Der elsässische Dialekt im 21. Jahrhundert


Magisterarbeit, 2003

104 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Von den Kelten zur französischen Revolution
1.1. Das Erbe der Kelten und Römer
1.2. Die Alemannen und Franken
1.3. Die Straßburger Eide
1.4. Vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen bis zum Westfälischen Frieden
1.5. Vom Westfälischen Frieden zur Französischen Revolution
1.6. Die Französische Revolution und ihre Auswirkungen im Elsass
1.7. Der Siegeszug des Französischen im Elsass
1.8. Die wachsende Identifikation mit Frankreich und den Idealen der Revolution

2. Das Elsass unter deutschem Einfluss
2.1. Das Reichsland Elsass-Lothringen nach dem deutsch-französischen Krieg
2.2. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen für das Elsass
2.3. Die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf das Elsass

3. Die Rückkehr nach Frankreich
3.1. Die Nachkriegszeit im Elsass
3.2. Die Unterdrückung deutscher Sprache und Kultur
3.3. Die Rückbesinnung auf die sprachlichen Wurzeln
3.4. Das Erwachen des sprachlichen Bewusstseins
3.5. Die Ära Mitterand als Wegbereiter für die wachsende Eigenständigkeit der Regionen
3.6. Neue Perspektiven

4. Das Elsass als Schmelztiegel verschiedener Sprachen
4.1. Die ungeklärte Herkunft des Namen „Elsass“
4.2. Elsässisch, Elsässerditsch oder Alsacien ?
4.3. Die sprachliche Eingrenzung des Elsässischen
4.3.1. Das Elsässische - ein „dachloser“ Dialekt ?
4.4. Die Einbindung in die germanische Sprachlandschaft
4.5. Die elsässischen Sprachvarianten
4.6. Der Unterschied zwischen Ober -und Mitteldeutsch
4.7. Der französische Einfluss auf das Elsässische
4.7.1. Der deutsch-elsässische Einfluss auf das Französische
4.8. Die Charakteristika der elsässischen Dialektvarianten

5. Das Elsass zu Beginn des 21. Jahrhunderts
5.1. Die geographische Lage
5.2. Die politische Eingliederung
5.3. Das Elsass in Zahlen

6. Allgemeine Informationen zu den Untersuchungen
6.1. Haguenau
6.2. Wissembourg
6.3. Saverne
6.4. Bemerkungen zu den Auswertungen
6.4.1. Der Kinderfragebogen
6.4.2. Der Elternfragebogen

7. Auswertung der Kinderbögen
7.1. „Quelles langues parles-tu ?“
7.2. „Tu parles avec tes copains en... ?“
7.3. „Quelles langues parles-tu à la maison ?“
7.4. „Est-il utile de parler le dialecte ?“
7.5. „Serait-il bon d’enseigner le dialecte ?“
7.6. „Pensez-vous que le dialecte est déjà ...?“

8. Auswertung der Elternbögen
8.1. Auswertung über die französische Sprache
8.1.1. „Comment parlez-vous français?“
8.1.2. „Comment estimez-vous le comprendre?“
8.1.3. „ Parlez-vous français avec ?“
8.2. Auswertung über das Elsässische
8.2.1. „Parlez-vous alsacien?“
8.2.2. „Comment estimez-vous parler votre dialecte?“
8.2.3. „Comment estimez-vous le comprendre?“
8.2.4. „Avec qui parlez-vous alsacien?“
8.3. Auswertungen über die deutsche Sprache
8.3.1. „Parlez-vous allemand? “
8.3.2. „Comment estimez-vous parler allemand? “
8.3.3. „Comment estimez-vous le comprendre ? “
8.3.4. „Avec qui parlez-vous allemand? “
8.3.5. „Vous paraît-il important de parler l’allemand? “
8.4. „Auswertung der Fragen zur „Idéologie linguistique“
8.4.1. „Est-il utile de parler le dialecte?“
8.4.2. „Serait-il bon d’enseigner le dialecte? „
8.4.3. „Pensez-vous que le dialecte est déjà?“

9. Conclusio

10. Bibliographie

11. Webographie

12. Anhang
12.1. Beispiel Elternfragebogen
12.2. Beispiel Kinderfragebogen

Einleitung

Diese Magisterarbeit „Der elsässische Dialekt im 21. Jahrhundert“ hat zum Ziel, die aktuelle sprachliche Situation in einem Teil des Elsass zu ermitteln. Dazu wurden in drei Städten des Bas-Rhin Untersuchungen anhand von Fragebögen durchgeführt, deren Auswertungen Aufschluss über die Zukunft der im Elsass vorhandenen Sprachen gaben. Die Resultate der Auswertungen sind sehr interessant, da sich darin die veränderten politischen, aber auch kulturellen Bedingungen der heutigen Zeit spiegeln. Denn die Zeiten haben sich geändert und andere Faktoren bestimmen die gegenwärtige sprachliche Situation. Einflußreiche Denkanstöße durch die Europäische Union wie z.B. die Charta für Regionalsprachen sowie neue wirtschaftliche, politische und kulturelle Aspekte scheinen die Vergangenheit langsam aber sicher in Vergessenheit geraten zu lassen. Gerade heute ist das Elsass mehr denn je in Bewegung. Es gibt Schulklassen, die aufgrund dialektophoner Basis Deutsch lernen. Immer mehr Menschen interessieren sich für ihre Traditionen und lassen sie z.B. durch das Theater oder durch elsässische Literatur wieder aufleben. Es werden Interessengemeinschaften und Verbände gegründet, die es sich zum Ziel gesetzt haben, das Elsass und seinen Dialekt nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. All diese Faktoren haben zur Folge, dass sich viele Elsässer wieder auf ihre eigene Geschichte, ihr Brauchtum und ihre sprachlichen Wurzeln besinnen. Die junge Generation wächst in einem ganz anderem Umfeld und unter veränderten Bedingungen auf als ihre Eltern oder Großeltern. Dennoch sollte trotz dieser scheinbar guten Ausgangslage nicht vergessen werden, dass das Elsass und seine Sprachen selbst heute noch enorm durch die Geschehnisse des 20. Jahrhunderts belastet ist, da es zwei Weltkriege, vier Staatsangehörigkeitswechsel in 75 Jahren und vier diametral entgegengesetzte Sprachen- und Bildungspolitiken durchmachen musste, wobei die sprachliche Komponente damit nicht immer Schritt halten konnte (vgl. Hartweg 1981, 98). Daher wird vom 1.-3. Abschnitt dieser Arbeit ein Blick zurück in die elsässische Vergangenheit geworfen:

Die Geschichte der Sprachen ist eng verbunden mit der Geschichte der Völker, die sie sprechen. Die sprachliche Identität der Elsässer ist die logische Folge des geschichtlichen Schicksals des Elsaß (Philipps 1980, 13).

Denn einerseits ist das Elsass durch seine Integration in den französischen Staat politisch, kulturell und folglich auch sprachlich geprägt. Andererseits hat das Elsass durch seine frühe Geschichte auch enge Beziehungen zu Deutschland und vor allem auch an die deutsche Sprache (vgl. Ladin 1982, 39). Darum ist es sehr schwierig, die sprachliche und kulturelle Eigenart der Elsässer zu behandeln, ohne vorher einen Blick auf den historischen Kontext des Landes zu werfen. Nach dem Rückblick in die Vergangenheit stehen im 4. Kapitel die sprachlichen Besonderheiten des Elsass im Mittelpunkt. Das 5. Kapitel informiert über die aktuellen wirtschaftlichen und politische Bedingungen sowie deren Auswirkungen auf die sprachliche Situation im Elsass. Schließlich leitet das 6. Kapitel in die Auswertungen der Fragebögen ein, wobei zuerst eine Einführung in die Fragebögen gegeben wird. Danach liegt im 7. Kapitel der Schwerpunkt auf den Auswertungen der Kinderfragebögen und im Anschluss daran folgen im 8. Kapitel die Ergebnisse der Elternfragebögen. Nach der Conclusio folgen die Bibliographie sowie die Webographie und letztendlich der Anhang.

1. Von den Kelten bis zur Französischen Revolution

1.1. Das Erbe der Kelten und Römer

Pour se faire une idée de l’emprise linguistique des Germains sur les parlers de la Gaule d’abord, de la France ensuite, il est indispensable de se rappeler très rapidement la forme et l’étendue de leurs infiltrations et invasions. Il s‘agit, dans l’ensemble d’une œuvre presque millénaire, d’un caractère historique et d’une efficacité linguistique forts différents d’une région à l’autre et suivant les époques, les méthodes, les acteurs, les circonstances générales. (Lévy 1929a, 3)

Das elsässische Territorium war um ca. 300 v. Chr. von den Kelten besiedelt, woraufhin sich auch ihre Sprache, das Keltische, verbreitete. Doch sie waren nicht lange die einzigen Bewohner, denn ihnen folgten im 1. Jh. v. Chr. die Germanen. Um 58 v. Chr. gelang es schließlich den Römern, diese Region in ihr Reich einzugliedern (vgl. Rieger/Weckmann 1988, 5). Diese Annexion hatte auch sprachliche Folgen: „[...] de reléguer le celtique de sa place prépondérante à celle d’un parler populaire et de conférer au latin le statut de langue officielle.“ (vgl. Rieger/Weckmann 1988, 6). Allerdings wurden die einheimischen Sprachen durch das Lateinische nicht vollständig verdrängt, sondern es existierten je nach Gebiet keltische, germanische oder lateinische Sprachvarianten nebeneinander. Lediglich der Schriftverkehr wurde in Latein abgewickelt (vgl. Dentinger 1987, 10). Trotz der Ausdehnung und Sicherung des Römischen Reiches konnten sich um 406 viele Alemannen durch eine Invasion in dieser Gegend niederlassen. Schließlich wurde um 451 das Ende des gallisch- romanischen Reiches durch Attila den Hunnenkönig markiert. Dies bedeutete der Beginn des alemannischen Elsass und die Ausbreitung des germanischen Dialektes der Alemannen (vgl. Rieger/Weckmann 1988, 6).

1.2. Die Alemannen und Franken

Nur kurze Zeit später dehnten sich die Alemannen nach Norden aus und stießen dabei auf die Franken, einem germanischen Stamm. Die Konfrontation beider hatte eine weitere, kriegerische Auseinandersetzung im Jahr 496 auf elsässischen Boden zu Folge, die unter dem Namen „Alemannenschlacht“ bekannt wurde. Der Frankenkönig Chlodwig gewann diese Schlacht und integrierte das Elsass in das Königreich der Merowinger (vgl. Dentinger 1987, 10), was auch sprachliche Konsequenzen hatte: „Ils y introduisent leur langue, le francique; les dialectes actuels de cette région présentent des traits qui portent témoinage de cette colonisation.“ (Rieger/Weckmann 1988, 6). Durch diese Ereignisse formte sich schon sehr früh eine Sprachgrenze, die die deutschsprachigen Alemannen von den Franken unterschied und deren etwaiger Verlauf bis heute existiert. Wie schnell sich die Sprache beider im Elsass festigte, ist nicht bekannt. Doch schien die Entwicklung mit der Konsolidierung der Herrschaftsgrenzen zur Zeit der Straßburger Eide abgeschlossen zu sein (vgl. Ladin 1982, 41). Die sogenannten „Serments de Strasbourg“ sind das Zeugnis dieser unterschiedlichen sprachlichen Entwicklung westlich und östlich des Vogesenkamms. Sie sind das erste zweisprachige Dokument, das belegt, dass die westlich der Vogesen siedelnden romanisierten Franken sprachlich einen anderen Weg einschlugen, als ihre Stammesbrüder östlich der Vogesen (vgl. Ladin 1982, 41). Da die Straßburger Eide geschichtlich und sprachlich sehr wichtig sind, soll der nächste Abschnitt in Kürze darüber berichten.

1.3. Die Straßburger Eide

Für die Sprachwissenschaft sind die „Serments de Strasbourg“ sehr wichtig, da sie der erste überlieferte altfranzösische Text überhaupt sind (vgl. Grimm 1999, 7). Die althochdeutsche Fassung gehört zu den frühesten Zeugnissen der deutschen Sprache (vgl. Dentinger 1987, 12). Es geht in den Eiden um die Zukunft des Reiches von Karl dem Großen. Die Enkel von Karl des Großen, Ludwig der Deutsche - Herrscher über das deutsche Ostreich - und Karl der Kahle -Herrscher über das französische Westreich- bekräftigten in Straßburg vor ihren Heeren den Bund gegen ihren Bruder Lothar (Lothaire), der über das Mittelreich regierte (vgl. Klare 1998, 52). Damit handelt es sich bei den Eiden nicht nur um ein literarisches, sondern vielmehr um ein völkerrechtliches Dokument mit juristischer Bedeutung. Für die Sprachwissenschaft sind sie von großem Interesse, da sie nicht, wie es diplomatisch Tradition war, in Latein geschrieben wurden, sondern wie schon oben erwähnt:

[...] en deux langues nouvelles fondées en vue de la nouvelle alliance. [...] est instituée lingua teudisca, symbolique du royaume de Louis (« le Germanique»), germe de la future « langue allemande». L’autre, issue des langages de plusieurs parties des Gaules, une fois officiellement écrite en latin, est instituée lingua romana, symbolique du royaume de Charles («le Chauve»), germe de la future langue française. (Boutet/Vermes 1987a, 11)

Nur ein Jahr später (843) wurde die Aufteilung des Reiches Karls des Großen im Vertrag von Verdun beschlossen. Karl bekam den französischsprachigen Westen, Ludwig den deutschsprachigen Osten und Lothar wurde der mittlere Streifen mit dem Langobardenreich in Norditalien, der Provence, dem Burgund und Elsass zugesprochen (vgl. Dentinger 1987, 12). Nach dem Tod Lothars teilten seine Brüder das Mittelreich im Vertrag von Meersen im Jahre 870 unter sich auf. Karl erhielt die romanischsprachigen und Louis die germanischsprachigen, Teile des Reiches zu denen auch das Elsass gehörte:

Par ce traité, l’Alsace intègre- jusqu’en 1648 - l’entité politique à prédominance allemande, notamment LE SAINT EMPIRE ROMAIN GERMANIQUE (DAS HEILIGE RÖMISCHE REICH DEUTSCHER NATIONEN) fondé par Othon le Grand (Rieger/Weckmann 1988, 8).

Doch bis zum westfälischen Frieden 1648 sollte das Elsass noch manche Veränderungen durchmachen.

1.4. Vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen bis zum Westfälischen Frieden

Otto der Große herrschte ab 962 als erster Kaiser des „Heiligen römischen Reiches deutscher Nationen“, in welches das Elsass vollständig integriert war (vgl. Dentinger 1987, 12). Durch diese Einbindung gehörte die Region vom Frühmittelalter an zum deutschen Herrschafts-, Kultur- und Sprachraum (vgl. Harnisch 1996, 418). Seine erste Blütezeit erlebte das Elsass unter den Staufern im Zeitraum von 1138 bis 1250, welcher oft als das Jahrhundert der Hohenstaufer bezeichnet wird (http://www.heimatsproch.org/3Alsace/histoire/histore.htm [02.11.01]). Doch diese Blütezeit sollte schon bald durch eine Auseinandersetzung zwischen dem Kaiser und dem Papst ein Ende haben. (vgl. Dentinger 1987, 29). Die daraus folgende Schwächung der kaiserlichen Gewalt führte einerseits zur politischen Zerstückelung des Elsass (vgl. Verdoot 1968, 71), andererseits aber auch zur Gründung des Bundes oberrheinischer Städte. Dennoch konnte ein vereinender politischer Rahmen aufgrund der vielen reichsunmittelbaren Territorien nicht mehr realisiert werden (vgl. Trouillet 1997, 74). Das 14. und 15. Jahrhundert waren vor allem durch viele kriegerische Auseinandersetzungen geprägt. Erst ab Mitte des 15. Jahrhunderts kam es in Folge der Renaissance, des Humanismus und der Reformation zu einer zweiten Blütezeit. Die Städte Straßburg und Séléstat genossen durch die ansässigen Humanisten internationale Anerkennung. In dieser Zeit entwickelte sich auch allmählich die deutsche Hoch- und Schriftsprache, die sich durch die Literatur weit verbreitete, da es ihr Anliegen war, von vielen verstanden zu werden. Ein weiterer Impuls für die Verbreitung der Sprache kam von der Geschäftswelt, die ebenfalls auf eine allgemein verständliche Sprache angewiesen war (vgl. Ladin 1982, 43f.). Doch schon schnell gab es einen neuen Krieg, der die herausragende Stellung des Elsass zunichte machte und auch seine sprachliche Entwicklung im deutschen Sprachraum unterbrach.

1.5. Vom Westfälischen Frieden bis zur Französischen Revolution

Doch war es die militärische Stärke Frankreichs, die durch eine geschickte Diplomatie unterstützt wurde, die es Frankreich ermöglichten im 17. Jahrhundert die elsässischen Territorien vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen abzutrennen (Philipps 1980, 19).

Der Zustand sprachlicher Einheit endete mit dem Westfälischen Frieden 1648 als der größte Teil des Elsass Frankreich zugesprochen wurde (vgl. Trouillet 1997, 75). Das Elsass war zu diesem Zeitpunkt sehr zersplittert (siehe 12.1, S.99), doch diesmal wurde es durch die zentrale französische Gewalt zusammengehalten und somit zu einer politischen Einheit geformt (vgl. Dentinger 1987, 39). Lediglich Straßburg konnte sich kurze Zeit dieser Zentralgewalt entziehen, wurde aber schließlich entgegen der Versprechungen von Ludwig XIV. im Jahre 1681 annektiert, was im Frieden von Rijswijk bestätigt wurde (vgl. Harnisch 1996, 418). Das Elsass wurde nun zum „etranger effectif“, also zum fremdländischen Bestand Frankreichs gezählt und „Province allemande“ genannt. Der König verfolgte mit ihm den Plan, als deutscher Fürst im Reichstag von Regensburg zugelassen zu werden und führte daher ein zurückhaltendes Regime, das sich durch eine geringe steuerliche Belastung auszeichnete: „Il ne faut point toucher aux usages d’Alsace“ (Dentinger 1987, 39). Dies bedeutete soviel wie „nicht an den Sitten des Elsass zu rütteln“, denn schließlich wollte der König seine Gunst erwerben, um für sich daraus Profit zu ziehen. Dennoch gab es vor allem sprachliche Veränderungen, da sich viele französischsprachige Beamte, Offiziere, Handwerker und Kaufleute niederließen. Außerdem wurde Französisch entgegen der dort vorherrschenden deutschen Dialektvarianten offizielle Sprache der Administration und Justiz. Doch in der Praxis konnte die linguistische Vereinheitlichung, die die Verwaltung des Königreichs verlangte, nicht ganz realisiert werden (vgl. Trouillet 1997, 75): „Mais le français ne devint pas pour autant la langue scolaire ou administrative; il ne fut imposé que dans le système juridique.“ (Denis/Veltmann 1989, 13). Auch ansonsten hatte das Elsass in zweierlei Hinsicht eine Sonderstellung. Zum einen hatte die Widerrufung des Ediktes von Nantes keine schwerwiegenden Folgen für das überwiegend protestantische Elsass, da der Glaube weiterhin erlaubt war (vgl. Verdoot 1968, 72). Zum anderen hatte es wirtschaftliche Vorteile, da der Handel bis 1789 zwischen den deutschen Staaten und dem Elsass keinem Zoll unterlag. Dies bedeutete, dass es zwar politisch in Frankreich integriert war, aber weiterhin kulturelle und wirtschaftliche Besonderheiten aufrecht erhielt (vgl. Harnisch 1996, 418). Für das Elsass bedeutete die erste französische Herrschaft somit keine bedeutendende Umstellung, da lokale Eigenheiten toleriert wurden und keine einschneidenden Veränderungen stattfanden (vgl. Trouillet 1997, 77). Was die französische Sprache anging, so war sie die Sprache des Königs und der Herrschenden, die das elsässische Volk noch nicht sprach. Die linguistische Durchdringung erfolgte also von oben nach unten, was die Langsamkeit der Durchsetzung erklärt, da ja zunächst die Elite die Sprache erlernen musste (vgl. Philipps 1980, 25). Nur das deutschsprachige Bildungsbürgertum war für die französische Nationalkultur und deren Sprache zugänglich. Daraus entwickelte sich eine Elite, die sowohl in der deutschen als auch in der französischen Sprache zu Hause war (vgl. Trouillet 1997, 76). Darüber hinaus ist noch zu beachten, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine institutionalisierte Sprachbildung gab und das Bildungswesen nur eine Minderheit betraf. Außerdem wurde noch keine Verbindung zwischen der „Ursprache“ einer Region und der politischen Zugehörigkeit dieser Region hergestellt (vgl. Trouillet 1997, 77). Daraus folgt, dass das Elsass also keine andere Sprachen als seine Mundarten und die kultivierte Form derselben -das Hochdeutsche hatte (vgl. Verdoot 1968, 73) und es infolgedessen eigentlich noch kein Sprachproblem gab (vgl. Trouillet 1997, 77). So kann der Zustand im Elsass bis zur Revolution 1789 wie folgt beschrieben werden:

[...], la situation semble être la suivante: « les immigrés [français] parlaient français et ignoraient l’allemand; les masses populaires parlaient allemand [c’est-à dire les dialectes] et ignoraient le français; la noblesse et la haute bougeoisie parlaient français, mais savaient encore l’allemand; la bourgeoisie moyenne parlait l’allemand mais savait déjà le français. (Lévy 1929a, 345).

1.6. Die Französische Revolution und ihre Auswirkungen im Elsass

„Bis zur Revolution war das Elsass nur „eine dem Ausland ähnliche fremde Provinz im Schoße Frankreichs“ (Philipps 1980, 21). Doch die Revolution 1789 sollte durch die gewaltsame Beendigung der Epoche des „Ancien Régime“ das Gesicht Frankreichs und somit auch des Elsass gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich und verwaltungstechnisch verändern, als es in die Departements Bas-Rhin und Haut-Rhin aufgegliedert wurde. Aber vor allem die Sprachpolitik erhielt eine völlig neue Dimension, da sie sich nun in den Dienst der Revolution stellen musste. Sprache wurde zum Politikum und die Idee der französischen Nation war direkt an diese eine „französische“ Sprache gebunden (vgl. Klare 1998, 153):

Enfin, l‘ “unité de la nation“ justifiait de l’unité linguistique qui constituait un des éléments essentiels de la cohésion politique. La langue devint par ailleurs, le singe extérieur de la nationalité. (Denis/Veltmann 1989, 14).

Nur wer Französisch sprach war Republikaner und setzte sich für die Interessen der Allgemeinheit ein (vgl. Schroeder 1996, 65). Durch diese Auffassung war die Revolution sozusagen verantwortlich für den Siegeszug der französischen Sprache als Nationalsprache. Dialekte sah man ab diesem Zeitpunkt als gefährliche Überbleibsel des „Ancien Régime“ an. Sie wurden negativ konnotiert und galten als das Reservoir der Konterrevolution. Sie wurden als „patois“ abqualifiziert und standen im Widerspruch zu der einen und unteilbaren französischen Republik. Nur die französische Sprache war Trägerin der revolutionären Propaganda, die jeden in Frankreich erreichen sollte (vgl. Klare 1998, 153). Die ideologische Basis für dieses Denken lieferte eine Erklärung von 1794, in der es wie folgt heißt: „Die Sprache eines freien Volkes soll für alle gleich sein.“ (Trouillet 1997, 77f.) Andere Sprachen wurden nicht mehr toleriert: „Le fédéralisme et la superstition parlent allemand; la contre- révolution parle italien, et le fanatisme parle basque. Cassons ces instruments de dommage et d’erreur“ (Lévy 1929b, 8). Dadurch wurden auch zum ersten Mal die elsässischen Dialektvarianten direkt von den politischen Maßnahmen betroffen. Offiziell wurden sie nicht mehr akzeptiert und es setzte eine erzwungene Wende zugunsten der französischen Sprache ein, da die deutschen Dialektformen nicht mit den jakobinischen Ideen harmonierten: „Apprendre le français aux Alsaciens fut considéré comme un devoir patriotique, l’allemand étant la langue de la contre Révolution et des ennemis“ (Denis/Veltman 1989, 14). Wie absonderlich und bizarr die Maßnahmen zur Verdrängung der elsässischen Dialekte waren, zeigen folgende Beispiele. Es wurde vorgeschlagen, die elsässische Jugend nach Zentralfrankreich auszusiedeln, damit sie dort eine französische Erziehung genießen könne und die germanische Barbarei verschwindet (vgl. Trouillet 1997, 79). Noch viel weiter geht die Forderung eines Volksvertreters, in der es heißt:

La seule mesure à prendre est de faire guillotiner le quart des habitants de cette contrée et de ne consérver que tous ceux qui ont pris une part active à la Révolution, chasser tous le surplus et séquestrer leurs bien ( Lévy 1929b, 64).

Allerdings ging es vielmehr darum, die deutsche Sprache zu verdrängen und nicht speziell den elsässischen Dialekt. Davon legt eine Bekanntmachung von St. Just und Lebas im Jahre 1793 Zeugnis ab (vgl. Philipps 1980, 36). Der Inhalt des Plakates spricht davon, die „teutsche“ Tracht abzulegen und nicht die elsässische Tracht (vgl. Philipps 1980, 35).

1.7. Der Siegeszug des Französischen im Elsass

Das bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgereifte Bildungssystem wurde nun zu einem zentralen Punkt der französischen Sprachpolitik. Denn nur die Schulen konnten großflächig den Zugang zur Nationalsprache anbieten und somit das revolutionäre Gedankengut vermitteln.

Zwei Ideen standen dabei im Mittelpunkt:

[...]: 1. La nécessité de la mise à contribution de toutes les ressources de l’Etat, en particulier de l’enseignement, pour faire triompher la langue officielle.

2. La relation entre langue et politique, les questions linguistiques pouvant entraîner des revendications internationales. (Denis/Veltman 1989, 14)

Der aus Lothringen stammende Abbé Gregoire unterstützte diese Forderungen und beschäftige sich eingehend mit der Schul- und Sprachpolitik, denn aufgrund seiner Initiative wurde zum ersten Mal eine Umfrage über die Kenntnisse der französischen Sprache in Frankreich durchgeführt. Dafür schickte er Fragebögen mit 43 Fragen an Geistliche und Abgeordnete in ganz Frankreich und veröffentlichte 1794 die Ergebnisse in seinem: „Rapport sur la necessité et les moyens d’anéantir les patois et d’universaliser l’usage de la langue française.“ (Schroeder 1996, 65). Der Bericht war für die jakobinischen Anhänger wohl mehr als schockierend, da von 25 Millionen Franzosen ca. 6 Millionen überhaupt kein Französisch konnten und der Rest weniger als ausreichende Kenntnisse im mündlichen und schriftlichen Bereich aufwies (vgl. Schroeder 1996, 65). Infolgedessen begann nun der Kampf gegen alles nicht Französische mit der Maxime: „Une nation-une langue“ (Schroeder 1996, 66). Um diese Devise durchzusetzen, sollten im Elsass die Schulen zur Verbreitung des Französischen beitragen: „Il sera crée dans chaque commune ou Canton du dépt. du Bas-Rhin une école gratuite de langue française.“ (Harnisch 1996, 423). Doch die Umsetzung des Konzeptes war alles andere als einfach. Zunächst konnte sich das Schulwesen nicht so schnell auf die veränderte Situation einstellen, obwohl Französisch ab 1820 das wichtigste Bildungsziel war (vgl. Schroeder 1996, 73). 1833 wurden sogenannte „salles d’asiles“, also Bewahranstalten für Kinder im Vorschulalter gegründet, um ihnen schon von klein an die französische Sprache beizubringen. Des weiteren wurden Mädchenschulen gegründet da : „C’est par les mères que se transmet le langage allemand, c’est donc par les écoles de filles qu’il faut commencer le travail“ (Lévy 1929b, 296). Doch konnte in der Zeitspanne bis 1833 und auch noch in der Zeit bis zum deutsch-französischen Krieg keine schnelle Umstellung auf Französisch realisiert werden. Für diese Entwicklung gab es aber auch eine Reihe von Gründen. An erster Stelle stand der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. An zweiter Stelle die fehlenden Unterrichtsmaterialien und ungenügenden Unterrichtsmethoden, die ihrerseits nicht zur schnellen Popularisierung des Französischen beitrugen (vgl. Trouillet 1997, 83). Die nachfolgende Tabelle macht deutlich, wie konfus die rechtlichen Regelungen von 1793 bis 1853 in den Schulen des (deutschsprachigen) Elsass waren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Auszug vgl. Harnisch 1996, 423)

Doch diese gesetzlichen Regelungen waren nicht die einzigen Gründe, die zum einen zur Verwirrung beitrugen und sie zum anderen ausbremsten. Zusätzlich wehrten sich die Kirchen, die immer noch eine sehr starke Lobby hatten, vehement gegen die „Französisierung“. Für sie bedeutete die sprachliche Umstellung, dass der Religionsunterricht und der Gottesdienst in einer fremden Sprache gehalten werden musste, die viele noch nicht sprachen oder verstanden (vgl. Trouillet 1997, 80). Außerdem war die französische Sprache behaftet mit den Ideen der Aufklärung und den jakobinischen Ideen, was keine positiven Auswirkungen auf die Kirchen hatte, da sie dies als Gefahr für die Bibel ansahen (vgl. Trouillet 1997, 80). Daraus folgt, das der französische Staat im Elsass nicht in der Lage war, die sprachliche Situation radikal zu seinen Gunsten zu ändern: „L’Allemand reste la langue de la littérature, des cultes, de la presse, des ouvrages scientifiques.“ (Denis/Veltman 1989, 14). Und schließlich:

Das Elsass hatte: „[...] mit Ausnahme einiger kleiner städtischer Minderheitenkeine andere Sprache als seine Mundart und die kultivierte Form derselben, das Hochdeutsche.“ (Verdoot, 1980, 73).

1.8. Die wachsende Identifikation mit den Idealen der französischen Revolution

Dennoch bleib das Elsass nicht gegenüber allen französischen Einflüssen resistent, denn die Anbindung an Frankreich verlief weniger auf der sprachlichen, als auf der psychologischen und emotionalen Ebene. Verantwortlich dafür war die Revolution, die mit ihren Prinzipien ein National- und Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen ließ, welches sich auch im Elsass ausbreitete (vgl. Harnisch 1996, 444). Dadurch entwickelte sich sehr schnell ein Zugehörigkeitsgefühl zu Frankreich, so das sich das Elsass bei späteren Konflikten niemals von Deutschland als seinem „Vaterland“ abgeschnitten fühlte (vgl. Harnisch 1996, 445).

2. Das Elsass unter deutschem Einfluss

2.1. Reichsland Elsass-Lothringen nach dem deutsch-französischen Krieg

Bis 1870 gab es keine bedeutsamen Veränderungen in der Sprachpolitik und trotz aller Maßnahmen des Staates gewann die französische Sprache nur langsam im Elsass an Territorium. Doch auch diese Situation sollte sich wie so oft in der Geschichte mit einer kriegerischen Auseinandersetzung verändern:

Die politische Forderung nach der „Wiedergewinnung“ des Elsass kündigte nicht nur den Krieg zwischen Nationen sondern auch den Krieg zwischen zwei Kulturen, zwei Sprachen an. (Trouillet 1997, 85).

Bei dem deutsch-französischen Krieg ging es vor allem um die Problematik der Sprachgrenze und um die Frage, ob diese mit der politischen Grenze übereinstimme (vgl. Trouillet 1997, 86). Ein linguistisches Argument zugunsten der Wiederangliederung an das Bismarkreich war, dass in den meisten elsässischen Gebieten Deutsch gesprochen wurde und diese folglich auch zu Deutschland gehören mussten. Diese Forderung fiel dabei genau in eine Zeit, in der die Ideologie von der Einheit der Staat- bzw. Sprachnation stark vorangetrieben wurde (vgl. Born/Dickgiesser 1989, 88): „L’annexion à l’Empire Allemand se justifiait en partie des arguments linguistiques, bien que la frontière intégrât des territoires de langue française.“ (Denis/Veltman 1989, 15). Nach der Niederlage Frankreichs bei Metz und Sédan kapitulierte Napoléon III. am 1. September 1870. Infolgedessen wurde im Frieden von Frankfurt das Elsass und Lothringen ohne Befragung der Bevölkerung wieder Deutschland zugesprochen (vgl. Ladin 1982, 46). Viele verließen aus Protest ihre Region, um nicht wieder die Nationalität zu wechseln bzw. weil sie sich nicht mehr als Deutsche fühlten, sondern Frankreich als ihr Vaterland empfanden. Dabei spielten v.a. die im vorhergehenden Abschnitt genannten Argumente eine große Rolle, denn von der Revolution an bis zum deutsch- französischen Krieg 1870 wurde das Elsass durch gemeinsame Ideale an Frankreich gebunden (vgl. Verdoot 1968, 73). Darüber hinaus war auch die französische Sprache bis zu diesem Zeitpunkt schon ein fester, wenn auch geringer Bestandteil im Leben der Elsässer. Nicht außer Acht zu lassen ist neben dem linguistischen Aspekt des Sprachproblems im Elsass also auch der psychologische Aspekt, der von den preußischen Machthabern nicht beachtet wurde. Diese Missachtung führte zur Entstehung des elsässischen Komplexes. Darunter ist die psychologische Auswirkung der Nichtanerkennung der elsässischen Sonderstellung zu verstehen: „Deutsch zu sprechen ohne Staatsdeutscher zu sein; Staatsfranzose zu sein ohne seine Muttersprache aufzugeben.“ (vgl. Ladin 1982, 46). Schließlich begann 1871 mit der Bildung des Reichsland Elsass-Lothringen 1871 ein neuer Abschnitt im Leben der Elsässer

(vgl. Trouillet 1997, 88). Dennoch führten die Deutschen ein relativ liberales Regime, da die regionalen Spezifika bis zu einem gewissen Grad toleriert wurden. Diese Berücksichtigung fand 1911 ihren Ausdruck in einer Verfassung mit weitgehend föderativen Garantien und Institutionen (vgl. Ladin 1982, 47). In Straßburg, der Hauptstadt Elsass-Lothringens, gab es einen Statthalter und einen gewählten Zwei-Kammer-Landtag, der sogar zwei Vertreter in den Bundesrat des Deutschen Reiches schicken konnte (vgl. Verdoot 1968, 74). Allerdings erhielt das neu gegründete Reichsland keine regionale Autonomie (vgl. Trouillet 1997, 89). Die politischen Veränderungen hatten natürlich auch Folgen für die Sprachpraxis, da Französisch wieder durch Deutsch als Unterrichtsprache ersetzt wurde (vgl Harnisch 1996, 424), was wiederum Probleme verursachte, da sich die deutsche Sprache in fast 220 Jahren französischer Zugehörigkeit anders als in Deutschland entwickelt hatte. Nicht das Hochdeutsche war die Umgangssprache, sondern die lokalen Dialekte (vgl. Trouillet 1997, 91), zumal es ja noch einige französischsprachige Enklaven im elsässischen Gebiet gab. Durch ein Regulativ 1874 wurden dann folgende Grundsätze für den Unterricht festgelegt:

- Der Oberpräsident regelt die Unterrichtssprache in gemischten Sprachgebieten
- Unterricht darf in frankophonen Gebieten auf Französisch erteilt werden, wenn die Muttersprache der Schüler Französisch ist (vgl. Harnisch 1996, 424).
- Ansonsten ist in allen Schulen die deutsche Sprache Gegenstand des Unterrichts (vgl. Lévy 1929b, 379)

Daraus lässt sich eine zweigleisige Schulpolitik feststellen. Auf der einen Seite profitierten die französischsprachigen Gemeinden von einer gewissen Liberalität. Die Kinder wurden durch den Französisch- und Deutschunterricht sozusagen schon bilingual unterrichtet. Aber auf der anderen Seite wurde in anderen Gemeinden Französisch noch nicht einmal als Fremdsprache unterrichtet (vgl. Trouillet 1997, 94). Die folgende Tabelle veranschaulicht, wie es infolge dieser Sprachpolitik zu einer leichten Zunahme der Verwendung des Dialektes, v. a. im Oberelsass (Haut-Rhin), kam.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Denis/Veltman 1989, 16)

Doch viele Elsässer kamen mit dieser neuen Situation nicht klar. Die plötzliche Trennung von Frankreich und die oben aufgeführten Maßnahmen zur Reintegration in das Bismarkreich blieben nicht ohne Folgen. Viele frankophone Bürger flohen (zwischen 1871 und 1914 emigrierten fast 480 000 Menschen) nach Frankreich oder ins Ausland (vgl. Trouillet 1997, 105), um der politisch-sprachlichen Assimilation zu entgehen. Die meisten von ihnen empfanden die Abspaltung vom zentralisierten französischen Staatsgebilde als falsch, da sie einen langwierigen Integrationsprozess hinter sich hatten, und sich - trotz einiger sprachlich- kultureller Gemeinsamkeiten mit Deutschland- dem französischen Staat zugehörig empfanden (vgl. Trouillet 1997, 107). Zusammenfassend kann die 44 Jahre dauernde deutsche Phase des Elsass bis zum Ersten Weltkrieg wie folgt charakterisiert werden. Sie bestand aus:

[...] national-kulturellen Gegensätzen, Unausgeglichenheit und inneren Zwiespalt, besonders da Elsass-Lothringen Reichsland blieb und nie über den staats-rechtlichen Notbehelf der Annexion hinaus gekommen ist. (Trouillet 1997, 106).

Nachdem sich aber nach fast einem halben Jahrhundert die Menschen damit ein wenig arrangiert hatten, erwartete sie mit dem Ersten Weltkrieg und dessen Ausgang ein erneuter Nationalitätswechsel.

2.2. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen für das Elsass

Im Ersten Weltkrieg wurde das Elsass nicht nur zu einem schwer umkämpften Schauplatz, sondern seine Privilegien wurde nach und nach abgebaut (vgl. Ladin 1982, 47). Nachdem schließlich die Deutschen am Ende des Krieges auf der Verliererseite standen, begrüßten die Elsässer, die über Jahrzehnte Frankreich in guter Erinnerung behalten hatten, die siegreichen französischen Truppen 1918 in einem: „[...]Delirium der Freude.“ (Ladin 1982, 47). Doch in diesem Moment waren weder der französische Staat noch die Elsässer auf diese neue Situation vorbereitet. 1919 wurde Deutsch durch Französisch als Rechts-, Verwaltungs- und Justizsprache wieder abgelöst, was eine gewisse Zweisprachigkeit in den Amtsstuben und Gerichten zur Folge hatte, da eine sofortige Umstellung nicht realisiert werden konnte. Darüber hinaus gab es auch Probleme bei der Koordinierung der französischen Gesetzgebung, die mit der bisherigen im Elsass angewandten deutschen Gesetzgebung nicht korrespondierte (vgl. Trouillet 1997, 110). Außerdem hatte das Elsass in den vorangegangen Jahren trotz aller Assimilierungsversuche von deutscher Seite zweifelsohne eine gewisse Autonomie und Eigenständigkeit, sowohl in der lokalen Verwaltung als auch im sprachlichen und kulturellen Bereich, erreicht (vgl. Trouillet 1997, 109). Darüber hinaus waren einige Errungenschaften, die aus der „deutschen“ Zeit stammten, wie z.B. Versicherungen und Verfahrensgesetze, gefährdet, für die es keine französischen Entsprechungen gab (vgl. Verdoot 1968, 75). Doch die eine und unteilbare Republik hatte sich ebenfalls verändert: [...], zu einem besonders dogmatischen Verfechter der republikanischen, staatszentrierten, unitarischen Ideale, auch und vor allem in der Bildungs- und Kulturpolitik [...]. (Trouillet 1997, 47). Denn: „Die eine und unteilbare Republik mit ihrem jakobinischen Zentralismus gestattete keine regionale Selbständigkeit“ (Ladin 1982, 47). Doch der französische Staat erwartete vor allem, dass die deutsche Sprache durch Französisch ersetzt werden sollte. Um diese Vorstellungen zu realisieren, wurde deshalb 1918 eine Bildungsverwaltung im Elsass gegründet, die mit der Umstellung auf die französische Sprache beauftragt wurde. Sie hatte dafür Sorge zu tragen, dass alle deutsche durch französische Beamte ersetzt wurden (vgl. Trouillet 1997, 111). Darüber hinaus wurde festgelegt, dass in der Primärschule der Deutschunterricht erst ab dem 4. Schuljahr einsetzen sollte (vgl. Trouillet 1997, 113). Dies hatte zur Folge, dass Kinder, die von Zuhause aus nur den Dialekt bzw. die deutsche Sprache beherrschten, in der Schule direkt mit einer für sie „fremden“ Sprache konfrontiert wurden. Glücklicherweise wurde der Deutschunterricht aber aufgrund des heftigen Protestes aus der Bevölkerung wieder ab dem 3. Schuljahr gestattet und der Dialekt im Religionsunterricht ab der 1.Klasse erlaubt (vgl. Trouillet 1997, 113). So verlief die Umstellung von Deutsch auf Französisch erwartungsgemäß, nicht so schnell, wie sich das die französische Regierung vorgestellt hatte:

Le vif mécontentement quant à la situation et aux résultats scolaires conduisit le Président du Conseil R. Poincaré à une visite d’information en Alsace dont les impressions furent consignées dans une lettre au recteur Charléty (18.10.1926). (Finck/Phillip 1985, 41.)

Poincaré hatte sich selbst ein Bild von der sprachlichen Lage im Elsass gemacht und kam zu dem Entschluss, dass der Unterricht zweisprachig sein sollte. Er erinnerte daran, dass Frankreich das Versprechen gab, die Traditionen des Elsass zu respektieren (vgl. Trouillet 1997, 113), vor allem deswegen, weil dort der Bilingualismus eine jahrhundertelange Tradition hatte. Pfister, Rektor der Akademie in Straßburg, hatte dieselbe Auffassung und machte ebenfalls auf die besondere Situation des Elsass aufmerksam. Seiner Meinung nach sollte die französische Sprache zwar weiterhin Schwerpunkt der Bildung sein, aber der Deutschunterricht sollte in den Teilen des Landes, in denen Dialekt gesprochen wurde, berücksichtigt werden (vgl. Trouillet 1997, 114). Durch die Forderungen dieser zwei wichtigen Persönlichkeiten kam es 1927 zu einer erneuten Vorverlegung des Deutschunterrichts im zweiten Schuljahr. Darüber hinaus wurde die deutsche Sprache zum Pflichtgegenstand (für dialektophone Schüler) im Abschlusszeugnis der Volksschule. Diese Handhabung blieb bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Gebrauch (vgl. Verdoot 1968, 75). Zusammenfassend lässt sich nun für die Zwischenkriegszeit festhalten, dass auf der einen Seite der französische Staat versuchte, den Prozess der Vereinheitlichung mit allen Mitteln voranzutreiben. Auf der anderen Seite war das Elsass aber nicht gewillt, die in einem fast halben Jahrhundert deutscher Zugehörigkeit erhaltenen Privilegien und Freiheiten widerstandslos aufzugeben. Damit fingen die Elsässer an, um ihre kulturelle Identität zu kämpfen und sich gegen eine völlige Inbesitznahme des französischen Staates zu wehren (vgl. Trouillet 1997, 120). Doch der Zweite Weltkrieg und dessen Ausgang sollte eine entscheidende Wende bringen.

2.3. Die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf das Elsass

Als das Elsass 1940 wieder von Deutschland besetzt wurde, begannen erneute Repressalien (vgl. Trouillet 1997, 121) und die aggressive Politik des Dritten Reiches war überhaupt nicht mit der des deutschen Kaiserreiches zu vergleichen (vgl. Verdoot 1968, 75). Zunächst wurde das Elsass auf politischer Ebene mit Baden, Lothringen, dem Saarland und der Pfalz vereinigt. Mit den beiden Schlagworten „Entwelschung“ und „Rückdeutschungsmaßnahmen“ begann eine Sprachpolitik, die als „Sprachterror“ bezeichnet werden kann (vgl. Born/Dickgießer 1989, 89). Das Deutsche ersetzte erneut Französisch, das verboten und dadurch in allen Lebensbereichen zurückgedrängt werden sollte. Außerdem stand nur die deutsche, nicht aber die regionale Kultur im Mittelpunkt (vgl. Trouillet 1997, 124). Im schulischen Bereich sollte die Umstellung von Französisch auf Deutsch als Unterrichtssprache innerhalb von fünf Jahren realisiert werden, indem die französische Sprache sogar nicht mehr als Fremdsprache unterrichtet werden sollte. Doch auch bei dieser Reform waren Probleme vorprogrammiert, da das gesamte Lehrpersonal ersetzt werden musste, was zu einem Mangel an qualifizierten Lehrpersonal führte, und es auch keine entsprechenden Unterrichtsmaterialien gab (vgl. Trouillet 1997, 128). Da die Bevölkerung kein Mitspracherecht erhielt, wirkte sich dies nicht nur negativ auf die deutsche Sprache, sondern auch auf das Ansehen Deutschlands aus (vgl. Ladin 1982, 49). Diese antideutsche Prägung war auch Schuld daran, dass man nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Wiedereingliederung des Elsass in Frankreich eher von einer freiwilligen Assimilation als von einer „Zwangsfranzösisierung“ sprechen konnte (vgl. Born/Dickgießer 1989, 89).

3. Die Rückkehr nach Frankreich

3.1. Die Nachkriegszeit im Elsass

Après le traumatisme collectif de l’occupation nazie et la confusion accentuée entre langue et appartenance nationale, il est encore plus facile qu’en 1918 de convaincre un certain nombre d’Alcaciens et de Mosellans que l’allemand - «langue nazie », «langue d‘Ausschwitz» doit être éliminé et avec lui ses formes locales dialectales. C’est le début d’une «épuration linguistique» qui se traduit à l’école par l’interdiction et la punition de l’usage du dialecte, donc de la langue maternelle des enfants. (Land un Sproch 2001, 22)

Das Trauma des Zweiten Weltkrieges brachte nun endgültig den Bruch zwischen dem Elsass und der deutschen Sprache (vgl. Land un Sproch 2001, 24). Fast niemand wagte es, sich gegen die französische Assimilation zur Wehr zu setzten, weil die deutsche Sprache im Verruf stand, antinational und unpatriotisch zu sein. Egal, was Deutsch war - seien es die Dialekte, die Hochsprache oder die regionale Kultur - alles galt als Angriff gegen die französische Republik (vgl. Land un Sproch 2001, 24). Die Assimilationspolitik fand schnell fruchtbaren Boden, da die französische Sprache zur Garantie des sozialen Aufstiegs wurde. Die Kirche als sozialer Machtfaktor hatte einen immer geringer werdenden Einflussbereich und die Schulen übernahmen den Auftrag, die nationale Einheit zu erneuern (vgl. Trouillet 1997, 129). Ab diesem Zeitpunkt galt das Motto „c’est chic de parler français“. Viele empfanden die restriktive Sprachpolitik des französischen Staates teilweise sogar als berechtigt und unvermeidlich (vgl. Harnisch 1996, 445). Sogar die Integration verlief ohne Probleme, da es kaum politischen Widerstand gab, der, wenn überhaupt, auch nur eine elsässische Autonomie im Rahmen des französischen Staates forderte (vgl. Philipps 1980, 148). Andere Parteien wie die kommunistische Partei oder auch der Centre Démocrate und die RPR bemühten sich um den Schutz der elsässischen Spezifika (vgl. Philipps 1980, 143), doch ihre Initiativen konnten oft nicht realisiert werden, da sie: „[...] in Paris einfach auf Eis gelegt wurden.“ (Philipps 1980, 145). Zusätzlich gab es auf sprachlicher Ebene noch enorme Restriktionen, die die Voraussetzung für eine schnelle Refranzösisierung waren. Um publizierte Forderungen des Volkes zu unterdrücken, wurde die öffentliche Presse durch Verordnungen eingeschränkt. Es wurde zwar eingeräumt, dass neben französischsprachigen auch zweisprachige Publikationen erscheinen durften, jedoch sollte jede einen Textanteil von Minimum 25 % auf französischer Sprache haben. Ferner durfte der Sport- und Jugendteil nur noch auf Französisch herausgebracht werden. Wurde diese Verordnung missachtet, drohten erhebliche Strafen (vgl. Verdoot 1986, 81). Dieses Pressegesetz bedeutete einen gravierenden sprachpolitischen Eingriff zum Nachteil der deutschen Sprache und Dialekte, da vor allem Artikel, die das Gros der Leser interessierte, nur noch auf Französisch publiziert wurden (vgl. Ladin 1982, 169). Daraus folgte, dass die zweisprachige Presse einen starken Rückgang verbuchte, wohingegen die einsprachige französische Presse einen immensen Zuwachs hatte. Die junge Generation gewöhnte sich schnell an die französische Sprache in der Presse und griff schließlich mehr zu den ein- als zu den zweisprachigen Zeitungen. Insgesamt erschienen 1945 13 bilinguale Zeitungen. Von diesen 13 überlebten nur noch zwei bis zum Jahre 1985:„Les dernières nouvelles d’Alsace“ und „L’Alsace“ (vgl. Finck/Philipp 1985, 150). Ein Vergleich der Auflagen macht den Rückgang deutlich:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Finck/Philipp 1985, 150)

Eine ähnliche Entwicklung ist bei „L’Alsace“ festzustellen, der nach dem Krieg mit einer zweisprachigen (ca. 90 %) und einer französischen Ausgabe erschien. Im Jahr 1966 hatten beide Ausgaben die gleiche Auflagenstärke von jeweils 64 000 Exemplaren. Ab diesem Zeitpunkt ging die Zweisprachige jährlich um ca. 1600 bis 2000 Exemplare zurück. Wie auch bei den „Dernières nouvelles d’Alsace“ nimmt die einsprachige Auflage 1984 den größten Teil ein. Von einer Gesamtauflage von 137 188 waren 113 180 französischsprachig und nur noch 24 008 zweisprachig (vgl. Finck/Philipp 1985, 151). Anhand dieses Vergleiches wird ersichtlich, wie gut die Wirksamkeit der Zwangsmaßnahmen war. In beiden Fällen hatten die rein französischen Ausgaben -je jünger die Lesergenerationen wurden- einen weitaus größeren Anteil als die zweisprachigen, wodurch die deutsche Sprache mehr und mehr verdrängt wurde. Weiterhin wurde in der Verwaltung auf zweisprachige Texte verzichtet, die bis 1939 Usus waren (vgl. Land un Sproch 2001, 24), weil das Französische auch im Elsass mit geringfügigen Ausnahmen für die Gerichtsbarkeit und amtliche Beurkundungen vorgeschrieben war (vgl. Verdoot 1968, 80). Doch dies waren nicht die einzigen Bereiche, mit denen an der Existenz der deutschen Sprache „gesägt“ wurde. Im Erscheinungsbild der Städte und Dörfer gab es keine zweisprachigen Straßenschilder mehr. Im Radio wurden alle nicht französischsprachigen Sendungen auf einen minimalen Anteil zurückgedrängt und deutsche Filme führten ein Schattendasein, da sie nur einmal die Woche in nur einer Stadt und in einem Kino gespielt werden durften (vgl. Land un Sproch 2001, 24). Natürlich machten diese Repressionen auch nicht vor der Schule halt, denn die Jugend sollte dort nun endgültig (vgl. Land un Sproch 2001, 24) zu rein französischsprachigen Generationen geformt werden.

3.2. Die Unterdrückung deutscher Sprache und Kultur

Bis dato galt das in 2.2. erläuterte Dekret von Poincaré-Pfister, das den Deutschunterricht ab dem zweiten Schuljahr erlaubte und Deutsch als Prüfungsgegenstand für den Volksschulabschluss billigte. Doch dieses Dekret wurde 1945 für ungültig erklärt und der gesamte Deutschunterricht sollte bis 1952 suspendiert werden (vgl. Verdoot 1968, 82). Doch aus dem Provisorium wurde letztendlich ein endgültiger Zustand, mit dem sich die Elsässser abzufinden hatten (vgl. Hartweg 1981, 99). Mit dieser extremen und folgenreichen Maßnahme versuchte die Regierung, sprachliches Terrain wieder gut zu machen. Doch das diese, wie manch andere Maßnahmen zuvor, gegen den Willen der Bevölkerung durchgeführt wurde und der großen Mehrheit der Kinder Probleme bereitete, schien die Zuständigen in Paris nicht zu interessieren, obwohl der Rektor des Straßburger Schulverwaltungsbezirks 1952 zugeben musste, dass trotz der positiven Ausgangslage und günstigen Umstände für die französische Sprache dieselbe für viele noch fremd war (vgl. Trouillet 1997, 132). Trotzdem wurde dieser Sachlage jahrelang akzeptiert, bis sich endlich Widerstand bildete, der keine Germanisierung verlangte, sondern lediglich die Wiederherstellung:

[...] einer Bildungssituation, die den eigenen kulturellen Bedürfnissen Rechnung tragen sollte, ohne deswegen das Treueverhältnis zur französischen Nation schmälern zu wollen, [...]. (Trouillet 1997, 132).

3.3. Die Rückbesinnung auf die sprachlichen Wurzeln

Als 1951 das „Loi Deixonne“ verabschiedet wurde, hofften die Elsässer endlich auf eine Anerkennung ihres Dialektes. Doch er galt als Variante des Deutschen, das schon als Fremdsprache unterrichtet werden durfte. Somit wurde kein Handlungsbedarf gesehen und alles blieb wie gehabt (vgl. Denis/Veltman 1989, 17) Lediglich dem Okzitanisch, Baskisch, Bretonisch und Katalanisch wurde ein gewisser Status eingeräumt (vgl. Hartweg 1981, 99). Ausgeschlossen von diesem Gesetz waren die Varianten nationalstaatlicher Sprachen wie das Flämische, das Elsässische und das Korsische (vgl. Hartweg 1981, 99). Aber der Druck der Öffentlichkeit wurde immer stärker und so wurde 1952 Folgendes bestimmt:

In den Abschlussklassen der Gemeinden, deren Umgangssprache die elsässische Mundart ist, wird ein fakultativer Unterricht der deutschen Sprache eingerichtet. Dieser Unterricht wird während zweier Stunden wöchentlich in den letzten beiden Pflichtschuljahren jenen Kindern erteilt, deren Familie dies wünscht. Die Kurse finden während der normalen Unterrichtsstunden statt. Mit ihnen werden Lehrer betraut, die sich dazu bereit erklären (Verdoot 1968, 82).

Doch stellte sich die Realisierung mehr als schwierig dar, da einerseits die Kinder vom Unterricht freigestellt werden und andererseits die Lehrer ihn ablehnen konnten (vgl. Verdoot 1968, 77). So kam es, dass sich viele Lehrer dagegen entschieden und zur Verwirklichung so genannte „Wanderlehrer“ eingesetzt wurden, die dafür nicht ausreichend qualifiziert waren (vgl. Hartweg 1981, 100). Des weiteren wurde die Teilnahme an einem solchen Deutschunterricht auch nicht im Zeugnis erwähnt, was die Motivation, Deutsch zu lernen, nicht gerade verbesserte (vgl. Verdoot 1968, 77). Wie dem auch sei, konnte die Situation nicht von heute auf morgen geändert werden und so wurden diese kaum tauglichen Unterrichtsmethoden akzeptiert (vgl. Trouillet 1997, 133). An diesem Zustand sollte sich bis 1959 auch nicht mehr viel verändern.

3.4. Das Erwachen des sprachlichen Bewusstseins

Ab 1950 stiegen aufgrund eines weiteren Vorschlags des Erziehungsministeriums die Wochenstundenzahl des Deutschunterrichtes in den Primärschulen von zwei auf drei Stunden und der Unterricht dehnte sich nun von den letzten zwei Schuljahre aus (vgl. Trouillet 1997, 134). Schließlich wurden 1959 aufgrund einer eingesetzten Untersuchungskommission verschiedene Veränderungen in einem neuen Dekret der Akademie Straßburg vorgenommen. Zunächst hatten die akademischen Behörden dafür Sorge zu tragen, dass der Unterricht nicht mehr von Aushilfslehrern durchgeführt wurde. Außerdem sollten die pädagogischen Methoden - unter Berücksichtigung der Mundart - zum Erlernen der deutschen Sprache verbessert werden und schließlich wurde auch eine freiwillige Abschlussprüfung angeboten, deren Ergebnis auf dem Zeugnis stehen sollte (vgl. Verdoot 1968, 83f.). Zusätzlich zu diesen Maßnahmen sollte die Akademie auch die Ausbildung des Lehrpersonals für den Unterricht sicherstellen (vgl. Verdoot 1968, 84). In Folge der gerade beschriebenen Maßnahmen verbesserte sich der Rahmen für den Deutschunterricht beträchtlich. Dennoch konnten die oben genannten Regelungen nicht als Durchbruch bezeichnet werden, da ihre Realisierung nicht immer schnell von statten ging. Die Nachkriegsjahre bis 1968 lassen sich somit wie folgt resümieren. Die sprachliche Situation war sowohl für die deutsche Sprache als auch für den Dialekt nicht einfach. Als der Generationswechsel begann und der Assimilationsprozess der Jüngeren einsetzte, kamen weder die deutsche Sprache noch der Dialekt gegen die französische Allmacht an. Dies ist vor allem auf die Verdrängung des Deutschen als Unterrichtssprache in der Schule und später auf den fakultativen Charakter des Unterrichts zurückzuführen. Des weiteren war es lange Zeit verboten, Dialekt zu sprechen. Erst 1969 konnte sich der elsässische Generalinspektor Georges Holderith zum ersten Mal mit einer entscheidenden Reform durchsetzen, indem er den Deutschunterricht endlich an die linguistische Situation im Elsass anpasste (vgl. Ladin 1982, 196). Seine Idee war es, die deutsche Sprache in homogenen Klassen durch die dort vorhandene Dialektbasis zu vermitteln und aufzubauen (vgl. Hartweg 1981, 100). Deutsch wurde dadurch nicht mehr nur als Fremdsprache angesehen und auch der Dialekt aufgrund dessen wegen seiner kommunikativen Bereicherungsmöglichkeiten aufgewertet (vgl. Hartweg 1981, 101). Es blieb sogar nicht nur bei einer Reform, denn nur drei Jahre später weitete sich eine zweite Holderith Reform auch auf Primärschulen aus, was den Forderungen der Eltern entsprach, wie eine Umfrage deutlich machte: „85 % de la population alsacienne réclament un enseignement de l’allemand au primaire“ (Land un Sproch 2000, 22). Schüler ab neun Jahren hatten nun die Möglichkeit, Hochdeutsch zu lernen, indem sie von entsprechenden Lehrern und adäquaten pädagogischen Lernmethoden unterstützt wurden. Letztendlich wurde auch das Lehrmaterial durch Texte von deutsch- und dialektsprachigen elsässischen Dichtern ergänzt (vgl. Philipps 1980, 165). Obwohl die Reformen als Experiment angelegt wurden, dehnten sie sich letztendlich aufgrund der positiven Resonanz auf den gesamten Schulbereich aus (vgl. Hartweg 1981, 100). Aber auch auf staatlicher Ebene musste dem Regionalismus entgegenkommen werden und das „Loi Deixonne“ wurde durch das „Loi Habby“ ersetzt. Dieses Gesetz gab einigen Regionalsprachen endlich offizielle Anerkennung auf bildungspolitischer Ebene. So heißt es in Artikel 12: „Regionalsprachen und -kulturen können die ganze Schulzeit hindurch Gegenstand von Unterrichtsveranstaltungen sein“ (Trouillet 1997, 140). Doch auch in diesem Gesetz war keine Rede vom Elsässischen, da es immer noch als Variante des Deutschen galt. Allerdings änderte sich diese Auffassung im Laufe der Jahre aufgrund des Druckes der öffentlichen Meinung, so das auf politischer Ebene die Schwierigkeiten nicht mehr übergangen werden konnten (vgl. Trouillet 1997, 138). Wichtige Persönlichkeiten, Dichter oder Liedermacher engagierten sich für ein Respektieren der regionalen Wesensart und Fördern der besonderen elsässischen Charakteristika aus, wie ein Aufruf aus dem Jahr 1980 zeigt. Schließlich sollte nach den Wahlen 1981 und dem Sieg Mitterands ein neuer Zeitabschnitt für Regionen und vor allem für das Elsass beginnen.

3.5. Die Ära Mitterand als Wegbereiter der wachsenden Eigenständigkeit der Regionen

Eine entscheidende Wende trat schließlich 1981 mit dem Regierungswechsel und der ersten Amtszeit von François Mitterand ein, der die Regionalisierung und Dezentralisierung als Hauptziele seiner Politik nannte und damit die Basis für neue Entwicklungen in den Departements formte (vgl. Trouillet 1997, 141). Diese Reformen sollen nun unter Berücksichtigung des Elsass dargestellt werden. Artikel 59 des Dezentralisierungsgesetzes vom 2. März 1982 bildete die neue Grundlage für die Regionen. Darin wurden dem Regionalrat neben mehr Verantwortlichkeit und Kompetenzen auch die Bewahrung der regionalen Identität aufgetragen. Im Elsass versuchte nun Deyon, der Rektor der Straßburger Akademie, die Maßnahmen endlich in die Realität umsetzen. In einem Rundschreiben wurde neben dem Deutschen nun endlich auch dem Elsässischen ein größerer Spielraum in den Schulen ermöglicht. Nun konnte ab dem Kindergartenalter bis zu dem Schulabschluss die deutsche Sprache, das Elsässisch und die jeweiligen kulturellen Bezüge in den Unterricht mit einbezogen werden (vgl. Harnisch 1996, 450). Darüber hinaus wurde 1982 das Fach „Langue et culture régionale“ mit zwei Stunden pro Woche eingeführt (vgl. Harnisch 1996, 425). Großen Erfolg verzeichneten auch die vier Jahre später eingeführten „séctions trilingues“, in denen neben Deutsch auch Englisch unterrichtet wurde. Zusätzlich zu diesen Verbesserungen führte die Straßburger Akademie 1988 das sogenannte „Certificat Régional d’Allemand“ ein. Dieser regionale Qualifikationsnachweis wurde offiziell anerkannt und bewertete die sprachliche Kompetenz (vgl. Born/Dickgiesser 1989, 94). Wenngleich sich also der gesetzliche Rahmen und die Möglichkeiten spürbar veränderten, gestaltete sich die praktische Umsetzung durch das Fehlen entsprechend ausgebildeter Lehrkräfte immer noch etwas anders als in der Theorie vorgesehen (vgl. Harnisch 1996, 450). Hauptproblem war, dass an den elsässischen Schulen: „[...]«nur sehr beschränkte Abweichungen gegenüber dem einheitlichen nationalen Schulmodell» Frankreichs möglich sind“. (vgl. Harnisch zitiert Hartweg 1996, 425). Dieser Eindruck bestätigte sich auch im Jahre 1989 in einem Orientierungsgesetz des Bildungswesens. Darin wurden die Ziele im Schul- und Hochschulwesen für die kommenden Jahre festgelegt: „Diese Bildung kann auf allen Stufen einen Unterricht in regionaler Sprache und Kultur beinhalten“ (Trouillet 1997, 150). An dieser Formulierung fällt wieder der fakultative Charakter auf, den viele solcher Erlasse hatten. Es handelte es sich wieder um eine „Kann-Bestimmung“ und nicht um ein gesetzliches Muss (vgl. Trouillet 1997, 150). Dennoch wurde im Elsass nicht aufgegeben, weiter an der Anerkennung der regionalen Spezifika und an dem zweisprachigen Unterricht zu arbeiten. Nach dem Vorbild von anderen Ländern wie Luxemburg oder Kanada sollten auch im Elsass die bilingualen Klassen ausgeweitet werden. Umfragen bestätigten den Trend für bilingualen Unterricht mit dem Ergebnis, dass 1990/91 die ersten „classes maternelles bilingues“ im Rahmen der Initiative ABCM-Zweisprachigkeit eingerichtet wurden (vgl. Land un Sproch 2001, 23). Doch sei an dieser Stelle auch erwähnt, dass es nicht nur positive Stimmen in Bezug auf die Initiativen und Fördermaßnahmen gab. Es existierten bei vielen Eltern auch Widerstand und Misstrauen, die den Maßnahmen negativ gegenüberstanden (vgl. Land un Sproch 2001, 23).

[...]

Ende der Leseprobe aus 104 Seiten

Details

Titel
Der elsässische Dialekt im 21. Jahrhundert
Hochschule
Universität Trier
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
104
Katalognummer
V151235
ISBN (eBook)
9783640635757
Dateigröße
1316 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elsass, Dialekte, Sprachminderheiten, Umfragen, Diagrammen, Sprachuntersuchungen, Sprachpolitik, Die Geschichte des Elsass, Sprachlandschaften, Elsässerditsch, Alsacien
Arbeit zitieren
M.A. Tanja Geminn (Autor:in), 2003, Der elsässische Dialekt im 21. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151235

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