Leseprobe
Das Konzil von Konstanz - ein universalkirchliches Parlament?
Andreas Plöger "The Church was given a written constitution", so resümiert Dennis Hay das Ergebnis des Konstanzer Konzils. Die mittelalterliche Kirche begreift er als Staatswesen (Hay: S. 267) und versucht ihre Struktur unter Rückgriff auf modernen Kategorien und Begrifflichkeiten zu erklären. Wenn es nach den Beschlüssen von Konstanz geht, nimmt auch das Generalkonzil eine neue Position im strukturellen Gefüge der Kirche ein. Nur welche? Kann man Konstanz als Parlament verstehen?
Ein Parlament ist eine der Verfasstheit einer Gesellschaft gemäß repräsentative, regelmäßig zusammentretendene Versammlung von Vertretern, die bindende Entscheidungen nach festen Verfahrensregeln fällt. Diese sind für alle Mitglieder der Gemeinschaft gültig. In seinem Tätigkeitsbereich hat es die höchste Entscheidungsgewalt inne. Die Existenz eines Parlaments hängt nicht von der Staatsform ab, es muss nicht durch Volkswahl legitimiert sein. Gegenüber der Exekutive bestehen direkte und indirekte Kontroll-Möglichkeiten. Das Parlament übt seine Macht legitim aus. Die in ihm versammelten Vertreter verfügen über das gleiche Stimmrecht. Verschiedene politische Fraktionen versuchen in der Debatte im Plenum oder beigeordneten Gremien eine Stimmmehrheit für ihre Position erreichen. Parlamente, die nicht aus einer Revolution heraus entstanden sind, sind meist in einem unwillkürlichen "Trial and Error"-Prozess gewachsen. Ein Musterbeispiel hierfür ist das britische Parlament.
Möchte man den Entwicklungen im Lauf des Konstanzer Konzils gerecht werden, muss man die Kontrollfunktion und Frage nach der Legitimation des Konzils voranstellen. Schließlich ist die Kontrollfunktion der Universalkirche und ihrer Vertreter gegenüber den durchaus fehlbaren Amtsinhabern und die Wiederherstellung der Kircheneinheit der raison d'etre von Konstanz nach der Loslösung von Johannes XXIII. Das Problem der Legitimation stellte sich in Konstanz zweimal: bei der Einberufung durch Siegmund, der die Konvokationsbulle Johannes XXIII. erst kurze Zeit später folgte, sowie nach der Aberkennung von Johannes Status als allein legitimer Pontifex. Es wurde beidesmal zu Gunsten des Konzils entschieden. Die Versammlung in Konstanz hat sich mit Haec Sancta aus sich selbst heraus als Vertreterin der gesamten christlichen Heilsgemeinschaft gegenüber den drei Päpsten für legitim und allein entscheidungsbefugt erklärt. Dieser in Haec Sancta gipfelnde Prozess der Selbstlegitimation ("rechtmäßig versammelt"; "[...] hat ihre Gewalt unmittelbar von Christus."; Haec Sancta: S. 409) verlief reaktiv und nicht ohne Streit, resultierte jedoch in einer gegenüber dem Papsttum autonomen Körperschaft innerhalb der Kirche, deren wichtigste Zuständigkeit die Wahrung ihrer Einheit war. Die Superiorität gegenüber dem Papsttum stellte schließlich die Durchsetzungsfähigkeit des Konzils klar. (vgl. Franzen: S. 102) Eng mit der Legitimationsfrage verknüpft ist die der Repräsentanz. Ein Versammlung mit dem Anspruch Vertreterin einer Universalkirche zu sein zieht ihre Legitimation aus einer repräsentativen Konstituierung. Die Repräsentanz wurde mit Haec Sancta festgestellt und untermauert ("[...] [eine Synode die] die streitende katholische Kirche repräsentiert [...]"; Haec Sancta: S. 409), auch wenn die Kirche in ihrer Gesamtheit zu keinem Zeitpunkt wirklich zusammengefunden hatte. Es bestand also ein Unterschied zwischen beanspruchter und realer Repräsentanz.
[...]
- Arbeit zitieren
- Andreas Plöger (Autor), 2009, Das Konzil von Konstanz - ein universalkirchliches Parlament?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/153392
Kostenlos Autor werden
Kommentare