen grammatischen Phänomenen sich das Rumänische von den übrigen romanischen Sprachen aufgrund balkanischer Einflüsse unterscheidet und wie sich diese Einflüsse wissenschaftlich erklären lassen. Insbesondere ist die Frage von Interesse, ob es wirklich eindeutig balkanische Beeinflussungen sind, die die jeweiligen Abweichungen des Rumänischen vom Französischen, Spanischen und Italienischen bedingen, oder ob sich dafür auch andere Erklärungen finden lassen.

Zur Gliederung der Arbeit: Zunächst soll eine kurze Definition der Begriffe „Sprachbund” und „Balkansprachbund” erfolgen, um Hintergrundwissen über die Ursachen zusammenzutragen, die zur Aufnahme balkanischer Strukturen in eine Sprache der Ostromania führten, und um eine theoretische Grundlage für die sich anschließende vergleichende Untersuchung anhand eines Textcorpus zu schaffen.

Der Textcorpus, anhand dessen einige Beispiele für die untersuchten Phänomene gegeben werden, besteht aus den Tageszeitungen „România liberă“ (Rumänien), „Le Monde“ (Frankreich), „El País“ (Spanien) und „Corriere della Sera“ (Italien). Es handelt sich jeweils um die Ausgabe vom 6. Juni 2008. Eine quantitative Auswertung wird im Rahmen dieser Arbeit nicht stattfinden, vielmehr sollen anhand des Sprachvergleichs charakteristische Beispiele für jedes der betrachteten Phänomene gegeben werden.

2. Der Balkansprachbund

2.1 Begriffsdefinition

Betrachtet man das Rumänische im Kontext des so genannten Balkansprachbundes, ist es nötig, zuerst eine Definition der Begriffe „Sprachbund“ und „Balkansprachbund“ vorzunehmen. In der Sprachwissenschaft ist ein Sprachbund die

Bezeichnung für Gruppen geographisch benachbarter Sprachen, die sich, auch ohne daß zwischen ihnen eine genetische Verwandtschaft zu bestehen braucht, durch auffällige Übereinstimmung im grammatischen Bau auszeichnen und sich durch dieselben Gemeinsamkeiten von im weiteren Umkreis gesprochenen Sprachen abheben.[2]

Es handelt sich also um Sprachen, die genetisch nicht miteinander verwandt sind oder zumindest nicht sein müssen, die sich aber in manchen morphologischen und syntaktischen Eigenschaften gleichen. Als Voraussetzung für die Entstehung eines solchen Sprachbundes werden „langdauernde Zustände von Sprachkontakt“[3] angeführt.

Eine „Bedingung für die sinnvolle Verwendung des Begriffs Sprachbund ist […], dass die betreffenden Eigenschaften nicht ohnedies aus der „Erbmasse“ aller beteiligten Sprachen ableitbar sind.“[4] Sprachen wie Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Italienisch können deshalb trotz ihrer Gemeinsamkeiten und geographisch benachbarten Lage natürlich nicht unter dem Begriff Sprachbund zusammengefasst werden, da sich ihre grammatischen und sonstigen Gemeinsamkeiten ja aus der Ursprungssprache aller romanischer Sprachen, dem Lateinischen beziehungsweise dem Vulgärlateinischen, entwickelt haben.

Des weiteren wird definiert: „Ein Sprachbund weist mindestens zwei gemeinsame Merkmale auf, die sich auf mindestens drei nicht zur gleichen Familie gehörende Sprachen erstrecken, um genetisch bedingten Ursprung oder einseitige Beeinflussung […] auszuschließen.“[5] Die Sprachen des Balkans erfüllen diese Voraussetzung, denn sie gehören verschiedenen Sprachfamilien an und haben keinen gemeinsamen Erbwortschatz, drücken aber dennoch einige grammatische Funktionen in gemeinsamer Art und Weise aus.

Der Begriff Balkansprachbund ist demzufolge die „Übergreifende Bezeichnung für eine durch auffällige Gemeinsamkeiten im grammatischen Bau gekennzeichnete Gruppe genetisch nur mittelbar verwandter Sprachen im Balkanraum.“[6]

Neben dem Balkansprachbund existieren Sprachbünde in Süd- und Zentralasien sowie im Südkaukasus.[7] Auch bei der Entstehung des Balkansprachbundes wird als Ursache Jahrhunderte langer Sprachkontakt und Transhumanz[8] angenommen: Der Balkansprachbund „is indicative of the frequent contact situations that occurred among the languages of the Balkan peninsula, including Rumanian and Slavic.“[9] Der Beginn dieses Sprachkontakts – was die Entwicklung der rumänischen Sprache betrifft – liegt etwa im 5. Jahrhundert nach Christus: „The first contacts between Common Rumanian and Slavic occurred from approximately the fifth century AD onward, when Slavic tribes left north central Europe and occupied earlier Roman territory on both sides of the Danube“[10].

Zum Balkansprachbund gehören laut Schaller das Rumänische, das Bulgarische, das Mazedonische und das Albanische. Diese Sprachen, die er als Balkansprachen „ersten Grades“[11] bezeichnet, ähneln sich in bestimmten morphologischen und syntaktischen Eigenschaften. Das Griechische gilt als sehr wichtiger Einflussfaktor auf der Balkanhalbinsel, besonders in deren südlicher Hälfte, und teilt einige der zu behandelnden Phänomene mit den Balkansprachen „ersten Grades“.

Im Folgenden sollen die wichtigsten grammatischen Merkmale des Balkansprachbundes genannt werden. Schaller, auf dessen Einteilung hier Bezug genommen wird, bezeichnet diese Merkmale auch als „primäre Balkanismen“[12], da sie sowohl im Rumänischen als auch im Bulgarischen, Mazedonischen und Albanischen zu finden sind, bisweilen auch im Griechischen und Serbokroatischen.

2.2 Die wichtigsten Merkmale des Balkansprachbunds nach Schaller

Der Balkansprachbund, dessen Entstehung kurz gefasst durch „die geographische Nachbarschaft der Balkansprachen“[13], Jahrhunderte langen intensiven Sprachkontakt und durch „die Adstrateinwirkung des Griechischen und Lateinischen bzw. Altostromanischen“[14] erklärt werden kann, enthält Balkanismen unterschiedlichen Ursprungs, die sich auf den morphologischen, syntaktischen oder phonologischen Bereich der betreffenden Sprachen beziehen. So unterteilt Schaller die Balkanismen in solche griechischen, romanischen und slavischen Einflusses.[15]

Zu den „primären Balkanismen“, die allesamt auch im Rumänischen vorhanden sind und im Zentrum dieser Untersuchung stehen, rechnet Schaller den Zusammenfall von Genitiv und Dativ, den nachgestellten bestimmten Artikel, die analytische Komparation, das Zahlsystem von 11 bis 19, den eingeschränkten Infinitivgebrauch, die analytische Bildung des Futurs mit dem Hilfsverb „wollen“, die Verdopplung des Objekts sowie die Verwendung von Personalpronomen in der Funktion von Possessivpronomen.[16] Diese morphologischen und syntaktischen Merkmale[17], die das Rumänische mit anderen Balkansprachen teilt, sollen nun mit den entsprechenden romanischen Strukturen verglichen werden, um zu untersuchen, wo sich das Rumänische von den übrigen romanischen Sprachen aufgrund balkanischer Einflüsse unterscheidet.

3. Vergleichende Untersuchung: Balkanische Strukturen des Rumänischen und die Äquivalenz entsprechender Strukturen im Französischen, Spanischen und Italienischen

3.1 Der nachgestellte bestimmte Artikel

Eine auffällige Besonderheit des Rumänischen im Vergleich zu den anderen romanischen Sprachen ist der nachgestellte bestimmte Artikel. Der bestimmt Artikel nimmt keine proklitische Position ein, sondern „befindet sich in enklitischer Position (in Nachstellung bzw. postpositiv), und zwar in einer normalerweise nicht lösbaren Verknüpfung mit der Substantivform.“[18]

Das Rumänische teilt diese Eigenschaft mit dem Albanischen, Bulgarischen und Mazedonischen.[19] Nur der unbestimmte Artikel steht vor dem Substantiv. In den romanischen Vergleichssprachen Französisch, Spanisch und Italienisch befindet sich der Artikel – egal ob bestimmt oder unbestimmt – immer vor dem Substantiv. Einige Beispiele von Substantiven, die mit dem bestimmten Artikel stehen, verdeutlichen den Unterschied zwischen dem Rumänischen und den Vergleichssprachen:

[...]


[1] Beyrer, Arthur/ Bochmann, Klaus/ Bronsert, Siegfried: Grammatik der rumänischen Sprache der Gegenwart, Leipzig 1987, S. 15.

[2] Glück, Helmut (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache, Stuttgart 2000, S. 651.

[3] Glück, S. 652.

[4] Pöckl, Wolfgang/ Pöll, Bernhard/ Rainer, Franz: Einführung in die romanische Sprachwissenschaft, Tübingen 2003, S. 61.

[5] Schaller, Helmut Wilhelm: Die Balkansprachen. Eine Einführung in die Balkanphilologie, Heidelberg 1975, S. 58.

[6] Glück, S. 90.

[7] Vgl.: Glück. S. 652.

[8] Transhumanz bezeichnet die nomadische Lebensform, die Jahrhunderte lang auf dem Balkan vorherrschend war. Viehhirten durchwanderten mit ihren Herden und Familien weite Teile der Balkanhalbinsel auf der Suche nach frischen Weideflächen. Sprachliche Flexibilität war für diese Lebensform oberstes Gebot, da die Wanderungen nicht auf Landes- oder Sprachgrenzen Rücksicht nahmen. So beherrschten die meisten Menschen, die sich über weite Strecken bewegten, zumindest Grundzüge der benachbarten Sprachen. Es kam zu Sprachkontakt und demzufolge zu Vermischungen zwischen den Sprachen.

[9] Petrucci, Peter R.: Slavic Features in the History of Rumanian, München/Newcastle 1999., S. 9.

[10] Petrucci, S. 5.

[11] Schaller, S. 103.

[12] Schaller, S. 101.

[13] Schaller, S. 119.

[14] Schaller, S. 119.

[15] Vgl.: Schaller, S. 119. Genaueres zu den möglichen Ursprüngen der jeweiligen Balkanismen siehe unten, Punkt 3.1 bis 3.8.

[16] Vgl.: Schaller, S. 101 f.

[17] Als weiteren primären Balkanismus bezeichnet Schaller gewisse Übereinstimmungen im Vokalsystem der Balkansprachen. Da dieses Merkmal jedoch den Bereich der Phonologie betrifft und der hier verwendete Textcorpus ein schriftlicher ist, soll im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter auf diese phonologischen Merkmale eingegangen werden, sondern ausschließlich auf die genannten syntaktischen und morphologischen Phänomene.

[18] Beyrer/ Bochmann/ Bronsert, S. 88.

[19] Vgl.: Schaller, S. 101.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Rumänisch im Kontext des Balkansprachbundes. Balkanische Strukturen des Rumänischen und andere romanischen Sprachen (Französisch, Spanisch, Italienisch)
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Romanische Sprachen und Literaturen)
Veranstaltung
Rumänische Sprachwissenschaft für Romanisten
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
26
Katalognummer
V151032
ISBN (eBook)
9783640626687
ISBN (Buch)
9783640627004
Dateigröße
510 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Sprachvergleich, Rumänisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Verdoplung des Objekts, Balkansprachbund, Sprachbund, Infinitivgebrauch, bestimmter Artikel, Zahlsystem, Futur, Personalpronomen, Zusammenfall von Genitiv und Dativ
Arbeit zitieren
Susanne Hasenstab (Autor:in), 2008, Rumänisch im Kontext des Balkansprachbundes. Balkanische Strukturen des Rumänischen und andere romanischen Sprachen (Französisch, Spanisch, Italienisch), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151032

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