Morton Rhue - Ich knall Euch ab: Eine Analyse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

29 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

1.Vorwort

Die Schule ist in mehrfacher Hinsicht relevant für Kinder- und Jugendbuchautoren. Spielt sich hier doch ein wesentlicher Teil des Lebens Heranwachsender ab, hier werden Weichen gestellt, die für das gesamte Leben von Bedeutung sein können. “Neben der Familie und den Jugendkulturen ist die Schule die wichtigste Sozialisierungsinstanz“.[1]

Doch was passiert, wenn die Institution Schule als Vermittlungsinstanz zwischen Schülern versagt?

Wenn durch das ignorante Verhalten von Lehrern und Intoleranz von Schülern Jugendliche sich so gedemütigt fühlen, dass sie den einzigen Ausweg in Gewalt sehen?

Die vorliegende Hausarbeit soll herausarbeiten, welche Faktoren die beiden Protagonisten Gary und Brendan dazu geführt haben, die durch Andere erfahrene Gewalt mit denselben Mitteln zu bekämpfen.

Daneben soll diskutiert werden, ob ein solcher (fiktiver) Vorfall, wie an der Middletown Highschool, auch in Deutschland denkbar wäre und welche Rolle die Medien am gesellschaftlichen Konformitätsdruck unter Jugendlichen an amerikanischen Highschools ausüben.

Dabei soll die Hausarbeit das Verhalten der beiden Protagonisten nicht gut heißen, will aber versuchen, einen Blick in die Psyche der beiden Heranwachsenden zu gewährleisten und untersuchen, was es für Jugendliche heißt, täglich neuen Demütigungen ausgesetzt zu sein.

Die Verstehensproblematik im schulischen Kontext ist für Morton Rhue kein neues Thema. Sein wohl bekanntestes Werk „ Die Welle “ handelt von dem Versuch, Schülern Fremdverstehen im historischen Kontext zu vermitteln.

„In seinem neuen Buch geht es nicht bloß um die Einsicht, dass die Täter meist zugleich Opfer bestimmter sozialer Bedingungen sind - hier unter anderem des Schulmilieus. Man kann sein Buch auch als Warnung vor der Neigung begreifen, Verstehensbedürfnisse vorschnell zu befriedigen“.[2]

2.Inhaltsangabe

„Ich knall euch ab!“ erzählt die fiktive Geschichte eines Schüler-Amoklaufs an der amerikanischen Highschool von Middletown.

Brendan und Gary kommen haben massive Probleme in der Schule.

Gary, der nach der Scheidung seiner Eltern mit seiner Mutter nach Middletown gekommen ist, wird von früheren Freunden und Lehrern als höflicher, überaus guter Schüler beschrieben, der vor allem in technischen Bereichen und im Umgang mit Computern seine Stärken hat.

Brendan war an seiner alten Schule ein cooler, beliebter Schüler, schlagfertig und auch im Sport erfolgreich. Mit dem Schulwechsel verändert sich das Leben der Jungen. Anfangs verschlossen und nervös, gelingt es beiden nicht, in der Klasse akzeptiert zu werden. Gary und Brendan sind in ihrer Klasse Außenseiter.

Zu den Sportlern zählen sie nicht, Markenklamotten interessieren sie überhaupt nicht, so sondern sich die beiden immer mehr in ihre eigene Welt der Computer-Spiele ab. Die beiden Schüler werden von den Cliquen, die sich vor allem um die Sportler und die Modebewussten zu bilden beginnen, ausgegrenzt und geschnitten.

Dieser Prozess schreitet schleichend voran und wird von den beteiligten Lehrern und Eltern ignoriert. Mit einigen anderen Außenseitern bilden Brendan und Gary eher lose Freundschaften, die sie allerdings auch nicht vor Drangsalierungen vor allem der Footballer schützen – jeder hat Angst, bei einem eventuellen Eingreifen der Nächste zu sein. So finden Brendan und Gary immer mehr zueinander und kompensieren ihre Angst und ihren Hass zunächst mit aggressiven Computerspielen, später mit Gesprächen und Chats, bei denen sie ihren Rachefantasien freien Lauf lassen.

Mehr oder minder unbeachtet entfernen sich die Jungen immer weiter von ihrem Umfeld. Unbemerkt von Eltern, Freunden und der Schule entwickeln Gary und Brendan ihren Plan. Sie verschaffen sich Waffen, bauen Bomben und testen diese. Alles mit einem Ziel: Am Tag des Abschlussballes es allen einmal heimzuzahlen.

Sie nehmen alle Teilnehmer in der Turnhalle gefangen, bedrohen sie mit Waffen und versperren die Ausgänge mit Sprengsätzen.

Ihre Eltern versuchen von außen Gary und Brendan zur Vernunft zu bringen, aber es gelingt nicht, das Unheil zu verhindern.

Sie verletzten mehrere Geiseln durch Schüsse und die Situation gerät außer Kontrolle. Aus Verzweiflung schießt sich Gary selbst in den Kopf. Brendan liegt im Koma, da er durch sich befreiende Geiseln schwer am Kopf verletzt wurde. Die meisten Gefangenen kommen jedoch unverletzt frei.[3]

3.Morton Rhue: Leben und Werk - Biographie

Nach der High School besuchte Rhue das College und begann

sein Studium der Literatur, das er nach kurzer Zeit abbrach, um es erst Jahre später zu beenden. Nach seinem Abschluss war er als Journalist für die „ Middletown Times Herald-Record “ und die „Compton Advertising“ in New York tätig.

Heute arbeitet Rhue als Schriftsteller und gibt Vorlesungen an Schulen und Universitäten.

In Deutschland wurde er besonders durch das Buch „Die Welle“ bekannt.

Sein Künstlername Morton Rhue, unter dem er nur in Europa schreibt, geht darauf zurück, dass sich "Todd" ähnlich anhört wie im Deutschen "Tod", und Tod heißt im Französischen "Mort". Da dies zu abgehackt klang, wurde daraus "Morton".

"Strasser" hört sich so ähnlich an wie das deutsche Wort "Straße", was im Französischen wiederum "Rue" heißt. Leicht amerikanisiert wurde daraus "Rhue".

Mehr als 100 Romane für Kinder, Teenager und Erwachsene hat Rhue inzwischen geschrieben, die in 12 Sprachen übersetzt wurden.

Im Gegensatz zu anderen Autoren, die das Thema „Schule“ thematisieren, kam Rhue mit dieser Institution in seinem Berufsverlauf nicht in Kontakt.

4.Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Der Ausdruck Columbine, so schreibt Morton Rhue in seiner Vorbemerkung zur deutschen Ausgabe, ist inzwischen nicht mehr nur die spezifische Bezeichnung für den Amoklauf von Littleton, sondern wurde im Laufe der Zeit auch zum Sinnbild für Schießereien an Schulen, die seit den 90er Jahren bis heute in großer Häufigkeit aufgetreten sind und in Deutschland mit dem Amoklauf von Erfurt am 26.April 2002 kulminierten. „Immer wieder kommt es zu ähnlichen Vorfällen, man denke nur an den März 2001, als im kalifornischen Santee ein von seinen Schulkameraden schikanierter Junge zwei Mitschüler tötete und dreizehn weitere verletzte. Nirgendwo in den USA können Schüler und Lehrer ohne ein leichtes Gefühl von Bedrohung zur Schule gehen; niemand weiß, ob er da wieder lebendig herauskommt.“[4]

Durch diese Äußerung Rhues wird die Aktualität des Romans deutlich. Dennoch soll in dieser Hausarbeit berücksichtigt werden, dass sich der fiktive Amoklauf in „Ich knall euch ab!“ an einer amerikanischen Highschool stattfand. Ob die geschilderte Situation im Roman auch in Deutschland denkbar wäre, soll im späteren Verlauf der Hausarbeit diskutiert werden.

So lässt Rhue in seinem Roman die beiden Protagonisten Brandon und Gary häufig erwähnen, wie sie sich vom Amoklauf an der Columbine High School in Littleton[5] zu ihrer Handlung inspirieren ließen.

„Wenn man einmal tot ist, bleibt man es auch, und die Leute vergessen einen. Aber das mit Littleton werden sie so schnell nicht vergessen“[6], schreibt Brendan alias „TerminX“ im Chat an seine Freunde Gary, Allison und Ryan.

„In einzelnen Passagen wird direkt Bezug genommen auf die realen Ereignisse von Littleton. So erfährt der Leser durch eine E-Mail der Figuren Brendan an die Figur Gary sowie durch einen Internetchat zwischen den Figuren Gary, Brendan, Ryan und Allison, dass die beiden Protagonisten die Attentäter von Littleton bewundern und als Vorbilder haben“.[7]

5.Analyse der Erzählstruktur

Der collagenhafte Roman ist unterteilt in 21 unterschiedliche Abschnitte, deren Aussagen einer bestimmten Form (Abschiedsbrief), einem bestimmten Schwerpunkt („ Über Gary“, “Über Brendan“) oder einer bestimmten Zeitspanne („ klassenchronologisch “) zuordnet werden können. Es kommen 21 bzw. 23 Stimmen zu Wort, wenn man Gary und Brendan mitzählt. Die Erzählung beginnt mit dem „Auszug aus Gary Searles Abschiedsbrief“ auf Seite 10 und endet mit der Nachbemerkung Denise Shipleys auf Seite 145. In der Ravensburger Taschenbuchausgabe wird der Paratext auf graue Seiten gedruckt, während die reine Erzählung auf helleren Seiten erscheint.

Der Leser wird mit einer Art Zettelkasten konfrontiert. Die ursprüngliche Aufgabe des Erzählers, in seinem Roman Ordnung und damit Sinn zu stiften, wird zurückgewiesen. Die junge Journalistikstudentin Denise Shipley übernimmt die Rolle der Vermittlungsinstanz. Ihre Schreibmotivation begründet sie mit dem Aspekt, dass sie die Wiederholung solcher Taten verhindern möchte. Außerdem handelt es sich bei Gary um ihren Stiefbruder und die Tat ereignete sich in ihrer Heimatstadt.

„Mehr über ihre Beziehung zu Gary und der Stadt erfährt der Leser allerdings nicht. Ihre eigenen Gefühle und Ansichten werden nur am Rande, im Vorwort und in der Nachbemerkung artikuliert“.[8] Denise Shipley tritt somit als fiktionale Herausgeberin auf und präsentiert das von ihr in zahlreichen Interviews gesammelte Material, allerdings ohne dieses auszuwerten.

Ob dieses gekürzt wurde, wird für den Leser ebenfalls nicht ersichtlich. Klar ist nur, dass die Aussagen der Interviewpartner auseinander geschnitten wurden und nachträglich, chronologisch passend, wieder zusammengefügt wurden.

Die Beiträge ihrer 21 Gesprächspartner stellen eine multiperspektivische Montage von Aussagen dar. „Es ist der Leser, der sich selbst ein Bild machen soll, indem er mehr als einhundert kurze Aussagen sowie Chatausschnitte, E-Mails und Abschiedsbriefe der Täter aufeinander bezieht und zu einem Beziehungsgefüge zusammensetzt“.[9] Die Journalistin ist nach der Vielzahl von Interviews jedoch nicht klüger geworden. Sie weiß zwar nun, wie sich die Geschehnisse zugetragen haben, kann aber immer noch keine Antwort auf die Frage nach dem Warum geben.

„Auch dem Leser soll dies schwer fallen. Nach seiner Lektüre ist er zwar besser informiert, doch kaum schlauer“[10], behauptet Torsten Pflugmacher in seinem Aufsatz. Rhue scheint damit seine Leser zwingen zu wollen, Fragen stellen zu lernen, statt Antworten parat zu haben.

Sieht man vom Vorwort und der Nachbemerkung ab, so bietet die Erzählung eine Retrospektive des fiktiven Geschehens. Die erzählte Zeit umspannt einen Zeitraum vom 7. bis zum 10.Schuljahr. Die fragmentarische Erzählweise der Dokumentation und die temporalen Sprünge halten den Leser auf Abstand. Der Text gibt seinen Lesern eine eher distanzierte Rezeptionshaltung vor und erleichtert somit einen neutralen Blickwinkel auf die Geschehnisse, da die Figuren von ihrer partiellen Sicht auf die Ereignisse berichten. In ihren Aussagen lassen sich die jeweiligen Verstehensversuche bzw.- verweigerungen der Sprecher ablesen.

[...]


[1] Dahrendorf, Malte (Hg): „Handlungsort Schule“ in Kinder- und Jugendliteratur. Material. Berlin: Volk und Wissen 1995, S.21

[2] Pflugmacher, Torsten: „Fremd sind wir unter uns- Schulische Gewalt in Morton Rhues Ich knall euch ab!“, in: Büker, P. und Kammler, C. (Hgg.) Das Fremde und das andere. Weinheim, München: Juventa, 2003, S. 241

[3] Quelle: www.toddstrasser.com

[4] Rhue, Morton: Vorbemerkung des Autors zur deutschen Ausgabe in:„Ich knall euch ab!“ (Give a boy a gun) Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2002.

[5] Der Amoklauf in Littleton ereignete sich am 20. April 1999 in der Columbine High School. Es wurden 15 Menschen ermordet und 20 zum Teil schwer verletzt. Gegen 11.30 Uhr betraten die beiden Jugendlichen Eric Harris und Dylan Klebold die Schule und begannen wahllos um sich herum zu schießen. Anschließend gingen sie in ein Klassenzimmer und erschossen dort drei Schüler. Diese waren die Star-Athleten der Schule, von denen sie sich körperlich und verbal unterlegen fühlten.

[6] Rhue, Morton : „Ich knall euch ab!“ (Give a boy a gun) Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2002, S. 70

[7] Gürtler, Florian Michael und Weber, Timm Oliver: „Misslungene Zivilisierung- über die Gewaltthematik in Morton Rhues Jugendroman Ich knall euch ab!“ in: Dolle-Weinkauff,B., Ewers, H.H., Jaekel, R. (Hgg.) Gewalt in aktuellen Kinder- und Jugendmedien. Weinheim, München, Juventa 2007, S. 88

[8] Pflugmacher, Torsten: „Fremd sind wir unter uns- Schulische Gewalt in Morton Rhues Ich knall euch ab!“, in: Büker, P und Kammler, C. (Hgg.) Das Fremde und das andere. Weinheim, München: Juventa, 2003, S. 236

[9] Pflugmacher, Torsten: „Fremd sind wir unter uns- Schulische Gewalt in Morton Rhues Ich knall euch ab!“, in: Büker, P und Kammler, C. (Hgg.) Das Fremde und das andere. Weinheim, München: Juventa, 2003, S. 237

[10] Pflugmacher, Torsten: „Fremd sind wir unter uns- Schulische Gewalt in Morton Rhues Ich knall euch ab!“, in: Büker, P und Kammler, C. (Hgg.) Das Fremde und das andere. Weinheim, München: Juventa, 2003, S. 237

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Morton Rhue - Ich knall Euch ab: Eine Analyse
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Jugendbuchforschung)
Veranstaltung
Schul- und Schülerromane
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
29
Katalognummer
V151985
ISBN (eBook)
9783640644513
ISBN (Buch)
9783640644506
Dateigröße
661 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Morton Rhue, Ich knall euch ab, Amok, Amoklauf, Highschool, Gewalt, Jugendliteratur, Schülerromane
Arbeit zitieren
S.D. Rieger (Autor:in), 2008, Morton Rhue - Ich knall Euch ab: Eine Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151985

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