Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Historischer Überblick
3 Die Settlementbewegung
3.1 Definition
3.2 Henrietta und Samuel Barnett – Toynbee Hall
3.3 Jane Addams – Hull House
4 Gemeinwesenarbeit
4.1 Definition
4.2 Merkmale und Ziele, Methodenvielfalt (und Grenzen)
5 Kontext
6 Schlussbemerkungen
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Zu Zeiten der Industrialisierung entwickelten sich differente Methoden im Umgang mit Armen und Hilfebedürftigen. Dazu zählten u.a. Zucht-, Arbeits- und Armenhäuser. Deren Aufgabe war es, vorhandene Armut zu beseitigen und auffällige Bürger zur Vernunft zu bringen. Dabei wurden Art und Weise wenig mit Aufmerksamkeit bedacht (vgl. Kunstreich 2002, Müller 2006). Den Zucht-, Arbeits- und Armenhäusern standen die in England entstandenen Settlements gegenüber, die eine Lösung der Armutsproblematik ohne Gewalt und Drohung forderten. Die Settlementbewegung wollte einen Beitrag zum Umdenken leisten, indem sie den Menschen die Möglichkeiten gab, sich zu bilden, in Gemeinschaft zu leben und zu lernen, wechselseitige Beziehungen zu führen und so die Kompetenz für ein selbstbestimmendes Lebens zu erlangen. Das zu erreichen und auf längere Zeit oder gar auf Dauer zu halten, zog es die Settler in die Armen- und Arbeiterviertel der Städte, um sich vor Ort ein Bild der Problemlage zu verschaffen und sich dieser anzunehmen. In Großbritannien waren dies das Pfarrerehepaar Henrietta und Samuel Barnett, als sie im Londoner Stadtteil Whitechapel Toynbee Hall als erstes Settlement gründeten. Es galt als Vorbild für einen deutlich besseren Umgang mit den Hilfebedürftigen und wurde schnell über England hinaus bekannt, was das Interesse von Jane Addams weckte, deren Kindheitstraum etwas Vergleichbares war. Nach einem Besuch nahm sie die Idee mit in die USA und gründete in Chicago Hull House (vgl. Kunstreich 2002, Müller 2006). Beide Häuser legten den Grundstein für die heute bekannte Gemeinwesenarbeit und es ließe sich behaupten, dass die Settlements die erste Form dessen gewesen waren, aufgebaut mit einfachsten Mitteln und doch auch in der heutigen Zeit als Möglichkeit der Sozialen Arbeit aktuell.
Im Folgenden werde ich kurz einen historischen Überblick (1.0) geben, im Anschluss daran die Settlements (2.0) sowie die Gemeinwesenarbeit (3.0) erörtern. Danach werde ich den Kontext (4.0) darstellen und mit Schlussbemerkungen (5.0) enden.
2 Historischer Überblick
Das 19. Jahrhundert war eine Epoche „der Anfänge, Utopien und der Revolutionen“ (Engelke 2003: 87). Es lässt sich in die Zeit zwischen 1789 und 1914 einordnen.
Die Industrialisierung, wie dieses Zeitalter genannte wurde, sollte einen allgemeinen Wohlstand und die Möglichkeit zur freien Entfaltung eines jeden versprechen. Allerdings offenbarte sich eine Teilung der Gesellschaft, die jeglicher Versprechungen widersprach.
Die arbeitende Bevölkerung befand sich in einem desolaten Zustand, angefangen bei den Arbeitsbedingungen, der Umgebung bis hin zu den Lebensverhältnissen. Die Konkurrenz, die innerhalb der Arbeiterschicht herrschte, wuchs zunehmend an und ließ einen gesellschaftlichen Egoismus erkennen, denn „nur wenigen Menschen, die sich unermesslich bereicherten, standen unzählbar viele Menschen, die sich gegen ihre Ausbeutung nicht wehren konnten und völlig verarmten (Arbeitslose, Kranke, Alte, Waisen (…)) gegenüber“ (Engelke 2003:88). Die Menschen, die dieser Ausbeutung zum Opfer fielen finanzierten also den Reichtum der anderen. Begünstigt wurde das zusätzlich durch niedrige Löhne, da es sehr viele Arbeitskräfte benötigte um die größtmögliche Effizienz zu erhalten. Durch die geringe Bezahlung konnte geradeso das Überleben gesichert werden, aber es blieb nichts für privates Vergnügen. Derartige Verhältnisse schrien regelrecht nach einer Revolution, sodass es immer wieder zu kleineren Aufständen in den Städten kam und ganz klar bessere Arbeits- und Lebensbedingungen gefordert wurden, denn diese Menschen sind in die Städte gezogen, um „sich von der Lohnarbeit in der Stadt eine Alternative zu ihrer ärmliches Existenz auf dem Dorf“ zu schaffen; jedoch fanden sie soziale Problemgebiete, die sich u.a. durch „(…) lebensgefährliche Arbeitsplätze, geringer Löhne, Kinder- und Frauenarbeit (…)“ sowie „teure Mieten (und/oder) Wohnungsnot“ dramatischer Weise auszeichneten (Engelke 2003: 88).
Um diesen Bedingungen zu entkommen, verließen die Bürger nicht nur ihre Heimat, sondern oftmals auch das Land, um in der Ferne eine bessere Perspektive zu erhoffen. Jedoch wurde diese Hoffnung enttäuscht. Bevorzugtes Ziel war die USA, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wie es sich selbst bezeichnet. Doch auch hier stießen sie auf Macht, Habgier und Unterdrückung, sodass die Euphorie schnell der Ernüchterung wich. Es kam zunehmend zu Protesten gegen die gegenwärtige Situation. Es traten regelrechte Protestbewegungen hervor, was wiederum zur Folge hatte, dass sich die Wohlhabenderen in ihrer Sicherheit bedroht fühlten und noch härter gegen das aufbegehrende Volk vorgehen wollten, doch die Regierung hielt an ihrer angestrebten Demokratisierung des Landes fest (Engelke 2003: 91).
In Großbritannien wurde 1834 das Armenhausgesetz erlassen. Thomas Malthus war der stärkste Befürworter des Gesetzes und brachte die Theorie „Arm und Hilflos sind vor allem die ‚Arbeitsunwilligen‘ und die ‚Arbeitsunfähigen‘. Sie sterben von selbst aus, wenn man sie nicht durch falsch verstandene christlich motivierte Nächstenliebe am Leben erhält und sie noch dazu ermutigt möglichst viele Kinder zu zeugen. Die Tüchtigen müssen die Chance haben, sich durchzusetzen; und die Untüchtigen müssen die Chance haben, auszusterben“ auf den Weg (Müller 2006:26). Da es aber „geradezu unsinnig und unmoralisch (ist,) den Armen etwas zu geben“, wurde die Verteilung von milden Gaben bei den modernen Bürgern stark kritisiert (Kunstreich 2002:87). Aufgrund dessen gründete sich 1869 die Charity Organization Society (C.O.S.) in London. Diese nahmen es sich zur Aufgabe, den Hilfebedarf, die Art und Weise zu ermitteln und wie dieser umgesetzt werden sollte. Zusätzlich wollten sie mit ihrer Arbeit die Selbstaktivierungskräfte der Bedürftigen erhalten und sie zur Selbsthilfe motivieren. In den USA gründete sich 1883 das Gegenstück dazu in Baltimore. Noch im selben Jahr kam es zur Gründung der ersten Settlements in London, welche ein anderes Verständnis zum Umgang mit Hilfebedürftigen zeigte.
3 Die Settlementbewegung
3.1 Definition
Wörtlich übersetzt bedeutet „to settle“ zur Ruhe kommen, sich niederlassen oder ein Haus bauen. Werden die Settlementbewegung und ihre Begründer, die Settler, betrachtet, ist es kaum treffender zu deuten.
Die ursprünglichen Settler von Nordamerika werden als „Pioniere, die sich nicht in den gedrängten Städten der Ostküste niederließen, sondern ‚im Westen‘ eine neue Heimat und ihr Glück suchten“ beschrieben (Müller 2006: 51). In England waren die Settler junge Akademiker, die ihre Kompetenzen nicht mit Geldspenden, sondern mit sozialem Engagement vor Ort zeigen wollten, denn auch hier sollten sich die Lebensverhältnisse ändern.
Somit lässt sich ein Settlement eher als „Niederlassung von Gleichgesinnten in einer noch unbehausten, fremden oder auch feindlichen Gegend“ und einem Armen-, Arbeits- oder Elendsviertel bezeichnen (a.a.O.). Wobei die vorherrschenden Verhältnisse der jeweiligen Situation zu berücksichtigen sind, da es sich bei diesen Settlements um bereits bewohnte Städte – hier London und Chicago – handelte, in deren Vierteln Handlungsbedarf bestand.
3.2 Henrietta und Samuel Barnett – Toynbee Hall
Henrietta und Samuel Barnett waren ein englisches Pfarrerehepaar, welches die Kirchengemeinde im Londoner East-End-Viertel Whitechapel übernahm. Sie galten als die Begründer des ersten europäischen Settlements. Der Aufbau orientierte sich an traditionellen englischen Clubs, welche ausschließlich von Männern besucht werden durften. Diese dienten zur literarischen Weiterbildung, Konversation, Freizeitgestaltung sowie zum gemeinsamen Speisen.
Täglich waren die Barnetts mit dem Elend, welches in ihrer Gemeinde herrschte, konfrontiert und gleichermaßen entsetzt über den Umgang der Öffentlichkeit damit. Es ist erschreckend, dass „die Hilfebedürftigen (…) der privaten Wohltätigkeit wohlhabender Bürger und den materiellen und ideellen Zuwendungen ihrer Kirchgemeinde überlassen (wurden), sofern sie als treue und zuverlässige Kirchengänger galten“ (Müller 2006: 37). Die Personen, welche hier der Hilfe bedurften, bekamen also nur Unterstützung, wenn sie dem Glauben zugewandt waren und sich dazu bekannten. Das hatte m.E. zur Folge, dass Menschen mit einem festen Glauben vermeintliche Hilfen bekamen, allerdings immer vor dem Hintergrund der kirchlichen Abhängigkeit und die wohlhabenden Bürger dies als Druckmittel nutzten und die Personen, welche nicht davon überzeugen konnten, wurden missachtet. Eine makabere Vorstellung.
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