Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Was sind Normen bzw. soziale Normen?
Was sind Werte?
Der Prozess der Sozialisation
Sichere Bindung an die Bezugspersonen
Erziehung ist Beziehung
Kinder sind manipulierbare Wesen
Anlage-Umwelt-Debatten
Auswirkungen der autoritären Manipulation
Erziehung im Wandel
Gesellschaftliche Veränderungen
Der Weg des geringsten Widerstandes
Autonom, emotional und selbstbewusst
Warum ist die Internalisierung von Normen und Werten so wichtig?
Theorien über die Entwicklung von Normen und Werten bzw. moralischem Denken, Handeln und Urteilen
Soziale Perspektive im präkonventionellen Niveau (nach Kohlberg)
Ist die Abgrenzung der Moralentwicklung in Ebenen und Stufen (nach Kohlberg) wirklich realistisch?
Dein Kind - dein Spiegelbild
Änderungen vorbehalten
Emotionen sollten Kinder begleiten - von Anfang an!
Theorien auf der einen - Realitäten auf der anderen Seite
Was ist eigentlich Moral?
Lehren und Lernen
Regeln veranschaulichen und begründen
Wieso? Weshalb? Warum?
Normen und Werte - keine Kopfsache, sondern eine spontane Entscheidung aus dem „Bauch" heraus?
Von Vorbildern, die keine sind
Belohnung und Bestrafung
Welche Werte sind „wertvoll"?
Auch kindliche Fantasie kann Werte beinhalten
Dilemma-Situationen oder moralische Dilemmata
Last but not least
Persönliches Schlusswort
Literaturverzeichnis
Kleine Hand - Große Hand
Es sagte einmal die kleine Hand zur großen Hand:
Du, große Hand, ich brauche dich. Ich brauche dich, weil ich mich bei dir wohlfühle und bei dir sicher bin.
Ich spüre dich, wenn ich wach werde und du dann bei mir bist. Ich spüre dich, wenn ich Hunger habe und du mir zu essen gibst.
Ich spüre dich,
wenn ich mit dir spazieren gehe und du mir die Welt zeigst.
Ich spüre dich, wenn ich müde bin und du mich trägst.
Ich bitte dich,
bleibe in meiner Nähe und halte mich.
Und es sagte die große Hand zur kleinen Hand:
Du, kleine Hand, ich brauche dich. Ich brauche dich, weil ich mich bei dir wohlfühle und dich lieb habe.
Ich spüre dich, wenn ich mit dir spielen, lachen und toben kann.
Ich spüre dich, wenn ich dir kleine Griffe zeigen kann, die du lernen willst.
Ich spüre dich, wenn ich müde oder traurig bin und du mich wieder froh
machst.
Ich bitte dich,
bleibe in meiner Nähe und halte mich.
(Verfasser unbekannt)
Einleitung
Wenn man heute einen Erwachsenen, der sich in den mittleren oder höheren Lebensjahren befindet, fragt, ob er noch einmal Kind sein möchte, dann wird so manches aus der eigenen Kindheit wieder in Erinnerung gerufen. Dann fällt einem beispielsweise das Spielen mit Puppen oder Spielzeugautos wieder ein, das Seilspringen, Verstecken spielen, auf Bäume klettern, Höhlen oder im Winter einen Iglu oder Schneemann bauen, im Fernsehen das Sandmännchen anschauen, Fahrradtouren mit der Familie, Bücher wie „Pünktchen und Anton" oder „Hanni und Nanni" und vieles mehr. Und in den meisten Familien war die Mutter immer da.
Wenn man daran denkt, dann wird einem unweigerlich bewusst, dass die Kindheit sich einem starken Wandel unterzogen hat: Fernsehen so viel die Kinder wollen, wohl auch, damit die Eltern ihre Ruhe haben, Computerspiele, Horrorfilme, Handys, viel zu viel und viel zu teures Spielzeug usw. Aber auch viel mehr Verpflichtungen und Erwartungen sind heute im Gegensatz zu früher von den Kindern zu erfüllen. Da gibt es den Englischunterricht bereits im Kindergarten, mehr tägliche Unterrichtsstunden in der Schulzeit, Förderunterricht, Kurse, Sportvereine, Hobbys und vieles mehr. Wie oft hört man heute Mütter sagen: „ich muss mein Kind hierhin und dorthin bringen". Eltern sind häufig einen Großteil ihrer knapp bemessenen Zeit damit beschäftigt, ihre Kinder zu irgendwelchen organisierten Aktivitäten zu bringen. Der Tag eines Kindes ist häufig von morgens bis abends durchstrukturiert. Klar, dass Kinder dadurch kaum noch Möglichkeiten haben, ihr Leben mit Ruhe wahrzunehmen und ihre Kindheit zu genießen.
Wenn man die Kindheit von heute definieren würde, so könnte man fast sagen, dass sie eine auf die Zukunft ausgerichtete Zeit ist.
„Wir belasten Kinder mit neuen Pflichten des Menschen von morgen, ohne ihnen die Rechte des Menschen von heute zuzugestehen. Um der Zukunft willen wird gering geachtet, was heute erfreut, traurig macht, in Erstaunen versetzt, ärgert und interessiert. Für dieses Morgen, das es weder versteht noch zu verstehen braucht, betrügt man es um viele Lebensjahre (Janusz Korczak, Arzt und Pädagoge)."1
Wenn man nun aber als „älterer" Erwachsener beginnt, intensiver über seine Kindheit nachzudenken, dann fällt einem auch wieder der vielleicht viel zu strenge Vater ein und die Mutter, die nicht viel zu sagen hatte und als Nicht- Mitverdiener abhängig von ihrem Ehemann war. Auch denkt man an das wenige Spielzeug, mit dem man sich früher begnügen musste, das Zimmer, das man häufig mit mehreren Geschwistern teilen musste, Kleidung die man von den „Größeren" nachtrug und das Essen, das man häufig gar nicht mochte, aber gegessen werden musste, denn schließlich wurde gegessen, was auf den Tisch kam.
Betrachtet man es also realistisch, dann gab und gibt es wohl in jeder Zeit einschränkende, verletzende und belastende Erfahrungen für Kinder.
In dieser Arbeit möchte ich meine Auffassung vertreten, dass das Lernen von Normen und Werten, sowie deren Internalisierung für Kinder nur dann ausreichend gegeben sind, wenn Eltern sich trotz des alltäglichen Drucks, unter dem sie heutzutage häufig stehen, Zeit für ihre Kinder nehmen, wenn sie versuchen, das Familienleben demokratisch zu organisieren, ihre Kinder nicht mit autoritären Methoden überhäufen, sie aber auch nicht nachlässig einfach so mitlaufen lassen, oder sich selbst überlassen, sondern sie sozial und emotional integrieren. Insbesondere muss den Eltern, die ihre Kinder lieben und zu „guten" Menschen erziehen möchten, bewusst sein, dass Kinder sehr gute Beobachter und Imitatoren sind und sich in erster Linie am Verhalten ihrer Bezugspersonen und ihrem Umfeld orientieren.
Kinder lernen durch Beobachtung und Nachahmung. Das gilt nicht nur für das Lernen von Verhalten, sondern selbstverständlich auch für das Lernen von Normen und Werten sowie deren Verinnerlichung und insgesamt für die Moralentwicklung.
Deshalb sind die Grundvoraussetzungen für das Lernen und Internalisieren von Normen und Werten sowie für moralisches Denken, Handeln und Urteilen eines Kindes:
ein sozial-integratives Familienleben,
eine sichere und emotionale Bindung an die Bezugspersonen,
positive Vorbilder,
ein positives soziales Umfeld und auch
angemessene Sanktionen
Sind diese Grundvoraussetzungen gegeben, kann ein Kind positive Eigenschaften und Einstellungen, emotionale Stabilität, die Fähigkeit zur Mitempfindung, Verantwortlichkeitsgefühl und nicht zuletzt sein Gewissen entwickeln.
Bevor ich mich intensiv mit dem Thema auseinandersetze, möchte ich einige Begriffe in diesem Zusammenhang definieren:
Was sind Normen bzw. soziale Normen?
„Soziale Normen sind konkrete Vorschriften, die das Verhalten betreffen. Die Einhaltung von Normen wird durch Sanktionen garantiert (Belohnung oder Bestrafung). Diese Sanktionen können durch die Mitmenschen erfolgen oder durch Personen in einer bestimmten Machtposition."2
Was sind Werte?
„Werte können als persönliche Einstellungen bezeichnet werden. Sie bilden unsere Lebensgrundsätze oder Weltbilder. Sie beeinflussen unsere Art zu fühlen, zu denken und zu handeln. Werte zeigen sich in den so genannten Tugenden. Werte sind stark von ihrem geschichtlichen und weltanschaulichen Kontext geprägt. Sie sind von grundlegender Bedeutung für eine verantwortungsvolle Gestaltung der eigenen Lebenszeit und für das Zusammenleben mit anderen. Menschen brauchen Werte und Werteübereinstimmungen, um eine glückliche Beziehung zu sich selbst herzustellen und einen guten Umgang mit anderen Menschen zu pflegen. Werte sind unerlässlich, um die Natur wertzuschätzen und ökologisch verantwortungsbewusst zu handeln.
Das Bibliographische Institut Mannheim/Wien/Zürich unterscheidet in seiner Definition von Bildung vier Wertearten: Religiöse, sittliche, künstlerische und wissenschaftliche Werte.
Religiöse Werte sind z. B. Liebe, Vergebung, Akzeptanz der Gleichwertigkeit aller Menschen, Hilfsbereitschaft, Barmherzigkeit.
Sittliche Werte (ethische Werte) sind Menschenwürde, Mitmenschlichkeit und Mitgeschöpflichkeit, Ehrlichkeit, Gewaltfreiheit, Verlässlichkeit.
Künstlerische Werte sind Ausdruck, Eindruck, Faszination. Sie zeigen sich z.B. im Interesse an der Vielfalt von Musik und Literatur oder im Interesse an Themen der Geschichte.
Wissenschaftliche Werte sind Erkenntnis, Wahrheit, Wissen. Sie beziehen sich darauf, z.B. neue Problemlösestrategien zu suchen und auszuprobieren, Gegebenheiten zu hinterfragen und Wagnisse einzugehen."3
Der Prozess der Sozialisation
Sozialisation ist die Anpassung an gesellschaftliche Denk- und Gefühlsmuster durch die Internalisierung von sozialen Normen. Sozialisationsprozesse bewirken, dass im sozialen Zusammenleben Handlungsbezüge und Handlungsorientierungen entstehen, auf die sich Individuen in ihrem sozialen Handeln beziehen. Daraus ergibt sich auch die Tendenz von Individuen, sich entsprechend den jeweils geltenden Normen, Werten und Werturteilen der Gesellschaft zu verhalten. Verläuft die Sozialisation erfolgreich im Sinne des jeweiligen Umfeldes, verinnerlicht das Individuum die sozialen Normen, Wertvorstellungen, Repräsentationen, aber auch z.B. soziale Rollen seiner gesellschaftlichen und kulturellen Umgebung. Sozialisationsprozesse können sich in ihrer inhaltlichen Prägung deutlich voneinander unterscheiden, je nachdem, wie sich Individuen sozial binden und wie sie in sozialen Bezugsgruppen integriert sind.4
Sichere Bindung an die Bezugspersonen
Sobald ein Kind das Licht der Welt erblickt, ist es auf seine Bezugspersonen angewiesen, weil es ein hilfsbedürftiges Geschöpf ist, das ohne sie kaum überlebensfähig wäre. Vom ersten Tag seines Lebens an ist das Verhalten eines Kindes darauf ausgerichtet, sich an einem erwachsenen Menschen zu orientieren und an diesen zu binden. Damit die Entwicklung positiv verläuft, sollte der Säugling von Anfang an eine enge, warmherzige, sichere und beständige Gefühlsbeziehung erleben.
„Schon als Kleinkinder lernen wir aus dem Verhalten der Eltern moralische Standards. Wie gut der Prozess ihrer Verinnerlichung und der darauf folgenden Gewissensbildung gelingt, hängt vor allem davon ab, ob die Beziehung vom Kind als „sicher" empfunden wird."5
Erziehung ist Beziehung
Demokratie, oder der autoritative Erziehungsstil, werden heute großgeschrieben. Demokratische Familienverhältnisse vermitteln Kindern ein Gefühl von Akzeptanz, Verständnis und Einfühlungsvermögen und fördern die emotionale Stabilität und das Vertrauen gegenüber den Eltern und auch gegenüber anderen Personen. Dadurch, dass es in einem demokratischen Familienleben sehr viel Kommunikation mit den Kindern gibt, entsteht Selbstsicherheit und Selbstvertrauen. Die Lernbereitschaft wird gefördert. Die Vermittlung von Normen und Werten nehmen Kinder so viel leichter und interessierter auf, lernen Normen und Werte zu verstehen, zu akzeptieren und können sie viel besser internalisieren und dadurch auch „freiwillig" umsetzen. Sie lernen Werte auch von der emotionalen Seite her zu betrachten, d.h. sie lernen zu fühlen, sensibel zu reagieren und entwickeln dadurch auch eigene Vorstellungen davon, was für sie moralisch ist.
Mit diesem Fundament sind die Voraussetzungen für ein humanes, von gegenseitiger Achtung getragenes Miteinander vorhanden. Das heißt aber nicht, dass Kinder, die sozial-integrativ erzogen werden, nicht auch einmal ihre Grenzen überschreiten. Aber sie lernen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
„Moralische Sensibilität entsteht in sozialen Beziehungen, in denen das Kind sich mit den Wünschen, Erwartungen und Gefühlen von Selbst und anderen und mit den Regeln, die in dieser Interaktion Geltung haben, auseinandersetzt. Doch geht es dabei nicht nur darum, was einem Kind explizit vermittelt wird, sondern auch darum, wie es sich in Interaktionen mit bedeutsamen Anderen erfährt und in welchem kulturellen Wertesystem sich diese Interaktionen vollziehen. Der Prozess der moralischen Sozialisation beinhaltet kognitive und affektive Aspekte und vollzieht sich in verschiedenen Typen von Beziehungen."6
Kinder sind manipulierbare Wesen
Zu meiner Kindheit, zumindest in dem Umfeld, in dem ich aufwuchs, war eine autoritäre Führung der Kinder angesagt. Die Kinder lernten Regeln sehr schnell, weil jegliches Missachten von Regeln mit Bestrafung einherging. Der Vater, das absolute Oberhaupt der Familie und unantastbar, stellte diese Regeln auf und die Kinder hatten sich daran zu halten. Mit einem starken Überlegenheitsgefühl und einem überzogenen Machtanspruch erwartete das Familienoberhaupt ihr Unterwerfen. Frei gewählte Aktivitäten waren strengstens verboten, aber es ging dabei generell nicht um Grenzen, die ein Kind kennen sollte, sondern es ging um strikten Gehorsam, der gefordert wurde. Die Kindheit durchzog sich mit Befehlen und Anordnungen, so lange, bis die Kinder im Verhalten und Denken den Vorstellungen ihres Vaters entsprachen. Sie waren sehr schnell in der Lage, höchste Anforderungen zu erfüllen, aus Angst vor Tadel, Bestrafungen und absoluter Missachtung.
Ein einflussreicher Philosoph aus früheren Zeiten (John Locke, 1632-1704) bezeichnete den menschlichen Verstand bei der Geburt als „Tabula rasa" oder „unbeschriebenes Blatt". Dieser werde im Verlauf des Lebens durch Erfahrung geprägt.7
Auch John B. Watson (amerikanischer Psychologe, 1878-1958), der die psychologische Schule des Behaviorismus begründete, war davon überzeugt, dass allein die jeweiligen Lebensumstände einen Menschen prägen und ihn zu dem machen, der er am Ende sei.8
Die Kinder, die in dieser Zeit aufwuchsen, wurden zum Teil wahrhaftig von ihren Familienoberhäuptern als „unbeschriebene Blätter" betrachtet, die die Autoritäten nach Belieben vollschreiben konnten und immer, wenn es ihnen nicht mehr passte, etwas durchstreichen und Veränderungen vornehmen konnten, oder gar die Blätter zerreißen und neue Blätter beschreiben konnten, d.h. sie schrieben so lange Veränderungen oder neue Seiten voll, bis der Inhalt für sie endlich ihren Vorstellungen entsprach.
„Man gebe mir ein Dutzend gesunder Kinder, gut gebaut, und meine eigene, spezielle Welt, in der ich sie aufziehen könnte, und ich garantiere, ich könnte ein zufällig gewähltes Kind herausnehmen und zu einem Spezialisten in einem von mir gewählten Fachgebiet ausbilden - Arzt, Rechtsanwalt, Großkaufmann und, ja, sogar Bettler und Dieb, unabhängig von den Talenten, Vorlieben, Neigungen, Fähigkeiten, Berufungen und der Rasse der Vorfahren. (John B. Watson)."9
Anlage-Umwelt-Debatten
Es gibt sehr viele Debatten darüber, ob der Mensch sich nun durch seine Anlagen zu der Persönlichkeit entwickelt, die er später ist, oder ob er ein reines Produkt der Umwelt ist, in der er aufwächst.
Auch zwischen den amerikanischen Psychologinnen Sandra Scarr (*1936) und Diana Baumrind (*1927) gab es diese Diskussionen. Während Scarr behauptete, dass Kinder keine bestimmte Umwelt und keinen bestimmten Erziehungsstil benötigen, um sich gut zu entwickeln, weil sie genetisch darauf vorbereitet seien, mit einer Vielzahl von Entwicklungserfahrungen zurecht zu kommen, behauptete Baumrind das Gegenteil. Für sie stand fest, dass die elterliche Erziehung einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes nehme und das eine positive elterliche Erziehung, etwaige ungünstige genetische Voraussetzungen ausgleichen und in Verbindung mit anderen vorteilhaften Einflüssen die Entwicklung sogar verbessern könne.10
Wie in der Einleitung bereits erwähnt, vertrete ich die Auffassung der Behavioristen, dass jeder Mensch, wie er mit sich und seiner Umwelt umgeht, durch die Erziehung geprägt ist. Das zählt nicht nur für das Verhalten eines Menschen, sondern auch für seine Wertevorstellungen, sein moralisches Denken, Handeln und Urteilen.
„Das Kind passt sich an die Gegebenheiten der Umwelt an.“11
„Genau das sagen uns auch die Genetiker inzwischen, selbst wenn mancher in alter Manier noch etwas anderes vertritt: Es gibt kein Gen für den menschlichen Geist. Und auch keins für unseren Charakter oder für unsere moralische Gesinnung."12
(Ich kann mir bildlich vorstellen, wie John Locke und John B. Watson, wenn sie dies jetzt lesen könnten, in ihren Gräbern Beifall klatschen.)
Auswirkungen der autoritären Manipulation
Aus Erfahrungen kann ich berichten, dass autoritär erzogene Kinder in ihrem späteren Leben häufig schlecht zurechtkommen, weil sie in ihrer Entwicklung stets von Anweisungen und Entscheidungen anderer abhängig waren. Diese Abhängigkeit vollzieht sich auch in ihrem weiteren Leben. Sie sind häufig unterwürfig und unselbständig und haben dadurch ein nur sehr geringes Selbstbewusstsein. Sie vertrauen anderen Menschen nur sehr zögerlich, obwohl sie meinen, von ihnen abhängig zu sein. Meistens können sie schlecht Konflikte bewältigen oder sich in Konfliktsituationen behaupten. Wichtige Wertevorstellungen lassen häufig zu wünschen übrig, weil für sie Werte Gehorsamkeit, Machtausübung, Missachtung und Unterwerfung sind. Aus diesem Grund kommt es auch immer wieder vor, dass autoritär erzogene Menschen, obwohl sie in ihrer Kindheit darunter gelitten hatten, ihre eigenen Kinder ebenfalls autoritär erziehen.
Erziehung im Wandel
Die Zeiten haben sich geändert. Die eisernen Regeln früherer traditioneller Erziehung rosten. Und das ist auch gut so! Demokratie steht heute im Vordergrund. Aussagen wie „das muss man" oder „das darf man nicht" werden immer weniger verbindlich. Obwohl man sich nach wie vor an Gesetze halten muss, die ja in unserer Gesellschaft das Leben regeln, ist viel mehr Freiraum entstanden. Individualismus macht sich breit und löst uns aus gesellschaftlichen Zwängen. Der Bereich der Emotionen hat einen hohen Stellenwert bekommen.
Der amerikanische Psychologe Carl Ransom Rogers (1902-1987) sagte einst, dass der Mensch von Natur aus gut sei; dass man dem Menschen aber nicht gerecht werde, wenn man den Bereich der Emotionen übersehe.13
Gesellschaftliche Veränderungen
Neulich las ich in einer Zeitschrift, dass viele Eltern sich wünschen, dass die alten autoritären Erziehungsverhalten, die Gehorsam, Ordnung, Fleiß und Triebunterdrückung fordern, wieder gelten sollten. Andere Eltern dagegen reagieren im Bezug auf ihre Kinder mit zunehmender Resignation und machen die Gesellschaft für empfundene Missstände verantwortlich, weil sie selbst keine klare Position mehr finden können. Deshalb tendieren immer mehr Eltern zu einer „Laissez-faire-Haltung" (geschrieben aus der Erinnerung).
Der Weg des geringsten Widerstandes
Ob Eltern sich nun wieder mehr Autorität in der Erziehung wünschen oder ihre Kinder lieber im Laissez-faire-Stil (französisch = „Lasst sie machen" oder „Macht ihr mal") erziehen, muss Gründe haben. Sie scheuen vielleicht die Mühe, die es macht, sich intensiv und mehr als notwendig in ihre Nachkommen hineinzuversetzen und sie zu „guten" Menschen zu erziehen. Eltern sind heute auch zum Teil viel zu beschäftigt mit sich selbst und ihren Problemen. Vieles im alltäglichen Leben ist definitiv anstrengender und hektischer geworden, weil immer mehr von den Menschen gefordert wird, weil Sorgen und Existenzängste stetig wachsen, oder welche Beweggründe auch immer Eltern in diese Richtung führen.
[...]
1 1 Armin Krenz, Werteentwicklung in der frühkindlichen Bildung und Erziehung, 2007, S. 24
2 http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Soziale_Normen.html
3 Armin Krenz, Werteentwicklung in der frühkindlichen Bildung und Erziehung, 2007, S. 12,13
4 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialisation
5 Frank Ochmann, Die gefühlte Moral, 2008, S. 194
6 Detlef Horster (Hrsg.), Moralentwicklung von Kindern und Jugendlichen, 2007, S. 40
7 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Tabula_rasa
8 Vgl. Frank Ochmann, Die gefühlte Moral, 2008, S. 22
9 Frank Ochmann, Die gefühlte Moral, 2008, S. 24, 25
10 Vgl. http://www.uni-leipzig.de/~erzwiss/mitarbeiter/hoppe_graff/material/Unterlagen%20Lernen%2004- Kapitel%2007.pdf
11 Thomas Kesselring, Jean Piaget, 1999, S. 81
12 Frank Ochmann, Die gefühlte Moral, 2008, S. 37
13 Vgl. http://www.die-wege.de/mod/book/view.php?id=130&chapterid=164