Ich muss ungefähr zwölf Jahre alt gewesen sein als ich mit dem
Skateboardfahren begonnen habe. Die vorherigen Fahrversuche mit dem
Hartplastikboard meines älteren Bruders würde ich noch nicht als den
Beginn einer noch immer anhaltenden Leidenschaft bezeichnen. Jedoch war
es damals bei weitem nicht so einfach wie heute an Material zu gelangen, da einschlägige Skateboardgeschäfte gegen Anfang der 90er Jahre noch keinen wirklich großen Absatzmarkt hatten. Dementsprechend klein war auch die Auswahl an Geschäften in Deutschland. Mein erstes professionelles „Board“ bezog ich über eines der noch heute größten Versandhäuser im Bereich Skateboarding. Damals noch ein Exot, ist „Titus“ heute eines der mit Abstand angesagtesten Adressen für Jugendliche und Junggebliebene im Bereich des „Boardsports“.
An dem Tag, an dem der UPS-Wagen vor unserem Haus hielt und mir mein
heiß ersehntes Skateboard brachte, veränderte sich schlagartig mein
bisheriges Leben, das bis dahin eher normaltypisch für einen "Teenager“
diesen Alters verlaufen ist. Auf einmal war ich Skater und identifizierte mich fortan mit dem Image, welches damit unweigerlich in Verbindung steht. Von da an verbrachte ich durchschnittlich etwa acht Stunden pro Tag auf dem Brett und machte mit Freunden, die das gleiche Hobby teilten, die Straßen unsicher. Es dauerte etwa ein bis zwei Jahre bis wir eine beträchtliche Anzahl an Skatern waren - eine eingeschworene Gemeinschaft mit einem für die Szene typischen Bekleidungsstil, speziellen Begrüßungsritualen und einem Fachjargon, der für Nichtskater schlichtweg unverständlich war und irritiertes Kopfschütteln hervorrief.
Von der Skaterszene, die schon lange existierte, wurden wir Jüngeren erst viele Jahre später respektiert, obwohl einige von uns wesentlich bessere Skater waren und sich das Skater-Dasein eines Großteils dieser Jungs auch fast nur auf deren Äußeres beschränkte. Uns war dies jedoch egal. Wir hatten eine Beschäftigung gefunden die uns erfüllte, die schnell von einem Sport zu einer Lebenseinstellung wurde und die die meisten von uns auch heute noch inne haben. Im Laufe der Jahre habe ich mich oft gefragt was gewesen wäre wenn ich mich für ein anderes Hobby entschieden hätte. [...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2.. Identitat.
2.1 Was steckt hinter dem Begriff Identitat?.
2.2 Vorstellung drei unterschiedlicher Identitatstheorien.
2.2.1 Identitatstheorie von Erik H. Erikson.
2.2.2 Identitatstheorie von George H. Mead
2.2.3 Identitatstheorie von Lothar Krappmann
2.3 Identitatsbildung als zentrale Entwicklungsaufgabe in der Jugendphase
3... Jugend und Jugendkultur.
3.1 Was sind Jugendkulturen?
3.2 Jugendkultur und Identitat.
3.3 Szenenzugehorigkeiten als spezifische Lebensstile von Jugendkulturen
4. Skateboarding.
4.1 Geschichte des Skateboardings
4.2 Techniken des Skateboardings und die Bedeutung fur die Identitatsbildung
4.3 Was sind die Motivationsmerkmale des Skateboardings?
4.4 Was sind die mit der Dimension Skateboarding einhergehenden Identitatsimpulse?
5 Skateboarding und Identitat im Jugendalter: Interview mit vier jugendlichen Skatern
5.1 Methodik
5.1.1 Vorgehensweise
5.1.2 Auswertungsverfahren
5.2 Interviews
5.2.1 Soziodemographische Daten der Interviewpartner
5.2.2 Aufzeigen der Kategorien
5.2.3 Kategorisierung der Interviewergebnisse
5.2.4 Zusammenfassung der Kategorisierungen.
5.2.5 Ergebnisprasentation
6 Sozialpadagogische Relevanz
6.1 Mogliche Konsequenzen fur die Sozialarbeit / Sozialpadagogik
6.2 Experteninterview
6.2.1 Methodik.
6.3 Zusammenfassung des Interviewergebnisses
7 Fazit
8... Literaturverzeichnis
9.. Anhang
9.1 Leitfragen des Interviews
9.2 Leitfragen des Experteninterviews.
9.3 Transkription des Interviews 1
9.4 Transkription des Interviews 2
9.5 Transkription des Interviews 3
9.6 Transkription des Interviews 4
9.7 Transkription des Experteninterviews
1 Einleitung
Ich muss ungefahr zwolf Jahre alt gewesen sein als ich mit dem Skateboardfahren begonnen habe. Die vorherigen Fahrversuche mit dem Hartplastikboard meines alteren Bruders wurde ich noch nicht als den Beginn einer noch immer anhaltenden Leidenschaft bezeichnen. Jedoch war es damals bei weitem nicht so einfach wie heute an Material zu gelangen, da einschlagige Skateboardgeschafte gegen Anfang der 90er Jahre noch keinen wirklich groRen Absatzmarkt hatten. Dementsprechend klein war auch dieAuswahl an Geschaften in Deutschland. Mein erstes professionelles „Board“ bezog ich uber eines der noch heute groRten Versandhauser im Bereich Skateboarding. Damals noch ein Exot, ist ,,Titus“ heute eines der mit Abstand angesagtesten Adressen fur Jugendliche und Junggebliebene im Bereich des ,,Boardsports“.
An dem Tag, an dem der UPS-Wagen vor unserem Haus hielt und mir mein heiR ersehntes Skateboard brachte, veranderte sich schlagartig mein bisheriges Leben, das bis dahin eher normaltypisch fur einen "Teenager1' diesen Alters verlaufen ist. Auf einmal war ich Skater und identifizierte mich fortan mit dem Image, welches damit unweigerlich in Verbindung steht. Von da an verbrachte ich durchschnittlich etwa acht Stunden pro Tag auf dem Brett und machte mit Freunden, die das gleiche Hobby teilten, die StraRen unsicher. Es dauerte etwa ein bis zwei Jahre bis wir eine betrachtliche Anzahl an Skatern waren - eine eingeschworene Gemeinschaft mit einem fur die Szene typischen Bekleidungsstil, speziellen BegruRungsritualen und einem Fachjargon, der fur Nichtskater schlichtweg unverstandlich war und irritiertes Kopfschutteln hervorrief.
Von der Skaterszene, die schon lange existierte, wurden wir Jungeren erst viele Jahre spater respektiert, obwohl einige von uns wesentlich bessere Skater waren und sich das Skater-Dasein eines GroRteils dieser Jungs auch fast nur auf deren AuReres beschrankte. Uns war dies jedoch egal. Wir hatten eine Beschaftigung gefunden die uns erfullte, die schnell von einem Sport zu einer Lebenseinstellung wurde und die die meisten von uns auch heute noch inne haben. Im Laufe der Jahre habe ich mich oft gefragt was gewesen ware wenn ich mich fur ein anderes Hobby entschieden hatte. Ich weiR nur, dass ich eine Vielzahl aufregender Momente nie erfahren und eine Menge interessanter Menschen nie kennen gelernt hatte. Auch wurde mir die Moglichkeit verwehrt bleiben, andere Kinder und Jugendliche anhand von Skateboardworkshops, in denen ich als Leiter fungiere, fur das Skaten begeistern zu konnen. Da ich am eigenen Korper erlebt habe, wie pragend die Skateboardszene fur mich war und teilweise noch immer ist, mochte ich mich in dieser Arbeit mit deren Stellenwert, vor allem im Hinblick auf die Identitatsbildung der Szeneangehorigen auseinandersetzen.
Beginnend mit einem Uberblick uber die Thematik ,,Identitat“ sollen grundlegende Fragen hinsichtlich dieses Themenkomplexes beantwortet und anschlieRend unterschiedliche Identitatstheorien vorgestellt werden. Im letzten Punkt des ersten Kapitels konzentriere ich mich dann auf die Identitatsbildung im Jugendalter und verstehe diese dabei als entscheidende Entwicklungsaufgabe in dieser Phase.
Im zweiten Kapitel werden die Begriffe Jugend und Jugendkulturen naher erlautert. Hierzu werde ich den Begriff ,,Jugendkultur“ in seiner gesamten Dimension anhand eines Vergleiches unterschiedlicher Theorien und Ansichten von bedeutenden Theoretikern naher beleuchten. Danach folgt eine Verknupfung der beiden Aspekte ,,Jugend“ und ,,Identitat“, um deren unmittelbaren Zusammenhang besser verdeutlichen zu konnen. Gegen Ende dieses Kapitels werde ich mich naher mit dem Thema ,,Szene“ und dessen charakteristischen Merkmalen beschaftigen, da dies hinsichtlich meiner Arbeit von groRer Bedeutung ist.
Der nachfolgende Teil beschaftigt sich ausschlieRlich mit dem Thema Skateboarding und beginnt mit der Darstellung der Geschichte des ,,Rollsports“. AnschlieRend werde ich die Techniken des Skateboardings darstellen und deren Relevanz im Hinblick auf die Identitatsbildung verdeutlichen. Im nachsten Punkt beschaftige ich mich mit den Motiven, die die Jugendlichen uberhaupt dazu bewegen, sich fur das Skateboardfahren zu entscheiden und schlieRlich folgt eine Darstellung sogenannter identitatsbildender und -festigender Impulse, die mit der Gesamtdimension Skateboarding einhergehen.
Hiernach folgt der empirische Teil, in welchem ich vier jugendliche Skateboarder interviewt und deren Aussagen kategorisiert, zusammengefasst und das Ergebnis im Sinne einer Interpretation prasentiert habe, um so meiner Argumentation und den dazugehorigen Thesen und Theorien zusatzlich Ausdruck verleihen zu konnen.
Der Fokus des vorletzten Kapitels dieser Diplomarbeit richtet sich auf die moglichen Konsequenzen fur die Jugendarbeit, die diese fur eine gelingende Arbeit mit Zugehorigen dieser „Szene“ beachten sollte.
Den Schluss meiner Arbeit bildet die Auswertung und Interpretation des in diesem Zusammenhang durchgefuhrten Experteninterviews.
Da der Skateboardszene uberwiegend mannliche Jugendlichen angehoren und es sich bei meinen Interviewpartnern auch ausschlieRlich um solche handelt, habe ich mich bei der nachfolgenden Benennung jener Jugendlichen ausschlieRlich auf den mannlichen Begriff „Skateboarder“ beschrankt.
2 Identitat
2.1 Was steckt hinter dem Begriff Identitat?
Uber wohl kaum einen anderen sozial-wissenschaftlichen Begriff existieren so viele Definitionen wie uber den der Identitat. Diese Vielfalt ruhrt groRtenteils daher, dass diese Thematik fur viele unterschiedliche Felder von groRer Relevanz ist und dementsprechend von beispielsweise Psychologen, Soziologen, Padagogen, Philosophen und Literaturwissenschaftlern entsprechend ihres jeweiligen spezifischen Bereiches gedeutet und definitorisch ausgelegt wird (vgl. Goppel, 2005, S. 218). Dies erklart auch, warum kaum ein Begriff bei seinem Gebrauch so wenig Identitat aufweist, wie der Begriff „Identitat“ selbst (Platta, 2002, S. 50).
Fur den Theoretiker Abels ist Identitat ,,...das Bewusstsein ein unverwechselbares Individuum mit einer eigenen Lebensgeschichte zu sein, in seinem Handeln eine gewisse Konsequenz zu zeigen und in der Auseinandersetzung mit anderen eine Balance zwischen individuellen Anspruchen und sozialen Erwartungen gefunden zu haben“ (2006, S. 254). Neben dieser Definition gibt es noch unzahlige andere, die jedoch hinsichtlich ihres definitorischen Ansatzes sehr stark variieren konnen. Zumindest existiert aber ein gemeinsamer Bedeutungskern, uber den sich sowohl Psychologen, als auch Soziologen einig sind. So ist von Identitat dann die Rede, wenn sich eine Person als einzigartig und von anderen unterscheidbar beschreibt und wenn diese Ansicht zusatzlich vom sozialen Umfeld geteilt wird. Daraus erschlieRt sich, dass Identitat zwei unterschiedliche Komponenten umfasst, namlich die personale und die soziale Identitat. Wahrend in der personalen Identitat die im Lebenslauf gemachten Erfahrungen verarbeitet und in einem Selbstbild zusammengefasst werden, entsteht die soziale Identitat aus dem Bild, welches das Individuum von sich selbst durch andere Personen aus seiner Umweltvermittelt bekommt (vgl. Brettschneider/Bredenbreck, 1997, S. 157). Aus entwicklungspsychologischer Sicht bezieht sich der Begriff „Identitat“ auf die einzigartige Kombination von personlichen, unverwechselbaren Daten eines jeden Menschen wie dessen Name, Alter, Geschlecht und Profession, die diesen charakterisieren und wodurch sich dieser von allen anderen Individuen unterscheidet. Neben dieser allgemeinen Sichtweise lasst sich Identitat allerdings auch auf Gruppen oder bestimmte Personenkreise anwenden.
Aus psychologischer Sicht bedeutet Identitat die einzigartige Personlichkeitsstruktur, die mit dem Bild einhergeht, das andere von dieser Personlichkeitsstruktur haben.
Spricht man von Identitat im Jugendalter, kommt noch eine weitere Komponente zum Tragen, namlich das eigene Verstandnis fur die Identitat, die Selbsterkenntnis und der Sinn dafur, wer man ist und sein will (vgl. Oerter u.a., 2008, S. 303). In diesem Zusammenhang erwahnt Baake (1999, S. 254) die fur den Begriff der Identitat charakteristische Beziehungsleistung und Relativierungsleistung. Er spricht deshalb von einer Beziehungsleistung, weil Identitat durch Imitation Anderer, durch Identifikation und durch den
Vergleich mit anderen entsteht. Eine Relativierungsleistung liegt vor, weil uber die Beziehungen mit anderen erkannt wird, dass das Individuum moglicherweise uber Kompetenzen verfugt, die andere nicht haben, diese jedoch beschrankt sind und durch die Anderer erganzt werden mussen.
,,Der Jugendliche erfahrt hierdurch, dass sich nicht nur alles um ihn dreht“ (Baake, 1999, S. 254).
Eine groRe Kongruenz zum Begriff der Identitat weist der Begriff des Selbst auf, der auch im unmittelbaren Zusammenhang mit der Entwicklung der Identitat steht.
Verallgemeinert gesagt, bezieht sich das „Selbst“ auf den Kern des Personlichkeitssystems eines jeden Individuums. Oerter (2008, S. 303) unterscheidet den Begriff nach funktionellem Sinn, wonach das Selbst der Trager von Handlungen ist (vgl. Bandura, 1977; Ryan, 1993) und nach phanomenologischem Sinn, wonach unter ,,Selbst“ die Selbstwahrnehmung und die Selbsterkenntnis gemeint sind. Diese lassen sich wiederum unter dem Begriff ,,Selbstkonzept“ zusammenfassen. Das Selbstkonzept besteht aus zwei Hauptkomponenten. Die affektive Komponente beinhaltet das Selbstwertgefuhl und das Selbstvertrauen, wahrend die zweite Komponente, die kognitive, das Wissen, das man von sich hat, und die Selbstwahrnehmung beinhaltet. Bei der Entstehung des Selbstkonzeptes spielen wiederum genetische und umweltbedingte soziale Faktoren eine erhebliche Rolle. Wahrend zu den genetischen Faktoren beispielsweise Temperament als eine von zahlreichen anderen spezifischen Personlichkeitsdispositionen zahlt, setzt sich der soziale Faktor aus folgenden Aspekten zusammen:
- Soziale Identitat kennzeichnet sich dadurch, dass man sich bestimmten Gruppen zugehorig fuhlt. Hierbei ist das Bewusstsein um die soziale Identitat umso starker, je kleiner die Gruppe ist.
- Soziale Rollen meinen die Rollen, die Personen im taglichen Leben mehr oder weniger bewusst ubernehmen, weil diese mit bestimmten sozialen Anforderungen verknupft sind.
- Sozialer Vergleich bedeutet, dass jedes Individuum seine Eigenschaften und Fahigkeiten durch den direkten Vergleich mit anderen beurteilt.
- Erfolge und Misserfolge beeinflussen dementsprechend die Bildung des Selbstbildes (Bild, das eine Person von sich inne hat).
- Kulturen legen Werte und Normen fest, deren Einhaltung fur die Gruppenzugehorigkeit von grower Bedeutung sind. Hierdurch wird wiederum das Selbstbild beeinflusst.
Viele Theoretiker haben sich mit der Identitatsentwicklung beschaftigt, doch kann hier nicht annahernd auf jeden einzelnen eingegangen werden. Allen Thesen ist jedoch gemein, dass sie die Identitatsentwicklung weitestgehend uberdie Personlichkeitsentwicklung identifizieren.
Bei den Personlichkeitstheorien geht es wiederum um die subjektiven Erfahrungen des Menschen mit dem eigenen Selbst, und seinem Umgang damit (vgl. Zimbardo, 1996, S. 545).
2.2 Vorstellung drei unterschiedlicher Identitatstheorien
Im Folgenden will ich nun die drei, meiner Meinung nach, bedeutendsten Theorien bezuglich der Entwicklung von Identitat aufzeigen. Diese werde ich jedoch nur grob darstellen, um dem Leser zumindest einen kurzen Uberblick vermitteln zu konnen, da eine explizite Ausfuhrung jeder der drei Theorien den Rahmen dieser Diplomarbeit sprengen wurde.
2.2.1 Identitatstheorie nach Erik H. Erikson
Diese Theorie basiert auf der Annahme, dass der Mensch seine bisher gesammelten Lebenserfahrungen zu einem Gefuhl der Einheit und Ganzheit zusammenfasst (vgl. Ahrbeck, 1997, S. 31).
Erikson beschreibt die Identitatsentwicklung als einen lebenslangen Prozess, der in acht psychosozialen Entwicklungsstufen ablauft. Dieses achtstufige Phasenmodell basiert auf der Dreiphasentheorie von Sigmund Freud und kann als eine Weiterentwicklung dieser verstanden werden. Erikson war der
Auffassung, dass innerhalb der einzelnen Entwicklungsstufen unterschiedliche Anforderungen und Konflikte auftreten, die der Mensch versuchen muss zu bewaltigen, um die nachste Stufe erreichen und die dort auftretenden Konflikte erfolgreich bewaltigen zu konnen. Den Prozess der Identitatsbildung begrenzte er zeitlich auf die Phase der Adoleszenz. Im Folgenden werde ich nun das Stufenmodell von Erikson vorstellen und anschlieRend die fur die Identitatsbildung relevante Stufe 5 naher darstellen.
1. Ur-Vertrauen gegen Ur-Misstrauen
2. Autonomie gegen Scham und Zweifel
3. Initiative gegen Schuld und Zweifel
4. Werksinn gegen Minderwertigkeitsgefuhle
5. Identitat gegen Identitatsdiffusion
6. Intimitat und Distanzierung gegen Selbstbezogenheit
7. Generativitat gegen Stagnierung
8. Integritat gegen Verzweiflung und Ekel
Gerade in der Phase der Adoleszenz tritt fur den Jugendlichen eine Neuorientierung ein. Er lost sich von den Eltern und soziale Rollen, Meinungsbilder und Ziele werden entwickelt, sowie das eigene Selbstverstandnis neu definiert. Das Ergebnis dieser Prozesse ist die Entwicklung der Ich-Identitat (vgl. Ahrbeck, 1997, S. 47). Diese entwickelt sich aber nur dann, wenn die vorherrschenden Konflikte in den vorherigen Entwicklungsphasen bewaltigt wurden. Andernfalls kann es zu einer sogenannten „Identitatsdiffusion“ kommen. Erikson meint damit die Unfahigkeit des Ichs, eine Identitat zu entwickeln (vgl. Ahrbeck, 1997, S. 45). Zwar ist die Identitatsbildung in der Adoleszenz am deutlichsten erkennbar und stellt in dieser Phase auch das Kernproblem fur den Jugendlichen dar, doch findet trotzdem eine Entwicklung auf jeder der acht oben genannten Stufen statt. Fur Erikson ist Identitatsbildung somit auch kein zeitlich definierter Prozess, sondern vielmehr eine lebenslange und unbewusste Entwicklung (vgl. Ahrbeck, 1997, S 46).
2.2.2 Identitatstheorie nach George H. Mead
Diese Theorie basiert auf der Annahme, dass die Identitat nicht von Geburt an vorhanden ist, sondern aus den gesellschaftlichen Erfahrungs- und Tatigkeitsprozessen eines jeden Menschen entsteht (vgl. Mead, 1973, S. 177). Wahrend man als Kind nur mit einer oder wenigen wichtigen Bezugspersonen in Kommunikation und Interaktion tritt, verandert sich dies mit zunehmendem Alter. Durch die Zunahme von Kontakten mit verschiedenen Personen lernt das Individuum nach und nach, sich von auRen, also aus der Sicht der Anderen zu betrachten. Hierdurch nimmt es auch die Rollenerwartungen an sich selbst wahr und erfahrt sich indirekt - entweder aus der besonderen Sicht anderer Mitglieder der Gruppe oder aus der allgemeinen Sicht der ganzen Gruppe, der es angehort. Dadurch sieht sich das Individuum selbst als Objekt, genauso wie es auch die anderen Gruppenmitglieder sieht. Dies geschieht jedoch nur dadurch, dass es die Haltung von anderen Individuen gegenuber sich selbst innerhalb einer gesellschaftlichen Umwelt oder eines Erfahrungs- und Verhaltenskontextes einnimmt, in welchen das Individuum nicht minder involviert ist, als die Anderen (vgl. Mead, 1973, S. 180). Das zentrale Entwicklungsziel ist fur Mead das ,,vollstandige Selbst". Dabei spielen zwei sich wechselseitig beeinflussende Komponenten eine erhebliche Rolle, namlich das „I" und das ,,Me". Das „I" steht immer fur die mehr oder weniger spontanen Reaktionen einer Person und ist dafur verantwortlich, dass wir uns unserer Taten nicht immer bewusst sind. Auch ist damit ein Gefuhl der Freiheit und Initiative verbunden. Das ,,Me" kann dagegen als die individuelle Spiegelung des gesellschaftlichen Verhaltens innerhalb einer Gruppe gesehen werden und beinhaltet die Vorstellungen der Anderen und daraus abgeleitete Verhaltenserwartungen (vgl. Mosebach, 1990, S. 127).
,,Das >lch< (I) reagiert auf die Identitat, die sich durch die Ubernahme der Haltungen anderer entwickelt. Indem wir diese Haltung ubernehmen, fuhren wir das >lch< (Me) ein und reagieren darauf als >lch< (l)“ (MEAD 1973, S. 217).
Identitat wird demnach in der Interaktion zwischen dem Ich und der Gesellschaft gebildet.
2.2.3 Identitatstheorie nach Lothar Krappmann
Diese kann als eine Weiterentwicklung der Theorie von Mead verstanden werden. Daneben ist Krappmanns Theorie noch von einigen anderen Ansatzen namhafter Theoretiker wie z.B. Goffman oder Habermas beeinflusst (vgl. Mosebach, 1990, S. 132/133).
Die Grundlage seiner Theorie ist das Vorhandensein sogenannter gesellschaftlicher (flexible Normensysteme) und individueller identitatsfordernder Fahigkeiten. Diese benotigt der Mensch fur den Reflexionsprozess der Rollenerwartungen (vgl. Mosebach, 1990, S. 134), um seine eigenen Rollen neu interpretieren zu konnen (vgl. Ahrbeck, 1997, S. 37). Bei den individuellen Fahigkeiten handelt es sich um folgende (vgl. Mosebach, 1990, S. 134):
1. „Role taking“ und Empathie
Hierunter versteht er den kognitiven Vorgang, sich aufgrund von Einfuhlungsvermogen in die Rolle des anderen versetzen zu konnen. Dies kann durch emotionale Faktoren (z.B. Sympathie) positiv beeinflusst werden.
2. Ambiguitatstoleranz
Das Vorhandensein dieser Fahigkeit erlaubt es dem Menschen, Interpretationen von widerspruchlichen Rollenbeteiligungen nebeneinander zu dulden.
3. Identitatsdarstellung
Dies verhilft dem Menschen dazu, seine Ich-Identitat nach auRen sichtbarwerden zu lassen.
4. Abwehrmechanismen
1st der Mensch nicht in der Lage, mit den divergierenden Rollenerwartungen fertig zu werden, entwickelt er sogenannte Abwehrmechanismen. Dies sind beispielsweise die Verdrangung von Widerspruchen und/oder die Umdeutung und Vereinfachung von Rollenerwartungen.
2.3 Identitatsbildung als zentrale Entwicklungsaufgabe in der Jugendphase
Neben der Akzeptanz der individuellen korperlichen Erscheinung und effektiven Nutzung des Korpers, dem Erwerb intellektueller und sozialer Kompetenzen, der Entwicklung eines individuellen Lebensplans sowie der mannlichen beziehungsweise weiblichen Geschlechterrolle und zahlreichen anderen Rollenaufgaben in der Adoleszenz, stellt die Bildung der Identitat eine der zentralsten Entwicklungsaufgaben in dieser Phase dar. Dass die Jugendlichen nicht selten Probleme mit der Bewaltigung all dieser Entwicklungsaufgaben haben, zeigt sich in den unterschiedlichen Sinn- und Orientierungskrisen.
,,Die Suche nach Orientierung und Sinngebung ist fur die Umbruchphasen Jugend im Lebenslauf charakteristisch wie fur wohl keine andere Lebensphase davorund danach.“
(Hurrelmann, 1999, S. 37)
In Anlehnung an die Theorie von Erikson schreibt Oerter (2008, S. 278), dass der Jugendliche zur Bewaltigung dieser uberwiegend neu anfallenden Aufgaben des Aufbaus eines Konzeptes der Selbstkonsistenz, also Ich- Identitat, bedarf. Erikson bezeichnet die Adoleszenz in diesem Zusammenhang auch als ..Moratorium" (vgl. Mosebach, 1990, S. 139) und versteht darunter folgendes:
„Unter einem psychosozialen Moratorium verstehen wir also einen Aufschub erwachsener Verpflichtungen oder Bindungen, und doch handelt es sich nur um einen Aufschub. Es ist eine Periode, die durch selektives Gewahrenlassen seitens der Gesellschaft und durch provokative Verspieltheit seitens der Jugend gekennzeichnet ist und doch fuhrt sie oft auch zu tiefen, wenn auch haufig vorubergehenden Bindungen aufseiten der Jugend und endet in einer mehr oder weniger feierlichen Bekraftigung der Bindungen seitens der Gesellschaft." (Erikson, 1988, S. 152)
Wie lange das Moratorium andauert, hangt u.a. auch davon ab, welche Schule besucht wird. So mussen besonders Jugendliche, die aus gesicherten finanziellen Verhaltnissen kommen und dadurch oftmals eine langere Schulbildung genieRen konnen, erst spater fur ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen. Dementsprechend haben diese ein langeres Moratorium, wodurch die Jugendlichen auch langer mit Entscheidungsalternativen bezuglich ihres individuellen Lebensentwurfes spielen konnen (vgl. Mosebach, 1990, S. 143 ff). Gerade in dieser Phase, die durch Verwirrung und Unsicherheit gekennzeichnet ist, hat der Jugendliche neben einer Vielzahl an neuen Aufgaben auch Entscheidungen zu treffen, die oft von nachhaltiger Bedeutung sind (beispielsweise schulischer Werdegang, Berufsausbildung u.a.). Um sich solcher Entscheidungen und Aufgaben jedoch uberhaupt erst erfolgreich annehmen zu konnen, bedarf der Jugendliche seiner eigenen Unverwechselbarkeit, seiner Identitat. Auch ermoglicht diese dem Jugendlichen die Entwicklung von Selbstverantwortlichkeit und Selbstreflexion, welche wichtige Kriterien hinsichtlich der Auswahl der neuen Rollen-, Normen- und Werteangebote darstellen, die eine Menge Widerspruche in sich bergen (vgl. Mosebach, 1990, S. 144). Daneben ist die mit der Identitatsbildung einhergehende Entwicklung des Selbstbewusstseins von enorm groRer Bedeutung, weil ein normal entwickeltes Selbstbewusstsein, beispielsweise die Akzeptanz des eigenen, sich verandernden Korpers, es dem Jugendlichen vereinfacht oder erst dazu verhilft, Zugang zu fremden Personen/Gruppen zu finden.
3 Jugend und Jugendkulturen
Nahezu jeder hat eine Vorstellung davon, was hinter dem Begriff Jugend steckt, weil er diese Phase einst selbst durchlebt hat, Kinder im Jugendalter hat oder zumindest Jugendliche kennt. Doch tut man sich trotzdem schwer bei dem Versuch zu beschreiben, was diesen komplexen und fur die Betroffenen vollig neuen Lebensabschnitt ausmacht. Glaubt man Lebert, so ist die ganze Jugend ein einziges gropes „Fadensuchen“ (2000, S. 65).
Auch gibt es fur den Zeitraum keine klaren begrifflichen Abgrenzungen. Zwar gibt es Paragraphen, die diesen Zeitraum per Gesetz definieren, wie beispielsweise §7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII, nach welchem Jugendlicher ist, wer 14 aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Jene Paragraphen gehen jedoch weder auf die qualitativen Besonderheiten dieser Phase ein, noch berucksichtigen sie die Tatsache, dass junge Menschen mit gleichem Alter hinsichtlich ihrer physischen und seelischen Reife oft recht unterschiedlich entwickelt sind (Goppel, 2005, S. 4). So kommt auch Hurrelmann zu der Schlussfolgerung, „dass eine altersmaRige Festlegung der Jugendphase nicht moglich und nicht sinnvoll“ sei (1999, S. 47). Er begrundet diesen Standpunkt damit, dass der Beginn und das Ende der Jugendphase relativ offen und unbestimmt und auRerdem sehr von kulturellen Gegebenheiten beeinflusst seien (1994, S. 18). Diese unterschiedliche Altersfestlegung wird auch beim Vergleich der „Shell“-Jugendstudien deutlich. Wahrend sich die erste Jugendstudie von 1953 mit dem Thema „Jugend zwischen 15 und 24“ beschaftigte, bezog sie sich von 2002 fortan auf Jugendliche im Alter zwischen 12 und 24 Jahren (Goppel, 2005, S. 4). Jedoch sind sich alle Theoretiker darin einig, dass es sich um eine eigenstandige und notwendigerweise abgrenzbare Ubergangsphase im Leben eines jeden Menschen handelt. Die Jugendzeit ist ein Ubergangsstadium zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenstatus, eine Zeit, in der noch keine volle okonomische Selbststandigkeit und auch keine von der Herkunftsfamilie unabhangige Lebensfuhrung erwartet werden (vgl. Rohmann, 1999, S. 10). Erst wenn der Jugendliche seinen, fur ihn passenden, Faden gefunden hat, ist davon auszugehen, dass er genug Reife entwickelt hat, um von dem jugendlichen in den erwachsenen Status mit allen Pflichten und Rechten zu wechseln.
3.1 Was sind Jugendkulturen?
In Bezug auf die schon oben erwahnte Jugendphase, gewinnt ein Begriff immer mehr an Bedeutung, namlich der der Jugendkultur. Meist steht dieser im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Formen der Jugend und deren Verhaltensweisen. Da dies jedoch ein weites Spektrum darstellt, das fur manche uberhaupt nicht einsichtig erscheint, mochte ich mich im folgenden Kapitel naher mit der Begrifflichkeit „Jugendkultur“ und den damit im Zusammenhang stehenden Komponenten auseinandersetzen. In den funfziger und sechziger Jahren sprach man von ,,Jugendkultur“ im Singular, da damals noch die Vorstellung einer einheitlichen Jugend vorherrschend war. Auch wurden keine Differenzierungen zwischen klassen- und schichten-, sowie milieu- und geschlechtsspezifischen Unterschieden gemacht. Die Jugendkultur war schlicht und einfach als Gegensatz zur Erwachsenenkultur anzusehen und als eine Teilkultur der Gesamtkultur zu verstehen (vgl. Rohmann, 1999, S. 11). Doch liegt der Ursprung von Jugendkulturen noch viel weiter zuruck.
Die Entwicklung der Jugendkultur ist eng mit der Ausbildung der Jugend verbunden und hat ihre Wurzeln in der Jugendbewegung um 1900. Eine der ersten deutschen Jugendkulturen stellte der ,,Wandervogel“ dar. Hierbei handelte es sich um eine autonome Jugendbewegung, die sich unabhangig von Familie und Schule entwickelte und mit ihren neuen Aktivitaten und Formen des auReren Erscheinungsbildes uberwiegend mannlichen Jugendlichen eine bis dahin nicht gekannte Form der Freizeitgestaltung bot (Ferchhoff, 1999, S. 26).
Jedoch gilt es in diesem Zusammenhang zu erwahnen, dass der Terminus ,,Jugendkulturen“ schon 1912 von Gustav Wyneken, einem deutschen Padagogen verwendet und gepragt wurde. Fur ihn stellte Jugendkultur die Basis gesellschaftlicher Erneuerung und den Gegenpol zur ,,Alterskultur“ (der damals typischen burgerlich-wilhelminischen Lebensweise) dar. Auch definierte er den Zeitraum der Jugend als den Altersabschnitt mit „der groRten Offenheit fur alle hohen ethischen Werte und Haltungen“ (Baake, 1999, S. 141). Des Weiteren war er der Ansicht, dass Geist und Jugend sich erganzen wurden und aufeinander angewiesen seien. Anstelle der ,,geisttotenden“ Padagogen des padagogischen Schulsystems und der Familie im traditionellen Sinn, bedurfe die Erneuerung der Gesellschaft einer Erneuerung der Jugend unter Einflussnahme des Lehrers, der dabei als geistiger Fuhrer fungieren solle (vgl. Baake, 1999, S. 141). Vielen Theoretikern war dies jedoch zu sehr auf den Aspekt Schule bezogen.
Bell hingegen ist der Ansicht, dass Jugendkulturen relativ koharente kulturelle Systeme sind, welche innerhalb des Gesamtsystems unserer nationalen KultureineWelt fursich darstellen (vgl. Baake, 1999, S. 125/126). Gleichzeitig geht Bell noch weiter und nennt mogliche Grunde fur die Entstehung von Jugendkulturen. Laut ihm begunstigen regressive Funktionen der primaren altersheterogenen Gruppen (z.B. neuzeitliche Familie) die Entwicklung jener ,,Teilkulturen“. Ein weiterer forderlicher Umstand zur Entwicklung von Jugendkulturen sei die daraus resultierende, und durch den Wert- und Verhaltenspluralismus der universalistischen Industriegesellschaft, verstarkte Unsicherheit. Auch stelle die mangelhafte Rollendefinition fur den Jugendlichen, der sich nicht mehr als Kind, aber auch noch nicht als Erwachsener sehe, einen zusatzlich forderlichen Aspekt dar. Als letzten Faktor nennt er eine, wiederum daraus entstehende, emotionale und soziale Labilitat, welche in ein Orientierungs- und Schutzbedurfnis umschlagen wurde, jedoch den Schutz bei den traditionellen padagogischen Ordnungsmachten nicht mehr finden konne. Fur Bell sind Subkulturen deshalb ein zwangslaufiger, erklarbarer Reflex auf eine unzureichend gewordene Gesellschafts- und Erziehungsstruktur, um Sozialisierungsdefizite von Familie, Schule und Ausbildung zu ersetzen (Baake, 1999, S. 127).
Andere Theoretiker wie Elkin und Westley (vgl. Baake, 1999, S. 128) kritisieren wiederum Bells Ansatz, weil das Spektrum der damit erfassten Jugendlichen zu beschrankt sei. So wurde Bell nur die mittelstandisch- burgerlichen Jugendlichen berucksichtigen. AuRerdem hatte die soziale Schichtzugehorigkeit einen mindestens ebenso groRen Einfluss auf jugendliches Verhalten, wie eigene Symbolwerte der Freizeitkultur (Baake, 1999, S. 128).
Einen gut nachvollziehbaren und zeitgemaRen Ansatz bezuglich des Begriffs „Subkulturen“ und deren Entstehungsursachen liefert Mike Brake (1981, S. 15). Er verwendet den Begriff „Subkultur“ als eine Art Uberbegriff fur ,,Jugendkultur“. Dabei macht er darauf aufmerksam, dass heutzutage zunehmend vermieden wird, die Begriffe „Subkultur“ und ,,Jugendkultur“ im Zusammenhang zu verwenden. Die Jugendkultur als eine Subkultur zu beschreiben bedeutet, Jugendkultur als Subsystem einer gesellschaftlichen Gesamtkulturzu begreifen (vgl. Rohmann, 1999, S. 11). Im Folgenden werde ich deshalb die von Brake gewahlten Begriffe verwenden, um dessen Ansatz moglichst getreu darstellen zu konnen. Brake geht von der Grundannahme aus, dass jedes komplexe Gesellschaftssystem aus verschiedenen, divergierenden Kulturen und einer Reihe von Untergruppen und Subkulturen besteht, wobei diese sich mit ihren Verhaltensnormen, ihren WertmaRstaben und ihrem Lebensstil gegenuber der dominanten Kultur der herrschenden Klasse behaupten mussen. Diese wiederum benutzt ihr Konzept der ganzheitlichen Kultur, um ihre Kontrolle der unteren Schichten zu legitimieren. Innerhalb dieser sozialen Schichten bestehen vielfaltige Lebensweisen, die Brake als Gruppen bezeichnet. Diese Gruppen entwickeln anhand sozialer Kontakte nach auRen WertmaRstabe und Verhaltensnormen, von denen wir uns beeinflussen lassen und teilweise sogar selbst zu deren Entwicklung beitragen. Diese WertmaRstabe und Verhaltensnormen stellen nach seiner Ansicht die jeweilige Kultur dar und beeinflussen den Menschen nachhaltig, oftmals mit identitatsbildender Wirkung. Laut Brake bezieht sich der Mensch auf die WertmaRstabe der herrschenden Kultur, arbeitet sich daran ab und definiert sich in Relation zu ihnen. Den groRten Teil dieser Kulturen bilden hierbei Klassenkulturen, wobei die Subkulturen als Subsysteme dieser groRen kulturellen Konfigurationen zu verstehen sind. Sie beinhalten Komponenten der umfassenderen Klassenkultur, heben sich jedoch zugleich von ihr ab. In diesem Zusammenhang verweist er auf den Theoretiker Downes (1966, S. 9), der Subkulturen grundlegend in zwei Sparten aufteilt. Er differenziert zwischen den Subkulturen, deren Erscheinungsbild von der Gesellschaft uberwiegend akzeptiert wird und denen, deren Erscheinungsbild nicht akzeptiert wird. Die letztere Variante entsteht laut Downes als negative Reaktion auf die sozio- kulturellen Bedingungen (vgl. Brake, 1981, S. 17). Im weiteren Verlauf schreibt Brake, dass die Integration in eine Subkultur zwangslaufig die Teilhabe an einer Klassenkultur impliziert und die Subkultur hierbei entweder deren Anhangsel oder ihr Widersacher ist. Selbstverstandlich gibt es aber auch klar abgegrenzte Subkulturen, die spezifische Hauptmerkmale aufweisen. Nach Miller (1968, S. 6) handelt es sich hierbei um ,,ein Spektrum verschiedener Orientierungspunkte, die ungeteilte Aufmerksamkeit und ein HochstmaR emotionaler Zuwendung erfordern“. Aufgrund dieser Hauptmerkmale lassen sich Subkulturen somit auch nach Alter, Generations- und Schichtenzugehorigkeit bestimmen. Diese Tatsache verdeutlicht daneben die Vielfaltigkeit von Subkulturen. Ferner ist er der Ansicht, dass diese dort entstehen, wo zuvor schon einige wenige organisierte und wahrgenommene Ansatze von eigenen WertmaRstaben, Verhaltensformen und Handlungsweisen existiert haben. Das Ziel hierbei ist es, gemeinsam erfahrene Schwierigkeiten und Probleme zu losen. Eine Subkultur sei nur dann fahig zu uberleben, wenn sich aus ihr selbst neue WertmaRstabe und Verhaltensnormen entwickeln, die fur die zugehorigen Personen symbolkraftig und bedeutsam sind. Umso symbolkraftiger und bedeutsamer der Mensch die Subkultur erlebt, der er angehort, umso mehr bestarkt dies auch dessen individuelles Selbstwertgefuhl.
3.2 Jugendkultur und Identitat
Im folgenden Teil mochte ich den Zusammenhang von Jugendkulturen und Identitatsbildung verdeutlichen. Wie schon im vorherigen Kapitel angesprochen, leisten Jugendkulturen einen nicht unerheblichen Beitrag bezuglich des Erwerbs bestimmter Fahigkeiten und Kompetenzen. AuRerdem wird Jugendkulturen auch eine identitatsbildende Wirkung nachgesagt. „Identitatsbildung“ meint in der Alltagssprache den Erwerb des Wissens darum, wer man ist, was man tun und denken soll und weshalb dies sinnvoll ist (vgl. Rohmann, 1999, S. 15). Nach Brake (1981, S. 166 ff) muss aber zwischen Jugendkulturen, denen Jugendliche der Unterschicht angehoren, und solchen, denen Jugendliche der Mittel- und Oberschicht angehoren, unterschieden werden, da zwischen diesen sehr starke Unterschiede bestehen. So fand bei den Jugendlichen der Mittel- und Oberschicht eine eher liberale Erziehung statt, die meist einen auf die Freiheitsrechte bestehenden Standpunkt nach sich zieht. Auch dominiert bei den Angehorigen der Mittel- und Oberschicht eine starke Individualist und Selbstbezogenheit. Weitere Unterschiede zeigen sich in der zu erwarteten Lebenssituation jener Jugendlichen, die hinsichtlich ihrer Ausgestaltung durch viel mehr Moglichkeiten und Alternativen gekennzeichnet ist. Daneben variiert auch die personliche Lebensgestaltung und die Art und Weise, Gefuhle zu auRern und soziale Beziehungen einzugehen. Dennoch wirkt die Anziehungskraft, die von den unterschiedlichen Jugendkulturen ausgeht, annahernd gleich, unabhangig von der Schichtzugehorigkeit der Jugendlichen. Die Attraktivitat steckt in der rebellischen Haltung, dem Hedonismus und den Alternativen zum Elternhaus, zur Schule und zur Arbeit. AuRerdem implizieren sie Individualitat und Zugehorigkeit gleichzeitig. Im Allgemeinen sind Jugendkulturen uberwiegend sehr heterosexuell und maskulin ausgepragt und setzen den in der Gesellschaft dominierenden Weiblichkeitskult fort bzw. erhalten diesen aufrecht. Sie stellen somit auch einen wichtigen Faktor hinsichtlich der Sozialisation von Jugendlichen dar (Brake, 1981, S. 167). In diesem Zusammenhang erwahnt er, dass es naturlich auch Jugendgruppen gibt, in denen jener Weiblichkeitskult nicht existiere, da diese sich gegen die traditionelle sexuelle Rolle auflehnen. Gemeint sind hier soziale und politische Jugendkulturen von Homosexuellen und Feministinnen. Jedoch betont er, dass diese einen eher geringen Anteil ausmachen wurden. Bezuglich der Identitatsbildung ist Brake der Ansicht, dass Jugendkulturen Identitat in zweifacher Hinsicht bieten. Zum einen bieten sie eine kollektive Identitat, die das Zugehorigkeitsgefuhl der Jugendlichen verstarkt. Die Jugendlichen nehmen sich dadurch nicht als ein Haufen komplett unterschiedlicher Individuen wahr, sondern erleben sich viel mehr als ein Ganzes. Zum anderen stellen Jugendkulturen eine Bezugsgruppe dar, die von unterschiedlichen Meinungen, Ansichten, Wertvorstellungen, Wunschen etc. ihrer zugehorigen Mitglieder gekennzeichnet ist und dadurch die Moglichkeit zur Entwicklung einer individuellen Identitat darstellen. Hierbei handelt es sich um eine Identitat fernab von Zuschreibungen und Rollenzuweisungen des Elternhauses, der Schule und des Arbeitsplatzes. Die jeweilige Jugendkultur bietet den Jugendlichen einen Platz, der auRerhalb der Reichweite der Eltern und deren Kontrollmoglichkeiten sowie der allgemeinen Autoritat der Erwachsenenwelt liegt. Auch betont Brake (1981, S. 168) die Wichtigkeit jener „rebellischen“ Identitat, weil erst dadurch ein Ablosungsprozess in Gang gesetzt wird, der die Jugendlichen befahigt, ihre Wunsche und Bedurfnisse zur Geltung zu bringen und auszuleben. AuRerdem wird den Jugendlichen hierdurch der Unterschied zu den gelaufigen Erwartungshaltungen und Ansichten der Erwachsenen vor Auge gefuhrt. Des Weiteren ist er der Ansicht, dass dies maRgeblich dazu beitragt, dass die Jugendlichen sich spater wieder von dieser Identitat distanzieren und diese als ,,Teenager-Identitat“ abweisen. Brinkhoff spricht in diesem Zusammenhang von sog. ,,Synthetisierungsleistungen“, die jeder Jugendliche hierfurzu erbringen habe. ,,Der Jugendliche muss aus alten und neuen Identifikationsmustern kritisch auswahlen und sukzessiv eine neue Identitat synthetisieren.“ (Abels, 1993, S. 246, in: Brinkhoff, 1998, S. 73) Um diesem Zwang zur Synthese gerecht zu werden, schlieRt der Jugendliche sich ,,Cliquen“ an, orientiert sich an Ideologien oder diversen anderen spezifischen Vorbildern. All dies vermittelt dem Jugendlichen Verhaltenssicherheit und Anerkennung und ist ihm dabei behilflich, der immer wieder moglichen Entfremdung von sich selbst zuvorzukommen (vgl. Brinkhoff, 1998, S. 73) und Stuck fur Stuck die eigene Identitat zu festigen.
3.3 Szenenzugehorigkeiten als spezifische Lebensstile von Jugendkulturen
Die Welt in der wir heute leben, ist gekennzeichnet von Prozessen der Pluralisierung und Globalisierung, was zunehmend zur Auflosung der derzeit noch dominierenden Klassen- und Schichtstrukturen fuhrt. Hierdurch verandern sich gleichzeitig auch die klassischen Gesellschaftsformen wie Familie, Nachbarschaft und gesellschaftliche Zusammenkunfte wie Vereine, Verbande, Organisationen etc., weil aufgrund oben genannter Prozesse komplexe Systemnetzwerke entstehen, die das Individuum mehr oder weniger zwingen, zunehmend selbst verantwortlich zu werden. Denn Jugendverbande, Ausbildungsstatten oder auch die Familie werden ihrem Bedarf gegenuber den Jugendlichen aufgrund dieser zunehmenden Komplexitat immer weniger gerecht. Es entwickeln sich deshalb neue bzw. neuartige Vergemeinschaftungsformen, die sich dadurch ausdifferenzieren, dass sie nicht mit den typischen Verbindlichkeitsanspruchen einhergehen, wie es bei den traditionellen Institutionen der Fall ist. Solche Vergemeinschaftunsgsformen oder eben auch Szenen (daneben existieren noch zahlreiche andere Bezeichnungen wie Clique, Gang, Posse, Crew etc.) stehen in einem engen Zusammenhang mit dem Begriff „Jugendkulturen“, haben jedoch nicht die gleiche Bedeutung. Szenen sind nach den beiden Soziologen Irwin und Schulze „...kulturelle Netzwerke von Personen, die bestimmte materiale und/oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabilisieren und weiterentwickeln“ (Hitzler, 2005, S.20). Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch hat sich der Begriff„Szene“ fur jugendkulturelle Gruppierungen eingeburgert, da dieser die „Strukturveranderungen“ der Gleichaltrigengruppen berucksichtigt, welche infolge der Verbreitung neuer Medien, des mehrdimensionalen Mobilitatszuwachses und der damit verbundenen Loslosung von traditionellen und lebenslagenspezifischen Bindungen auftreten (vgl. Hitzler, 2005, S.19/20). Eine Jugendkultur wird aber nur dann als „Szene“ bezeichnet, wenn diese eine Minderheiten-Kultur in der jeweiligen Gesellschaft darstellt. Dies trifft z.B. auf „Sprayer“, „Hip-Hopper“, „Gothics“, „Rocker“, „Hools“, „Punks“, „Skins“, „Skateboarder“ etc. zu, um nur einige von unzahligen parallel existierenden Szenen zu nennen. Weitere Kennzeichen sind die Entwicklung kultureller Merkmale, die uber die gemeinsamen Interessen hinausgehen. Auch grenzen sich Szenen klar von Klassen, Schichten oder sozialen Milieus ab, da Szenen horizontal neben anderen Szenen stehen, wahrend bei Klassen, Schichten oder eben sozialen Milieus eine Hierarchie besteht, die eine vertikale Gliederung innerhalb des jeweiligen Gefuges nach sich zieht. Szenen konstituieren sich eher beilaufig uber szenetypische Symbole, Zeichen und Rituale, die eigentlich dazu dienen, den Zugehorigen-Status aufrecht zu erhalten und zu starken, um ein Wir-Gefuhl zu vermitteln. Jene Kodexe helfen ihren Szenegangern, sich immer wieder von neuem ,,in Szene zu setzen“, um schlieRlich von AuRenstehenden wahrgenommen zu werden. Dies dient der sozialen Einordnung der Jugendlichen und starkt sowohl die kollektive als auch die individuelle Identitat. AuRerdem ist allen Szenen gemeinsam, dass sie keine Verbindlichkeiten fur sich beanspruchen und eine Teilhabe in mehreren Szenen gleichzeitig moglich ist (vgl. Hitzler, 2005, S. 21). Dies fuhrt jedoch dazu, dass Szenen auRerst labile Konstrukte sind. Hitzler begrundet dies damit, dass das kollektive Wir-Gefuhl ausschlieRlich aufderVerwendung von szenetypischen Zeichen und Symbolen, speziellen Kommunikationsformen und dem Glauben an eine gemeinsame Idee beruht. Zum anderen besteht dieses Gefuhl nur innerhalb der jeweiligen Szene. Da Szenenzugehorigkeit aber ein „Teilzeit-Engagement“ bedeutet, gibt es auch Phasen, in der sich der Szenezugehorige in anderen Bereichen (Familie, Ausbildung, Berufusw.) engagiert. Dies bedeutet wiederum, dass in solchen Phasen das Bewusstsein zu der Szenenzugehorigkeit nur latent vorhanden ist (vgl. Hitzler, 2005, S. 24). Umso wichtiger ist deshalb das Wissen um die einschlagigen Treffpunkte einerjeden Szene. Dort wird nicht nurdiejeweilige Kultur der Szene gefestigt und reproduziert, sondern auch das individuelle Zugehorigkeitsgefuhl des Mitglieds. Nahezu jedes Szenemitglied kennt die Treffpunkte innerhalb seiner Szene und weiR, wann und wo es auf andere Szeneganger stoRt.
In diesem Zusammenhang verweist Schwier auf die sogenannten „Streetszenen“, zu welchen er auch Skateboarding zahlt (vgl. Schwier, 1998, S. 30 ff). Spezifisches Kennzeichen dieser speziellen Szenen, sind in erster Linie die Orte, an welchen die Jugendkulturen prasent sind, namlich die StraRe. Hierzu zahlt er auch noch Inline-Skating und Streetball. Die jugendkulturellen Bewegungsformen durfen dabei aber nicht nur als reine Sportart verstanden werden, sondern als Bewegungsformen, die in den Alltag der Jugendlichen integriert sind und „Ausdruck eines eigenen Lebensstils" mit „identitatsstiftender und distinktiver Funktion" sind (Schwier, 1998, S. 40). Die von den Jugendlichen besuchten Orte werden dabei als Bewegungsraume entdeckt und entsprechend ihres jeweiligen Bedarfs interpretiert und neu ausgelegt (vgl. von Krosigk, 2000, S. 25 ff). Dementsprechend ist fur Skateboarder jede Stadt, ,,...ein grower Spielplatz, auf dem die Regeln vorubergehend auRer Kraft gesetzt sind“ (von Krosigk, 2000, S. 26). Gleiches gilt naturlich auch fur die anderen Angehorigen der „Streetszenen“. Daneben mussen sich Szenemitglieder nicht unbedingt personlich kennen. Sie sind meist in spezifische Gruppierungen eingebunden, die sich wiederum fur andere Gruppierungen auf der Basis gemeinsamer Interessen offnet. Nur dadurch, und aufgrund der Tatsache, dass sich die jeweiligen Gruppierungen als einen Teil der Szene begreifen, existiert die Szene uberhaupt und bleibt so am Leben. Oftmals erkennen sich Szenemitglieder nur anhand spezifischer Kennzeichen und interagieren in einer fur die Szene spezifische Weise, die den AuRenstehenden wahrscheinlich nicht auffallen wurde. Genauso unauffallig scheint fur AuRenstehende die Organisation innerhalb der Szenen zu sein. Hitzler spricht in diesem Zusammenhang von der Etablierung sogenannter „Organisationseliten“, dem Szenekern (2005, S. 27). Meist handelt es sich hierbei um langjahrige Szeneganger, die aufgrund ihres umfassenden Wissens und dem damit verbundenen Status innerhalb der Szene besondere Privilegien und eine hohere Position gegenuber allen anderen Szenemitgliedern haben. Dies zeichnet sich z.B. dadurch ab, dass solche Mitglieder „Events“ (Veranstaltungen) organisieren, Kontakt zu privilegierten Mitgliedern anderer Gruppierungen haben, Szenetreffpunkte strukturieren und vieles mehr.
Als letztes Szenemerkmal mochte ich nun noch deren Dynamik beschreiben. Szenen sind standig in Bewegung und das mussen sie auch, um sich neben all den parallel existierenden Szenen und den damit verbundenen Optionen behaupten zu konnen. Hitzler spricht in diesem Zusammenhang von „erlebenswerten Ereignissen", die zwei Dimensionen, namlich eine Intensivierung und eine Extensivierung, umfassen. Wenn Ereignisse stark auf Erlebnis-Intensivierung abzielen, bedeutet dies eine starke Bindung des Nutzers an das Angebot und eine gleichzeitig quantitative Einschrankung der Nutzer. Als Beispiel seien hier diverse Skateboard Messen genannt wie beispielsweise die „Bright“ in Frankfurt, die nur einer exklusiven Auswahl von Szenezugehorigen vorbehalten sind. Wenn Ereignisse hingegen auf Erlebnis-Extensivierung abzielen, wird das Angebot aufgrund der fehlenden Exklusivitat kaum wahrgenommen, der Nutzerkreis jedoch ausgeweitet. Ein Beispiel hierfur aus einer anderen Szene ist die wochentlich stattfindende Techno-Party, die fur jeden zuganglich ist. Die Dynamik innerhalb der Szenen stellt eine enorm groRe Bedeutung hinsichtlich des Fortbestandes einer jeden Szene dar. Unabhangig davon, welcher Szene sich eine Person nun zugehorig fuhlt, haben all diese Gruppierungen eines gemeinsam. Fur ihre Mitglieder sind sie von groRer Bedeutung, da sie ein Gefuhl von Exklusivitat vermitteln und fur viele einen Ort der Geborgenheit und des Verstandnisses darstellen. Und auch wenn es fur die Eltern und andere AuRenstehende noch so absurd erscheinen mag, leisten Szenen einen erheblichen sozialisatorischen Beitrag gegenuber ihren Mitgliedern, der nicht unterschatztwerden sollte (vgl. Hitzler, 2005, S. 233).
4 Skateboarding
4.1 Geschichte des Skateboardings
Bevor ich naher auf den Stellenwert des Skateboardens als Jugendkultur und dessen Einfluss eingehen werde, mochte ich zunachst einen Uberblick uber die Geschichte des Skateboardings geben.
Diese nahm ihren Lauf in den USA. Jedoch gibt es hier keine einzelne Person, auf die die Erfindung des Skateboards zuruckgeht, sondern lasst sich der Ursprung vielmehr als eine Art ,,Evolution“ verstehen (Seewaldt, 1990, S. 7). Auch ist es schwierig ein genaues Datum fur den Anfang der Geschichte des Skateboardings zu nennen, doch ist man sich daruber einig, dass die Entwicklung zu Beginn der 1950er Jahre begonnen hat. So etablierte sich die unter Surfern als „sidewalk-surfing“ bezeichnete, neu aufkommende Sportart zeitgleich in Kalifornien und auf Hawaii und stellte eine vergleichbare Alternative zum Wellenreiten fur die Surfer dar (Brooke, 1999, S. 20). Sehr schnell erkannte die amerikanische Spielzeugindustrie das neue Sportgerat als eine lukrative Quelle und brachte 1959 das erste Skateboard auf den Markt. Zwar unterschied sich dieses aufgrund seiner einfachen, zweckerfullenden Komponenten erheblich von den Modellen die wir heute kennen, doch ist es zumindest in seinen Grundzugen nahezu gleich geblieben. Von da an erfreute sich das Skaten aufgrund derTatsache, dass Skateboards nun nahezu uberall in den USA erhaltlich waren, grower Beliebtheit und gegen Anfang der 1960er Jahre bis etwa 1965 fand die erste groRe Skateboardwelle statt.
Im Zuge dessen bildeten sich zahlreiche Geschafte, die sich auf das Skateboarding spezialisierten und mit ihren eigens gebildeten Teams, sog. „Demos“ vor einem immer grower werdenden Publikum fuhren. Daraufhin fanden auch nach und nach sog. „Contests“ (Wettbewerbe) statt (zunachst noch ohne Preisgelder) und das erste Magazin, welches sich explizit mit dem Thema Skateboarding beschaftigte, kam auf den Markt. Unter dem Namen „The Quaterly Skateboarder1' erschienen jedoch leider nur vier Ausgaben, da der Skateboardboom nur bis Ende 1965 anhielt. Von da an schien Skateboarding zunachst wie ausgestorben zu sein. Dieser rasante Ruckgang war zum einen darin begrundet, dass sich aufgrund der bis dahin noch nicht weit entwickelten Materialien viele Sturze mit teils schweren Verletzungen ereigneten. Zum anderen wurde Skateboarding unter Mithilfe der Presse von Passanten und Grundstuckseigentumern, die sich und ihr Eigentum als gefahrdet sahen, immer mehr verteufelt (Seewaldt, 1990, S.11). In manchen Stadten wurde es daraufhin teilweise sogar verboten, durch die StraRen zu fahren und den dort ansassigen Geschaften wurde es untersagt, Skateboards zu verkaufen (Brooke 1999, S. 21). Trotzdem lieRen sich einige Skater ihre Leidenschaft nicht verbieten und fuhren an weniger offensichtlichen „Spots“ (Stellen, Platzen), wie z. B. in wasserlosen Swimmingpools, Abwasserkanalen, stillgelegten Firmengelanden etc. weiter. Diese einige wenige Skateboarder erhielten den Sport am Leben und beschaftigten sich mit der Weiterentwicklung der bis dahin verwendeten Materialien. So kam der Surfer Frank Nasworthy gegen Anfang der 1970er Jahre auf die Idee, aus dem Material Urethan (gummielastischer Werkstoff) Rollen herzustellen, da dieses Element wesentlich bessere Eigenschaften als die bis dahin verwendeten Materialien vorzuweisen schien. Tatsachlich veranderte sich das Lenk- und Fahrverhalten immens und der Weg fur die zweite groRe Skateboardwelle war geebnet. In rasanter Geschwindigkeit nahmen Geschafte diese neuen Rollen in ihr Sortiment auf und mit der analog stattfindenden Verbesserung der Achsen wurden auf einmal Tricks moglich, die vorher undenkbar gewesen waren. Die neuen Disziplinen ,,Slalom“, „Downhill“ und ,,Freestyle“ wurden von tausenden von Menschen in den USA ausgeubt und erneut schien es, als ware der Siegeszug des Skateboards unaufhaltsam. Daraufhin erschienen neue Magazine wie z.B. das ..Skateboarder Magazine1', und es fanden auch wieder Contests statt (Brooke, 1999, S. 14). AuRerdem wurde 1976 der erste ,,Skatepark“ der Welt in Florida gebaut. Infolgedessen entstanden zahlreiche Parks in den Vereinigten Staaten und dank einiger amerikanischer Soldaten, die zu dieser Zeit in Deutschland stationiert waren, kam das bis dahin eher unbekannte Sportgerat nach Deutschland und erfreue sich innerhalb kurzester Zeit groRer Beliebtheit. Vor allem in der bayerischen Landeshauptstadt Munchen schien sich eine groRe Szene zu etablieren. Sehr schnell ubernahmen deutsche Kaufhauser das Skateboard in ihr Sortiment, Skateboardwettbewerbe wurden organisiert und nach und nach wurden deutschsprachige Magazine veroffentlicht. SchlieRlich war es auch die Stadt Munchen, welche den ersten Skatepark Deutschlands im Stadtviertel Neuperlach errichtete. Gegen Ende der 1970er Jahre stand dann auch zum ersten Mal eine Halfpipe (U-formige Rampe mit einer Durchschnittshohe von 3,5 Metern) auf einem deutschen Wettbewerb. Zwar konnte kaum einer der Teilnehmer etwas mit dieser damals noch fremden Rampe anfangen, doch etablierte sich diese schnell als neue Disziplin und verdrangte ziemlich rasch „Slalom“ und „Downhill“. Zeitgleich entwickelten sich breitere Bretter, um das Fahren in der Halfpipe zu erleichtern und es kam in Mode die Unterseite der Skateboards mit diversen Bildern zu versehen. Diese Innovation bot den Skateboardern die Moglichkeit, ihre Einstellungen plakativ zum Ausdruck zu bringen und sich uber die Art der Motive mit anderen zu identifizieren (Brooke, 1999, S. 45/46). Zu dieser Zeit erfand Alan Gelfand den ,,Ollie“, einen Trick der es einem durch eine bestimmte Abfolge von Bewegungen beider Beine ermoglicht, das Brett in die Hohe zu katapultieren. Dieser Trick, der die Basis aller anderen nachfolgenden Tricks darstellte, eroffnete bis dahin ungeahnte Moglichkeiten. Angespornt durch diese Innovation und den damit verbundenen Trickvariationen griffen nach und nach immer mehr Mitglieder verschiedenster Jugendkulturen zum Rollbrett und die bis dahin eher als nebensachlich betrachteten Details wie Kleidung, Musikstile u. a. nahmen einen immer groRerwerdenden Stellenwert ein.
Kurze Zeit spater erlebte das Skateboarding jedoch erneut einen Ruckgang. Schuld daran waren zum einen die vom Staat festgelegten Steuern fur die Skateparks, die kaum einer der Betreiber aufbringen konnte, zum anderen das Aufkommen neuer Trendsportarten. Aufgrund der Tatsache, dass viele Parks geschlossen werden mussten, fingen einige Skater an, BMX zu fahren. Jedoch erhielten einige von ihnen, sogar weit mehr als beim ersten Ruckgang, den Sport am Leben. Trotzdem sorgte dieser Ruckgang der Rollbrettkultur in Amerika, aber auch in Deutschland, dafur, dass das Interesse an diesem Sport erheblich zuruckging. Wieder waren die Herausgeber diverser Skatemagazine gezwungen, ihre Arbeit einzustellen (Seewaldt, 1990, S.24).
Trotz dieses internationalen Ruckgangs ging die Entwicklung in den USA in rasantem Tempo weiter und die Materialien wurden immer besser und vor allem auch widerstandsfahiger. Aufgrund der fehlenden bzw. geschlossenen Parks verlagerte sich das Fahren wieder auf die Strasse. Mittlerweile war das Skaten auf einem Niveau, das es seinen Fahrern ermoglichte ,,Rails“ (Treppengelander) zu ,,sliden“ (mit der Unterseite des Bretts entlangrutschen), oder von Mauern und Treppenstufen zu springen (Seewaldt, 1990, S. 17). Auch etablierten sich langsam wieder einige
Fachmagazine und eine groRe Innovation stellten die neu auf den Markt gekommenen Skateboardvideos dar. Diese Art von Publikation ermoglichte eine Verbreitung uber die ganze Welt und das Skateboardinteresse lebte vor allem in den USA wieder auf.
Auch wenn sich der Sport in Deutschland langsam wieder an Beliebtheit erfreute, bedarf es der Hilfe eines deutschen Sportlehrers aus Munster, ohne dessen Engagement sich Skateboarding in Deutschland niemals so stark etabliert hatte. Angeregt von seinem Aufenthalt in den USA und den dort gemachten Erfahrungen, brachte Titus Dittmann gegen Anfang der 80er Jahre Skateboardprodukte fur seine Schuler mit nach Deutschland und initiierte kurze Zeit spater eine Reihe von ..Contests". Hieraus entwickelte sich spater der in der Skaterszene fast schon legendare ..Munster Monster Mastership", ein international bekannter Wettbewerb mit Teilnehmern aus der ganzen Welt, der 1982 erstmals durchgefuhrt wurde und nach 24 Malen im Jahre 2006 aufgrund von Sponsorenmangel vorerst letztmalig stattfand. Auch ist Dittmann der Inhaber einer Vielzahl an Skateboardfachgeschaften mit dem Namen .Titus", von welchen es heute in nahezu jeder groReren deutschen Stadt eine Filiale gibt und der Herausgeber eines der groRten deutschen Skateboardmagazine. Das sog. .Monster Skateboard Magazin" erschien erstmals 1982 und ist noch heute eines derfuhrenden Magazine in diesem Bereich.
All dies verhalf dem Skateboarding bis etwa Anfang der 90er Jahre zu einer unheimlichen Popularitat. Diese reichte sogar soweit, dass der typische Bekleidungsstil der Skateboarder, namlich .Baggypants" (weite Hosen), Schuhe von .Airwalk", .Vans" oder .Vision Street Wear" und Oberteile diverser anderer amerikanischer Skateboardfirmen, sogar von Jugendlichen getragen wurden, die eigentlich gar nichts mit dem Skateboardfahren zu tun hatten. Der Grund hierfur war einfach der, dass alles .in" war, was mit dem Trendsport in Verbindung gebracht wurde. Die vorherrschende Musik der Skater war zu dieser Zeit uberwiegend Punkrock (schnelle Art der Rockmusik, mit rauem Gitarrensound und uberwiegend grolendem Gesang oder Geschrei), weil dieser das rebellische Gefuhl, das mit dem Skateboarden einherging, noch verstarkte. Jene Popularitat des Skateboardings spiegelte sich auch in den uber die Jahre hinweg steigenden Zuschauerzahlen bei den unterschiedlichsten Veranstaltungen wider.
So waren auf dem „Munster Monster Mastership" im Jahre 1985 etwa 1000 Zuschauer und drei Jahre spater, also 1988, schon 10.000. Die Zahl der ansteigenden Wettbewerbe brachte es zwangslaufig auch mit sich, dass Skater anfingen zu verreisen, um an verschiedenen Wettbewerben teilnehmen zu konnen. Dies fuhrte dazu, dass viele amerikanische Skateboarder nach Deutschland und im Gegensatz dazu viele deutsche Skateboarder in die Vereinigten Staaten flogen (Seewaldt, 1990, S. 29). Es entwickelte sich eine internationale Szene und amerikanische Firmen, die nun auch die Gelegenheit hatten, Einblicke in die deutsche Skateboardszene zu bekommen, unterstutzten diese finanziell. Gegen Ende der 1980er Jahre gab es weltweit ca. 2,5 bis 3 Millionen Skater und ein Ende des ,,Hypes" war nicht in Sicht. Nach und nach uberholte ,,Streetskating" das ,,Vertskating" (Fahren in der Halfpipe), weil es schlichtweg viel mehr Moglichkeiten bot und fur Anfanger leichter zuganglich war und auch heute noch ist. Zu dieser Zeit glaubte man immer wieder, dass das Niveau bezuglich der Trickvariationen nicht mehr zu uberbieten sei, doch immer wieder kamen jungere Skater und bewiesen mit ihren Kunststucken, dass es doch immer noch besser und schneller geht (Seewaldt, 1990, S. 21).
Anfang der 1990er Jahre fuhrte ein weltweites Wirtschaftstief zum erneuten Ruckgang des Sports. Zum dritten Mal sank das Interesse am Skateboarden und die damit zusammenhangende Wirtschaftsindustrie (Skateboardgeschafte, Sponsoren, Skateparkbetreiber) hatte starke EinbuRen zu verzeichnen, die fur den ein oder anderen das finanzielle Aus bedeuteten. Ein weiterer Grund fur diesen plotzlichen Ruckgang waren ,,Rollerblades" (neu entwickelte Art von Rollschuhen), die zu dieser Zeit neu auf den Markt kamen und fur Jugendliche leichter zu erlernen waren und interessanter schienen. Trotzdem fuhr ein groRer Teil der Skater weiter und hielt den Sport am Leben. Wie schon knapp zehn Jahre zuvor, entwickelte sich das Skateboarding weiter und dank der Medien und des harten Kerns an Skatern, die ihrer Leidenschaft treu geblieben sind, kam 1994 wieder eine groRe Welle auf und mehr Jugendliche als je zuvor fingen an sich fur den
Sport zu begeistern. Gegen Mitte der 1990er Jahre gab es schon wieder eine Vielzahl an Skateboardmarken, die auch unter Nichtskatern reiRenden Absatz fanden. Die Tatsache, das einer der damals bekanntesten Skateboardprofis (Tony Hawk) sogar sein eigenes Computerspiel (,,Tony Hawks Proskater") entwickelt hat, verstarkte die Beliebtheit des Skateboardings nur noch mehr und nach und nach bekamen einige amerikanische Profifahrer sogar ihre eigenen Fernsehshows (,,Jackass‘‘, ,,Viva la Bam"), die sich weltweit groRer Beliebtheit erfreuen und viele Jugendliche fur den Sport begeistert haben.
Dank der mittlerweile weitverbreiteten kulturellen Akzeptanz und Beliebtheit ,,boomt" Skateboarding noch immer. Heutzutage werden mehr Bretter denn je verkauft und neue Parks und Hallen schieRen wie Pilze aus dem Boden. Das Repertoire an Trickmoglichkeiten ist mittlerweile unendlich vielseitig, da sich jeder Trick mit anderen kombinieren lasst.
Momentan werden Stufen gesprungen und ,,Handrails" (Treppengelander) geskatet, an die sich vor zehn Jahren niemals irgendjemand heran gewagt hatte. Mittlerweile hat Skateboarding Dimensionen erreicht, die physikalisch fast schon nicht mehr moglich sind. Und immer wieder denkt man, dass nun wirklich nicht mehr ginge und Skateboarding seine Grenzen erreicht hat, doch das war vor 20 Jahren auch schon so.
Wirwerden sehen, was die nachsten 20 Jahre mit sich bringen.
4.2 Techniken des Skateboardings und die Bedeutung fur die Identitatsbildung
lm nachfolgenden Kapitel werde ich auf die Techniken des Skateboardens, wie zum Beispiel den ,,Ollie" (Sprung durch bestimmtes Bewegungszusammenspiel beider Beine), ,,Flipvariationen" (Trick bei dem sich das Brett um die eigene/n Achse/n dreht) und ,,Slides/Grinds" (Technik bei der man mit einem bestimmten Teil der Unterseite des Bretts auf einem Gelander o.a. entlang rutscht/Technik bei der man mit den Achsen auf einem Gelander o.a. entlang rutscht), sowie kurz auf das gekonnte Abfangen bei ,,Slams" (Sturzen) eingehen. AnschlieRend werde ich einen Zusammenhang zwischen der zwangslaufigen Weiterentwicklung jener Techniken und dessen Bedeutung in Bezug auf die Identitatsentwicklung darstellen. Ob es sich beim Abfangen von Sturzen um eine Technik handelt, auf die naher eingegangen werden muss, sei dahingestellt, doch gehoren Sturze beim Skateboarding zum Alltag. Daneben habe ich mich deshalb fur die oben genannten Techniken entschieden, weil sie gut dazu dienen, den GroRteil der beim Skateboarding moglichen Tricks abzudecken. Eine Darstellung dieser Techniken halte ich auRerdem fur sinnvoll, weil den meisten AuRenstehenden ganz einfach die Vorstellung bezuglich der Vielfalt an moglichen Trickvariationen, den damit oftmals verbundenen korperlichen Belastungen, sowie Gefuhlen u.a. fehlt.
- Bei dem „Ollie“ handelt es sich, wie schon erwahnt, um eine bestimmte Bewegungsabfolge beider Beine, woraufhin das Brett in die Hohe gezogen wird, um auf/uber ,,Obstactles“ (Hindernisse/Gegenstande) zu springen. Die Hohe wird letztlich von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. Primar entscheidend ist die richtig angewandte Technik und eine hohe Sprungkraft beider Beine. Zusatzlich erleichtern lange Beine ebenso ein hoheres Springen, wie der Zustand des ,,Griptapes“ (rauher Belag auf der Oberseite des Bretts), weil dies fur den benotigten Kraftaufwand entscheidend ist (vgl. von Krosigk/Tscharn, 2000, S. 48).
Der ,,Ollie“ stellt einen der Basik-Tricks beim Skaten dar, weil nahezu alle anderen Tricks auf diesem aufbauen; zumindest die, bei denen sich das Brett in der Luft befindet.
- Dies trifft auch fur den Bereich der ,,Flipvariationen“ zu. Hierbei handelt es sich um eine Art von Techniken, bei denen zahlreiche Variationen moglich sind. Zunachst bedeutet ein ,,Flip“ eine Drehung des Bretts, ganz unabhangig davon, um welche Achse sich das Board dabei dreht. Beim Skaten werden zwei Achsen unterschieden, namlich die Langsachse und die Querachse. Tricks, bei denen sich das Brett um die Langsachse dreht sind einfacher durchzufuhren als solche, bei denen das Brett um die Querachse rotiert. Die Vielzahl an
Trickmoglichkeiten ruhrt daher, da jeder Trick mit einem anderen kombiniert werden kann. So kann zum Beispiel ein „Kickflip“ (Trick bei dem sich das Board 360° um die Langsachse dreht) mit einem ,,Pop- Shove lt“ (Trick bei dem sich das Board 180° um die Querachse dreht) kombiniert werden, und schon ergibt sich ein neuer Trick, mit neuer Bezeichnung (,,Varial Kickflip"). Dreht sich das Brett noch mehr oder in die entgegengesetzte Richtung, handelt es sich wieder um einen komplett neuen Trick. Dies erklart das Zustandekommen der Vielzahl an vorhandenen Variationen. Daneben besteht noch die Moglichkeit, jeden der vorhandenen Tricks „switchstance“ (Fahrstil bei dem der normalerweise vorne stehende FuR mit dem anderen FuR getauscht wird) auszufuhren, was die Anzahl an moglichen Tricks noch einmal verdoppelt. Hinzu kommt noch, dass immer wieder neue Tricks erfunden werden (vgl. Krosigk/Tscharn, 2000, S. 95 ff).
- ,,Slides“ stellen eine Technik dar, bei der nahezu jedes Hindernis genutzt werden kann, um daran entlang zu rutschen. Hierzu dient entweder die Boardmitte, die ,,Nose“ (das vordere Ende des Boards) oder das ,,Tail“ (das hintere Ende des Boards) der Brettunterseite, die auf dem jeweiligen Untergrund aufliegen, auf welchem entlang gerutscht wird. Abhangig davon, welcher Teil des Boards hierfur benutzt wird, kommen die Trickbezeichnungen zustande (Boardslide, Noseslide, Tailslide). Als Hindernisse dienen Treppengelander, die sich mittlerweile auf bis zu 20 Stufen erstrecken konnen, Absperrgitter, Mauern u.v.m. Auch hierbei gibt es wieder eine Fulle an Variationen, da die Tricks sich sowohl mit oben beschriebenen Flipvariationen, oder auch mit hinzukommenden Korperdrehungen kombinieren lassen (vgl. auch von Krosigk/Tscharn, 2000, S. 60).
Die Moglichkeit an Kombinationen scheint nahezu unbegrenzt zu sein und es gibt wohl keinen Skateboarder, der von sich behaupten konnte, nur annahernd alle Tricks zu beherrschen. Aufgrund der vorhandenen Vielzahl und dem inneren Bestreben eines jeden Skaters, sich standig weiterzuentwickeln, werden oft auch waghalsige Manover ausgefuhrt, die nicht selten schwere Sturze nach sich ziehen. Diese werden jedoch in Kauf genommen, weil der Preis, namlich das Stehen des jeweiligen Tricks, ein unheimliches Glucksgefuhl mit sich bringt und gleichzeitig die Stellung in der Gruppe erhoht. Im Laufe der Zeit wird es fur jeden Skater deshalb auch immer wichtiger, eine gute Korperbeherrschung bzw. Abfangtechnik zu entwickeln, um ernsthafte Verletzungen als Folge von Sturzen zu vermeiden. Der dafur benotigte Instinkt entwickelt sich meist erst nach mehreren eigenen erlebten Sturzen. Auch entwickelt der Jugendliche hieraus ein spezifischeres Korperbewusstsein und kann dadurch seine physischen Moglichkeiten und Grenzen besser einschatzen.
Im Folgenden will ich den Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Techniken beim Skateboarding und deren Bedeutung fur die Identitatsbildung darstellen. Eine Verbesserung von vorhandenen Techniken (Lernen neuer Tricks) ist beim Skateboarding ein eher schleichender Prozess, variiert jedoch von Fahrer zu Fahrer. Kaum einer lernt innerhalb eines Tages einen neuen Trick, jedoch steht fest, dass Skater mit einem groReren Repertoire an Tricks auch schneller neue Tricks lernen, weil diese dementsprechend feinmotorischer agieren konnen und aufgrund von oftmals langjahrigen Erfahrungen eine effizientere Herangehensweise bezuglich neuer Tricks entwickelt haben. Aufgrund der sozialen Anerkennung, die ihnen hierdurch zuteil wird, verbessert sich naturlich auch deren Status innerhalb der Gruppe, sowie deren Zugehorigkeits- und Sicherheitsgefuhl. Diese, von Abraham als ,,fremdbezogene Identitatsaspekte" (2008, S. 239) bezeichnet, bewirken neben einer Festigung der individuellen Identitat auch eine Festigung der kollektiven Identitat. Dies liegt daran, dass der Jugendliche aufgrund der ihm zuteil gewordenen Anerkennung immer starker in die Szene hineinwachst. Die Tatsache, dass der Betroffene hierdurch wieder neue Szeneangehorige kennenlernt, von denen er wahrscheinlich ebenfalls anerkannt und geschatzt wird, verstarkt diesen Prozess und sorgt gleichzeitig fur eine starkere Verwurzelung innerhalb der Szene. Auch zieht eine Verbesserung der skateboarderischen Fahigkeiten ein generell positiv eingestelltes Korperbewusstsein und Selbstwertgefuhl nach sich. Dies lasst sich darauf zuruckfuhren, dass sich der Jugendliche durch den direkten Vergleich mit anderen, uber seinen gegenwartigen Stand bewusst wird und dementsprechend ein Gefuhl von „Stolz auf sich selbst sein konnen" entwickelt. Hierbei handelt es sich nach Abraham um einen ,,selbstbezogenen Identitatsaspekt" (2008, S. 239/240). Auch ein Gefuhl von Einzigartigkeit gilt als ,,selbstbezogener Identitatsaspekt" und kann sich daraus entwickeln, dass sich der Jugendliche anhand neuer Tricks einen bestimmten unverkennbaren Fahrstil aneignet, der ihn von anderen Skatern unterscheidet und abgrenzt. In diesem Zusammenhang bietet Skateboarding aufgrund seines individuellen Charakters, eine gute Moglichkeit zur personlichen Selbstverwirklichung junger Menschen (vgl. Rohmann, 1999, S. 16). Daneben erfordert das Lernen neuer Tricks, wie bei allen anderen Sportarten auch, Leistung, Disziplin, Ausdauer, Ehrgeiz, Durchsetzungsfahigkeit, Geschicklichkeit, Mut etc. Bei diesen Eigenschaften handelt es sich um hoch angesehene soziale Werte, die mit Anerkennung, Wertschatzung u.a. von der Gesellschaft und mit Stolz und Selbstwerterhohung vom Individuum selbst belohnt werden (vgl. Abraham, 2008, S. 240 ff). Wie schon zuvor erwahnt, handelt es sich auch hierbei um Faktoren, die der Festigung der individuellen Identitat dienen. Ebenfalls stellt jeder neu gelernte Trick und die daraus resultierende gesteigerte offentliche Aufmerksamkeit gegenuber dem Skater ein Erfolgserlebnis fur diesen dar. Dies kann wiederum als Identitatsgewinn verstanden werden, weil Aufmerksamkeit und Erfolg erwiesenermaRen Klarheit, Orientierung und Sicherheit bewirken und auRerdem das Selbstwertgefuhl erhohen. Aufgrund der gemachten Erfahrungen und des vorhandenen Bewusstseins hinsichtlich der Entwicklung und Verbesserung im Bereich Skateboarding glaubt der Jugendliche zunehmend an sich selbst, was sich zwangslaufig auch auf andere Lebensbereiche ubertragt (vgl. Rohman, 1999, S. 34). Somit lasst sich zusammenfassend festhalten, dass Skateboarding unweigerlich zu einer Festigung der Identitat der Betroffenen beitragt. In welchem MaRe dies geschieht, hangt naturlich auch immer von der genetischen Disposition des Jugendlichen, und der von ihm eingebrachten Energien, ab.
4.3 Was sind die Motivationsmerkmale des Skateboardings?
Fur das nachfolgende Kapitel ist es wichtig, das Thema Skateboarding von zwei Seiten her zu betrachten, die unweigerlich miteinander in Verbindung stehen. Zum einen die „Sportart“, die sich aus ihren komplizierten Tricks, ihren schnellen Bewegungen und den standig weiterentwickelten und verbesserten Materialien zusammensetzt, zum anderen die Einstellung, die mit dem Skateboarding einhergeht. Es lasst sich wohl mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass es kaum einen Skater gibt, der Skateboarding als eine reine Sportart betrachtet. Fur die groRe Mehrheit bedeutet Skateboarding wesentlich mehr, namlich eine Lebensart, die sich auf nahezu alle anderen Lebensbereiche auswirkt, sich sozusagen manifestiert und die Jugendlichen folglich auch in all ihren Verhaltensweisen beeinflusst und steuert. Ohne die schon eben erwahnte Einstellung und dem daraus resultierenden ,,Spirit“, wurde sich Skateboarding wohl nicht von all den anderen Trendsportarten unterscheiden, die fur eine Weile ,,in“ sind, um dann nach einiger Zeit wieder von der Oberflache zu verschwinden (vgl. von Krosigk, 2000, S. 13).
Dieser individuelle Charakter zeigt sich schon in der Organisation des Skateboardings. So ware ein Vereinswesen, wie man es beispielsweise vom FuRball her kennt, mit einer hierarchischen Gliederung auf regionaler, kommunaler, nationaler und internationaler Ebene, undenkbar. Zwar gibt es in manchen Stadten Skateboarder die in Vereinen organisiert sind, doch stecken dahinter meist finanzielle oder aber auch versicherungstechnische Grunde.
Einen Verein fur Skateboarder auf nationaler Ebene stellt der ,,Club of Skaters“ dar, der dem ,,Verein zur Forderung von Jugendkulturen e.V.“ angegliedert ist und jahrlich mehrere ,,Contests“ (Wettbewerbe) in unterschiedlichen deutschen Stadten unter dem Namen ,,C.O.S.-Cup“ organisiert.
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- Arbeit zitieren
- Alexander Kahle (Autor:in), 2010, Der Stellenwert von Jugendkulturen für die Identitätsbildung am Beispiel Skateboarding, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151066
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