Dieser Sammelband enthält drei Hausarbeiten.
Die erste Arbeit setzt sich mit der Frage auseinander, warum sich rational handelnde Menschen für den Umweltschutz einsetzen, obwohl ihnen davon kein wirtschaftlicher Vorteil entsteht. Zur Beantwortung dieser Fragen wird untersucht, ob Mancur Olsons Theorie "Logik des kollektiven Handelns" hier helfen kann.
Die zweite Arbeit thematisiert die Umweltpolitik der Europäischen Union. Dabei steht das Subsidiaritätsprinzip und dessen Begründung im Vordergrund. Hauptziel dieser Arbeit ist es, die Begründung der Subsidiarität in Gesetzestexten der Umweltpolitik herauszuarbeiten. Außerdem wird der handlungspolitische Hintergrund der Union in Bezug auf Umweltschutz erläutert.
Die dritte Arbeit beschäftigt sich mit der ethischen und rechtlichen Vertretbarkeit von Massentierhaltung. Ziel ist es, aufzuzeigen, dass diese Tierhaltung sowohl für den Menschen als auch die Umwelt und das Tier schädlich ist und aus Sicht verschiedenster bedeutsamer Philosophen/innen ethisch nicht vertretbar ist und auch vor Recht verboten werden sollte.
1. Umweltschutz – aktueller denn je!
2. Mancur Olsons Theorie des kollektiven Handelns
3. Anwendung von Olsons Theorie auf den Umweltschutz als kollektives Gut
4. Blindstellen in Olsons Logik bezüglich des Umweltschutzes
3 Der Grundsatz der Subsidiarität
4 Begründung des Subsidiaritätsprinzips in Gesetzestexten der EU
5 Diskussion und Fazit
Literatur
1. Einleitung
2. Moralischer und rechtlicher Status von Tieren
3. Massentierhaltung in Europa und Österreich
4. Die Massentierhaltung aus philosophisch-ethischer Sicht
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Ist Mancur Olsons „Logik des kollektiven Handelns“ hinreichend zur Erklärung des individuellen Engagements für den Umweltschutz?
Von Haike Blinn
1. Umweltschutz – aktueller denn je!
Auf dem letzten G8 Gipfel 2009 in Italien zeigte sich, dass das Thema Umweltschutz immer mehr an Relevanz gewinnt und zu einem der wichtigsten Diskussionsthemen zwischen den Staats- und Regierungschefs dieser Welt mittlerweile geworden ist. Barack Obama hat, als erster US-Präsident, seine Unterstützung beim weltweiten Klimaschutz zugesagt[1]. Bisher waren Klimabündnisse immer an den USA gescheitert, z.B. das Kyoto-Protokoll von 1997 (Reduzierung des Treibhausgasausstoßes bis 2012 um 5,2 % im Vergleich zu 1990[2]) wurde bis heute nicht von den USA ratifiziert[3]. Die globale Erwärmung, bedingt durch den Treibhausgaseffekt, lässt sich aber nicht mehr aufhalten und da das Problem weltweit vorkommt und diskutiert wird, müssen alle Länder zusammenarbeiten. Ein öffentliches Umweltbewusstsein, das übrigens vorwiegend in Demokratien da ist[4], hat seinen Ursprung in sozialen Bewegungen der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts (Waldsterben, Proteste gegen Atomenergie)[5].
Das kollektive Gut „Umweltschutz“ kann aber nur bereit gestellt werden, wenn alle Individuen zusammenarbeiten. Der homo oeconomicus, der sein Eigeninteresse planvoll unter Handlungsbeschränkungen verfolgt und über diese steuerbar ist[6], würde aber nach der Theorie des amerikanischen Ökonomen Mancur Olson (1932-1998) nicht ohne weiteres bei der Bereitstellung des öffentlichen Gutes Umweltschutz mitwirken, es sei denn, es gäbe selektive Anreize für ihn. Angewandt auf die Länder dieser Welt bedeutet das, dass sie ohne selektive Anreize, weder positive noch negative, sich nicht an der Bereitstellung des kollektiven Gutes „Umweltschutz“ beteiligen würden. Aber nicht nur Länder, sondern auch das Individuum ist gefragt, sich aktiv am Umweltschutz zu beteiligen. Es ist aber schwierig, das Individuum zu sensibilisieren, weil die Öffentlichkeit Themen wie Arbeitslosigkeit, Wirtschaft, etc. vorrangig behandelt[7]. Obwohl Umwelt ein knappes Gut ist[8], wird mit ihr sehr sorglos umgegangen, da sie kostenlos zur Verfügung steht. Nach dem Motto: „Was nichts kostet, ist nichts“[9].
Aber wieso ist der Umweltschutz entgegen des Fehlens dieser ökonomischen Anreize erfolgreich? Wieso setzen sich rational handelnde Menschen für den Umweltschutz ein, obwohl ihnen davon kein wirtschaftlicher Vorteil entsteht? Zur Beantwortung dieser Fragen soll untersucht werden, ob die Theorie Mancur Olsons hier helfen kann.
Mancur Olsons „Logik des kollektiven Handelns“ basiert auf dem Rational Choice Ansatz, der zu Beginn dieser Arbeit erklärt werden soll. Des Weiteren werden die Gruppentheorie, Organisationen und das kollektive Gut erklärt. Im Hauptteil wird Umweltschutz als kollektives Gut erläutert, Olsons Theorie auf den Umweltschutz angewendet sowie Kritik an Olsons Theorie geübt. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst, und es wird ein Ausblick gegeben.
2. Mancur Olsons Theorie des kollektiven Handelns
2.1. Der Rational Choice Ansatz
Die Rational Choice Theorie basiert auf dem Methodologischen Individualismus[10]. Das Akteursmodell ist hier der homo oeconomicus, der sich durch sein rationales und eigennütziges Handeln auszeichnet, stets nutzenmaximierend agiert, feststehende Präferenzen besitzt, seine Handlungsalternativen und – konsequenzen kennt, auf Restriktionen und Reaktionen anderer reagiert sowie vollständig informiert ist[11]. Bei der Entscheidungsfindung wird das Individuum sich nach seinen eigenen Wünschen und Interessen richten[12] und eine Kosten-Nutzen Kalkulation anstellen, sobald es mehr als zwei Alternativen gegenübersteht. Die Alternative, die für es den höchsten Nutzen im Vergleich zu den Kosten hat, wird gewählt[13]. Diese Kosten-Nutzenrechnung wird in einer Auszahlungsmatrix vollzogen. Die Handlungsalternativen des Akteurs sind entweder umweltgerechtes (umweltmoralisches) oder umweltschädigendes (umweltunmoralisches)Verhalten[14].
Abb. 1: Bewertung des umweltmoralischen Verhaltens unter verschiedenen Bedingungen[15]
Legende:
1 = diese Alternative hat den höchsten Nutzen im Vergleich zu den Kosten für den Akteur,
…
6 = die ungünstigste Alternative für den Akteur
Aus der Tabelle folgt, dass der Akteur den höchsten Nutzen im Vergleich zu den Kosten hat, wenn er sich nicht umweltmoralisch und eigennützig verhält, die Gruppe dies aber zu 100% tut. Am unvorteilhaftesten ist es für das Individuum, wenn es sich als Einziger umweltmoralisch verhält, und keiner der Gruppe es ihm gleich tut[16]. Die Kosten sind damit wesentlich höher als der Nutzen.
Das Individuum steht in allen Lebenssituationen immer mehreren Handlungsalternativen gegenüber. Wie bereits erwähnt, wägt es die Kosten dem Nutzen gegenüber ab. Es handelt rein rational und egoistisch, selten altruistisch[17], d.h. Hilfe um der Hilfe willen. Das Individuum hat nur Interesse an dem Wohl eines Anderen, wenn für es dabei ein Vorteil entsteht[18].
Aufgrund der Auszahlungsmatrix (Abb.1) ergibt sich folgende Entscheidungsregel, in Anlehnung an Hartmut Esser[19]:
Abb. 2: Entscheidungsregel nach der Auszahlungsmatrix Abb. 1 (in Anlehnung an Esser, Soziologie, S. 98)
Die drei Schritte einer soziologischen Erklärung sind: die Logik der Situation, die Logik der Selektion und die Logik der Aggregation. Diese führen von den Randbedingungen zum Explanandum[20], d.h. das zu Erklärende[21]. Die Logik der Situation handelt von der „Rekonstruktion der sozialen Situation“[22], die dem Akteur gegenübersteht, d.h. die Gesellschaft mit Normen, die umweltmoralisches Verhalten postuliert. In den Brückenhypothesen (oder auch Brückenannahmen) findet sich die Auszahlungsmatrix wieder, also das Abwägen der Handlungsalternativen[23]. In der Logik der Selektion entscheidet sich der Akteur aufgrund der Auszahlungsmatrix für die Handlungsalternative, die ihm den höchsten Nutzen im Vergleich zu den Kosten einbringt. Er entscheidet sich dafür, nicht umweltmoralisch zu handeln. Die Logik der Aggregation (individuelle Handlung, die zum Kollektivgut führt)[24] besteht dann aus seinem „Nicht-Beitrag“ zum Umweltschutz. Das kollektive Explanandum wäre dann der Mangel an umweltmoralischen Verhalten, also kein Beitrag zum Umweltschutz.
2.2. Gruppen und Organisationen
Eine Gruppe ist eine Anzahl von Individuen, die durch das Vorhandensein eines gemeinsamen Interesses definiert ist[25]. Die Verfolgung dieses Interesses zeichnet eine Organisation aus. Olson unterscheidet zwischen kleinen, mittelgroßen und großen (latenten) Gruppen, wobei es schwierig ist, genau eine Trennlinie zwischen den einzelnen Gruppengrößen zu ziehen. In der vorliegenden Arbeit sollen nur kleine und große Gruppen betrachtet werden. Olson meint, dass die Bereitschaft, in großen Gruppen ein kollektives Gut bereitzustellen, schwieriger ist als in kleinen Gruppen. Daher sind für ihn kleine Gruppen bei der Verwirklichung ihrer Ziele erfolgreicher als große Gruppen[26]. In kleinen Gruppen kann es vorkommen, dass ein Individuum alle Kosten auf sich nimmt, weil es für es von Vorteil ist[27]. Je größer eine Gruppe ist, desto weniger fällt die Arbeit des Einzelnen auf, und dieser kann sich somit für den eigenen Beitrag nicht motivieren[28]. Das heißt umgekehrt, dass kleine Gruppen dadurch erfolgreicher sind, weil das Zutun ihrer Mitglieder bemerkt und anerkannt wird. Das Verhalten der einzelnen Gruppenmitglieder wird also von der Gruppengröße abhängen[29].
Je größer eine Gruppe ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Trittbrettfahrer (auch „free-rider“ genannt) auftreten[30]. „Free-rider“ sind (Nicht)Mitglieder, die trotz ihres Nichtstuns in den Genuss eines Gutes kommen[31].
Daher sind große Gruppen angehalten, ihren Mitgliedern selektive Anreize zu bieten, um ein öffentliches Gut bereitstellen zu können. Selektive Anreize, die definiert sind als Anreize, die „nicht auf die Gruppe als Ganzes wirken, sondern auf Einzelne in der Gruppe“, bringen Mitglieder dazu, im Sinne der Gruppe zu handeln[32].
Damit aber selektive Anreize vorhanden sind und angewendet werden können, muss eine Organisation existieren, die diese verteilt und erstellt. Um Personal für eine Organisation zu finden, ist es nötig, selektive Anreize wie z.B. Führungspositionen zu verteilen. Somit läuft aber das Kollektivgut Gefahr, zu einem Nebenprodukt zu werden[33].
Eine Organisation ist eine Interessenvertretung der Gruppe, deren Mitglieder ein gemeinsames Interesse haben[34].
Der Zweck der Organisation ist die Verfolgung und Verwirklichung der Interessen der Gruppenmitglieder und zwar durch die Bereitstellung des Kollektivgutes. Organisationen handeln im Interesse von oder für Gruppen von Individuen[35].
2.3. Das kollektive Gut
Kollektive Güter (auch als öffentliche Güter bezeichnet) sind durch das Nichtausschluss- und Nichtrivalitätsprinzip gekennzeichnet. Das Nichtrivalitätsprinzip bedeutet, dass wenn ein Einzelner das Kollektivgut nutzt, es nicht die Möglichkeit verringert, dass ein anderer es auch verwenden kann. Unsere Umwelt kann z.B. nicht verbraucht werden und steht allen Menschen zur Verfügung[36].
Das Nichtausschlussprinzip bedeutet, dass prinzipiell niemand ausgeschlossen werden kann, auch wenn er zur Bereitstellung des öffentlichen Gutes nichts beigetragen hat[37], d.h. das kollektive Gut ist kostenlos. In einer Marktwirtschaft hat es daher den Anschein, dass es als unbegrenzte Ressource vorliegt und mit ihm großzügig umgegangen werden kann[38]. Das Trittbrettfahrerproblem entsteht dadurch, dass die Individuen nach der Rational Choice Theorie rational handeln und dabei so wenig Kosten wie möglich aufbringen wollen.
Im Gegensatz zu kollektiven Gütern stehen private Güter, die sich durch Rivalitäts- und Ausschlussprinzip auszeichnen[39].
3. Anwendung von Olsons Theorie auf den Umweltschutz als kollektives Gut
Nach Olson werden Kollektivgüter, an denen alle ein Interesse haben (wie hier der Umweltschutz), nicht bereitgestellt, es sei denn, es gibt selektive Anreize. Selektive Anreize können sowohl materiell als auch immateriell sein. Materielle Anreize wären z.B. Prämien, Gehaltserhöhung, etc., immaterielle Anreize wären dagegen Orden oder Auszeichnungen[40]. Diese materiellen und immateriellen Anreize gehören zu den positiven Anreizen. So gibt es auch negative Anreize wie z.B. Sanktionen, Zwang, etc.[41]. Olson erkennt neben den ökonomischen Anreizen auch das Bestehen sozialer Anreize (Prestige, Freundschaft) und von sozialem Druck an, jedoch misst er diesen keine größere Bedeutung bei[42]. Soziale Anreize finden sich bei Olson nur in kleinen Gruppen, da hier die Mitglieder oft in persönlichem Kontakt zueinander stehen und so eine wechselseitige Verhaltenskontrolle stattfindet. In großen Gruppen finden diese sozialen Anreize nur Platz, wenn die Gruppe ein Zusammenschluss kleinerer Gruppen ist[43]. Je größer die Anonymität ist, desto seltener wird das Kollektivgut erstellt[44].
Für den Soziologen Amitai Etzioni müssen zur Entscheidungsfindung auch Werte und Emotionen miteinbezogen werden, um die Entscheidungsfindung oft effektiver zu gestalten. Er kritisiert damit das rein rationale Handeln[45]. Olson lässt aber bei seiner Analyse soziale Anreize außen vor, da er der Meinung ist, dass es genügend andere, zudem empirische Beweise für das Gruppenverhalten gibt[46].
Umweltschutz kann als kollektives Gut angesehen werden, da es die beiden Prinzipien der Nichtrivalität und des Nichtausschlusses erfüllt. Saubere Umwelt kann nicht verbraucht werden und es kann niemand von ihrem Genuss ausgeschlossen werden, egal, ob er etwas zu ihrer Bereitstellung beigetragen hat[47].
In einer Marktwirtschaft würde der Umweltschutz nicht bereitgestellt werden[48], daher setzt sich der Staat für seine Regelung ein, z.B. Ordnungsrecht (Umweltauflagen: Gebote und Verbote), marktwirtschaftliche Anreizinstrumente (Umweltabgaben) und weitere Instrumente wie Moral Suasion[49] (Umwelterziehung durch Überzeugungs- und Informationsarbeit)[50]. Jedoch zeigt sich aber, dass das Umweltbewusstsein seit den 1970-ern schon vor dem Eingreifen des Staates zunahm[51]. Also muss es neben den negativen (Steuern) und positiven Anreizen (Prämien) noch andere Gründe geben, den Umweltschutz zu unterstützen. In die Betrachtung müssen auch soziale Normen wie Gewissen miteinbezogen werden[52].
Eine Umweltbewegung kann nicht mit Olson erklärt werden. Nach Suchanek und Homann ist sie eine nichtstandardisierte Form, die sich früher oder später auflösen wird, da die Kosten größer als der Nutzen sind.
Damit eine Situation als standardisiert gilt, muss es eine „dauerhafte stabile Umwelt sowie eine klare Anreiz- und Kostenstruktur geben“[53].
Die Umweltbewegung der 1970-er und 1980-er kann Olson nicht erklären, da sie eine soziale Bewegung (= politischer Protest) war und somit eine nicht-standardisierte Situation[54], es gab weder ökonomische positive noch negative Anreize. Aus der Umweltbewegung sind Organisationen wie z.B. die Partei „Die Grünen“, aber auch Nichtregierungsorganisationen wie „Greenpeace“ entstanden. Organisationen wiederum sind Standardsituationen und somit besitzt Olsons Theorie hier Erklärungskraft[55].
Kurzes Zwischenfazit: Obwohl alle Individuen an einer sauberen Umwelt interessiert sind, werden sie sich an ihrer Bereitstellung nur aufgrund von selektiven Anreizen beteiligen. Diese Aussage ist für große Gruppen gültig und kann auf die Umweltbewegung der 1970-er und 1980-er bezogen werden. Es gab aber keine wirtschaftlichen Anreize, in Folge dessen muss es also soziale Anreize wie Anerkennung, moralische Befriedigung, etc. gegeben haben, damit der Einzelne sich für sie eingesetzt hat.
4. Blindstellen in Olsons Logik bezüglich des Umweltschutzes
Nachfolgend sollen die Ökonomen Stephan Panther, Karl Homann und Andreas Suchanek aufzeigen, wie Olsons Theorie hinsichtlich des Umweltschutzes ergänzt werden könnte. Panther kritisiert, dass Olson nicht genügend soziale Netzwerke in seine Untersuchung mit einbezieht. Soziale Netzwerke sind definiert als „Gesamtgeflecht der Beziehungen eines Individuums“[56]. Für Olson sind die Akteure isoliert und sind bis auf die Bereitstellung des kollektiven Gutes nicht miteinander verbunden[57]. Olson räumt zwar die Existenz sozialer Anreize ein, misst aber in seiner Analyse diesen keinen größeren Stellenwert bei. Für Panther sind soziale Anreize sehr wichtig, da sie basierend auf gültigen Normen und Sanktionen verwirklicht werden können. Akteure gehören oft sozialen Netzwerken und formalen Organisationen an, und daher müssen diese laut Panther auch stärker untersucht werden[58]. Formale Organisationen werden „durch ein System von Regelungen bestimmt, die durch die Kerngruppe aufgestellt werden“[59].
Für Olson sind selektive Anreize bei der Bereitstellung eines kollektiven Gutes durch große Gruppen wichtig. Wirksam werden diese selektiven Anreize aber erst, wenn eine gemeinsame Bereitstellung des kollektiven Gutes günstiger ist als die alleinige Bereitstellung. Panther spricht von „weichen sozialen Anreizen“ (z.B. moralische Befriedigung), die für die Erzeugung des kollektiven Gutes verantwortlich sind[60].
Panther unterscheidet im Gegensatz zu Olson in sozialen Netzwerken zwischen schwachen und starken Beziehungen der Individuen untereinander. Größtenteils treten starke Beziehungen innerhalb der Familie oder in Freundschaften auf. Schwache Beziehungen, die zwischen Arbeitskollegen auftreten können, sind dagegen nicht dauerhaft[61]. Starke Beziehungen können das Individuum dahingehend so motivieren, dass es sich an der Bereitstellung eines kollektiven Gutes beteiligt, obwohl damit hohe Kosten für es verbunden sind[62]. Also können durch informelle soziale Netzwerke die Beteiligung der Individuen an sozialen Bewegungen verwirklicht werden, aufgrund der „weichen selektiven Anreize“[63]. So lässt sich das Individuum, durch gruppeninterne Normen dazu verleiten doch etwas für die Bereitstellung eines kollektiven Gutes beizutragen[64]. Die Unterstützungsbereitschaft des Einzelnen ist abhängig von Zeit, Geld, Ansichten, Werten und persönlicher Einstellung[65].
Panther erweitert die Aussage Olsons, dass Akteure rein rational handeln und eine Kosten-Nutzen-Kalkulation für sich durchführen, indem er erklärt, dass das Individuum denkt, dass es durch soziale Netzwerke mehr Einfluss auf die Bereitstellung des kollektiven Gutes (hier Umweltschutz) haben könnte.
Wie bereits erwähnt, räumt Olson die Existenz sozialer Anreize ein, jedoch schenkt er ihnen keine größere Beachtung bei der Analyse des kollektiven Handelns. Hinreichend kann er soziale Bewegungen damit nicht erklären. Für Panther sind soziale Anreize wichtig um soziale Bewegungen erklären zu können. Dass sich Individuen für den Umweltschutz einsetzen, basiert darauf, dass sie Mitglied in sozialen Netzwerken sind.
Homann und Suchanek kritisieren an Olsons Logik des kollektiven Handelns, dass Olson nur von standardisierten Situationen ausgeht.
Da Individuen emotional beeinflussbar sind, können sie auch irrational handeln. Rationales Handeln tritt dann in den Hintergrund, während subjektive Wahrnehmungen dominieren. Dies wiederspricht der Theorie Olsons, der davon ausgeht, dass Akteure nach der Rational Choice Theorie handeln[66].
Es finden ständig Kosten-Nutzen-Kalkulationen statt, jedoch kann der momentan empfundene Kosten später in nicht-standardisierten Situationen anders bewertet werden. “Umstrukturierte Entscheidungssituationen“[67], die in Zeiten von Umbrüchen oder Reorganisationen auftreten, können solche Entscheidungsänderungen herbeirufen[68]. Es gibt also immer Aufbruchs- und Umbauphasen innerhalb eines offenen Prozesses, da dieser neue Entwicklungen mit sich bringt. Olsons Theorie kann diese Phasen jedoch nicht erklären[69].
Die Theorie Homanns und Suchaneks gilt nur in Nicht-Standardsituationen[70]. In Standardsituationen wird der Einfluss der Emotionalität zurückgehen. Die irrationalen Anhänger, von sozialen Bewegungen, die „Idealisten“, begreifen erst später, dass ihre erbrachten Kosten im Vergleich zu ihrem Nutzen viel höher sind[71]. Daher sind soziale Bewegungen nicht von langer Dauer und wandeln sich in Organisationen um. Organisationen sind wiederum standardisiert, und damit besitzt Olsons Theorie wieder Erklärungskraft[72].
5. Zusammenfassung
Umweltschutz ist ein kollektives Gut, da das Nichtausschluss- und das Nichtrivalitätsprinzip herrscht. Jedes Individuum möchte eine saubere Umwelt und profitiert auch von deren Bereitstellung, egal, ob es sich daran beteiligt hat. Dieses Trittbrettfahrerproblem, das vorwiegend in großen Gruppen vorkommt, kann nach Olson durch das Vorhandensein von selektiven Anreizen eingedämmt werden. Olson erkennt neben ökonomischen Anreizen die Existenz von sozialen Anreizen an, jedoch berücksichtigt er diese unzureichend bei seiner Analyse, was Stephan Panther bemängelt. Er stimmt im Großen und Ganzen Olson zu, jedoch muss dessen Theorie seiner Meinung nach um die Berücksichtigung sozialer Anreize erweitert werden. Homann und Suchanek finden Olsons Logik auch schlüssig, machen aber deutlich, dass seine Theorie keine Allgemeingültigkeit besitzt, da sie nur in Standardsituationen angewendet werden kann. Nicht-Standardsituationen wie soziale Netzwerke lassen sich durch Olson nicht deuten.
Der Soziologe Amitai Etzioni kritisiert, dass nicht immer von einem rational handelnden Akteur ausgegangen werden kann. Es werden auch irrationale Entscheidungen getroffen, d.h. aufgrund von Werten und Emotionen. Es gibt individuelle Entscheidungen, jedoch werden diese meist im Rahmen eines Kollektivs gemacht[73].
Olsons Theorie des kollektiven Handelns lässt sich nur begrenzt auf den Umweltschutz anwenden. Es müssen bei der Untersuchung weitere Aspekte wie soziale Prägung, Moral und Normen eingebunden werden. So lässt sich Umweltschutz nicht allein durch rationales Handeln begründen, das irrationale Handeln muss auch umfassend berücksichtigt werden. Bei der Analyse der Bereitstellung des kollektiven Gutes „Umweltschutz“ muss also das Verhalten des Individuums als homo oeconomicus, der seine eigene Kosten-Nutzen-Kalkulation anstellt, sowie sein irrationales Verhalten nach Werten, Normen und Emotionen, mit in Betracht gezogen werden.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Bewertung des umweltmoralischen Verhaltens unter verschiedenen Bedingungen (Esser, Soziologie, S. 71)
Abb. 2: Entscheidungsregel nach der Auszahlungsmatrix Abb. 1 (erstellt von Haike Naemi Blinn in Anlehnung an Esser, Soziologie, S. 98)
Literaturverzeichnis
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Wellenreuther, Hans: Die Wirkungen öffentlicher Güter. Untersucht am Beispiel von Fußgängerbereichen, Berlin 1982
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Internetquellen
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>Die Begründung des Subsidiaritätsprinzips in Verordnungen
Richtlinien zum Umweltschutz der Europäischen Union
1. Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit setzt sich mit der Umweltpolitik der Europäischen Union auseinander. Dabei steht das Subsidiaritätsprinzip und dessen Begründung im Vordergrund.
Hauptziel dieser Arbeit ist es, die Begründung der Subsidiarität in Gesetzestexten der Umweltpolitik herauszuarbeiten. Außerdem soll der handlungspolitische Hintergrund der Union in Bezug auf Umweltschutz veranschaulicht und erläutert werden.
Zunächst wird in Kapitel 2 der grundlegende Begriff „Umwelt“ näher erläutert und es wird in die Thematik der Umweltpolitik der EU eingeführt. Die Kernpunkte des Umweltrechts werden herausgearbeitet und diejenigen Institutionen genauer beleuchtet, welche eine tragende Rolle in den zu analysierenden Gesetzestexten aus Kapitel 4 spielen. Kapital 3 befasst sich mit dem Grundprinzip der Subsidiarität, damit auf dieser Basis die inhaltliche Erfassung und Analyse (der Begründung der Subsidiarität) von Vorschlägen zu Gesetzesentwürfen der Europäischen Kommission zum Umweltschutz in Kapitel 4 erfolgen kann. Abschließend werden die Ergebnisse in Kapitel 5 diskutiert. Die Arbeit endet mit einem Fazit.
2. Umweltpolitik der EU
2.1 Begriffsklärung
Um sich weitgehend mit dem Thema Umweltpolitik auseinanderzusetzen ist eine Definition des Umwelt-Begriffes erforderlich. Jeder kann sich was darunter vorstellen und es fallen einem viele aktuell diskutierte Thematiken, wie z.B. die Meeresverschmutzung, Luftverschmutzung, Plastikmüll ein. Im Vertrag der Europäischen Union (EUV) und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wird auf die Begriffe Umwelt, Umweltschutz und Umweltqualität zurückgegriffen, jedoch werden diese nicht definiert (Vgl. Art 3 Abs. 3 EUV, Art. 4 Abs. 2lit e), 11, 114 Abs. 3ff., 191ff. AEUV). Die beiden Vertragswerke bilden zusammen die rechtliche Grundlage der Europäischen Union. Die Bestimmung ist von Bedeutung, da der Begriff so verstanden sein muss, dass die EU-Umweltpolitik die gefassten Ziele verwirklichen kann. Die Formulierungen in Bezug auf die Ziele und Aufgaben der EU-Umweltpolitik sind sehr allgemein gehalten und sprechen für einen weiten Umweltbegriff (vgl. Epiney 2019. S.35). Es erscheint sinnvoll, den Begriff im ersten Schritt auf die „natürliche“ Umwelt zu beschränken, unter Miteinbezug der „Arbeitsumwelt“ und der „sozialen“ Umwelt würde der Begriff in völliger Konturlosigkeit versinken. Es sollte von einem weiten „natürlichen“ Umweltsbegriff ausgegangen werden, da die vom Menschen geschaffene (gestaltete und gebaute) Umgebung eine wichtige Rolle in der Umweltpolitik spielt. Nur so ist ein Schutz gegen potenzielle Bedrohungen der Umwelt und der Gesundheit möglich.
2.2 Umweltrecht
Um die Grundprinzipien des Umweltrechts in der Europäischen Union zu verstehen ist es notwendig, sich über die inhaltlichen Vorgaben, Ziele und Aufgaben, sowie die Handlungsprinzipien im Klaren zu sein.
Die EU-Umweltpolitik muss sich inhaltlich an gewisse Ziele und Grundsätze orientieren. Diese werden in Art.191 Abs. 1-3 des AEUV beschrieben. Die Bekämpfung des Klimawandels ist nach Artikel 191 ein erklärtes Ziel der EU-Umweltpolitik. Nachhaltige Entwicklung gehört zu den übergeordneten Zielen der EU. Daher hat sich die EU dem Ziel verschrieben, „ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ zu gewährleisten (Artikel 3 AEUV). Die Breite der inhaltlichen Themen des Umweltrechts reicht von allgemeinen Aspekten, wie die Erhaltung und dem Schutz der Umwelt und der Verbesserung ihrer Qualität über den Gesundheitsschutz bis zu Maßnahmen auf internationaler Ebene, wie die Bekämpfung des Klimawandels. Die EU soll durch ihre Umweltpolitik zur Erreichung dieser Ziele „beitragen“, durch diese Ausdrucksweise wird der „Beitragscharakter“ betont. Es bringt zum Ausdruck, dass diese Zielsetzungen auch in anderen Politikbereichen verfolgt werden (Epiney 2019, S. 151).
- Arbeit zitieren
- GRIN Verlag (Hrsg.) (Autor:in), Haike Blinn (Autor:in), Hannah Keher (Autor:in), 2024, Umweltschutz, Naturschutz und Tierwohl. Theorien, Richtlinien und ethische Aspekte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1523776