Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen und Definitionen
2.1 Stille Reserven
2.2 Handelsgesetzbuch
2.3 International Accounting Standards / International Financial Reporting Standards
3. Stille Reserven im Vergleich nach HGB- und IAS/IFRS-Richtlinien
3.1. Zwangsreserven
3.2. Dispositionsreserven
3.3. Ermessensreserven
3.4. Willkürreserven
4. Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
6. Eidesstattliche Erklärung
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 : Arten der stillen Reserven
Abbildung 2: Wesentliche Unterschiede der Grundsätze nach IAS/IFRS und HGB
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
International agierende Unternehmen sehen sich häufig in der Pflicht, ihren Jahresabschluss sowohl nach den deutschen Richtlinien des Handelsgesetzbuches (HGB) als auch nach den internationalen Richtlinien der International Accounting Standards (IAS) zu erstellen. Mitunter können dabei gravierende Unterschiede zu Tage gefördert werden. So wies beispielsweise das Versicherungsunternehmen Allianz im Jahr 2001 fast doppelt so viel Eigenkapital nach IAS wie nach HGB aus. Über 60% dieser Differenz lassen sich durch die Bilanzierung von sogenannten stillen Reserven erklären.[1] Stille Reserven entstehen entweder als Folge einer Unterbewertung der Aktiva, oder durch eine Überbewertung der Passiva - im Falle der Allianz entspricht dies immerhin knapp 8,3 Mrd. €. Das Beispiel verdeutlicht, dass stille Reserven nach HGB und IAS gänzlich unterschiedlich behandelt werden. Während sie durch das HGB in einigen Fällen erlaubt sind, lehnt das IAS sie grundsätzlich ab. Die abweichenden Bilanzierungsvorgaben von stillen Reserven nach IAS und HGB können dabei zu stark unterschiedlichen Aussagen über die Finanzlage eines Unternehmens führen. Unter anderem deshalb werden ausländische Jahresabschlüsse von der US-amerikanischen Börsenzulassungsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) nicht zugelassen, wohingegen US- amerikanische Jahresabschlüsse in Deutschland anerkannt werden.[2] Inzwischen hat der deutsche Gesetzgeber mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Anstrengungen unternommen, die Richtlinien des HGB stärker an die internationalen Vorgaben anzulehnen. So wurden einige Möglichkeiten zur Bildung von stillen Reserven im HGB eindeutig eliminiert.
Ziel dieser Arbeit ist es, die unterschiedlichen Bilanzierungsarten der stillen Reserven nach HGB- und IAS/IFRS-Richtlinien und die daraus resultierende Problematik aufzuzeigen. Dabei soll keine detaillierte Beschreibung des Aufbaus und der Regulierungen des HGB und der IAS/IFRS gegeben werden. Vielmehr sollen die Richtlinien in ihren wesentlichen Grundzügen erläutert werden und auf die für die Bilanzierung von stillen Reserven bedeutenden Unterschiede eingegangen werden. Hierzu sollen in Kapitel 2 die begrifflichen Grundlagen erläutert werden, bevor in Kapitel 3 auf die Unterschiede eingegangen wird. In Kapitel 4 sollen die Ergebnisse diskutiert und analysiert werden.
2. Grundlagen und Definitionen
Im folgenden Kapitel werden die grundlegenden Begriffe dieser Schrift erläutert. Zunächst sollen hierzu die Eigenschaften und Arten der stillen Reserven erläutert werden, bevor näher auf die Bilanzierungsprinzipien HGB und IAS/IFRS eingegangen wird.
2.1 Stille Reserven
Im Gegensatz zu den auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesenen Kapitalreserven sind die stillen Reserven nicht in der Bilanz ausgewiesen. „Stille Reserven werden definiert als Differenz zwischen dem Buchwert und einem höheren Vergleichswert (z.B. dem Zeit- oder Wiederbeschaffungswert) von Vermögenswerten bzw. den Buchwerten und den niedrigeren tatsächlichen Werten von Schulden“.[3] [4] Stille Reserven entstehen demnach entweder als Folge einer Unterbewertung der Aktiva, oder durch eine Überbewertung der Passiva. Eine stille Reserve wird dabei als endogen bezeichnet, wenn deren Bildung und Auflösung durch das Unternehmen beeinflusst werden kann. Die Bilanzierung von exogenen stillen Reserven ist nicht durch das Unternehmen beeinflussbar und wird „von außen“ vorgegeben (vgl. Abbildung l).[5]
Abbildung 1 : Arten der stillen Reserven
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: in Anlehnung an Hoch (2003), S. 312
Insgesamt werden vier Arten von stillen Reserven unterschieden - die Zwangs-, die Dispositions-, die Ermessens- und die Willkürreserven:
- Zwangsreserven entstehen, wenn der Gesetzgeber die Bilanzierung über einen bestimmten Wert hinaus verbietet (z.B. Überschreitung der Anschaffungs- und Herstellkosten).[6] Die Höhe stiller Zwangsreserven ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Buchwert von Vermögensgegenständen und deren (höherem) Tageswert als Marktwert. Sie treten insbesondere bei langfristigen Investitionen wie Grundstücken, Beteiligungen und Wertpapieren des Anlagevermögens auf. Hat beispielsweise ein Grundstück, welches in der Bilanz mit einem Betrag von 1.000.000 Euro verbucht wird, einen Verkaufswert von 1.500.000 Euro, so bestünde eine stille Reserve in Höhe von 500.000 Euro, wenn in der Bilanz nicht über die Anschaffungskosten hinaus bewertet werden darf.
- Dispositionsreserven können durch handelsrechtliche Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte entstehen, indem sich der Bilanzierende für jene bilanzpolitische Maßnahme entscheidet, die zu niedrigeren Ansätzen des Vermögens führt (z.B. Wahlrecht zur Bildung von Rückstellungen, Wahlrecht zur außerplanmäßigen Abschreibung bei Vermögensgegenständen des Umlaufvermögens).[7] [8] Als Beispiel sei angenommen, dass ein Unternehmer eine Firma für 1.000.000 Euro kauft. Der eigentliche materielle Wert der Firma beträgt jedoch nur 750.000 Euro. Der Residualwert von 250.000 Euro ist der derivate Geschäfts- oder Firmenwert (GoF) - bestehend aus den Patenten, Standortvorteilen, Kundentreue etc. des gekauften Unternehmens. Der Unternehmer beschließt sein Aktivierungswahlrecht nicht wahrzunehmen und nur 750.000 Euro als Vermögen zu bilanzieren. Ihm entstehen so stille Reserven von 250.000 Euro.
- Ermessensreserven, auch Schätzungsreserven genannt, resultieren ebenfalls durch handelsrechtliche Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte. Der Grund dafür liegt in der Ungewissheit von Schätzungen, d.h. mangelnde Informationen und Ungewissheit über den Eintritt zukünftiger Ereignisse (z.B. Nutzungsdauer des abnutzbaren Anlagevermögens, Bemessung von Rückstellungen). Beispielsweise beschafft ein Unternehmen eine Maschine zu 50.000 Euro. Diese hat eine Lebensdauer von zehn Jahren. Die Geschäftsleitung schätzt die Lebensdauer jedoch nur auf fünf Jahre und beschließt, die Maschine innerhalb von fünf Jahren abzuschreiben. So werden über fünf Jahre jährlich 10.000 Euro abgeschrieben anstelle von nur je 5.000 Euro über zehn Jahre. Dadurch entstehen pro Jahr 5.000 Euro an stillen Reserven.
- Willkürreserven ergeben sich durch bewusste Nichtbeachtung der Bilanzierungsvorschriften und verfälschen die Vermögens- und Ertragslage (z.B. durch Nichtaktivierung von aktivierungspflichtigen Vermögensgegenständen oder der Unterbewertungen von Vermögensgegenständen).[9] Als Beispiel sei angenommen, dass ein Unternehmen einen ausländischen Schuldner besitzt und bewusst beschließt, den Schuldenbetrag auf Basis eines zu niedrigen Wechselkurses zu bilanzieren. Im Vergleich zum realen Wechselkurs entstehen dem Unternehmen dabei stille Reserven.
Für das Unternehmen stellen stille Reserven eine Rücklage dar, die in der Bilanz nicht erscheint. Da hierdurch die Bilanz verfälscht wird, erschwert sie die Vergleichbarkeit und Aussagefähigkeit zu anderen Unternehmungen. Der ausgewiesene Jahreserfolg wird durch die Bildung stiller Reserven verringert. Es ergeben sich dadurch jedoch keine Steuerersparnisse, sondern es kommt lediglich zu einer Steuerverschiebung auf den Zeitpunkt, bei dem die stillen Reserven aufgelöst werden.[10]
2.2 Handelsgesetzbuch
Das Handelsgesetzbuch, das bereits am 1. Januar 1900 in Kraft trat, ist die wichtigste Rechtsquelle für Kaufleute in Deutschland. Es stammt in weiten Teilen von dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861 ab und soll Geschäfte innerhalb der Bundesrepublik Deutschland regeln. Das HGB ist in vier Bücher unterteilt, von denen hinsichtlich der stillen Reserven allerdings nur das dritte Buch relevant ist. Das dritte Buch regelt das Handelsbilanzrecht und behandelt die Aspekte Buchführung, Bilanz- & Jahresabschluss, Prüfung und Offenlegung. Es besteht aus sechs Abschnitten. Der erste Abschnitt gilt für alle Kaufleute, während die Abschnitte zwei bis vier ergänzende Rechnungslegungsvorschriften für Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen enthalten. Das Private Rechnungslegungsgremium und der Rechnungslegungsbeirat werden im fünften Abschnitt behandelt und der sechste Abschnitt befasst sich mit der Prüfstelle für Rechnungsle- gung.[11] Das HGB besagt, dass jeder Kaufmann eine Bilanz zum Schutz der externen Bilanzadressaten [12] erstellen muss, die die Vermögens-, Finanz und Ertragslage ersichtlich macht. Die Buchführung muss dabei „so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvor- falle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann“ [13]. Die Erstellung der Bilanz muss nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) erfolgen, wobei der Begriff GoB nicht eindeutig definiert ist. Vielmehr stellen sie einen Verbund aus nur teilweise niedergeschriebenen Regeln zur Buchführung dar, die auf den Empfehlungen und Vorgaben der Wissenschaft, Praxis und Rechtsprechung basieren. Aufgrund wiederkehrender Unsicherheiten bei der Bilanzierung hat der Gesetzgeber versucht, Teile der GoB durch im Gesetzbuch festgelegte Grundsätze näher zu beschreiben.[14] Diese sogenannten kodifizierten Grundsätze lassen sich folgendermaßen systematisieren.[15]
Alle Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung genauer zu erläutern, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Aus diesem Grund sollen nur die für stille Reserven wesentlichen Grundsätze kurz erklärt werden.[16]
[...]
[1] vgl. Lier (2003), S. 286
[2] vgl. Thiele (1999), S. 2
[3] „In der Literatur zur Rechnungslegung findet man sowohl den Begriff stille Reserven als auch stille Rücklagen. [...] Da es kein zwingendes Argument für den einen oder anderen Begriff gibt, werden im neueren Schrifttum stille Rücklagen und stille Reserven synonym verwandt“. Thiele (1999), S. 7. In der vorliegenden Arbeit soll der Begriff „stille Reserven“ benutzt werden.
[4] vgl. Küting/Weber (2009), S. 217
[5] vgl. Küting (1995), S. 4 ff.
[6] vgl. Küting/Weber (2009), S. 218
[7] vgl. Coenenberg (2005), S. 321; Küting/Weber (2009), S. 218
[8] vgl. Coenenberg (2005), S. 321 f; Küting/Weber (2009), S. 219; Wöhe (2005), S. 1047
[9] vgl. Coenenberg (2005), S. 322
[10] vgl. Coenenberg (2005), S. 322; Wöhe (2005), S. 1046 f
[11] HGB (2007), S.IX - XI; vgl. auch Wöhe (2005), S.845 ff
[12] „Externe Bilanzadressaten sind alle Personen und Institutionen, deren wirtschaftliche Lage durch die Entscheidungen der Unternehmensleitungen beeinflusst werden kann. Zu den externen Bilanzadressaten gehören: die Gläubiger, die Anteilseigner (insbesondere Aktionäre), die Finanzverwaltung, die Arbeitnehmer und die interessierte Öffentlichkeit“ Wöhe (2005), S. 841
[13] §238 Abs. 1 Satz 2 HGB
[14] vgl. Coenenberg (2005), S.38
[15] vgl. Coenenberg (2005), S.46; Wöhe (2005), S. 856 ff
[16] vgl. Coenenberg (2005), S. 41 f