Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung
1.1 Fragestellung, Hypothese und Operationalisierung
1.2 Methodik
1.3 Aufbau der Arbeit
1.4 Begriffsklärung
1.4.1 Demokratie
1.4.2 Transformation
2 Theoretischer Hintergrund: Zivilgesellschaft und Transformation
3 Demokratie und Zivilgesellschaft: Polen und Belarus im Vergleich
3.1 Polen
3.1.1 Ende des autokratischen Regimes
3.1.2 Institutionalisierung der Demokratie
3.1.3 Konsolidierung der Demokratie
3.2 Belarus
3.2.1 Ende des autokratischen Regimes
3.2.2 Institutionalisierung der Demokratie
3.2.3 Ende der Transformation
3.2.4 Konsolidierung der Diktatur
4 Fazit
5 Kritik: Zivilgesellschaft als unzureichendes Analysewerkzeug
Literatur
1 Einleitung
1.1 Fragestellung, Hypothese und Operationalisierung
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion standen die Staaten des Ostblocks vor einer unsicheren politischen und wirtschaftlichen Zukunft. In den einsetzenden Transformationsprozessen gelang es den meisten dieser Staaten, demokratische und marktwirtschaftliche Strukturen zu etablieren. Auf der Landkarte des demokratischen Europas finden sich jedoch noch immer weiße Flecken. Einer dieser weißen Flecken ist die Republik Belarus, welche von Politikern und Wissenschaftlern gleichermaßen als letzte Diktatur Europas bezeichnet wird. Verglichen mit dem durchaus erfolgreichen Wandel in anderen osteuropäischen Staaten, ist Belarus in seiner anti-demokratischen Entwicklung ein Sonderfall, dessen politische Entwicklung keineswegs in dieser Form antizipiert wurde. Es stellt sich also die Frage, warum der begonnene Transformationsprozess in Belarus nicht erfolgreich war.
In der politischen Debatte um das Schicksal Belarus wurde immer wieder die Ansicht vertreten, dass das Fehlen einer starken Zivilgesellschaft das Scheitern der belarussischen Transformation bedingt hätte. Da es sich sowohl beim Begriff der Zivilgesellschaft als auch der Transformation um komplexe Konzepte handelt, scheint diese Aussage höchst simplifiziert. In der vorliegenden Hausarbeit soll daher geprüft werden, inwieweit das Fehlen einer starken Zivilgesellschaft das Scheitern der Transformation in Belarus erklären kann. Untersucht wird also der Grad der Demokratisierung (abhängige Variable), d.h. der Erfolg der post-kommunistischen Transformation, in Abhängigkeit von der zivilgesellschaftlichen Stärke (unabhängige Variable). Die Hypothese lautet hierbei: Je stärker die Zivilgesellschaft eines Landes, desto höher ist der Grad der Demokratisierung.
Die Operationalisierung der abhängigen Variablen erfolgt dabei relativ unkompliziert über den Freedom House „ Freedom in the World “ -Index 1 und den Freedom House „ Nations in Transit “ -Index2 . Die Stärke der Zivilgesellschaft lässt sich jedoch ungleich schwerer messbar machen. Ein Versuch der Messbarmachung wird in Kapitel 2 dargelegt. Es sei bereits darauf hingewiesen, dass in Kapitel 5 der Kritik am Konzept der Zivilgesellschaft und deren Operationalisierung Raum gegeben wird.
1.2 Methodik
Um die vorgeschlagene Hypothese zu testen vergleicht diese Arbeit in einer most- similar case study3 Belarus mit einem anderen osteuropäischen Land, das sich in seiner politischen und wirtschaftlichen Entwicklung gravierend von Belarus unterscheidet, jedoch trotzdem eine hohe Kongruenz in der Ausgangslage vorweisen kann. Dadurch wird der Einfluss nicht relevanter Außenfaktoren möglichst gering gehalten. Besonders geeignet für diesen Vergleich scheint Belarus Nachbarland Polen, das ganz im Gegensatz zu Belarus heute als Musterbeispiel für eine erfolgreiche Transformation gilt. Durch die geographische Nähe der beiden Länder, die relative Gleichzeitigkeit der einsetzenden Transformation aus demselben politischen und wirtschaftlichen System heraus und die Notwendig der Neugründung eines Nationalstaates in beiden Fällen, ist Polen bestens für einen solchen Vergleich geeignet. Die methodische Basis hierzu liefert John Stuart Mills method of difference4 , die Folgendes besagt:
"If an instance in which the phenomenon under investigation occurs, and an instance in which it does not occur, have every circumstance in common save one, that one occurring only in the former: the circumstance in which alone the two instances differ, is the effect, or cause, or a necessary part of the cause, of the phenomenon."
Symbolisch kann Mills Methode des Unterschieds folgendermaßen verdeutlicht werden:
A B C D treten zusammen mit w x y z auf
B C D treten zusammen mit x y z auf
Woraus geschlossen werden kann, dass A die Ursache bzw. teilweise die Ursache für w ist.
Mills A System of Logic (1843) gilt als eines der ersten Werke zur modernen vergleichenden Methode. Mill selbst hielt jedoch die Methode des Unterschieds und deren Variationen für die sozialwissenschaftlichen Forschung nicht geeignet, da es unmöglich sei wirklich vergleichbare Fälle zu finden. Ein derart hoher wissenschaftlicher Standard wird häufig als zu streng abgewiesen, dennoch soll hier kurz auf zwei weitere Schwächen der vergleichenden Methode eingegangen werden.5
Häufig wird die limitierte Aussagekraft der vergleichenden Methode kritisiert, da generelle Aussagen nur über die tatsächlich analysierten Fälle gemacht werden können. Dem ist entgegen zu setzen, dass universal gültige Aussagen aufgrund der Einzigartigkeit eines Phänomens - wie z.B. dem Transformationsprozess in Osteuropa - nicht immer angebracht sind. Eine Generalisierung der in dieser Arbeit präsentierten Ergebnisse ist daher von vornherein nicht intendiert. Ein weiterer Einwand gegen die vergleichende Methode knüpft an Mills eigene Kritik an. Die Seltenheit vergleichbarer Fälle führt dazu, dass die Fallauswahl Forschungsinhalte und Hypothesen diktiert. Diese Kritik ist nicht unberechtigt, jedoch trifft sie nicht nur auf die vergleichende Methode zu.6 Speziell im Rahmen der Transformationsforschung halte ich derartige Bedenken für vernachlässigbar, da z.B. post- kommunistische Transformationsprozesse bereits aus vielerlei Blickwinkeln und unter Annahme ganz unterschiedlicher Hypothesen analysiert wurden. „Demokratisierung durch zivilgesellschaftliche Stärke“ stellt also nur einen von vielen möglichen Erklärungsansätzen dar.
Da die Transformationen in Polen und Belarus zwar im gleichen Zusammenhang, aber nicht absolut synchron abliefen, deckt diese Fallstudie für beide Länder unterschiedliche Zeiträume ab. In beiden Fällen wird dadurch versucht einen Bogen von den Anfängen der Transformation bis hin zur Konsolidierung des entstandenen Regimes zu spannen. Für Polen wird der Zeitraum von 1980-2004 untersucht, für Belarus nur der Zeitraum von 1988-2004.
Die Arbeit basiert auf der Analyse von Sekundärliteratur, die durch die bereits genannten Indizes ergänzt wird.
1.3 Aufbau der Arbeit
Für die Nachvollziehbarkeit der folgenden Analyse ist es unerlässlich, zentrale Begrifflichkeiten gleich zu Beginn zu definieren. Nachdem geklärt wurde welchen Demokratie- und Transformationsbegriff diese Arbeit voraussetzt, wird der Begriff der Zivilgesellschaft definiert und operationalisiert. Es folgt die Analyse der zivilgesellschaftlichen Stärke und des Demokratisierungsgrades in Polen und Belarus. In einem Fazit folgt die Überprüfung der oben aufgestellten Arbeitshypothese. Abschließend soll der wissenschaftlichen Kritik am zivilgesellschaftlichen Ansatz Raum gegeben werden und dadurch die Ergebnisse dieser Studie sinnvoll relativiert werden.
1.4 Begriffsklärung
1.4.1 Demokratie
Wie bereits erwähnt soll die Bewertung des Demokratisierungsgrades anhand des Freedom House „ Freedom in the World “ -Index erfolgen. Es ist daher sinnvoll und nötig, den dort zugrunde liegenden Demokratiebegriff als Basis dieser Arbeit zu verwenden. Freedom House verwendet den Begriff der elektoralen Demokratie nach Robert A. Dahl, welcher in der Transformationsforschung häufig herangezogen wird. Zwar handelt es sich dabei um eine Minimaldefinition, um aber die einfachen demokratischen Strukturen von Transformationsstaaten zu erfassen, genügt dieser völlig.
Robert Dahl nennt zwei grundlegende Merkmale von Demokratie: (1) public
contestation und (2) the right to participate. Anders formuliert: „Es muß ein offener
Wettbewerb um politische Ämter und Macht und gleichzeitig ausreichend Raum für die
politische Partizipation aller Bürger gewährleistet sein.“7 Zum Schutz dieser Grundlagen
enthält die Definition der elektoralen Demokratie acht institutionelle Garantien:
1. Assoziations- und Koalitionsfreiheit
2. Recht auf freie Meinungsäußerung
3. Aktives Wahlrecht
4. Passives Wahlrecht
5. Recht politischer Eliten, um Wählerstimmen und Unterstützung zu konkurrieren
6. Informationsfreiheit (Existenz alternativer, pluralistischer Informationsquellen)
7. Freie und faire Wahlen
8. Institutionen, die die Regierungspolitik von Wählerstimmen und anderen Ausdrucksformen der
Bürgerpräferenzen abhängig machen8
Für die Bestimmung des Demokratisierungsgrades haben Dahls Merkmale folgende Konsequenzen: Wurden diese Garantien bei Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen eines Landes soweit verletzt, dass die zwei grundlegenden Merkmale der elektoralen Demokratie nicht mehr erfüllt wurden, so kann das betroffene Land nicht mehr als elektorale Demokratie eingestuft werden. Ist die Nichterfüllung dieser zwei Merkmale noch nicht eingetreten, aber z.B. durch die Änderungen von Gesetzen zu erwarten, gilt das Land als ebenso wenig minimaldemokratisch. Weiterhin muss ein Land als undemokratisch eingestuft werden, wenn wichtige politische Entscheidungen in der Hand nicht gewählter Institutionen liegt. 9
1.4.2 Transformation
Laut Merkel besitzt der Begriff der Systemtransformation keine spezifische Bedeutung, sondern dient als „Oberbegriff für alle Formen, Zeitstrukturen und Aspekte des Systemwandels und Systemwechsels“.10 Für eine genauere Definition im Rahmen dieser Arbeit ist es jedoch hilfreich folgende Fragen zu stellen:11
Was wird transformiert?
Der post-kommunistische Transformationsprozess umfasste das gesamte soziopolitische System, wozu Regierung, Regime und Staat gehören.12 Betroffen vom Wandel in Osteuropa waren also nicht nur die politische Ebene, sondern auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Teilsysteme.
Wie vollzieht sich die Transformation?
Diese Frage kann eigentlich nur als Überschrift für eine ganze Fülle von weiteren Fragen dienen. Für diese Arbeit von Bedeutung sind vor allem zwei Fragen: Erstens ist von großer Bedeutung, in welche Richtung sich eine Transformation vollzieht. Ein Teil der Literatur merkt an, dass der Begriff der Transformationen noch nicht die Richtung der politischen Entwicklung impliziert. Für die genauere Bezeichnung eines Übergangs von autokratischen zu demokratischen Systemen sei stattdessen der Begriff der Transition reserviert.13 Im Rahmen dieser Arbeit soll jedoch angenommen werden, dass Transformationsprozesse im osteuropäischen Raum grundsätzlich die Demokratisierung zum Ziel hatten.
Zweitens ist es für ein besseres Verständnis der Fallstudien wichtig zu wissen, in welchen Etappen sich Transformationen vollziehen. Bereits mit dem Ende des autokratischen Regimes beginnt der Systemwechsel. Gekennzeichnet ist das Ende des Regimes von einer „Akkumulation systembedrohender struktureller Ursachen“14, welche selbstverständlich von Fall zu Fall variieren können. Hinzu kommen jedoch immer die Handlungen systeminterner Akteure (Eliten, Opposition, Bevölkerung), welche sowohl Auslöser für die strukturellen Veränderung, als auch Reaktion auf die strukturelle Veränderungen sein können. Für diese Arbeit von Bedeutung ist die Rolle der Zivilgesellschaft als systeminterner Akteur in dieser Phase.
[...]
1 Auf einer Skala von 1-7 wird die Qualität der political rights und civil liberties eines Landes bemessen.Während der Wert 1 auf eine sehr hohe politische Freiheit der Bürger hinweißt, kennzeichnet der Wert 7 ein völlig unfreies Land. Das Mittel dieser beiden Werte ergibt den Gesamtwert, nach dem ein Land letztendlich als free, partly free oder not free eingestuft wird.
2 Auf einer Skala von 1-7 werden Transformationsprozesse in den ehemaligen Ostblockstaaten bewertet. 1
3 Landman, Todd (2003). Issues and Methods in Comparative Politics: An Introduction, 2. Ausgabe. Routledge, London und New York, S. 29-30. Vgl. auch: Van Evera, Stephen (1997) Guide to Methods for Students of Politcal Science. Cornell University Press, Ithaca und London, S. 56-58.
4 Landman (2003), S. 29-30.
5 Lijphart, Arendt (1975). The comparable-cases strategy in comparative research in: Comparative Political Studies, Vol. 8(2), S. 172-173.
6 Ebenso diktiert z.B. bei der statistischen Methode die Verfügbarkeit bestimmter Datenssets den Forschungsgegenstand.
7 Merkel, Wolfgang (2000). Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung. Leske + Budrich, Opladen, S. 31.
8 Nach Wolfgang Merkel formuliert diese Garantie das Kriterium der Gewaltenteilung.
9 Freedom House. Methodology, http://www.freedomhouse.org/template.cfm?page=35&year=2006 (letzter Abruf 07.03.07).
10 Merkel (2000), S. 76.
11 Ebd., S. 69-70.
12 Ebd., S. 73.
13 Ebd., S. 75.
14 Merkel (2000), S. 124.