Älter als das Grundgesetz sind die Diskussionen über Reichweite und Garantiegehalt der Religionsfreiheit. Die Frage, was das Grundrecht der Religionsfreiheit garantiert und welche religiösen Betätigungen Schutz genießen, blieb stets aktuell. Sie forderte die Rechtswissenschaft heraus, Spannungsfelder zwischen Religionsfreiheit und den Realitäten einer nicht mehr ausschließlich „christlich-abendländisch“ geprägten Gesellschaft zu bearbeiten.
Einen Ansatz zur „Grenzbestimmung“ der Religionsfreiheit bildet die sogenannte Kulturvölker- oder Kulturadäquanzformel. Sie wurde 1960 vom Bundesverfassungsgericht im sogenannten „Tabakfall“ bzw. „Ludendorffianer-Fall“ entwickelt und in späteren Entscheidungen zitiert. Das BVerfG führte aus, dass das Grundgesetz nur solche Glaubensbetätigungen schützt, die sich bei „heutigen Kulturvölkern“ auf Basis übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen entwickelt haben. Gegen diese Verengung des Garantiegehalts regte sich früh Widerstand in der Literatur, und auch das BVerfG sendete später Signale, die als Abrücken von der Kulturvölkerformel gedeutet wurden. Dennoch gibt es weiterhin Meinungen, die an den Grundsätzen der Kulturadäquanz festhalten.
Diese Arbeit beleuchtet das Meinungsbild zu Sinn und Schlüssigkeit der Kulturvölkerformel in Literatur und Rechtsprechung, analysiert die Positionen der letzten 60 Jahre und bewertet sie kritisch. Es wird untersucht, welche Bedeutung die Kulturadäquanz zur Lösung heutiger Konflikte zwischen Glaubensausübung und widerstreitenden Interessen hat. Abschließend werden alternative Ansätze zur Grenzbestimmung der Religionsfreiheit und deren Eignung diskutiert, gefolgt von einer Empfehlung zur Problemlösung.
- Arbeit zitieren
- Maximilian Reinhardt (Autor:in), 2021, "Kulturvölkerformel" und Religionsfreiheit unter dem Grundgesetz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1522711