„In varietate concordia” ist der Wahlspruch der Europäischen Union (EU). Ein Staatenverbund von 25 Staaten mit ca. 450 Millionen Einwohnern. Trotz dieser Vielfalt sind alle Mitgliedstaaten der EU denselben Grundwerten verpflichtet. Ziel dieser Gemeinschaft ist es unter
anderem, durch ein gemeinsames Auftreten ihren Einfluss in der Welt zu stärken und geltend zu machen.
Ein Großteil der Grundsätze des primären Gemeinschaftsrechts ist im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (nachfolgend: EG-Vertrag) vereinbart. Grundlegendes Ziel ist dabei, gemäß Art. 2 EG durch „die Errichtung eines gemeinsamen Marktes [...] in der ganzen
Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens“ zu fördern. Um dieses Ziel zu verwirklichen, sieht Art. 3 Abs. 1 lit. c EG die Errichtung eines Binnenmarktes vor, „der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren,
Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist“. Daraus folgen die vier Grundfreiheiten des EG-Vertrags: Warenverkehrsfreiheit,
Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit sowie Kapitalverkehrsfreiheit.
Die Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarktes setzt nicht nur die Umsetzung der Grundfreiheiten voraus. Es bedarf darüber hinaus auch einer Harmonisierung der nationalen Regelungen in vielen anderen Gebieten. Einer dieser Bereiche ist das Steuerwesen, da sich die
Unterschiede der Steuersysteme der einzelnen Mitgliedstaaten negativ auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken können. Der Steuerbereich selbst ist im EG-Vertrag jedoch nicht als ein selbstständiges Ziel oder als Aufgabe der Gemeinschaft genannt, denn die
Steuergewalt zählt zu den wichtigsten Kernbereichen der mitgliedstaatlichen Souveränität. Trotzdem enthält der EG-Vertrag ein Kapitel mit dem Titel „Steuerliche Vorschriften“, welches die Art. 90 bis 93 EG umfasst. Diese Vorschriften beziehen sich allerdings nur auf die indirekten Steuern und sollen sicherstellen, dass es zu keiner Steuerdiskriminierung für Waren aus anderen Mitgliedstaaten kommt. Sie unterstützen somit die Warenverkehrsfreiheit. Sonstige steuerpolitische Maßnahmen fallen nur dann in den Aufgabenbereich der Gemeinschaft,
wenn sie zur Beseitigung von Hindernissen für die vertraglichen Grundfreiheiten dienen. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einführung in die Problemstellung
- Der gemeinschaftsrechtliche Rahmen
- Die Entwicklung der Europäischen Union
- Rechtsquellen und Rechtssetzung in der Europäischen Gemeinschaft
- Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags
- Der freie Warenverkehr
- Die Freizügigkeit, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr
- Die Niederlassungsfreiheit
- Inhalt der Niederlassungsfreiheit
- Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit
- Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht
- Der EuGH als Organ der Europäischen Gemeinschaft
- Zuständigkeit des EuGH im Bereich der direkten Steuern
- Die Umsetzung der EuGH-Urteile im deutschen Steuerrecht
- EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit und den direkten Steuern
- avoir fiscal (1986)
- Daily Mail (1988)
- Futura participations SA und Singer (1997)
- Royal Bank of Scotland (1999)
- Compagnie de Saint-Gobain (1999)
- Lankhorst-Hohorst (2002)
- Der EuGH-Fall Marks & Spencer
- Das Unternehmen Marks & Spencer
- Ausgangsverfahren und Rechtlicher Rahmen
- Vorlagefragen
- Die Entscheidung des EuGH
- Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit
- Behinderung der Niederlassung in einem andern Mitgliedstaat
- Rechtfertigung der Beschränkung
- Gewährleistung der Kohärenz des Steuersystems
- Das Territorialitätsprinzip als Rechtfertigungsgrund
- Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis
- Gefahr doppelter Verlustberücksichtigung
- Steuerfluchtgefahr
- Grenzüberschreitende Verlustverrechnung als ultima ratio
- Ergebnis der Untersuchung
- Auswirkungen des Urteils auf das deutsche Steuerrecht
- Bedeutung der Entscheidung für die deutsche Organschaft
- Grundzüge der körperschaftssteuerlichen Organschaft
- Die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Organschaft
- Verlustberücksichtigung in Outbound-Fällen
- Voraussetzungen zur grenzüberschreitenden Verlustnutzung
- Höhe der grenzüberschreitenden Verlustnutzung
- Zeitpunkt der grenzüberschreitenden Verlustnutzung
- Gestaltungswirkung
- Verlustberücksichtigung in Inbound-Fällen
- Bedeutung der Entscheidung für die deutsche Organschaft
- Mögliche Lösung nach dem Vorbild Österreichs
- Gruppenmitglieder
- Finanzielle Eingliederung
- Gruppenantrag
- Ergebniszurechnung
- Fazit
- Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Diplomarbeit untersucht die Auswirkungen des EuGH-Urteils Marks & Spencer auf das deutsche Steuerrecht, insbesondere im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit und die Verlustverrechnung innerhalb von Konzernen.
- Die Entwicklung der Niederlassungsfreiheit im europäischen Recht
- Die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit und den direkten Steuern
- Die Analyse des Urteils Marks & Spencer und dessen Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht
- Die Gestaltungsmöglichkeiten der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung
- Die Suche nach möglichen Lösungen zur Harmonisierung des deutschen Steuerrechts mit dem europäischen Recht
Zusammenfassung der Kapitel
Die Diplomarbeit beginnt mit einer Einführung in die Problemstellung und beleuchtet anschließend den gemeinschaftsrechtlichen Rahmen, in dem die Niederlassungsfreiheit angesiedelt ist. Dabei werden die Entwicklung der Europäischen Union, die Rechtsquellen und Rechtssetzung sowie die Grundfreiheiten des EG-Vertrags beleuchtet. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Niederlassungsfreiheit, deren Inhalt und Grenzen erläutert werden. Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht sowie die Zuständigkeit des EuGH im Bereich der direkten Steuern werden ebenfalls untersucht. Die Arbeit analysiert dann die relevante EuGH-Rechtsprechung, insbesondere die Fälle avoir fiscal, Daily Mail, Futura participations SA und Singer, Royal Bank of Scotland, Compagnie de Saint-Gobain und Lankhorst-Hohorst. Im Mittelpunkt steht anschließend der EuGH-Fall Marks & Spencer, der Gegenstand der Diplomarbeit ist. Es werden das Unternehmen Marks & Spencer, das Ausgangsverfahren, die Vorlagefragen und die Entscheidung des EuGH detailliert dargestellt. Die Analyse des Urteils umfasst insbesondere die Frage, ob eine Behinderung der Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat vorliegt, und welche Rechtfertigungsgründe für eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit in Betracht kommen.
Die Auswirkungen des Urteils Marks & Spencer auf das deutsche Steuerrecht werden im nächsten Kapitel untersucht. Der Fokus liegt dabei auf der Bedeutung des Urteils für die deutsche Organschaft, insbesondere auf die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Organschaft. Die Arbeit beleuchtet die Voraussetzungen, die Höhe, den Zeitpunkt und die Gestaltungswirkung der grenzüberschreitenden Verlustnutzung. Anschließend werden mögliche Lösungen nach dem Vorbild Österreichs dargestellt, um die Harmonisierung des deutschen Steuerrechts mit dem europäischen Recht zu erreichen.
Schlüsselwörter
Niederlassungsfreiheit, EuGH-Rechtsprechung, Marks & Spencer-Urteil, direktes Steuerrecht, Organschaft, grenzüberschreitende Verlustverrechnung, deutsche Steuergesetzgebung, europäisches Steuerrecht, Harmonisierung
- Arbeit zitieren
- Doreen Schampel (Autor:in), 2006, Neuere Entwicklungen bei der Niederlassungsfreiheit nach dem Urteil Marks & Spencer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/153541