Der demografische Wandel in unserer Bevölkerung bedeutet, dass der Anteil von alten und sehr alten Menschen stetig zunimmt. Dem überwiegenden Teil alter Menschen gelingt es erfolgreich zu altern und ihre vierte Lebensphase aktiv zu gestalten. Die Wirtschaft und Medien (Werbung) haben das erkannt und einen begehrenswerten Markt erschlossen. Rollstühle, Rollatoren, Blutdruckmessgeräte, sogar ein Defibrillator sind heutzutage im Discounter um die Ecke zu „ergattern“.
Doch was bedeutet alt sein noch? Was passiert, wenn das Leben schlagartig eine Wende nimmt durch einen Gehirnschlag, auch Apoplex genannt? Eine Spätfolge kann die Ausbildung einer Demenz sein. Oder was geschieht, wenn die Demenz auf leisen „Alzheimer Sohlen“ daher kommt und niemand im direkten Umfeld bemerkt, dass die alte Dame nebenan das Haus nur noch sehr selten verlässt. Sie hat vielleicht schon lange nichts Ordentliches mehr gegessen oder kann sich selbst und ihre Kleidung nicht mehr in Ordnung halten. Die Rente ist auch nur sehr gering.
Wie wird dieses Problem in unsere Gesellschaft wahrgenommen und aufgenommen? Ich glaube, eine Gesellschaft hat sich daran zu messen, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht.
Ein guter Ansatz ist das neue Betreuungsrecht als eine mögliche Antwort auf die Herausforderung Demenz! Entscheidend ist für den an Demenz betroffenen Menschen und sein Umfeld, dass die Kommunikation gelingt: zum Wohl und im Sinne des Menschen mit Demenz! Nur wer kommuniziert wird wahrgenommen und bleibt Teil der Gesellschaft. Wir als Individuum und Gesellschaft sind aufgefordert Menschen mit Demenz aktiv in unser Leben zu integrieren!
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1 Grundbegriffe
2 Sprache und Kommunikation
2.1 Begriffsklärung: Kommunikation und Interaktion
2.2 Fragen zum Kommunikationsprozess
2.3 Biologischer Blickwinkel
2.3.1 Stammhirn
2.3.2 Zwischenhirn
2.3.3 Kleinhirn
2.3.4 Großhirn
2.3.5 Sprachbildung und Sprachverstehen
2.3.6 Hörzentrum
2.3.7 Sehzentrum
2.3.8 Schluckfunktion
2.3.9 Limbisches System
2.4 Gehirnspezifische Kommunikation
2.4.1 Denken in Hemisphären
2.4.2 Archaisches Denken
2.4.3 „Klimatische“ Störungen
2.4.4 Empathisches Denken
2.4.4.1 Spiegelneurone
2.4.4.2 Wahrnehmung, Motorik, Kognition
2.4.4.3 Motorische und emotionale Intelligenz
2.4.4.4 Resümee
2.5 Kommunikationsmodelle und Wahrnehmung
2.5.1 Kapazitäten der Wahrnehmung
2.5.2 Merkfähigkeit
2.5.3 Struktur der Wahrnehmung
2.5.4 Nachrichtenübermittlung
2.5.4.1 Kommunikationsmodell Shannon/Weaver
2.5.4.2 Kommunikationsmodell Schulz von Thun
2.5.4.3 Gelingende Kommunikation als Ideal
2.6 Kommunikationstheoretischer Blickwinkel
2.6.1 Systemtheorie von Niklas Luhmann
2.6.1.1 Luhmanns Einflussgeber
2.6.1.2 Autopoiesis und verfremdete Gesellschaft
2.6.1.3 Filtern, Erleben, Verabeiten von Informationen
2.6.2 Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick
2.6.2.1 Störungen menschlicher Kommunikation
2.6.2.2 Kommunikationsaxiome
3 Demenzerkrankungen
3.1 Definitionen / Klassifikationen
3.1.1 ICD 10
3.1.2 DSM-IV
3.2 Epidemiologie
3.2.1 Prävalenz, Inzidenz
3.2.2 Stigma versus Aufklärung und Wissen
3.2.3 Risikofaktoren und protektive Faktoren
3.2.3.1 Mögliche Risikofaktoren
3.2.3.2 Protektive Faktoren
3.3 Differenzialdiagnostische Abgrenzung
3.3.1 Altersgemäße kognitive Leistungsminderung
3.3.2 Mild Cognitive Impairment (MCI)
3.3.3 Delir
3.3.4 Depression
3.4 Quantitative Faktoren (Schweregrade) und Funktionsdefizite
3.4.1 Quantitativen Faktoren
3.4.2 Beurteilung der Funktionsdefizite
3.5 Krankheitsformen
3.5.1 Demenzformen
3.5.1.1 Primäre Demenzen
3.5.1.2 Sekundäre Demenzen
3.6 Symptomatik
3.6.1 Verbleibende Ressourcen und unberührte Kompetenzen
3.7 Diagnostik
3.7.1 Diagnose-Wegweiser
3.7.2 Assessments im Rahmen der Demenzdiagnostik
3.7.2.1 Sinnvolle Differenzierungen
3.7.2.2 Erster Überblick für den Hausarzt
3.7.2.3 Mini-Mental-Status-Test
3.7.2.4 Uhrentest nach Watson
3.7.2.5 BEHAVE-AD
3.7.2.6 Auswahl und Hinweis auf zusätzliche Testverfahren
3.7.2.7 Diagnose-Leitfaden
3.7.2.8 Resümee zum Diagnoseverfahren
3.8 Therapie
3.8.1 Antidementiva
3.8.2 Frühzeitige Diagnosestellung und Therapie
3.8.3 Symptomkomplex Demenz und integrative Therapie
3.8.4 Multilaterale Therapiezielsetzung
3.8.5 Neues aus der Demenzforschung
3.8.6 Einblick in die Demenz vom Alzheimer Typ
3.8.6.1 Ursachen
3.8.6.2 Warnzeichen und Symtome
3.8.7 Einblick in die Demenz vom vaskulären Typ
4 Rechtliche Grundlagen für eine Betreuung
4.1 Betreuungsgesetz
4.2 Wohl des rechtlich betreuten Menschen
4.2.1 Fähigkeiten, Wünsche, Selbstbestimmung
4.2.2 Rechtliche Handlungsfähigkeit
4.2.3 Schutzfunktion
4.2.4 Unzumutbarkeit
4.2.5 Das Wohl als handlungsleitender Maßstab
4.2.6 Handlungsspielraum
4.2.7 Hilfe vor Eingriff
4.3 Wille und Wünsche
4.3.1 Freier Wille
4.3.2 Natürlicher Wille
4.3.3 Mutmaßlicher Wille
4.3.4 Wünsche
4.4 Betreuerhandeln und Betreuungsplanung
4.4.1 Eignung des Betreuers
4.4.2 Sprachbarriere: Ein Betreuungshindernis?
4.4.3 Stellvertretung und persönliche Betreuung
4.4.4 Methode des Case Managements
4.4.4.1 Fallmanagement
4.4.4.2 Methodische Neuorientierung
4.4.4.3 Ganzheitliche Methode
4.4.4.4 System- und Care Management
4.4.5 Planung der Betreuung
4.4.6 Betreuungsumfang
4.4.6.1 Regelung des kommunikativen Umgangs
4.4.7 Führen einer Betreuung
4.5 Resümee
4.6 Menschen aus dem Feld der betreuungsrechtlichen Praxis
4.6.1 Qualität des Kontaktes zwischen Betreuer und betreutem Menschen
4.6.2 Kommunikation mit an Demenz erkrankten Menschen als Quelle zur Ermittlung der Wünsche und des mutmaßlichen Willens
5 Sozialpädagogischer Blickwinkel
5.1 Lebensweltorientierte Soziale Arbeit
5.1.1 Theorie der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit
5.1.2 Rekonstruktion der Lebenswelt
5.1.3 Moderne Sozialpädagogik
5.1.4 Spezifische Entwicklungs- und Strukturmaxime
5.2 Hermeneutisches Verstehen
5.3 Methoden der Hilfe im Sinne einer gelingenden Kommunikation
5.3.1 Methoden der Hilfe
5.3.1.1 Einleitende Worte
5.3.1.2 Überblick
5.3.1.2.1 Gedächtnistraining
5.3.1.2.2 Erinnerungstherapie und Rückschau-Arbeit
5.3.1.2.3 Bewegungstherapie, Mobilitätstraining, Musiktherapie, Tanztherapie
5.3.1.2.4 Kunsttherapie und Musiktherapie
5.3.1.2.5 Realitäts-Orientierungs-Training, ROT
5.3.1.2.6 Biografiearbeit
5.3.1.2.7 Hilfen zur Kommunikation bei Demenz
5.3.1.2.8 Dementia Care Mapping
5.3.1.2.9 Milieutherapie
5.3.1.2.10 Psychotherapie, Verhaltenstherapie, Systemische Therapie
5.3.1.2.11 Systemische Therapie
5.3.1.2.12 Validation
6 Theorie-Praxisvernetzung
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anhang
Literaturverzeichnis
Vorwort
Die vorliegende Diplomarbeit wurde von Mai bis September 2008 an der Katholischen Fachhochschule Köln im Fachbereich Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Geragogik unter Leitung von Prof. Dr. päd. Maximilian Buchka in Verbindung mit dem wichtigen Rechtsbereich des Betreuungswesens unter Begleitung von Prof. Dr. jur. Rolf Jox angefertigt. Die Wahl des Themas wurde angeregt durch meine intensiven Erfahrungen in der häuslichen Seniorenbetreuung und Krankenpflege. Mein Praxiseinsatz in der Abteilung Betreuungswesen des Caritasverbandes Euskirchen vertiefte und erweiterte meine Erlebnisse und Kenntnisse im Umgang mit demenzkranken Menschen auf dem Gebiet des Betreuungsrechts. Die Geragogik führte mich an die Kommunikationsmethode Validation heran.
Für die Heranführung an die Fachbereiche Betreuungsrecht und Geragogik, sowie die Begleitung meiner Arbeit möchte ich mich ganz besonders bedanken bei Herrn Prof. Dr. päd. M. Buchka und Herrn Prof. Dr. jur. R. Jox.
Die Diplomarbeit möchte ich meinem Vater, Herrn Willi Schilling widmen, der nach einem schweren Schlaganfall eine vaskuläre Demenz entwickelt hat. Er war zum Pflegefall geworden und hat sich, wie uns im Altenheim gesagt wurde, selber mobilisiert. Mit meiner Familie freue ich mich, dass ihm die Beweglichkeit und das Sprachvermögen geblieben sind.
Euskirchen im September 2008-09-03
Petra Schremmer
Einleitung
Im Fokus der Sozialen Arbeit stehen biologische, psychische und soziale Prozesse des Menschseins. Die Soziale Arbeit erstreckt sich über die gesamte Lebensspanne des Menschen von seiner Geburt bis zu seinem Tod. Während dieser Zeit kristallisieren sich die sozialarbeiterischen und sozialpädagogischen Handlungsfelder heraus, in denen die Sozialarbeiter und Sozialpädagogen präventiv, interventiv und postventiv tätig werden.
Der demografische Wandel in unserer Bevölkerung bedeutet, dass der Anteil von alten und sehr alten Menschen stetig zunimmt. Dem überwiegenden Teil alter Menschen gelingt es erfogreich zu altern und ihre vierte Lebensphase aktiv zu gestalten. Die Wirtschaft und Medien (Werbung) haben das erkannt und einen begehrenswerten Markt erschlossen. Rollstühle, Rolatoren, Blutdruckmessgeräte, sogar ein Defibrillator sind heutzutage im Discounter um die Ecke zu „ergattern“.
Doch was was bedeutet alt sein noch? Was passiert, wenn das Leben schlagartig eine Wende nimmt durch einen Gehirnschlag, auch Apoplex genannt? Eine Spätfolge kann die Ausbildung einer Demenz sein. Oder was geschieht, wenn die Demenz auf leisen „Alzheimer Sohlen“ daher kommt und niemand im direkten Umfeld bemerkt, dass die alte Dame nebenan das Haus nur noch sehr selten verläßt. Sie hat vielleicht schon lange nichts ordentliches mehr gegessen oder kann sich selbst und ihre Kleidung nicht mehr in Ordnung halten. Die Rente ist auch nur sehr gering.
Wie wird dieses Problem in unsere Gesellschaft wahrgenommen und aufgenommen. Ich glaube, eine Gesellschaft hat sich daran zu messen, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht.
Ein guter Ansatz ist das neue Betreuungsrecht als eine mögliche Antwort auf die Herausforderung Demenz!
1 Grundbegriffe
Assessment
Englisch, to assess - einschätzen, beurteilen: Prozess der Einschätzung, Beurteilung; [LANGENSCHEIDTS (1999 ): 71]
Aphasie
Griechisch, Sprechen; Sprache: Zusammenfassende Bezeichnung für Störungen des Sprechvermögens und des Sprachverständnisses bei erhaltener Funktion des Sprechapparates und des Gehörs ( bedingt durch organische Veränderungen in der Großhirnrinde). [AHLHEIM (1979): 111]
Apraxie
Griechisch, Untätigkeit: Unfähigkeit, sinnvolle und zweckentsprechende Bewegungen auszuführen trotz erhaltener Funktionstüchtigkeit des Bewegungsapparates (eine Folge zentraler Störungen), [AHLHEIM (1979): 114f]
Agnosie
Griechisch, Erkennen: Unvermögen, Sinneswahrnehmungen als solche zu erkenne, trotz erhaltener Funktionstüchtigkeit des betreffenden Sinnesorgans (durch lokale Störungen in der Hirnrinde bedingt), [AHLHEIM (1979): 76]
Amyloid-precursor-protein (APP)
Das Eiweiß spielt eine zentrale Rolle in der Pathogenese der Alzheimer Erkrankung. Es ist ein integrales (vollständiges, für sich bestehendes) Membranprotein. Vermutlich ist es bei der Bildung von Synapsen von Bedeutung ist, obgleich seine Funktion noch nicht exakt bekannt ist. [HAMPEL, PADBERG, MÖLLER, (2002): 53f, 62]
Apo-E-Typ
Apolipoprotein-E-Typ, genetische Modifikationen in diesem Gen (Subtypen E2, E3, E4) sind mit diversen Erkrankungen verknüpft worden. Wichtigste Bedeutung in Bezug zur Hyperlipämie und Alzheimer Erkrankung. [HAMPEL, PADBERG, MÖLLER, (2002): 38]
Axiom
Griechischer Ursprung: 1. fundamentaler, ohne Beweis einleuchtender Grundsatz, 2. Grundsatz, aus dem sich andere Grundsätze logisch ableiten lassen [AHLHEIM (1979): 29]
Cerebrum
Lateinisch, das Gehirn [LANGENSCHEIDTS (1982 ): 70]
Demenz
Lateinisch, Blödsinn, Verblödung, erworbene, auf organischen Hirnschädigungen beruhende dauernde Geistesschwäche [AHLHEIM (1979): 202]
Enzephalon
Encaphalon, griechisch, was im Kopfe ist, Gehirn [AHLHEIM (1979): 235]
Empathie
Griechisch-englisch, die Bereitschaft und Fähigkeit, die Erlebensweise anderer Menschen zu verstehen, nachzuvollziehen, sich in andere einzufühlen. Empathie spielt in allen menschlichen Beziehungen eine große Rolle. In der Beziehung zwischen Säugling und Bezugsperson ist sie besonders wichtig, denn erst das Gefühl, angenommen zu sein, erlaubt es dem Säugling, Urvertrauen und ein stabiles Selbst zu entwickeln. Empathie gilt in vielen Richtungen der Psychotherapie als Basis therapeutisch wirksamer Interventionen. [LEXIKON (2001): 80]
DSM-IV
Abkürzung für die vierte Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen). Erstausgabe dieses Klassifikationssystems 1952 von der American Psychiatric Association (Amerikanische Psychiatrische Vereinigung). Deutsche Publikation seit 1996 des DSM-IV. Aktuelle Version DSM-IV-TR: Stand März 2007. Von Experten festgelegter Inhalt zur reproduzierbaren Gestaltung von Diagnosen. Zweck ist die Erleichterung von Diagnose und Heilung. Als nationales Klassifikationssystem kann es kompromissloser unter Auslassung von Ergänzungen speziellere und exaktere diagnostische Kriterien aufstellen. Interessant für die Forschung. Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede. [WIKIPEDIA, DSMV-IV-R, s. Anhang Nr. 10]
EEG
Elektroenzephalogramm, Aufzeichnung des Verlaufs der Hirnaktionsströme [AHLHEIM (1979): 230]
Exekutivfunktion
Bezieht sich auf jene kognitiven Prozesse, die zielgerichtete Aktivitäten und den Ablauf komplexerer Handlungen planen und orchestrieren und die Aufmerksamkeitsressourcen zwischen mehreren gleichzeitigen Aktivitäten oder Aufgaben koordinieren. [ADD-ONLINE, s. Anhang Nr. 80]
Freie Radikale
Freie Radikale sind kurzlebige, aggressive, sauerstoffhaltige Verbin- dungen. Sie haben ein freies Elektron und sind daher sehr reaktionsfreudig. Sie entreißen anderen Verbindungen ein Elektron oder geben eines ab, wodurch Kettenreaktionen ausgelöst werden und neue Radikale entstehen. Bestimmte Vorgänge in den Zellen können dadurch gestört und Substanzen, Zellmembranen und die Zellkerne geschädigt werden.
Dies kann die Entstehung von Tumoren, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, rheumatischen Erkrankungen, Augenerkrankungen etc. fördern. Auch auf den Alterungsprozess im Gehirn haben die freien Radikale Einfluss. [BAD HEILBRUNNER, s. Anhang Nr. 81]
Homocysteinspiegel
Risikofaktor für Arteriosklerose, Schlaganfall und andere gefährliche Erkrankungen. Homocystein ist eine schwefelhaltige Aminosäure mit essentieller Rolle im Eiweißstoffwechsel. Ähnlich wie Cholesterin wirkt es gefäßschädigend. [DEAM, s. Anhang Nr. 82]
ICD-10
„Die "Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" (ICD-10) wurde von der Welt- gesundheitsorganisation (WHO) erstellt und im Auftrag des Bundes- ministeriums für Gesundheit vom DIMDI ins Deutsche übertragen und herausgegeben. Die Abkürzung ICD steht für "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems", die Ziffer 10 bezeichnet die 10. Revision der Klassifikation. Die ICD-10 ist Teil der Familie der internationalen gesundheitsrelevanten Klassifikationen.In der Bundesrepublik Deutschland gibt es für die ICD-10 zwei wesentliche Einsatzbereiche:1. Verschlüsselung von Todesursachen: ICD-10-WHO 2. Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung:ICD-10-GM“ Schwerpunkt liegt intensiv auf interkultureller Perspektive und Anwendbarkeit gerade in den Ländern der Dritten Welt. [DIMDI, ICD-10, s. Anhang 1]
Inzidenz
Lateinisch, incidere - einfallen; Englisch, incidence - Häufigkeit, Verbreitung: Die Inzidenz ist eine epidemiologische Maßzahl und dadurch Fachausdruck aus der medizinischen Statistik. Sie gibt die Anzahl der Neuerkrankungen an einer bestimmten Krankheit und ist in einer Bevölkerungsgruppe eine definierter Größe, (häufig pro 100.000 Einwohnern, was explizit besagt, dass im Grunde die Inzidenzrate gemeint ist), über einen gewissen Zeitraum (normalerweise in einem Jahr) an. [DOC CHECK FLEXIKON, s. Anhang 83]
Theorie
Griechisch θεωρείν theorein: beobachten, betrachten, (an)schauen; θεωρία theoría: das Anschauen, Überlegung, Erkenntnis, die wissenschaftliche Betrachtung; wörtlich: „die Schau des Göttlichen“, theos; die Betrachtung oder Wahrnehmung des Schönen als moralische Kategorie. Ursprünglich die Betrachtung der Wahrheit durch reines Denken, unabhängig von ihrer Realisierung. [ WIKIPEDIA, Theorie, s. Anhang Nr. 39]
1. Allgemein: Systematisches, nach bestimmten Prinzipien geordnetes Beobachten und Erklären der Realität. T. schafft Erkenntnisse, die als Instrument zur Ordnung und Bewältigung des Alltags (Praxis) eingesetzt werden können.
2. Speziell: 1. reine T., die auf keine Zwecke außerhalb des bloßen Erkennens gerichtet ist (ugs. auch abwertend gemeint) 2. wissenschaftliches Aussagensystem, das (z.B. aufgrund empirischer Befunde) in der Lage ist, das Eintreten von Ereignissen (mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit) vorauszusagen [BUNDESZENTRALE für politische Bildung/bpb.de, s. Anhang Nr. 39]
Prävalenz
Als Prävalenz bezeichnet man die Häufigkeit einer Krankheit oder eines Symptoms in einer Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Nach dem Zeitabschnitt, auf den sich die Prävalenz bezieht, kann man weiter unterscheiden in Periodenprävalenz, die in einem bestimmten Zeitraum (z.B. 1 Jahr) oder als Lebenszeitprävalenz auf die gesamte Lebenszeit bezogen ist. Die Punktprävalenz gilt zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. an einem bestimmten Stichtag) Der Vergleich der Punktprävalenz zu verschiedenen Zeitpunkten eignet sich besser zur Beurteilung der epidemiologischen Dynamik einer Erkrankung als die Periodenprävalenz. [DOC CHECK FLEXIKON, s. Anhang 84]
Radikaler Konstruktivismus
Erkenntnistheoretische Auffassung, die die Möglichkeit der Erkenntnis objektiver Wirklichkeit und Wahrheit leugnet - vielmehr davon ausgeht, daß „Wirklichkeit“ nicht an sich existiert, sondern nur von den einzelnen Menschen (= Gehirnen) als je subjektive „Konstruktion“ der sozialen Welt produziert wird. Alle Aussagen über die Wirklichkeit sind nur als Hypothesen aufzufassen. [WIKIPEDIA, s. Anhang Nr 40]
Zirkadian
Tagesrhythmisch; Latein: circa - ringsum, umher; dies - Tag; Englisch: circadian [DocCheck Flexikon, Anhang Nr. 41] Sprache und Kommunikation
2 Sprache und Kommunikation
"Des Menschen Geist wohnt in den Ohren: Wenn er etwas Gutes höret, so erfüllt er den Leib mit Wohlgefallen; höret er aber das Gegenteil, so brauset er auf." - Xerxes I., überliefert von Herodot, Historien
Sprache ist Beziehung! Kommunizieren heißt in Aktion sein! Dank Sprache und Kommunikation entwickeln und gestalten wir Menschen unsere Realität. Nach Niklas Luhmann können sich unsere sozialen Systeme kraft kontinuierlicher Kommunikation formen. Sprache ist ein umfassendes Instrument der Kommunikation.
Sprache ist eine schöpferische Kombination aus Kognition, Motorik, Wahrnehmung, Kommunikation, Fachkompetenz, Emotion und Beziehungsaspekt. Funktionell intakte Sinnesorgane und Angebot bedingen die qualitative und quantitative Sprachaufnahme, während die Verarbeitung auf physiologische Hirnfunktionen, Wort- und Satzspeicher, Wortfindung und Grammatik basieren und davon profitieren. Wir teilen uns mit, bewusst oder unbewusst, tauschen uns aus, interagieren aktiv oder passiv (Kommunikation ↔ Interaktion).
Wir können nicht nicht kommunizieren oder uns nicht nicht verhalten, wie Paul Watzlawick in seiner Originalausgabe von 1967: „Pragmatics of Human Communication“ geschrieben hat.
Kommunikation ist eine wundersame Erscheinung und bleibt dennoch etwas Selbstverständliches, solange sie gelingt. Tauchen Probleme auf, wird schließlich hinterfragt und nach Gesetzmäßigkeiten, Modellen und Grundsätzen gesucht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Verständigung
Quelle: Fokus online Wissen, Bild der Wissenschaft
So genial kommunizieren wie die beiden Gehirne in der Abbildung „Verständigung“ können wir Menschen nicht. Telepathie, auch Gedanken- übertragung genannt, ist noch ein Geheimnis.[Schäfer (2000): 5, 25; Kuratorium Deutsche Altershilfe (1993), Grond: 33; s. Anhang Nr. 26]
2.1 Begriffsklärung: Kommunikation und Interaktion
Der Begriff Kommunikation gehört im Übrigen zu den von einer Jury gewählten Wörtern des 20. Jahrhundert. Er leitet sich aus dem Lateinischen ab: communicare - sich besprechen. Menschliche Kommunikation ist untergliedert in intrapersonale (lat.: intra = adv. inwendig, innerhalb) Kommunikation (Denken, Selbstgespräch), interpersonale Kommunikation (zwischenmenschlicher Part) und Massenkommunikation (Fernsehen, Computer). Intra- und interpersonale Anteile sind eher als Vorstellungshilfe gedacht, da sie miteinander verknüpft sind. Wir kommunizieren und interagieren meist gleichzeitig. Sprache und Handeln bedingen sich einander und überlappen sich nicht nur begrifflich.
Der Begriff Interaktion setzt sich aus zwei lateinischen Wörtern zusammen: inter - zwischen, inmitten, unter und actio - 1. Handeln, äußere Tätigkeit, 2. Mündlicher Vortrag, Vortragsweise. Sie stehen in einem reziproken Verhältnis zueinander.[Schäfer (2000): 11ff; Pertsch, Lange-Kowal (1982): 13, 217, 220]
2.2 Fragen zum Kommunikationsprozess
Wodurch ist der Kommunikationsprozess gekennzeichnet ?
Was will der Sender mit seiner Botschaft erreichen und wie stellt er es an (z.B. Verständigung mit sprachlichen und gestischen Zeichen, Codierung)? Also welche Absicht (Intention) wird verfolgt und ist die Nachricht übermittelbar (Anwesenheit: geistig/ physisch / intellektuell/ technisch)? Werden verständliche Signale (Sprachlichkeit) verwendet und auf die richtige Art und Weise transferiert (zeichengebende, - produzierende Abläufe), um die gewünschte („soll“) Wirkung zu erzielen und was kommt tatsächlich von der gesendeten Information an („ist“, Decodierung) ?
Ist der Mitteilungsvorgang mit dem Absenden der Signale abgeschlossen oder schließt sich eine rückbezügliche mentale Prüfung an (Reflexivität, Reflexion) ?
Wie sieht es mit dem Widerhall, der Rückkoppelung aus? Gibt es ein Echo oder verhallt die Nachricht ins Leere? Dafür gibt es mehrere Gründe (beispielhaft):
- Die Wand steht für das Abblocken („dicht machen“), weil jemand nicht reagieren kann oder will.
- Taube Ohren schließen auf Unverständnis (Vier-Ohren-Modell) in diversen Bereichen oder auf Unvermögen (bei dementiellen Sprachstörungen, unklare Signale) zu verstehen und adäquat zu antworten.
- Ignoranz, wenn das Gesagte wie Wasser an dem anderen herunterläuft.
Wie senden Signale aus, um ein Feedback zu erhalten, um in Beziehung zu treten, wahrgenommen zu werden, zu spüren, wir sind wichtig und gehören dazu, werden akzeptiert und respektiert. Wir Menschen sind soziale Wesen und hoffen auf Zuwendung. Geschieht das nicht ausreichend, treten Störungen auf, manchmal sogar auf beiden Seiten. Frustration und Rückzug nach Innen sind dann vorprogrammiert mit unguten Folgen. Degenerative Prozesse beginnen und verschlimmern die Lage (Negativer Kreislauf).
Diese Fragen und Merkmale sollten berücksichtigt werden, um erfolgreich kommunizieren zu können und dienen der Evaluation solcher Prozesse. So entstehen Kreisläufe, die ständig vollzogen werden, wobei zu beachten ist, dass es sich um viele verschiedene Kreisläufe gleichzeitig handelt, die nebeneinander ablaufen in den einzelnen Sende- und Empfangsstationen (menschlichen Sinne), sowie die kunstvolle zerebrale Verarbeitung. Kommunikation ist ein hochenergetischer und komplexer Vorgang in einem Netzwerk mit geistigen, seelischen, physischen und manchmal technischen Komponenten. [Schäfer,(2000): 11ff ]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Eigenheiten von Kommunikation anhand von sechs Kriterien
(Klaus Merten, Kommunikationswissenschaftler, siebziger Jahre)
Quelle: SCHÄFER (2000): 11, Petra Schremmer (design)
2.3 Biologischer Blickwinkel
Das menschliche Gehirn (lat. Cerebrum) ist anatomisch gegliedert in Stammhirn, Zwischenhirn, Kleinhirn und Großhirn. Das Cerebrum ist unsere Schaltzentrale. Es soll alle Sinneseindrücke sammeln und verarbeiten und unsere Körper- und Organfunktionen regeln und abstimmen. Dazu benutzt (kommuniziert) und benötigt es rund eine Milliarde Gehirnnervenzellen, die Neuronen. Sie produzieren Gehirnströme, die im EEG abzuleiten und messbar sind.
Die Hirngröße steht in reziprokem Verhältnis zu den Aufgaben und dem erforderlichen Energiebedarf. Nur 2% der Körpermasse beanspruchen 20% des gesamten Energiehaushaltes. Das Gehirn ist in zwei Hemisphären unterteilt. In die linke und rechte Gehirnhälfte.
2.3.1 Stammhirn
Das Stammhirn (lat. truncus cerebri), auch Reptiliengehirn genannt, hat den längsten Entwicklungsprozess durchlaufen und ist nicht lernfähig. Es sichert die lebenswichtigen Funktionen (Atmung, Herzschlag, Blutdruck), wichtige Reflexe und operiert als Schnittstelle zwischen dem Rückenmark und den übrigen Gehirnabschnitten.
In der Pyramidenkreuzung (lat. Decussatio pyramidum), am Übergang zwischen Stammhirn und Rückenmark, kreuzen 70 bis 90 Prozent der Neuriten. So werden eintreffende Informationen seitenverkehrt an das Gehirn weitergeleitet. Ein Schlaganfall führt durch die Pyramidenkreuzung zu Lähmungen (lat. Parese) in der entgegengesetzten Körperseite (gr. Hemiplegie = Halbseitenlähmung).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 Anatomie des Gehirns 1
Quelle: Dr. med. K. Larisch, netdoktor.de, Anhang Nr. 27
2.3.2 Zwischenhirn
Im Anschluss liegt das Zwischenhirn mit Thalamus und Hypothalamus und angegliederter Hypophyse. Der Thalamus schützt das Gehirn vor einer Reizüberflutung. Er ist die Sicherung, der Filter und Schaltstelle für Informationen an die Sinnesorgane. Der Hypothalamus lenkt diverse Lebensvorgänge (z.B. Schlaf-Wach-Rhythmus, Schmerz- und Temperaturempfinden) und ist nicht nur nerval, sondern auch hormonell steuerbar. Er steht in direkter Verbindung mit der Hypophyse und ist ein Vermittler zwischen dem Hormon- und Nervensystem.
2.3.3 Kleinhirn
Das walnussgroße Kleinhirn (lat. Cerebellum) ist Koordinator vieler Körperfunktionen wie Bewegung, Gleichgewicht und Spracherwerb. Es hat ein eigenes Gedächtnis für Bewegungsabläufe, die dann automatisch erfolgen.
2.3.4 Großhirn
Das Großhirn bildet den höchst entwickelten Hauptteil (80%) des Gehirns. Seine zwei bis vier Millimeter dicke Großhirnrinde (Neokortex) ist so aufgefaltet, dass sich die Oberfläche vervielfacht. Die Neokortex (graue Substanz) besteht aus Milliarden von Nervenzellen. Zu verschiedenen Regionen gehören bestimmte Leistungen:
- Gedanken- und Antriebsfelder → Denken und Erinnern
- Sensorischen Felder → Verarbeiten von Sinneseindrücken
- Motorischen Felder → Koordination von Bewegung
In einer Myelinscheide (weiß) liegende Nervenzellfortsätze ziehen aus der Kortex in das Innere (Weiße Substanz). Die zwei Hemisphären werden durch den Balken miteinander (eng) verbunden. Die Funktionszentren sind symmetrisch in jeder Hemisphäre angelegt, bis auf einige Ausnahmen, wie das Sprachzentrum. Diese sind allerdings individuell in der linken oder rechten Hemisphäre veranlagt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 Anatomie des Gehirns 2
Quelle: Dr. med. K. Larisch, netdoktor.de, Anhang Nr. 28
2.3.5 Sprachbildung und Sprachverstehen
Sprachbildung und Sprachverstehen sind komplizierte Abläufe, die entsprechend Raum in der Kortex einnehmen. Eine Störung im Wernicke- Areal bewirkt ein Problem der Dekodierung von Sprache. Der Betroffene hört, aber versteht kaum etwas. Er selbst verfällt in eine Logorrhoe (Rededurchfall). Ist das Broca-Areal betroffen, versteht derjenige zwar, aber sein Defizit liegt darin Wörter (Findung) und Sätze zu konstruieren. Neue Forschungsergebnisse besagen, dass neben diesen beiden Spracharealen noch etliche andere Rindenfelder bei dem Prozess der Sprachrezeption und Reproduktion mit einbezogen sind. Im Alter nehmen zentrale Sprachstörungen zu (z.B. bei den Krankheitsbildern Apoplex, Ischämien, Demenz u.a.).
2.3.6 Hörzentrum
Im Hörzentrum gibt es einen „Türsteher“, der nicht ungefiltert alle Reize durchlässt. Ein „Ordner“ trennt nach bekannten und fremden Stimuli. Fremde Geräusche werden untersucht, nebenbei wird ein Gesprächs- partner fokussiert.
2.3.7 Sehzentrum
Das Sehzentrum „puzzelt“ aus den optischen Reizen ein Bild. Eine Schädigung führt zur Seelenblindheit (visuelle Agnosie), weil die Reizverarbeitung gestört ist. Die Betroffenen können sehen, aber Gesichter und Dinge nicht mehr zu- und einordnen. Das Gesichtsfeld kann (partiell) eingeschränkt sein. Sind beide Hirnhälften betroffen, bleibt lediglich ein Hell-/Dunkelsehen erhalten mit wahrnehmbaren Bewegungsreizen.
2.3.8 Schluckfunktion
An dem komplizierten Vorgang des Schluckens sind 50 Muskeln beteiligt.
Unter Schluckstörungen (Dysphagien) leidet jeder zweite Schlaganfall- patient. Bei 25% der Betroffenen sind die Probleme dauerhaft (Lähmungen, gestörter Schluckreflex, kein Hustenreflex, Störung des Geruchs- und Geschmacksempfinden, Schluckunfähigkeit, psychische Komponente, z.B. Scham). Es können ursächlich verschiedene Hirnzentren defekt sein.
2.3.9 Limbisches System
Das Limbisches System ist eng verbunden mit allen Gehirnarealen. Es durchzieht die Bereiche (Mittel-, Zwischen, Großhirn) wie einen Saum (lat. limbus). Es gehört entwicklungsgeschichtlich zu den älteren Kernen und Rindenfeldern und stellt eine funktionelle Verknüpfung dar. Das Limbische System (Mandelkern = lat. Amygdala) ist an Affekten und Emotionen beteiligt (Verarbeitung), an Lernprozessen, Durchwirken der Wahrnehmung und Gedanken mit Gefühlen, lenkt unsere Aufmerksamkeit und unser Interesse. Ein anderer Teil, der Hippocampus, regelt Kurz- und Langzeitgedächtnis und enthält den Orientierungssinn.
Insgesamt gibt es eine Verbindung zum Autonomen (Vegatativen) Nervensystem. Es steuert die unbewusste glatte Muskulatur (Eingeweide) wie den Solarplexus (Sonnengeflecht), Atmung, Kreislauf, Nahrungs- aufnahme, Verdauung, Sexualität, Flucht, Verteidigung und Angriff. Über das Stammhirn hat das Limbische System Einfluss auf die Hypophyse und damit auf die hormonelle Übertragung von Emotionen in körperliche Empfindungen. Wenn die Hippocampi auf beiden Hirnhälften schadhaft sind, kann der Betroffene sich keine neuen Mitteilungen merken (anterograde Amnesie).
2.4 Gehirnspezifische Kommunikation
Kommunikationsprozesse, ebenso Anleitungs- und Beratungsgespräche, verlaufen einerseits simultan und andererseits zu je unterschiedlichen Teilen auf verschiedenen Plateaus. Für den Menschen sind die beiden
Gehirnhälften gleichbedeutend mit zwei Denkweisen. Der amerikanischen Neurobiologen Roger Sperry (1913-1994) entdeckte in den 60er Jahren unterschiedliche Funktionen der beiden Gehirnhälften, als er den Balken (Verbindungsnervenstrang der Hemisphären) bei Epilepsiepatienten trennte. Er milderte so die Anfälle, aber erkannte Lücken in der Denkfähigkeit. Ihm wurde 1981 der Nobelpreis für Medizin verliehen für seine Hemisphärentheorie.
2.4.1 Denken in Hemisphären
Links „akademisch“ und rechts „sentimental“!
Watzlawick benutzte für die beiden Portale die Wortbedeutungen „linkshemisphärisch“ und „rechtshemisphärisch“. Er wusste um die ganz andersartigen Informationsverarbeitungsabläufe. In der Regel werden die beiden Gehirnhälften zu verschiedenen mentalen Aktivitäten verwendet: Die linke, meist dominante Hemisphäre, steht für digitales Denken, ist an erster Stelle für logische und analytische Gedankengänge und sprachliche Fähigkeiten ausschlaggebend. Die rechte Hemisphäre jedoch steht für analoges Denken, ist für anschauliche (Gesichter erkennen), gestalterische (Kreativität) Bilder und Betrachtungen, Musikalität, emotionale (gering zensierte) Assoziationen und für räumliches Vorstellungsvermögen zuständig. Das versteht sich als holistische Denkweise inklusive einheitlichem Begreifen. Es stehen sich formalabstrakte Pläne und konkret-schöpferische Prozesse (Bilder, Metaphern, „Gestalten“) gegenüber.
Deshalb scheitern wir auch, wenn wir versuchen nicht an einen rosa Elefanten zu denken. Das können wir nicht. Ebenso ist es schwierig, wenn wir im Alltag mit solchen Formulierungen arbeiten: „Du sollst nicht immer die Haustüre zuschlagen!“ Das Gehirn versteht „Haustüre zuschlagen!“ Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn sich das unerwünschte Verhalten eben nicht ändert, sondern beibehalten wird. Es liegt sozusagen in unserer Natur. Besser sind positive Formulierungen an denen sich das Gehirn in seiner Informationsverarbeitung sinnvoll orientieren kann: „Schließe die Haustüre bitte leise!“ Wie wir sehen, helfen Vorwürfe wenig weiter, sondern eher konstruktive positive Ansagen. Das spielt auch bei jeglichen Zielformulierungen eine entscheidende Rolle. Nicht nur im Alltag, sondern gerade im beruflichen Umfeld im Umgang mit Kollegen oder Klienten. In der Pflegeplanung ist das beispielsweise wichtig, um die praktische Umsetzung zu fördern.
Die linke Seite ist verantwortlich für psychosoziale, leistungsorientierte Normen und sekundäre „Tugenden“ (Fähigkeiten und innere Haltung) wie Höflichkeit, Ehrlichkeit, Fleiß, Treue, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Ordnung, Genauigkeit, Leistung und Sparsamkeit.
Die rechte Seite ist geprägt von gefühlsmäßig ausgerichteten primären „Tugenden“ wie Glaube, Vertrauen, Hoffnung, Kontakt, Liebe, Geduld, Vorbild und als Ort von Intuition nebst Fantasie. In der zwischenmenschlichen Kommunikation werden also auch immer Wertesysteme berührt und schwingen im interaktiven Prozess mit. Wenn im menschlichen Miteinander (Beziehungsdynamik) um die Lebensgestaltung und -bewältigung die Vernunft und Rationalität an ihre Grenzen stoßen, sind Intuition und Fantasie willkommene Helfer und Ratgeber.
2.4.2 Archaisches Denken
Interaktionen werden nicht ausschließlich durch Denkoperationen der Kortex gelenkt. In angespannten, feindseligen Situationen, in denen eine emotional explosive Stimmung herrscht, ist die Beziehung zwischen zwei Menschen gestört, sozusagen „vergiftet“. Diese „Vergiftung“ oder „gestörte Chemie“ verursacht einen „psychologischen Nebel“ im Kopf der Betroffenen, sodass sie nicht mehr klar denken können. Verantwortlich dafür ist die Formatio reticularis (Netzartige Formation als Überzug über das Stammhirn), unser Reptiliengehirn.
Dieser älteste Teil unseres Gehirns ist verknüpft mit den hypothalamischen Kernen und dem limbischen System. Das erklärt die affektive Färbung unserer Sinneseindrücke und die hormonelle Reaktion (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) unseres Körpers auf die Stressoren von Interaktionen.
Vera Birkenbihl (geb. 26.04.1946; deutsche Managementtrainerin und Sachbuchautorin) spricht von der Wandlung des homo sapiens in den hoRmo sapiens! Der Angriff auf die Person, auf das Selbstwertgefühl wird als Kampfansage gewertet ähnlich einer physischen Bedrohung. Ein Schalter „klickt“ im Kopf und der Operationsmodus schaltet auf den binären Code „Flucht oder Kampf“ des Reptiliengehirns um. Die Blutreserven im Körper werden zu diesem Zweck umverteilt. Das geht auf Kosten der höheren Denkprozesse. Die zerebrale Unterversorgung mit Blut (Sauerstoff, Glucose, Calcium) führt zu Gesichtsfeldeinschränkungen, Sehstörungen und muskulärer Anspannung (Zittern, Nackensteifigkeit).
Der entstandene psychologische Nebel verhindert eine Auseinandersetzung auf der Sach-, oder Inhaltsebene. Die Beziehung muss geklärt werden.
2.4.3 „Klimatische“ Störungen
Hier schließt sich sinngerecht das Theorem der Psychoanalytikerin und Begründerin der Themenzentrierten Interaktion (TZI) Ruth C. Cohns (geb.1912) an: „Störungen haben Vorrang.“
Bevor auf der Sachebene weiter gearbeitet und kommuniziert werden kann, ist es notwendig sich der gestörten Beziehung zu widmen und eine Klärung herbeizuführen. Wenn möglich ist räumliche und/oder zeitliche Distanz, eine Zäsur hilfreich und eine gute Methode die Gemüter zu beruhigen. Auch ein inhaltlicher Themenwechsel auf ein unverfängliches Thema kann weiterhelfen den inneren chemischen Cocktail abzubauen. Abstand und/oder Klärung sind erforderlich, um sachlich weiter kommunizieren zu können.
TZI selbst ist eine Methode zur Arbeit mit Gruppen (Lehren, soziales Lernen, persönliche Entwicklung).
R.C. Cohn geht von dem Interaktions-Dreieck ..
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Daraus erschließen sich konkludent drei Ebenen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5 Interaktions-Dreieck, Ebenen, Umgebungs-Kombination
R.C. Cohn entwarf - stark verkürzt dargestellt - drei Axiome:
1. Autonomie
2. Wertschätzung
3. Grenzen erweitern
2.4.4 Empathisches Denken
Der Neurophysiologe Prof. Dr. Giacomo Rizzolatti, (geb. 28.04.1937) äußerte sich wie folgt: „Auch mein Team und ich stoßen hier, ähnlich wie Einstein, in neue Dimensionen vor. Schließlich finden immer noch einige der größten Geheimnisse in unserem eigenen Kopf statt, nicht wahr?“
2.4.4.1 Spiegelneurone
„Das „Geheimnis“, dem Giacomo Rizzolatti und sein Team 1992 auf die Spur gekommen sind, gilt in der wissenschaftlichen Welt seit einigen Jahren als eine der größten Entdeckungen der Hirnforschung. Die Forscher fanden in der prämotorischen Kortex von Affen Neuronen, die bereits bei der reinen Beobachtung einer Tätigkeit, so feuern, als ob sie diese Aktion selber ausführen würden. Dabei vollführen die, von den italienischen Forschern „Spiegelneurone“ genannten motorischen Nervenzellen, keinerlei „motorische Reaktion“. Das heißt, während der Affe sieht, wie ein anderer Affe eine Erdnuss nimmt und verzehrt, „spielt“ er im inneren diese Situation nach, er spiegelt das motorische Verhalten seines Artgenossen und zeigt damit, dass er es „nachvollziehen kann“. [INFONAUTIK, s. Anhang Nr. 48]
Der Diskurs den Nachweis im Menschen zu finden führte 1995 zu einem erfolgreichen ersten PET-Experiment (Positronen - Emmissions - Tomo- graph). Der Beweis für Aktivität in der motorischen Kortex lag nun vor. Zu aller Überraschung im Broca-Zentrum! Bisher wurden motorische Funktionen voreilig und nicht ganz vorurteilsfrei als niedrige Hirnfunktionen eingestuft, während die kognitiven als höhere Funktionen aufgewertet wurden.
2.4.4.2 Wahrnehmung, Motorik, Kognition
Wie sind Wahrnehmung, Motorik und Kognition miteinander verbunden?
Die Menschen „mappen“ (beobachtend „kartografieren“) alles in ihr motorisches System. Natürlich nutzen sie auch ihr propriozeptives System (Eigenwahrnehmung, Tiefen-sensibilität: Wahrnehmung von Gelenk- positionen, Bewegungen am Körper über Gelenkrezeptoren und Muskelspindeln = kinästhetisches System; Über das Rückenmark Weitergabe an Hirnstamm, Kleinhirn, Kortex) sehr oft. Die Kognition liegt nicht auf einem getrennten sensorischen und motorischen System in magisch verklärter Unwirklichkeit, sondern sie entsteht aus dem „Mappen“ des sensorischen Systems in Aktion! Assoziationen vollziehen sich, indem Informationen schlicht auf das motorische System gelegt werden! Eine simple Basis! Im Grundsatz kollidieren Wahrnehmung, motorische Aktion und Kognition als identische Neuronenverbände in einem Punkt!
2.4.4.3 Motorische und emotionale Intelligenz
Rizzolatti stimmt zu, dass es neben der kognitiven und emotionalen Intelligenz auch eine motorische Intelligenz gibt. Nach seinem Verständnis ist sie außerdem eine Fähigkeit. Die Besonderheit liegt im Begreifen, was die anderen tun. Das funktioniert nur durch Hineinversetzen in den Anderen, d. h. wir lassen uns auf ihn ein. Daraus folgt: Die Motorische Intelligenz ist eine soziale Intelligenz!
Darum sind wir so gut im Verstehen dessen, was die anderen tun! Wir können fantastischerweise vorhersehen, was der andere im nächsten Augenblick tun wird. Soweit zur Vorhersage von Bewegungen und Handlungen.
Wie sieht es mit Emotionen aus? „E-Motion“? „E“ gleich „aus, heraus“ und „Motion“ gleich „Bewegung“. Ich kann durch meine innere Bewegtheit auch äußerlich bewegt erscheinen. Gibt es hier einen ähnlichen Mechanismus zur Erfassung von Emotionen bei Anderen, frage ich mich. Rizzolatti verrät uns unser nächstes fantastisches Spiegelsystem der anderen Art: Das Gehirn habe eine deutliche Verbindung hinab zum Broca-Gebiet für die Sprache. Doch es gebe auch einen Weg abwärts zur Amygdala, dem Mandelkern des Limbischen Systems, speziell zur Insel. Es sei bewiesen, dass eklige Bilder dasselbe „Feuern“ auslösen könne, wie das Betrachten von Gesichtern mit emotionalem mimischen Ekelreaktionen. Wir könnten aber nur spiegeln, was auch zu unserem eigenen motorischen Programm gehört, wie zum Beispiel das Zubeißen, nicht aber das Bellen eines Hundes! [INFONAUTIK, s. Anhang Nr. 48]
2.4.4.4 Resümee
Empathisches Denken ist also kein zufällig gewählter Begriff. Wir verbinden ad hoc damit Synonyma wie Einfühlungsvermögen oder Mitgefühl. Aber Denken i. V. m. Empathie klingt zunächst ungewöhnlich. Doch nun wissen wir wie das empathische Denken funktioniert. Wir können Verhalten und Gefühlsreaktionen von anderen in unserem Gehirn an mehreren verschiedenen Stellen spiegeln und sie wahrnehmen, fast wie selber erlebt oder getan. Das hilft uns in der Lebensbewältigung und in unserem sozialen Umfeld zurecht zu kommen. Empathisches Denken gehört zum Spektrum der sozialen Kompetenz. Sie ist eine Schlüsselqualifikation oder soft skill. Unsere berufliche Fachkompetenz fällt unter den Begriff hard skills. Nur in der Kombination von hard skills mit soft skills (wobei das empathische Denken nur eine von Vielen ist) entsteht eine sozial verträgliche und effektive Arbeitsweise. Allerdings sind soft skills arbeitgeberfreundlich eingefärbt. Werden soft skills mit Tugenden verglichen, zeigt sich, dass untern„skills“ mehr Fähigkeiten und Fertigkeiten und unter „Tugenden“ eher Eigenschaften und Haltungen zu verstehen sind.
2.5 Kommunikationsmodelle und Wahrnehmung
Der Mensch - Lebewesen im Allgemeinen - bedürfen der unmittelbar sinnlichen Übertragung von Botschaften (Informationen). Die Datenmenge, die sensorisch aufgenommen werden kann ist verschieden. (Ein Bit = "binary digit" = kleinste mögliche Informationseinheit nach dem USMathematiker Claude Elwood Shannon, geb. 30.04.1916):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 41 C. E. Shannon
Quelle: futureZone ORF.at
C. E. Shannon starb am 24. Februar 2001 im Alter von 84 Jahren an der Alzheimerschen Krankheit
2.5.1 Kapazitäten der Wahrnehmung
Die Kapazitäten der Wahrnehmung bestimmen sich durch die Sinnesorgane als Wahrnehmungs- oder Lernkanäle (visuell, kinästhetisch/taktil, auditiv, olfaktorisch, gustatorisch) und der Geschwindigkeit des Informationsflusses zum Wahrnehmungsspeicher.
1. Auge → 10 000 000 Bits/s
2. Haut → 1 000 000 Bits/s
3. Ohr, Geruch → 100 000 Bits/s
4. Geschmack → 1 000 Bits/s
Diesbezüglich steht die akustische Wahrnehmung allerdings erst an dritter Stelle gemeinsam mit dem Geruch! Der Sender/Empfänger (Wechselseitige, kooperative Kommunikation) reagiert ferner auf parasprachliche Signale wie Stimmlage, Sprechrhythmus oder Räuspern. Nicht zuletzt gehört eine ganzheitliche Wahrnehmung (Körperhaltung, Blick, Geruch) des Gesprächspartners dazu. Ein Beispiel: „Ich kann ihn/sie nicht riechen.“ oder „Bei uns stimmt die Chemie nicht.“
Gleichsam dreiteilt Watzlawick die Kommunikation in Worte, paralinguistische Phänomene wie Tonfall, schnelle oder langsame Sprechweise, Unterbrechungen, Lachen oder Seufzen, und Körpersprache.
Der Geruchsinn ist sehr eindringlich und anders als die übrigen Sinne mit einem Schutzmechanismus versehen. Nach einer gewissen Zeitspanne lässt er nach. Wir sind den Reizen nicht permanent ausgesetzt wie bei Geräuschen. An letzter Stelle steht der Geschmack mit der geringsten Übertragungsquote. Geruch und Geschmack sind miteinander verbunden, wie jeder weiß, der einmal einen Schnupfen hatte. Nicht umsonst sprechen auch wir im übertragenen Sinne von einem guten oder schlechten Geschmack oder erinnern den Werbeslogan „Nur Küsse schmecken besser!“
Präsenter und vordergründiger im Kommunikationsprozess ist die optische Wahrnehmung: welche Mimik, Gestik verwendet mein Gegenüber, ist er mir zu- oder abgewandt? usw. Diese Informationen stehen uns wesentlich schneller zur Verfügung, oft noch bevor ein Wort gesprochen wurde. Ähnlich verhält es sich mit dem Tastsinn, der durch Berührungen im Umgang miteinander zur Wirkung kommt. Der Händedruck zur Begrüßung entscheidet häufig schon, ob uns der andere Mensch willkommen ist oder nicht. Eine Berührung kann mehr sagen und vermitteln als viele Worte, weil sie unvermittelter und ursprünglicher ist als Sprache. Bekannt ist die Redensart: „Das ging mir unter die Haut.“ oder „Ich war sehr berührt.“ Hierbei spielt das Limbische System im Gehirn eine entscheidende Rolle. Visuelle und kinästhetisch/taktile Kommunikation sind also quantitativ besehen intensiver als verbale Verständigung. Der demente Mensch versteht nonverbale Körpersprache (nach Prof. Dr. Erich Grond) sogar noch nach seinem klinischen Tod, da Berührungen im Reptiliengehirn (Stammhirn) verankert sind und weit mehr taktil wahrgenommen werden als über andere Sinnesorgane [Kuratorium Deutsche Altershilfe (1993), Grond: 32]. Hieraus wird ersichtlich wie verbale und nonverbale Kommunikationsanteile zusammenspielen und zusammengehören.
2.5.2 Merkfähigkeit
Ableiten lässt sich hier übrigens die menschliche Merkfähigkeit!
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6 Menschliche Merkfähigkeit
Quelle: REBEL (2001): 11
2.5.3 Struktur der Wahrnehmung
Die Struktur der Wahrnehmung ergibt sich aus den sie beeinflussenden Faktoren:
- biophysiologische Faktoren (Entwicklung, Alter, Körperfunktionen, neurologische Einflussfaktoren, Sinnesorgane: Sprechorgane, zerebrales Sprachzentrum)
- konstruktive Wahrnehmungsleistungen (komplexe Reizverarbeitung: Farbsehen, räumliches Sehen und Hören, Gestaltwahrnehmung)
- soziale Wahrnehmung, die geprägt wird durch persönliche und kulturelle Einflüsse (Biografie, Sprachkulturen, Sitten, Sozialnetz, Beziehungsnetz, personelle Einflussfaktoren, Teilhabe oder Ausgrenzung, Normen, Werte, Bedürfnisse, Interessen und Vorurteile)
- Umgebungsfaktoren als geografische Einflüsse, institutionelle Einflussfaktoren, Sprachgrenzen oder die technische Welt der Kommunikationssysteme: Hilfsmittel, EDV [Höwler (2007): 37-47, Rebel (2001): 10f]
2.5.4 Nachrichtenübermittlung
Die Übermittlung der Nachrichten (verbal/ nonverbal) geschieht über ein Medium (Kanal) auf direkte (Luft) oder indirekte Weise (technisches Gerät, z. B. Computer, Telefon). Daneben lässt sich Kommunikation in einen bilateralen (wechselseitigen) und einseitigen, nicht kooperativen Typus (Radiosendung) aufspalten.
2.5.4.1 Kommunikationsmodell Shannon/Weaver
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7 Informationstechnisches Kommunikationsmodell nach Shannon/ Weaver 1949
Quelle: Schäfer (1997): 17
Im zwischenmenschlichen Austausch ist die innere Handlung (geistig, seelisch) die Quelle, die durch den Sender in einer äußeren Handlung, nämlich Sprechen und Verhalten (digitale und analoge Signale), zu einem Empfänger (Wahrnehmung) weitergeleitet wird. Ziel und Zweck ist die Verständigung (Verstehen, Reagieren). Der Informationsfluss führt somit auch zur Beeinflussung. Das kann positive (Hilfegespräch, Seelsorge, Unterstützung des Genesungsprozesses, Beratung, Feedback) oder negative (Manipulation, Mobbing, Werbung, Propaganda) Konsequenzen nach sich ziehen.
2.5.4.2 Kommunikationsmodell Schulz von Thun
Friedemann Schulz von Thun (geb. 06.08.1946) hat in seinem Buch „Miteinander reden - Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung“, (Differenzielle Psychologie der Kommunikation) das Modellstück der zwischenmenschlichen Kommunikation entwickelt:
Die vier Seiten einer Nachricht
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8 Modell der Vier-Seiten-Nachricht
Quelle: Schulz von Thun (1993): 14
- Sachaspekt
Klarer, verständlicher Sachverhalt:
1. Einfach
2. Kurz/ Prägnant
3. Geordnet
4. Stimulierend
- Beziehungsaspekt
Art und Weise meiner Kommunikation zum Mitmenschen:
1. Wie spreche ich?
2. Wie trete ich auf?
3. Wie verhalte ich mich?
4. Was bringe ich zum Ausdruck?
5. Was halte ich vom Anderen?
- Selbstoffenbarungsaspekt
Kleines Persönlichkeitsmuster:
1. Ich äußere mich, d.h. ich gebe etwas aus meinem Inneren nach Außen preis.
2. Fassadenhaftigkeit hat einen hohen Preis, macht einsam und unglücklich. Reinhard und Anne-Marie Tausch empfehlen die Selbstoffenbarung (Authentizität) in ihrem Buch „Wege zu uns und anderen“.
- Appellaspekt
Aufforderungscharakter (implizit und/ oder explizit):
1. Die Kehrseite der Selbstoffenbarung ist die Intention, etwas bewirken zu wollen. Das kann versteckt, selbstsüchtig sein oder offen und direkt.
2. Sehe ich im Empfänger einen Mitspieler oder eine Schachfigur?
Das war die Anatomie einer gesendeten Nachricht. Die Medaille hat freilich zwei Seiten! Hier sind die vier wahrnehmenden Ohren des Empfängers:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9 Vier-Ohr-Empfänger
Quelle: Schulz von Thun (1993): 45, Petra Schremmer (design)
Jeder Empfänger präferiert eine anderes Ohr und schaltet an/aus oder laut/leise. Das geschieht meist unbewusst. Die Gefahr von Missverständissen ist groß. So reden wir aneinander vorbei oder geraten in Konflikte. [Schulz von Thun (1993): 13ff, 44ff]
2.5.4.3 Gelingende Kommunikation als Ideal
Gelingende Kommunikation ist das Ideal, dem wir so nahe wie möglich kommen möchten. Die gute Absicht hilft nicht alleine. Ausschlaggebend sind gewisse Fähigkeiten auf diesem Gebiet. Wie können wir hinter die Kulissen schauen, wie den empathischen Röntgenblick einsetzen, um das Schnittmuster seelischer Prozesse und zwischenmenschlicher Verstrickungen lesen zu können?
Das Informationstechnische Kommunikationsmodell nach Shannon/ Weaver hat uns nüchtern gezeigt, dass Nachricht und Signal des Senders nicht identisch sein müssen mit der empfangenden Nachricht und den Signalen durch die Einwirkung von Störquellen. Enscheidend sind die Prozesse der Codierung und Decodierung. Friedemann Schulz von Thun öffnet die verborgenen Dimensionen der Kommunikation durch die Vergrößerung des Nachrichtenspektrums, sprich das Vier-Seiten-Modell und der komplementäre Vier-Ohr-Empfänger. Der nüchterne Sachverhalt ist nur die Spitze des psychisch/ kommunikativen Eisbergs mit seinen verborgenen Anteilen. D. h., der Hauptteil ist nicht jedem und zu jeder Zeit gleich zugänglich. Mit dem entsprechenden Wissen bietet sich die Chance abzutauchen, tiefer zu sehen und zusätzliche Erkenntnisse und Hinweise zu sammeln. Fehlerquellen sind hier ebenfalls möglich und sollten metakommunikativ, reflexiv bearbeitet werden. Das kann jeder für sich selbst und auch mit seinem Gesprächspartner tun. Eventuell ist Unterstützung von außen nötig (Beratung, Supervision, Team- besprechungen).
2.6 Kommunikationstheoretischer Blickwinkel
Mit der Auswahl der beiden kommunikationstheoretischen Ansätze möchte ich einen Einblick bieten, keinen umfassenden Überblick geben. Die Möglichkeit von zwei gegensätzlichen Positionen aus zu schauen, soll zur fruchtbaren Ergänzung führen in der Auseinandersetzung mit Kommunikation im engeren und weiteren Sinne.
2.6.1 Systemtheorie von Niklas Luhmann
Niklas Luhmann (1927-1998) kann als transdisziplinärer Wissenschaftler der Soziologe, Pädagogik, Rechts- und Verwaltungswissenschaft bezeichnet werden. Er begann 1969 seine eigene Gesellschafts- oder Systemtheorie zu entwickeln. Sie basiert auf der Evolution von Gesellschaft, die sich durch funktionale Ausdifferenzierung konstituiert und kann in drei Theorien unterteilt werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10 Systemtheorie von Niklas Luhmann
Qelle: Petra Schremmer (design)
Unter Evolution versteht Luhmann die Fähigkeit sozialer Systeme, beeinflusst durch ihr äußeres Umfeld (Umwelt = psychische Systeme und andere soziale Systeme = hohe Komplexität), eigene Strukturen verändern zu können mit systeminternen Operationen (Kommunikationen). Das hat den Zweck, Komplexität innerhalb der Systeme zu reduzieren und für Sicherheit zu sorgen. Mit funktionaler Ausdifferenzierung ist die neue Grenzziehung zur Umwelt gemeint oder auch die Bildung von Teilsystemen (Funktionssysteme) innerhalb sozialer Systeme.
2.6.1.1 Luhmanns Einflussgeber
Beeinflussen ließ Luhmann sich von T. Parson und seiner soziologischen Systemtheorie ("function follows structure"), von E. Husserl und seinem Sinnbegriff („Wesensschau des Gegebenen“ → Phänomenologie), von H. R. Maturana und F. J. Varela und ihrem Konzept der Autopoiesis (Kognitivismus, Radikaler Kontruktivismus), sowie durch Heinz von Förster und seiner Theorie der selbstorganisierenden Systeme (Kybernetik; Radikaler Konstruktivismus: Ausnahmslos jede Wahrnehmung ist subjektiv.)
2.6.1.2 Autopoiesis und verfremdete Gesellschaft
So gesehen kann Luhmanns‘ Systemtheorie auch als Theorie autopoietischer Systeme bezeichnet werden. Er transferierte das Prinzip der Autopoiesis (geschlossene und prozesshafte Selbsterschaffung und - erhaltung) auf soziale Systeme, sodass nun von drei autopoietischen Systemtypen gesprochen werden kann:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 11 Autopoietische Systeme
Quelle: Petra Schremmer (desing)
Dabei folgt Luhmann einer abstrakten, allgemeinen Betrachtungsweise. Luhmanns verfremdete Gesellschaft besteht nicht mehr aus leibhaftigen Menschen, sondern ist vielmehr ein großes soziales System, dass alle anderen sozialen Systeme und ihre gesamten Kommunikationen impliziert. Kommunikationen sind als selbstreferentielle soziale Operationen innerhalb dynamischer Systemgrenzen zu verstehen. Diese werden deutlich durch genaue Benennung derjenigen Operationen, die diese Grenzen ziehen, reproduzieren, stärken und innerhalb dieser Grenzen dann weitere Systeme entstehen lassen.
Er sagt, Gesellschaft sei nur Kommunikation, sie bestehe nur aus Kommunikation (Operationsmodus sozialer Systeme). Wenn die Kommunikation fortgesetzt werde, setze sich die Gesellschaft fort. Kommunikation bestehe aus systembildenden Operationen, die durch Differenzierung notwendige Anpassungen in sozialen Systemen vollzögen oder fortwährend neue autonome kommunikative Einheiten bildeten. Die Gesellschaft selber zerfalle so in unzählige soziale Systeme, wobei in seinen Augen ein zentraler Schlüssel zur Gedankenwelt der Systemtheorie sei, dass Systeme immer durch ihr Verhältnis zur Umwelt definiert würden. Luhmann nennt das „System-Umwelt- Differenz“. Dazu ein Beispiel: Recht / alles außerhalb des Systems des Rechts für das Rechtssystem.
Soziale Systeme seien Familien, Schulen, politische Parteien, die Justiz usw. Nach Luhmann ist Umwelt einfach alles andere, sprich neben der natürlichen Umwelt auch der andere konkrete Mensch mit seiner Persönlichkeit und eben andere Systeme. D.h. um in seiner Begrifflichkeit zu bleiben: für jedes soziale System besteht Umwelt aus lebenden sowie psychischen Systemen und darüberhinaus noch aus allen anderen sozialen Systemen in der Gesellschaft. Die Grenzziehung würden die Systeme selber durchführen, indem sie sich ein- und zuordnen. Eine Familie wisse wer zu ihr gehöre und wer nicht.
Die Zuschauer in einem Fußballstadion wissen, dass sie teilnehmende Beobachter sind und nicht zum System der Akteure, sprich Fußballmannschaften gehören. Jeder, der mit seinem Auto im Stau steht, weiß, dass er zu den bedauerlichen Individuen gehört, die nicht pünktlich mit ihrer Familie am Abendbrot Tisch sitzen werden. Sie gehören vorrübergehend zum System, der im Stau stehenden Autofahrer.
2.6.1.3 Filtern, Erleben, Verabeiten von Informationen
Interessant ist die von Luhmann formulierte Frage, wie Grenzen nun die Informationen aus der Umwelt filtern, die dann im System als Informationen erlebt und verarbeitet werden. Dazu müssen die Begriffe Beobachten und Kommunikation näher betrachtet werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 12 Beobachten in der Systemtheorie von Niklas Luhmann
Quelle: Petra Schremmer (design)
Beobachten ist eine Einheit aus den Prozessen „Unterscheiden“ (Selektion) und „Bezeichnen“ (als Information kennzeichnen).
Wer beobachtet, unterscheidet und kennzeichnet?
Systeme sind selbstreferentiell. D.h. sie sind nur auf systeminterne Opera- tionen (Autopoiesis) bezogen, aber bleiben laut Luhmann kognitiv offen. Strukturell mit dem sozialen System gekoppelte (manifeste Verbindung mit Elementen aus der Umwelt, auch anderen Systemen) psychische Systeme nehmen Unterschiede und Komplexität wahr. Beide operieren und beobachten als sinnkonstituierende Systeme im Medium Sinn. Nur dort können sie beobachten. Zu trennen ist die Wahrnehmung von der Beobachtung. Wahrnehmung steht immer am Anfang und ist beliebig. Erst durch den Prozess der Selektion wird ein Unterschied (Differenz) festgestellt, der zu einer Information führt, die das eine vom anderen unterscheidet und durch die Bezeichnung als verwertbare Information gekennzeichnet wird. Dann kann von Beobachtung gesprochen werden. Ein Beispiel: Als 1992 die Erde bebte in der Köln-Bonner Region, nahmen die meisten Bürger die Erschütterungen und Geräusche wahr.
Die Selektion verlief unterschiedlich. Manche unterschieden das Wackeln der Wände und Klirren der Fensterscheiben tatsächlich als Erdbeben von anderen möglichen Ursachen und kennzeichneten die Differenz als verwertbare Information „Das ist ein Erdbeben gewesen.“ (Bezeichnung: Erdbeben). Andere erzählten, dass sie ruhig weitergeschlafen hätten, weil ihre Unterscheidung anders ausgefallen war. Sie differenzierten ihre Wahrnehmungen (Selektion → Differenz) als das Vorbeifahren eines Schwertransporters oder LKWs (Bezeichnung).
Dieser Vorgang nennt sich Beobachtung erster Ordnung. Außerhalb der Systemtheorie würden wir von subjektiver Beobachtung sprechen. Systemtheoretisch korrekt ist, dass jedes psychische und soziale System sich selbst (selbstreferentiell) und seine Umwelt bloß nach seinen systemsignifikanten Operationsmodi beobachten kann. Ein (Funktions-) System mit mehreren Beobachtern kann sich zeitversetzt selbst beobachten (Reflexion). Ein einzelner Beobachter kann das nicht gleichzeitig tun, was als Blinder Fleck bezeichnet wird. Außerhalb der Systemtheorie gibt es die Metakommunikation („Lenorgewissen“), deren Aufgabe innerhalb der Theorie Luhmanns zusätzlich andere Beobachter übernehmen können. So kann der Blinde Fleck ausgeglichen werden. Das wird als Beobachtung zweiter Ordnung verstanden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 13 Trias Kommunikation als Operationsmodus sozialer Systeme
Quelle: Petra Schremmer (desing)
Kommunikation ist die Selektion von Mitteilung und Information im Augenblick des Verstehens.
Wer kommuniziert, bietet Mitteilungen an? Wie wird aus einer Mitteilung eine Information? Wie geht Verstehen vor sich? Psychische und soziale Systeme kommunizieren. Zwischen ihnen besteht eine strukturelle Koppelung, die es ermöglicht, dass die Bewusstseine ihre Beobachtungen und Gedanken im Medium Sinn durch das Medium Sprache in das soziale System einbringen, welches die Kommunikation intern fortsetzt. Beide Systeme sehen sich einer Flut von Umwelteindrücken und Mitteilungsangeboten ausgesetzt. Durch Selektion wird unterschieden, ob es sich um eine Mitteilung handelt oder nicht. Erst dann kann differenziert werden nach Erwartetem und Erhaltenem. Die sich unwillkürlich ergebene (erste) Differenz, der Unterschied, wird zur Information. Dieser Vorgang geht gleichzeitig über in den abschließenden Part des Verstehens.
Die daraufhin folgende strukturelle Veränderung des Systems nennt sich zweite Differenz. Sie bewirkt weitere Anschlussmöglichkeiten für Kommunikationen. Vorausgesetzt, die verstandenen Informationen werden gespeichert, bleiben im Gedächtnis (Bewusstseine) oder werden schriftlich (Akten in Organisationen) abgelegt. Der Dialog ermöglicht eine direkte Anschlussmöglichkeit, der Schriftverkehr verläuft zeitlich versetzt.
Kommunikation verläuft außerdem bipolar von Ego nach Alter und umgekehrt. Ego teilt sich handelnd mit, während Alter die Information als verstanden erlebt. Ego kann ebenso im System sein und Alter in der Umwelt. Beide Positionen wohnen in einer Person, die Teil des internen Kommunikationsprozesses eines sozialen Systems (Interaktionen, Organisationen) ist. Interaktionen sind als simple Systeme die Grundbausteine der Gesellschaft. Die physische Anwesenheit von Personen ist dort obligat. Organisationen als höhere soziale Systeme bestehen aus privilegierten Personen (Mitglieder), die sogar austauschbar sind (Aufnahme-, Ausschlussverfahren). Der Operationsmodus von Organisationen basiert auf Entscheidungen.
Interpenetration ist die Frucht der gemeinsamen Entwicklung zweier autopoietischer Systeme (Koevolution) und ist durch einen bestimmten Typus der strukturellen Koppelung konstituiert (Psychisches System ← Sprache → Soziales System).
„In seinem Hauptwerk „Soziale Systeme“ (1984) definiert Luhmann die Begriffe Penetration und Interpenetration wie folgt:
„Von Penetration wollen wir sprechen, wenn ein System die eigene Komplexität (und damit: Unbestimmtheit, Kontingenz und Selektionszwang) zum Aufbau eines anderen Systems zur Verfügung stellt.
Interpenetration liegt entsprechend dann vor, wenn dieser Sachverhalt wechselseitig gegeben ist, wenn also beide Systeme sich wechselseitig dadurch ermöglichen, dass sie in das jeweils andere ihre vorkonstituierte Eigenkomplexität einbringen.“ (Luhmann 1984, 290)“ [WEBER, s. Anhang Nr. 35]
Luhmann hält Kommunikation für unwahrscheinlich, das sie einfach und nach Parson doppelt kontingent ist. Sie muss nicht gelingen, sie braucht nicht anschlussfähig sein. Das Problem sei die Eventualität von nicht vorhersehbaren, unbeständigen und vom Ausgang offenen Aktionen und Reaktionen. Kommunikation kann aufgrund dieser Unwägbarkeiten unsicher sein und misslingen.
2.6.2 Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick
Paul Watzlawick (1921-2007) war Soziologe, Philosoph, Publizist, Psychotherapeut, Psychoanalytiker und Kommunikationswissenschaftler. Seine Eigenart zu forschen lag in der Blickrichtung von den Phänomenen hin zur allgemeinen Theorie. Sein pragmatischer Stil trägt die Etikette sehr anschaulich, klar und auffallend zu sein.
Er unterstellte in seiner Auffassung von Kommunikation, dass sich die Teilnehmer einer Kommunikation lediglich an einem Gebilde der Wirklichkeit ausrichten und anlehnen. Somit war er ein Vertreter des Radikalen Konstruktivismus (Wahrnehmung ist ungleich Konterfei der Wirklichkeit, vielmehr ist sie sinnliche Reizaufnahme und unfreie zerebrale Speicherung und Gestaltung durch eine Person).
In Watzlawicks Analysen spielten Kommunikationsprozesse und die systemische Familientherapie eine herausragende Rolle. Hier ein Auszug aus einem Interview an seinem 81. Geburtstag mit André Höschele und Alois Huber:
„…und habe an der Tempel-Universität von Philadelphia, den Gründer und ersten Leiter unseres Instituts (Anmerkung: Mental Research Institut /Palo Alto) getroffen, den Don Jackson. Das war ein Erlebnis das mich vollkommen reorientiert hat. Jackson hat völlig neue Ideen in unserem Fach eingeführt, er war auch ein Mitarbeiter von Gregory Bateson und später sind dann Milton Erickson und natürlich Heinz von Förster sehr wichtig geworden.
Panlux: Was war das Neue?
Watzlawick: Das neue war, dass kybernetische Ideen in die Einbahnspurige Auffassung der Analyse integriert wurden. Man hat also nicht mehr gesagt, um das Problem im Hier-und-Jetzt zu verstehen, muss ich in die Vergangenheit gehen, um dort die Ursachen für dieses problematische Verhalten zu finden. Das war die Grundlage der Annahmen dessen was man tun muss. Davon sind wir vollkommen abgekommen.“ [PANLUX JOURNAL, s. Anhang Nr. 85]
Der nachfolgende Regelkreis menschlicher Kommunikation steht für eine Vielzahl von Regelkreisen, die solche Kommunikationsprozesse bestimmen, da diese komplexer sind als ihr mechanisches Vorbild.
[...]
- Arbeit zitieren
- Petra Schremmer (Autor:in), 2008, Gelingende Kommunikation mit rechtlich betreuten Menschen mit Demenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151309
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