Der Krieg in Tschetschenien

Die Präsidentschaft Putins


Referat (Ausarbeitung), 2004

12 Seiten

Stefan Erminger (Autor:in)


Leseprobe


Da die Berufung W. Putins zum Ministerpräsidenten mit dem Beginn größerer Militäraktionen in Dagestan und Tschetschenien zusammenfiel, liegt es nahe, Putin als amtierenden Präsidenten auch danach zu beurteilen, welche Rolle er in diesem Konflikt zwischen der Zentralregierung und dem latenten Unruheherd im Nordkaukasus gespielt hat. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Putin bereits seit 1996 in der Präsidialadministration und dann ab August 1998 als Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB, später auch als Sekretär des Sicherheitsrates, maßgeblichen Einfluss auf politische Entscheidungen Jelzins und der Regierung hatte Die oft geäußerte Meinung. Jelzin habe Putin vor allem deshalb an die Stelle Stepaschins gesetzt, weil letzterer nicht zu einem harten Vorgehen bereit gewesen sei. trifft so nicht zu. Die wesentlichen Gründe für seine Ablösung müssen offenbar auf anderen Gebieten gesucht werden - es ist durchaus denkbar, dass er mitunter eine für die Jelzin-Umgebung zu selbständige Politik vertreten hat.[1] Auslösung und Verlauf des zweiten Tschetschenienkrieges sind primär im Zusammenhang mit der Machterhaltungsstrategie der herrschenden Schichten, nicht zuletzt auch der Militärführung und von Vertretern des Militärisch-industriellen Komplexes, zu sehen. Die folgenden Überlegungen beschränken sich auf ausgewählte Aspekte der Beziehung zwischen Russland und Tschetschenien Es ist zu berück­sichtigen. dass vielfach nur unvollständige und oft auch widersprüchliche Informationen zur Verfügung stehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Entwicklungen im Nordkaukasus (nach 1996/97)

Nach 1991 haben sich Tendenzen der politischen Entwicklung in Russland auch auf den Nordkaukasus ausgewirkt, insbesondere Deformationen des politischen Systems und der Rechtsordnung. Es ist der Moskauer Führung während der neunziger Jahre nicht gelungen, allgemein akzeptierte Prinzipien einer zeitgemäßen Nationalitäten- und Regionalpolitik, insbesondere auch eine Konzeption der Kaukasuspoli­tik, auszuarbeiten und umzusetzen. Wie im gesamten islamisch geprägten Kaukasusgebiet haben die fundamentalistischen Wahhabiten auch in Tschetschenien und Dagestan in den vergangenen Jahren ihre Anhängerschaft vergrößern können, verstärkt offenbar seit 1997. Experten weisen daraufhin, dass dieses Phänomen auch als Reaktion auf dort herrschende Clans zu verstehen ist, die sich krimineller Methoden der Machterhaltung bedienen und wenig gegen die ausufernde Korruption unternehmen; Vertreter des offiziellen Islam haben sich in der Regel mit diesen Machtstrukturen arrangiert. Schariat-Normen propagierende Aktivisten seien nicht zuletzt deshalb erfolgreich, weil sie an die im Volk verbreiteten mora­lisch-geistigen und rechtlichen Werte appellierten.[2]

Die gegenwärtig tonangebenden Moskauer Politikplaner gehörten offenbar bereits 1996 zu denen, die dem damals geschlossenen Waffenstillstand ablehnend gegenüber gestanden haben. Von daher lässt sich vermuten, dass für sie in den Jahren 1996-1999 die Förderung von Tendenzen im Vordergrund stand, die eine Revision der Vereinbarungen von 1996 und 1997 plausibel erscheinen lassen würden. Zunehmend häufiger wurde der Waffenstillstand von Chasawjurt als Verrat an den Interessen Russlands bezeichnet. Putin hat dann sogar den 1996 - angeblich - deutlich gewordenen "Defätismus" mit dem Verhalten der Bolschewiki im 1. Weltkrieg verglichen.[3] Damit soll zwar in erster Linie A. Lebed getroffen werden, doch richtet sich diese massive Kritik im Grund auch gegen Jelzin. Um seine Wahlchancen zu verbessern, hatte dieser im Frühjahr 1996 die in Nasran verhandelnden Politiker Stepaschin und W. Sorin anweisen lassen, eine Vereinbarung über Waffenruhe zu unterschreiben und später Lebed grünes Licht für die Vereinbarung von Chasawjurt gegeben.[4] Dass bis August 1997 ein detaillierter Grundlagenvertrag zwischen Russland und Tschetschenien ausgearbeitet worden war, der bei dem damaligen zweiten Treffen der beiden Politiker dann allerdings doch nicht unterschrieben wurde, und dass Moskau den sich aus den getroffenen Vereinbarungen ergebenden Verpflichtungen (insbesondere hinsichtlich des Wiederaufbaus des zerstörten Landes) nicht nachgekommen ist, wird in den russischen Medien kaum erwähnt.[5] Wiederholt hat sich Maschadow um ein Treffen mit Jelzin bemüht, um die entstandenen Probleme zu besprechen. Jelzin hat auch einige Male seine Bereitschaft erklärt, doch ist es dazu nach August 1997 nicht mehr gekommen. Noch am 10. August 1999, als Putin bereits amtierender Ministerpräsident war. berichtete eine Moskauer Zeitung von den laufenden Vorbereitungen für ein unmittelbar bevorstehendes Treffen zwischen Jelzin und Maschadow und wies auf die sehr weitgehende Kooperationsbereitschaft Maschadows hin.[6] Nach Darstellung des damaligen Generalbevollmächtigten Tschetscheniens in Russland, M. Watschagajew, hat Maschadow bis Anfang Oktober 1999 eine massive Militäraktion Russlands gegen Tschetschenien nicht für möglich gehalten.

[...]


[1] Möglicherweise spielt bei den Beziehungen zwischen Stepašin und Maschadov eine Rolle, dass letzterer im ersten Tschetschenienkrieg Stepašin das Leben geredet haben soll (Moskovskie novosti - im Folgenden als MN, Nr. 22/1999, S. 8). Noch im Juni 1999 trafen sich in der neuen inguschetischen Hauptstadt Magas Stepašin und Maschadov, um ihre positive Einstellung zur Hinrichtung eines "Sonder-Zoll-Gebiets" in Inguschetien zu dokumentieren (MN, Nr. 22/1999, 8. 8). Es ist aber festzuhalten, dass sich Stepašin im August 1999 eindeutig hinter das Vorgehen Putins gestellt hat (Financial Times, 31.1.2000, elektr. Fassung).

[2] Vgl. dazu eine interessante Expertise von L. Sjukijajnen in: MN, Nr. 35/1999, S. 6. Über die Wahhabitenproblematik vgl. auch Nezavisiniaja gazeta - im folgenden als NG, 8.10., und Segodnja - im folgenden als Sg, 9.10.1999 (beide elektr. Fassung).

[3] Äußerungen Putins in einem ORT-Interview am 7.2.2000. Stark polemisch hatte sich der tschetschenische General I. Sulejmenov über den Waffenstillstand von Chasawjurt geäußert: Vek, Nr. 36/1999, S. 4.

[4] MN, Nr. 22/1999, S. 8.

[5] Kommersant-vlast', Nr. 37/1999, S. 16; bemerkenswert auch eine entsprechende Darstellung des Unternehmers Ju. Fotenko in: Obščaja gazeta - im folgenden als OG. Nr. 51/1999, S. 15. Vgl. zu dieser Problematik auch U. Halbach, Die Tschetschenische Republik Itschkeria 1998, Aktuelle Analysen des BlOst, Nr. 49/1998, sowie C. Wagner, Die Bezie­hungen zwischen Groznyj und Moskau in der Zwischenkriegszeit, in: M. Sapper (Hg.), Russland und der zweite Tsche­tschenienkrieg, Untersuchungen des FKKS (Forschungsschwerpunkt Konflikt- und Kooperationsstrukturen in Osteuropa an der Universität Mannheim), 22/1999, S. 8-15.

[6] NG, 10.8.1999 und 19 2.2000 (beide elektr. Fassung).

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Der Krieg in Tschetschenien
Untertitel
Die Präsidentschaft Putins
Autor
Jahr
2004
Seiten
12
Katalognummer
V151338
ISBN (eBook)
9783640632213
ISBN (Buch)
9783640632640
Dateigröße
748 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine nähere Beschäftigung mit der Vorgeschichte der Eskalation im Nordkaukasus (August 1999) führt zu der Vermutung, Moskauer Politiker hätten seit 1997 auf eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und Tschetschenien hingewirkt und außerdem zu einer weiteren Destabilisierung der Lage in Tschetschenien beigetragen Offenbar war bereits Ende 1998 die Entscheidung für eine militärische Lösung des Konflikts und über die unbedingte Wiedereingliederung Tschetscheniens gefallen.
Schlagworte
Nordkaukasus, Tschetschenien, Dagestan, Iguschetien, Kaukasus, Putin, Lebed, Boris Jelzin, Russland, Krieg, Aufstand, Grosny, Moskau
Arbeit zitieren
Stefan Erminger (Autor:in), 2004, Der Krieg in Tschetschenien , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151338

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