"Tatsache ist, daß ich in einem gewissen Moment meines Lebens Neugier auf meine Kindheit verspürte. Ich sagte mir: „Ich habe nicht mehr so lange zu Leben. Wieso nicht versuchen, mein
Leben bis zum Alter von neunzehn aufzuschreiben? Nicht so, wie es in Wirklichkeit war – Objektivität gibt es nicht – sondern so wie ich es heute sehe.“
Als Thomas Bernhard (1931-1989) dieses Interview gegeben hat, lag seine fünfbändige Autobiographie, veröffentlicht zwischen 1975-1982, bereits vollständig vor. Die vorliegende Arbeit macht sich die Untersuchung zum Gegenstand, inwieweit die
autobiographischen Schriften Bernhards einem artifiziellen Gestaltungswillen unterliegen und ob sie sich von dem fiktionalen Werk des Autors überhaupt unterscheiden lassen. Dazu ist es nützlich erst einmal einen historischen Überblick über
die Autobiographieforschung und ihre Erkenntnisse bis in die heutige Zeit zu geben, um von hier aus am Beispiel Thomas Bernhards Strukturmerkmale moderner Autobiographik aufzuzeigen. Der Punkt 2.3 wird dann die Rezeptionsliteratur, welche anlässlich der jeweiligen Veröffentlichung eines autobiographischen Bandes erschienen ist, in den Blick nehmen, da sich vor allem nach dem Erscheinen des ersten Bandes "Die
Ursache" die Ansicht verbreitete, man könne die Autobiographie als Schlüssel zu Bernhards restlichem Werk lesen. Unter Punkt 3 der Arbeit soll untersucht werden, inwiefern Bernhards Autobiographie nach künstlerisch-ästhetischen Gesichtspunkten
geformt wurde, wobei auf einzelne Erzählinhalte eingegangen wird, die nicht nur die Autobiographie prägen, sondern das gesamte OEuvre Bernhards. Der vierte Punkt hat den Begriff der Intertextualität zum Gegenstand, da sich bei einer näheren
Untersuchung auch hier die artifizielle Arbeitsweise des Autors offenbart. Zu diesem Zweck wird, vor allem im Falle Sartres und Valérys, ein gegenüberstellendes Verfahren von Zitaten gewählt, welches verdeutlichen soll, wie sehr die Autobiographie Bernhards
den autobiographischen Schriften Sartres Die Wörter und dem fiktionalen Text Monsieur Teste von Valéry verhaftet ist.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Autobiographie
- Definitionen und ihre Schwierigkeiten
- Strukturmerkmale moderner Autobiographik am Beispiel Thomas Bernhards
- Zentralperspektive als ästhetische Objektivierung
- Dissoziierte Chronologie und vitale Zeitordnung
- Selbstreferentialität
- Stilisierung und Stilporträt
- Fragmentarität und Schlussproblematik
- ,,In meinen Büchern ist alles künstlich [...].\"- Zur Rezeption der autobiographischen Schriften Thomas Bernhards
- Literatur und Realität in der autobiographischen Pentalogie Thomas Bernhards
- Die Inszenierung der eigenen Autobiographie
- Erzählinhalte
- Schreiben und Beobachten
- Der,,Wahrheitsgehalt\" des Schreibens
- Krankheit und Tod
- Krankheit und Tod als ständiger Begleiter der eigenen Existenz
- Krankheit als Existenzbedingung des Geistesmenschen
- Krankheit als Individuationsprozess
- Exkurs: Thomas Bernhards „Ich-Mythos”
- Schreiben und Beobachten
- Intertextualität in der autobiographischen Pentalogie Bernhards als artifizielles Gestaltungsprinzip – Du schreibst was du liest
- Intertextualität
- Montaigne
- Novalis
- Sartre
- Valéry
- Schlussbemerkungen
- Siglen
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die autobiographischen Schriften Thomas Bernhards, um die Frage zu beantworten, inwieweit sie einem artifiziellen Gestaltungswillen unterliegen und ob sie sich von Bernhards fiktionalem Werk unterscheiden lassen. Die Arbeit verfolgt dabei das Ziel, die spezifischen Merkmale und Gestaltungsprinzipien der autobiographischen Schriften Bernhards zu identifizieren und zu analysieren.
- Die Rolle der Autobiographie in Bernhards Werk
- Die Gestaltungsprinzipien moderner Autobiographie am Beispiel Bernhards
- Die Beziehung zwischen Literatur und Realität in Bernhards autobiographischen Schriften
- Die Bedeutung von Intertextualität in Bernhards Werk
- Die Frage nach der Authentizität und dem „Wahrheitsgehalt“ autobiographischer Schriften
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die Forschungsfrage nach dem artifiziellen Gestaltungswillen in Bernhards autobiographischen Schriften. Kapitel 2 beleuchtet den Begriff der Autobiographie und analysiert seine Schwierigkeiten. Es werden Strukturmerkmale moderner Autobiographik am Beispiel Bernhards vorgestellt, wie z.B. die Zentralperspektive, dissoziierte Chronologie und Selbstreferentialität. Kapitel 2.3 befasst sich mit der Rezeption der autobiographischen Schriften Bernhards. Kapitel 3 untersucht die Inszenierung der eigenen Autobiographie und analysiert einzelne Erzählinhalte, wie z.B. Schreiben und Beobachten sowie Krankheit und Tod. Kapitel 4 analysiert die Intertextualität in Bernhards autobiographischen Schriften und untersucht die Beziehung zu Werken von Montaigne, Novalis, Sartre und Valéry.
Schlüsselwörter
Autobiographie, Thomas Bernhard, Artifizielles Gestaltungsprinzip, Strukturmerkmale, Rezeption, Literatur und Realität, Erzählinhalte, Krankheit und Tod, Intertextualität, Sartre, Valéry.
- Quote paper
- Michael Philipps (Author), 2009, Die zusammengekittete Existenz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151405