Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Soziale Ungleichheit nach Pierre Bourdieu
2.1 Das Modell des sozialen Raums
2.2 Ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital
3 Soziale Herkunft als Faktor der Bildungsungleichheit
3.1 Auswahl der Auserwählten – Pierre Bourdieu über ungleiche Bildungschancen
4 Institutionelle Segregation im deutschen Bildungssystem
4.1 Grundstruktur des deutschen Bildungssystems
4.2 Ergebnisse der PISA-Forschung
5 Reproduktion sozialer Ungleichheit durch das Bildungssystem?
6 Fazit
7 Bibliographie
1 Einleitung
Schwerwiegend erscheinen die Ergebnisse der PISA-Studien: Insbesondere in Deutschland zeigt sich ein sehr enger Zusammenhang zwischen der Herkunft aus einer spezifischen sozialen Schicht und dem Bildungserfolg. So verfügen Schüler der unteren Gesellschaftsschicht über weniger Leistungskompetenz oder erreichen nur in geringer Anzahl höhere Schulabschlüsse oder gar überhaupt eine Mindestqualifikation. Ein weiteres Ergebnis ist die eindeutige Verteilung von Schülern verschiedener sozialer Herkunft auf verschiedene Schulformen.
Bereits im Frankreich der 60er Jahre wurde dieser Zusammenhang thematisiert. Pierre Bourdieu beschäftigte sich in seiner Bildungsforschung vorrangig mit der sozial bedingten Chancenungleichheit und Unterschieden in der Bildungsbeteiligung.
Doch was sind die Ursachen der ungleichen Bildungserfolge? Inwiefern determiniert die soziale Herkunft die schulische und berufliche Laufbahn? Welche Rolle spielen Bildungseinrichtungen und gelingt es ihnen die sozialen Determinanten zu berücksichtigen und Chancengleichheit zu gewährleisten? Trifft Bourdieus Aussage, über die Reproduktion sozialer Ungleichheit durch schulische Institutionen zu?
2 Soziale Ungleichheit nach Pierre Bourdieu
2.1 Das Modell des sozialen Raums
Das von Pierre Bourdieu konstruierte Modell des sozialen Raumes soll der Analyse von Formen sozialer Ungleichheit, die auf der Zugehörigkeit zu bestimmten Klassen oder Schichten beruhen, dienen.
Sein Modell überwindet die Eindimensionalität bisheriger Schichtungsmodelle, die lediglich durch eine vertikale Achse die Hierarchie von verschiedenen Klassen anhand des jeweils zuzuordnenden Kapitalumfangs definiert haben. So beispielsweise die Marx’sche Einteilung der Gesellschaft in die Klasse der Herrschenden, der Bourgeoisie und die Klasse der Beherrschten, der Proletarier, die sich durch die ungleiche Verteilung von Besitz und Eigentum von Produktionsmitteln charakterisieren[1]. Diese Klasseneinteilung anhand unterschiedlich hoher Verfügbarkeit von ökonomischem Kapital ergänzt Bourdieu zum einen durch die Begriffe des kulturellen und sozialen Kapitals, zum anderen durch eine horizontale Achse der Kapitalstruktur, die Aussagen über das Verhältnis des ökonomischen und kulturellen Kapitals zueinander treffen soll. Umfang und Struktur des Kapitals sowie die Relation der Kapitalarten zueinander sollen als Kennzeichen einer bestimmten Klasse innerhalb des sozialen Raumes gelten.
Die Konstruktion von gesellschaftlichen Klassen sowie deren konkrete Verortung im sozialen Raum vollzieht Bourdieu durch die Auswertung statistischer Daten über Einkommen, Schulbildung, Berufsqualifikationen sowie soziale Herkunft, die er im Frankreich der 1960er/1970er Jahren erhoben hat[2].
Nach Bourdieu konstituiert sich die Gesellschaft aus drei Klassen: Der herrschenden Klasse, die über ein hohes Maß an ökonomischem oder kulturellem Kapital verfügt, der Mittelklasse oder auch Kleinbürgertum und der Volksklasse, die über geringes oder kein ökonomisches und kulturelles Kapital verfügt und als die beherrschte Klasse gilt[3].
Trotz der Einteilung der Gesellschaft in drei Klassen, sei diese jedoch nicht als statisch zu sehen. Vielmehr sei der soziale Raum wie der geographische Raum zu sehen, dem die „Logik
einer räumlichen Verteilung“[4] innewohnt, durch die je nach räumlicher Näher zueinander
auch Annäherungen möglich sind, wobei der soziale Raum jedoch starke Zwänge ausübt,
„in höchstem Maße determinierend“ und demnach der Kampf „um die Veränderung dieses Raumes“ sehr kraftaufwändig sei.[5]
Bourdieu unterteilt den sozialen Raum in zwei weitere Räume: Zum einen in den Raum der sozialen Positionen, in dem die verschiedenen Berufsgruppen verortet werden, zum anderen in den Raum der Lebensstile, der sich wiederum zusammensetzt aus ökonomischen und kulturellen Ressourcen, die objektiv verfügbar sind, aber auch aus subjektiven Wahrnehmungen, die charakteristisch sind für bestimmte Gruppen oder Klassen.
„In der Beziehung dieser beiden des Habitus definierenden Leistungen: der Hervorbringung klassifizierbarer Praxisformen und Werke zum einen, der Unterscheidung und Bewertung der Formen und Produkte (Geschmack) zum anderen, konstituiert sich die repräsentierte soziale Welt, mit anderen Worten der Raum der Lebensstile.“[6]
Der Begriff des Habitus wird von Bourdieu als „ allgemeine Grundhaltung“, eine „Disposition gegenüber der Welt, die zu systematischen Stellungnahmen führt“[7] definiert. Der Habitus lenkt das Verhalten und bringt Geschmack hervor, welcher definiert wird als „ Neigung und Fähigkeit zur (materiellen und/oder symbolischen) Aneignung einer bestimmten Klasse klassifizierter und klassifizierender Gegenstände und Praktiken (...) die dem Lebensstil zugrunde liegt“[8]. Habitus werde durch die soziale Herkunft determiniert, da „(...)unterschiedliche Existenzbedingungen unterschiedliche Formen des Habitus hervorbringen(...)“[9].
2.2 Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital
Nach Bourdieu zeichnet sich das gesellschaftliche Leben und die Zugehörigkeit zu bestimmten Klassen durch die Anhäufung von Kapital aus.
Der Begriff des Kapitals wird jedoch über seine ursprünglich ökonomische Konnotation hinaus ausgeweitet. Der Begriff des Kapitals soll nicht nur materiellen Besitz umfassen und „die Gesamtheit der gesellschaftlichen Austauschverhältnisse auf den bloßen Warenaustausch“[10] reduzieren, sondern auch Formen des sozialen Austausches einschließen.
Der Kapitalbegriff erfährt eine Unterteilung in das ökonomische Kapital, das kulturelle und das soziale Kapital.
Gesellschaftliches Leben sei demnach charakterisiert durch das Akkumulieren von materiellem oder verinnerlichtem Kapital, deren materielle oder kulturelle Vererbung sowie Chancenungleichheit. Im Gegensatz zu einfachen „Glücksspielen“[11] verfügt das gesellschaftliche Leben nicht über gleiche Ausgangsbedingungen und eine gleich hohe Chancenverteilung für alle Mitspieler bzw. Mitglieder der Gesellschaft.
„Das Kapital ist eine der Objektivität der Dinge innewohnende Kraft, die dafür sorgt, dass nicht alles gleich möglich oder gleich unmöglich ist.“[12]
Kulturelles Kapital
Das kulturelle Kapital kann in inkorporierter, objektivierter oder institutionalisierter Form existieren.
Das inkorporierte Kulturkapital, als verinnerlichte, personengebundene Kapitalform ist Bildung, die durch familiäre „Primärerziehung“[13] und den Schulbesuch vermittelt wird und damit einhergehend kulturelle Fähigkeiten, sich Kunst und Kultur symbolisch anzueignen. Sein Besitz und seine Übertragung stehen in Abhängigkeit zu dem Maß an kulturellem Kapital der Familie.
Objektiviertes Kulturkapital sind materiell übertragbare Kulturgüter, deren Aneignung entweder materiell durch ökonomisches Kapital oder symbolisch durch inkorporiertes Kulturkapital erfolgen kann[14].
Institutionalisierte Formen von Kulturkapital sind schulische oder akademische Titel, die als institutionelle Anerkennung und Instrument der Messbarkeit von Kulturkapital fungieren und Aussagen über „kulturelle Kompetenz“[15] treffen.
[...]
[1] vgl. Schwingel 2005, S.105
[2] vgl. Schwingel 2005, S.107
[3] vgl. Schwingel 2005, S.110f
[4] Bourdieu 1992, S. 36
[5] Bourdieu 1992, S. 37
[6] Bourdieu 1982, S. 278
[7] Bourdieu 1992, S.31
[8] Bourdieu 1982: S. 283
[9] Bourdieu 1982, S.278
[10] Bourdieu 1992, S.50
[11] ebd. 1992, S.49
[12] ebd. 1992, S.50
[13] ebd. 1992, S.56
[14] vgl. ebd. 1992, S. 59
[15] ebd. 1992, S.61