Alfred de Mussets "La nuit de mai" - Eine Interpretation


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

26 Seiten, Note: 2+


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Alfred de Musset – Leben und Schaffen

3. Les Nuits – Einbettung der Nuit de mai in das Gesamtwerk

4. La nuit de mai – Eine Interpretation

5. Abschließende Bemerkungen

Quellenverzeichnis

Primärliteratur:

Sekundärliteratur:

Anhang

1. Einleitung

„Les plus désespérés sont les chants les plus beaux“, so lautet der wohl berühmteste Vers von Alfred de Mussets Gedicht La nuit de mai aus dem Jahre 1835.

Diese wenigen Worte beschreiben wohl auch sehr prägnant Mussets Stimmung zu jener Zeit, entstand dieses Gedicht doch kurz nach seiner gescheiterten Liebesbeziehung zu der Dichterin und Romanautorin George Sand. In dieser Stimmung des Dichters ist auch die Inspiration zur Nuit de mai zu suchen.

Die Nuit de mai, nach dem Zeugnis von Alfred de Mussets Bruder Paul „in zwei Tagen und einer Nacht dichterischer Begeisterung niedergeschrieben“ (Luscher 1991: 133), ist der erste Dialog zwischen dem schöpferischen Genie des Dichters Alfred de Musset und dem von irdischer Liebe zu einer Frau verratenen, von Schmerz durchdrungenen Menschen, dem jegliche Kraft zum Schreiben fehlt (vgl. Luscher 1991: 132 f.).

Im Rahmen dieser Hausarbeit soll nun das Gedicht La nuit de mai interpretiert werden, wobei der Ansatz zum großen Teil werkimmanent sein soll. Der Gedichtinterpretation gehen zwei einführende Kapitel voraus: Zunächst soll es um den romantischen Schriftsteller Alfred de Musset selbst gehen, mit dem Ziel, einen kleinen Einblick in sein Leben und Schaffen zu bekommen und etwaige Interpretationsansätze, die in Zusammenhang mit seinem Leben stehen, besser verstehen zu können.

In einem zweiten Schritt erfolgt eine Einbettung der Nuit de mai in den entsprechenden Gedichtzyklus, der neben diesem noch drei weitere Nuit -Gedichte enthält und im Jahre 1840 erschienen ist (vgl. ebenda).

Der größte Teil der vorliegenden Hausarbeit soll der Gedichtinterpretation selbst gewidmet sein, das Gedicht ist aufgrund seines Umfangs dem Anhang beigefügt.

Bei der Interpretation soll das Hauptaugenmerk auf der entsprechenden Sekundärliteratur liegen, wobei es mein Ziel ist, auch zahlreiche eigene Überlegungen mit einfließen zu lassen.

2. Alfred de Musset – Leben und Schaffen

Alfred de Musset (* 11. Dezember 1810 in Paris ; † 2. Mai 1857 ebenda) war ein französischer Schriftsteller und gilt als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der französischen Romantik.

Er wuchs als wohlbehüteter Sohn adliger Eltern in Paris auf, wo er auch das Traditionsgymnasium Henri IV besuchte und dort seine Schulzeit sehr erfolgreich absolvierte. Anschließend begann er erst ein Jura- und dann ein Medizinstudium, betätigte sich aber vor allem als junger Lebemann; sein ausufernder Lebensstil entsprach dem zeitgenössischen Ideal des Dandyismus mit starkem Alkohol- und Haschischkonsum.

Nach frühen Lehrjahren in den Literatenzirkeln Arsenal von Charles Nodier und des Cénacle von Victor Hugo trat Musset mit eigenen Werken hervor.

Schon 1830 erschienen die Contes d´Espagne et d´Iatlie, eine Sammlung äußerst formvollendeter Gedichte im Stil der Romantik, voller Exotik und exaltierter Gefühle.

1833 lernte Musset die sechs Jahre ältere Romanautorin und Dichterin George Sand kennen und begann mit ihr ein romantisches wie leidenschaftliches Liebesverhältnis. Diese Liaison fand im Winter 1835 auf einer gemeinsamen Italienreise ein jähes Ende, als Musset in Venedig erkrankte und Sand ihn mit dem Arzt betrog[1].

Die darauf folgende Krise hat Musset zu seinem Roman La confession d´un enfant du siècle und zu dem Gedichtzyklus Les Nuits inspiriert.

In den Jahren 1838-48 und ab 1853 war er Staatsbibliothekar. 1852 wurde er nach zwei vergeblichen Nominierungen 1848 und 1850 in die Académie Française aufgenommen, nachdem er sich dem neuen Regime von Louis-Napoléon Bonaparte angeschlossen hatte.

Dem vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts populären Autor blieb anfangs der literarische Erfolg versagt. Sein erstes Theaterstück La nuit vénitienne aus dem Jahre 1830 wurde sowohl vom zeitgenössischen Publikum als auch von den klassizistischen Kunstrichtern aufgrund seiner kühnen Neuerungen abgelehnt. Nach diesem Misserfolg wandte sich Musset dem Lesedrama zu. Die bekanntesten Stücke sind Les caprices de Marianne (1833), Fantasio (1834) und On ne badine pas avec l'amour (1834). 1832 publizierte er unter dem Titel Un spectacle dans un fauteuil mehrere Theaterdichtungen, darunter das historische Drama Lorenzaccio aus dem Jahre 1834.

Programmatisch kündigt der Sammeltitel an, dass der Autor sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht und „die Freiheit seiner Phantasie über ästhetische, politische und religiöse Forderungen“ (Hölz 1989: 2068) stellt.

Musset hat diese nonkonformistische Haltung, die auch seine Dichtung prägt, mit dem Vorsatz angenommen, gegen den Verstand zu arbeiten. Der Irrationalismus, der in der Gestaltung leidenschaftlicher, exaltierter Charaktere zum Ausdruck kommt, ist in dem aristokratischen Dandy Rolla in der gleichnamigen Verserzählung aus dem Jahre 1833 dem zeitgenössischen Geist der Ennui, also dem Überdruss, entsprechend dargestellt. Diese Erzählung machte den Autor zu seiner Zeit berühmt.

Zu Beginn seines Schaffens waren Mussets Werke von den Themen Liebe, Leidenschaft, Eifersucht, Schmerz, Melancholie, Erinnerung sowie dem Verhältnis von Liebe und Künstlertum geprägt und standen damit ganz im Zeichen der romantischen Gefühlsliteratur.

Später distanzierte sich Musset zu den von ihm als zu doktrinär empfundenen Prinzipien der romantischen Schule. In seinem ästhetischen Libertinismus verwarf Musset schließlich das soziale und humanitäre Verantwortungsbewusstsein von Alphonse de Lamartine, Victor Hugo und Alfred de Vigny und näherte sich dem klassizistischen Kunstgeschmack, wie etwa in den Lettres de Dupuis et Cotonet, an.

Weiter beklagte Musset die mit der Restauration und der Julirevolution von 1830 einhergehende „prosaische“ Dekadenz bürgerlicher Ideale. Das Zusammentreffen romantischer und klassischer, individualistischer und traditioneller Züge trägt bis heute zu einem widersprüchlichen Bild Mussets bei. Mit seinem Geschichtsbild und seiner Auflehnung gegen den zeitgenössischen Kunstgeschmack hat Musset die bürgerlichen Leitgedanken seiner Epoche in Frage gestellt (vgl. Hölz 1989: 2068 f.).

3. Les Nuits – Einbettung der Nuit de mai in das Gesamtwerk

La nuit de mai ist eines der Gedichte aus Les Nuits, einem Gedichtszyklus Alfred de Mussets, der die Gedichte La nuit de mai (1835), La nuit de décembre (1835), La nuit d´août (1837) sowie La nuit d´octobre (1837) umfasst.

Die vier Nuits -Gedichte wurden zunächst einzeln in der Revue des Deux Mondes veröffentlicht, denn sie waren ursprünglich nicht als Zyklus gedacht. Im Jahre 1840 erschienen sie dann in Mussets Poésies nouvelles.

Außer den Nuit -Gedichten enthält diese Sammlung auch die Lettre à Lamartine aus dem Jahre 1836 sowie L´espoir en Dieu und Souvenir, Gedichte, die zwischen 1835 und 1840 entstanden sind.

Die Nuits -Gedichte sind Mussets erste dichterische Erzeugnisse nach dem Bruch mit George Sand. Die gemeinsam mit der Dichterin unternommene romantische Reise nach Venedig brachte Musset einerseits eine Zeit heftiger Leidenschaft und schmerzlicher Enttäuschung, andererseits den unverlierbaren Gewinn der Vertiefung seiner lyrischen Ausdruckskraft.

Allerdings wies bereits Mussets Bruder Paul darauf hin, dass nicht alle Gedanken und Gefühle dieser Gedichtserie mit der Erinnerung an George Sand in Verbindung stehen.

Die Nuits, in denen in abwechselnden Gesängen nächtliche Zwiesprache mit der dichterischen Muse gehalten wird, thematisieren den Konflikt zwischen Leben und Dichten und damit eine Grunderfahrung der Romantiker. Diese Spannung scheint nur überwindbar „in der poetischen Verewigung schattenhaften, zerbrechlichen Glücks oder aber der Beschwörung einer reinen Phantasiewelt“ (Luscher 1991: 132).

Der Gedichtzyklus gibt einen Einblick in Mussets Gedanken über die Liebe, Religion, Dichtung und Ruhm und fasst sie poetisch zusammen.

Die Nuit de mai ist Mussets Bruder Paul zufolge in „zwei Tagen und einer Nacht im Taumel dichterischer Begeisterung“ (Luscher 1991: 133) niedergeschrieben worden (vgl. Luscher 1991: 132 f.)

In diesem ersten Gedicht befindet sich der Dichter im Zwiegespräch mit seiner Muse, die ihn dazu auffordert, sein durch die Liebe verursachtes Leid durch neues dichterisches Schaffen zu überwinden, allerdings ohne Erfolg.

Im zweiten Gedicht, der Nuit de décembre erscheint dem Dichter anstelle der Muse ein schwarz gekleideter Mann, der ihn sein ganzes Leben begleiten wird. Hierbei handelt es sich um die personifizierte Einsamkeit, den sinnbildlichen Doppelgänger des Dichters.

In der dritten Nacht, der Nuit d´août, wirft die Muse dem Dichter sein dichterisches Schweigen und die Liebeserlebnisse, auf die sich der selbe einlässt, vor. Der Dichter erklärt daraufhin, dass ihm alle Rücksicht auf seine Dichtung gleichgültig sei, er wolle in erster Linie erleben, sowohl Liebe als auch Schmerz, wobei die Liebe im Vordergrund steht, da der Dichter sich durch sie erneuern will.

Erst im letzten der vier Gedichte, der Nuit d´octobre, glaubt der Dichter, genesen zu sein und seinen Schmerz überwunden zu haben. Er klagt seine untreue Geliebte an, doch die Muse ermahnt ihn, zu verzeihen. Nun ist der Dichter geheilt, er hat eine neue Geliebte und fühlt sich wieder fähig, zu dichten und teilt es der Muse sogleich mit. Sie und er erleben die Wiedergeburt beim ersten Sonnenstrahl, genau wie es in der Natur der Fall ist.

Die Nuit d´octobre ist dabei als Pendant zur Nuit de mai zu verstehen: die Wiedergeburt durch die Dichtung, die in der Nuit de mai noch unmöglich erschien, ist in der Nuit d´octobre, dem letzten der vier Gedichte, möglich und der Kreis schließt sich (vgl. Spitzer 1961: 115 f.).

4. La nuit de mai – Eine Interpretation

Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei der Nuit de mai um ein Zwiegespräch zwischen einem Dichter und seiner Muse handelt. Dies wird bereits ohne eine intensive Lektüre des Gedichts deutlich, da die jeweiligen Sprechakte mit „La Muse“ bzw. „Le Poète“ gekennzeichnet sind.

Die Muse selbst beginnt den Dialog, sie und der Dichter sprechen abwechselnd, wobei die Redeanteile der Muse deutlich überwiegen, ja sogar immer umfangreicher werden. Umfasst ihre erste Rede nur sechs Zeilen, so sind es in der zweiten Rede schon zehn und zwölf in der dritten. Ihre vierte Rede umfasst ganze 72 Zeilen, um sich in der fünften und letzten Rede schließlich wieder auf 53 Zeilen zu reduzieren.

Die Redeanteile des Dichters hingegen sind als recht konstant zu beschreiben. Seine erste Rede umfasst sieben Zeilen, die zweite und dritte jeweils zehn, und die vierte und fünfte Rede jeweils elf Zeilen.

Ob und wie diese unausgeglichenen Redeanteile in Bezug zum Inhalt des Gedichts stehen, wird noch zu untersuchen sein.

Nach einer ersten Lektüre kann man den Inhalt des Gedichts folgendermaßen grob zusammenfassen: Ein Dichter befindet sich im Zwiegespräch mit seiner Muse. Sie fordert ihn auf, seinen Liebesschmerz durch Dichten zu vergessen, allerdings ist er noch nicht in der Lage, sich dichterisch über das Erlebte zu äußern, ihm bleibt für diesen Moment nur das Schweigen, bis zum Schluss sind alle Bemühungen der Muse vergeblich.

Kommen wir nun zur Analyse der einzelnen Strophen. Wie bereits erwähnt, ist es die Muse, die den Beginn des Gedichts markiert. In ihrer ersten Rede fordert sie den Dichter dazu auf, seine Laute zu nehmen und ihr einen Kuss zu geben („Poète, prends ton luth, et me donne un baiser“, V. 1), wobei dies einer Rollenvertauschung gleich kommt, spricht man doch vom Kuss der Muse, und nicht vom Dichter, der die Muse küssen soll.

Ebenfalls auffällig an dieser Stelle ist die Konstruktion „et me donne un baiser“, die eine Aufforderung seitens der Muse an den Dichter darstellt und richtigerweise „donne-moi un baiser“ heißen müsste, also einen Imperativ verlangt. Leo Spitzer äußert sich dazu folgendermaßen:

„Dieser Vers [V. 1] ist linguistisch sehr interessant. Er steht in den meisten historischen Syntaxen des Französischen als die letzte Ausstrahlung eines altfranzösischen Ausdrucks. Im Altfranzösischen würde nämlich dieser Vers

so geformt sein: „Poète, prends ton luth si me donne un baiser.“ Das Altfranzösische hat zwei satzverbindende Konjunktionen, „et“, wie im Neufranzösischen, und ein ihm eigenes „si“, von „sic“ = so, und das letztere steht, wenn die Handlung des zweiten Verbs eine logische Folge oder einen Begleitumstand der ersten ausdrückt.

Das ist unser Fall: „Prends ton luth et me donne un baiser“: das eine geht mit dem anderen zusammen. Nun ist es eine Tatsache, daß „et“ im Altfranzösischen keine Veränderung der Wortstellung hervorruft; im Altfranzösischen heißt es: „et donne moi“ genau wie es „donne-moi!“ heißt; das „et“ hat keine eigene Tonkraft.

Anders ist es mit „si“; das „si“ = sic ist sehr tonstark und zieht das unbetonte Pronomen nach dem Imperativ an sich. Daher im Altfranzösischen: „et donne-moi un baiser“, aber: „si me donne un baiser.“ Nun verschwindet „si“ im Laufe der französischen Sprachgeschichte, und „et“ übernimmt manchmal in der Zeit, da das „si“ aus der Sprache verschwindet, wenigstens die Stellung, die bei „si“ üblich war; also „et me donne“ statt „et donne-moi“. [...]. Warum verwendet Musset diesen Archaismus? Offenbar, um eine gehobenere Sprache, die des XVII. Jahrhunderts, nachzuahmen.“ (Spitzer 1961: 120).

Bevor die Muse den Dichter in der ersten Strophe – ihrer ersten Rede – nochmals dazu auffordert, seine Laute zu nehmen und ihr einen Kuss zu geben, so wie sie es noch fünf Mal im Verlauf des Gedichts tun wird, beschreibt sie das Frühlingserwachen, vielleicht auch eine Art Lockruf an den Dichter, der ebenfalls aus seinem Schlaf der dichterischen Untätigkeit erwachen soll. Diese Rede ist mit sechs Zeilen noch sehr überschaubar, die Muse scheint noch nicht zu wissen, dass es mehr Worte brauchen wird, um den Dichter auf sich aufmerksam zu machen.

[...]


[1] Vgl.: http://www.frankreich-experte.de/fr/6/lit/musset.html (Stand: 20.02.10)

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Alfred de Mussets "La nuit de mai" - Eine Interpretation
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Marksteine der französischen Lyrik
Note
2+
Autor
Jahr
2010
Seiten
26
Katalognummer
V151057
ISBN (eBook)
9783640625680
ISBN (Buch)
9783640625833
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
La nuit de mai, Gedicht, Gedichtinterpretation, Lyrik, Alfred de Musset, Musset, Les Nuits, La Muse, Le Poète
Arbeit zitieren
Madeleine Jansen (Autor:in), 2010, Alfred de Mussets "La nuit de mai" - Eine Interpretation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151057

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