Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Memoria im Prosalancelot
2.1 Der Bilderzyklus im Prosalancelot
2.1.1 Der Bilderzyklus als Gegenstand subjektiver Memoria
2.1.2 Der Bilderzyklus als Gegenstand kollektiver Memoria
2.2 Die Rose als Memorialzeichen
2.3 Die Bedeutung des gedenckens im Prosalancelot
2.4 Memoria am Artushof
3 Abschließende Zusammenfassung
4 Quellennachweis
1 Einleitung
Die vorliegende Seminararbeit befaßt sich mit den Anzeichen sowohl persönlicher als auch kollektiver Memoria im Prosa-Lancelotroman (im folgenden „Prosalancelot“ genannt). Hierbei stehen besonders die Textstellen im Vordergrund, die Lancelots Gefangenschaft im Reich der Morgane umfassen (Prosalancelot II, S. 475-485), sowie die Textstelle, in der Artus Lancelots Wandgemälde erblickt (Prosalancelot III, S. 465-470).
In dieser Seminararbeit wird untersucht, inwieweit diese Textstellen Hinweise auf die Memorialkultur des Mittelalters liefern. Der Schwerpunkt dieser Untersuchung liegt auf dem von Lancelot während seiner Gefangenschaft produzierten Bilderzyklus, wobei es mir hier wichtig ist, der Frage nachzugehen, inwieweit der Bilderzyklus ein Gegenstand individuellen Gedenkens ist und was er als solcher bewirkt, sowie die Verschiebung der ursprünglich persönlichen zu einer kollektiven Memoria darzustellen. In diesem Zusammenhang wird auch die Bedeutung des Bilderzyklus‘ für die im Text dargestellte Gesellschaft des Artushofes sowie ihre Funktion im Gesamtwerk näher beleuchtet.
Neben den Wandgemälden nimmt auch die Rose eine wichtige Rolle ein, die für Lancelot, ähnlich wie seine Gemälde, die Funktion eines Memorialzeichens annimmt. Neben einer kurzen Darstellung, warum diese Rose ein Memorialzeichen ist, möchte ich insbesondere auf die Wirkung, die dieses Zeichen auf den Protagonisten verübt, eingehen.
Ferner möchte ich noch die besondere Bedeutung, die das mittelhochdeutsche Wort gedencken im Prosalancelot einnimmt, näher erläutern, da diese sich von den bereits lexikalisch erfaßten Bedeutungen dieses Wortes unterscheidet.
Schließlich geben die oben genannten Textstellen einen letzten Hinweis auf mittelalterliche Memorialkultur, die in die Richtung der Totenmemoria geht. Da dieser Punkt jedoch für den weiteren Handlungsverlauf nicht erheblich ist, möchte ich nur kurz darauf eingehen.
2 Memoria im Prosalancelot
2.1 Der Bilderzyklus im Prosalancelot
Lancelot wird von der Zauberin Morgane entführt und gefangengehalten. Eines Tages beobachtet er vor seinem Gefängnisfenster einen Maler, der die Flucht des Aeneas aus Troja malt, und Lancelot läßt sich von diesem Maler zu seiner eigenen Kunstproduktion inspirieren. Der Leser wird gleich zu Beginn der Gefängnis-Episode mit einer bekannten und verbreiteten mittelalterlichen Memorialtradition konfrontiert, der Troja-Memoria.[1] Für den weiteren Handlungsverlauf sowie für die weitere Untersuchung der Memoria im Rahmen dieser Seminararbeit ist dieser Aspekt jedoch unerheblich. Lancelot beginnt, seine Lebensgeschichte und insbesondere die Geschichte seiner Liebe zu der Artuskönigin Ginover zu malen und zu schreiben. Detailliert zeichnet er auf, wie er an den Artushof gebracht wurde, wie er dort erstmals der Königin gegenüberstand und sofort in Liebe zu ihr entbrannte. Im Verlauf seiner Gefangenschaft malt er alle wichtigen Stationen seines Lebens bis zur Gefangennahme,
2.1.1 Der Bilderzyklus als Gegenstand subjektiver Memoria
Der Text liefert keine eindeutigen Hinweise, wie Lancelot seine Wandgemälde anlegt. Vorstellbar ist eine Verwebung von Bildern und Spruchbändern oder Legenden, denn die Begriffe gemeld und gedicht sowie schriff t und bild treten gleichermaßen in diesem Zusammenhang auf, es liegt nahe, daß beide Begriffe austauschbar sind, denn „entweder wird das Gesamtensemble der Schrift-Bild-Textur als ein ,gedicht‘ bezeichnet oder als ;gemeld‘, und dies gilt ganz entsprechend schon für die französische Quelle des deutschen Textes.“[2] Horst Wenzel sieht in der möglichen Austauschbarkeit der Begriffe einen Hinweis für die Audiovisualität der Wahrnehmung im Mittelalter:
„Der flukturierende Wortgebrauch verweist darauf, daß dem Zusammenhang von Schrift und Bild die audiovisuelle Wahrnehmung entspricht, die von den Begriffen schrifft und gemeld (escripture, painture) gemeinsam, aber auch selbständig repräsentiert wird.“[3]
Die Bilder werden von Lancelot aus persönlichen Gründen und zu seinen eigenen Zwecken gemalt, sie haben eine Bedeutung, die zunächst nur den Protagonisten betrifft (Und darnach...malet er all hystorye von im besunder und nit von den andern, Prosalancelot II, S. 478). Ähnlich wie die Lieder Tristans oder Blanscheflurs Scheingrab sind die Bilder für Lancelot ein Mittel, sich die abwesende Geliebte ins Gedächtnis zu rufen, sie zu vergegenwärtigen. Sie werden für ihn zu einem wichtigen Memorialzeichen.
[...]
[1] Vgl. Ridder, Klaus, Ästhetisierte Erinnerung..., S.76
[2] Wenzel, Horst, Hören und Sehen..., S. 303
[3] Ebd., S.304