Analyse der Medea-Figur in Christa Wolfs "Medea. Stimmen"

Eine Frau im Wandel der Zeit


Hausarbeit, 2010

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Christa Wolf als Für- oder Widersprecherin des DDR-Staates?
1.1 Übersicht über die vorliegende Arbeit
1.2 Literaturbericht

2 Medea als Figur über die Jahrhunderte hinweg
2.1 Die antike Medea bei Euripides – ein kurzer Abriss
2.2 Christa Wolfs Medea
2.2.1 Knappe Inhaltsangabe unter Berücksichtigung der Stimmen
2.2.2 Sprachliche Besonderheiten
2.2.3 Äußere Form

3 Das deutsch-deutsche Verhältnis in „Medea. Stimmen“
3.1 Eine verschlüsselte politische Botschaft?
3.2 Medea als zentrale Figur zu einer Zeit politischer Umbrüche
3.3 Ost-West – Konflikt? – Kolchis versus Korinth?
3.3.1 Kolchis als matriarchale Gesellschaft
3.3.2 Korinth als patriarchale Gesellschaft

4 Gestalt auf einer Zeitengrenze

5 Literatur
5.1 Primärliteratur
5.2 Sekundärliteratur

1 Christa Wolf als Für- oder Widersprecherin des DDR-Staates?

Im Jahre 1993 kam ans Licht, dass die Autorin Christa Wolf, aufgewachsen in der DDR, zwischen 1959 und 1962 als IM ‚Margarete’ für den Staatssicherheitsdienst tätig war.[1] Nicht ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass sie bis zum Jahre 1989 ein Mitglied der SED war. Demnach zu schließen, müsste sie ja hinter dem System der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gestanden haben, wenn sie sogar deren Machenschaften so lange unterstützte. Wolf plädierte für den Zusammenhalt der Menschen, ihre Grundidee war geprägt von einem positiven Kollektivgedanken. Obwohl sie ein Bewusstsein für die Probleme im Staat entwickelte, war sie doch der festen Überzeugung, dieses könnten überwunden werden, wenn die Menschen nur etwas mehr für das Bestehen des Sozialismus tun würden.[2] Sie glaubte an eine berechtigte Existenz der DDR, wenn die Bewohner dieses Staates dazu beitrügen, den Sozialismus zu fördern und zu unterstützen. Wolfs Werke sind also eher der systemtragenden Literatur zuzuordnen als der systemkritischen.[3] Manche mögen auch von offizieller Propagandaliteratur sprechen, was in Bezug auf ihre frühen Werken durchaus berechtigt sein mag, bei „Medea, Stimmen“ jedoch nicht mehr ausschließlich zutrifft, denn hier werden weder die Kolcher, mag man sie als Repräsentanten der ehemaligen DDR-Bürger sehen, noch die Korinther als Repräsentanten der BRD-Bürger, als vollkommen dargestellt. „Medea. Stimmen“, erschien 1996 und zählt damit noch zur sog. Wendeliteratur: Die kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen des Mauerfalls und der Wiedervereinigung Deutschlands stehen im Mittelpunkt[4] und dabei geht es mehr um die Menschen und ihre Situation, als um politische Entscheidungen.

1.1 Übersicht über die vorliegende Arbeit

Nachdem auf den antiken Mythos der Medea (2. 1 Die antike Medea – ein kurzer Abriss) und den „neuen“ Mythos der Medea der Christa Wolf eingegangen wird, wird im „Medea. Stimmen“ näher beleuchtet: Der Inhalt (2. 2. 1 Inhaltsangabe) legt Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen altem und neuem Mythos offen, die sprachlichen Besonderheiten unter Punkt 2. 2. 2 bieten einen Einblick in die Schreibweise der Autorin und anhand der formalen Kriterien (2. 2. 3 äußere Form) lässt sich der Aufbau des Romans aufzeigen. Das deutsch-deutsche Verhältnis wird unter Punkt 3 genauer betrachtet: Es stellt sich die Frage, ob Wolf mit diesem Roman eine politische Botschaft senden wollte (3. 1 Eine verschlüsselte politische Botschaft?), wie sich der Ost-West–Konflikt darin bemerkbar macht (3. 2 Ost-West–Konflikt? – Kolchis versus Korinth?) und welche Rolle der Figur Medea dabei zugedacht werden kann (3. 3 Medea als zentrale Figur zu einer Zeit politischer Umbrüche). Schließlich werden unter Punkt 4 Gestalt auf einer Zeitengrenze die Ergebnisse dieser Fragen zusammengefasst.

1.2 Literaturbericht

Neben der Primärliteratur „ Medea. Stimmen “, mit der in dieser Arbeit vorwiegend gearbeitet wurde, gibt es aber auch noch zahlreiche andere Werke, die sich mit diesem Roman beschäftigen. So setzt sich Birgit Roser in ihrer Studie „ Mythenbehandlung und Kompositionstechnik in Christa Wolfs Medea. Stimmen“ eingehend damit auseinander, wie Wolf den antiken Mythos in ihr Werk mit einbaute und was sie selbst dazu erfunden hat. Marie-Luise Ehrhardt s Büchlein „ Christa Wolfs Medea. Eine Gestalt auf einer Zeitengrenze “ liefert hilfreiche Aspekte, um das Werk hinsichtlich seiner Aussagen zu verstehen. Marketta Göbel-Uotila setzt sich dann im Zuge der Beschäftigung mit Wolfs Roman nicht nur inhaltlich mit dem Roman auseinander, sondern auch formal. So finden sich in „ Medea. Ikone des Fremden und des Anderen in der europäischen Literatur des 20. Jahrhunderts “ durchaus hilfreiche Hinweise zum Aufbau und der Gestaltung des Werkes, die aber am Werk selber durchaus auch gut erkennbar sind. Gedanken zum deutsch-deutschen Verhältnis liefert Evelyn Berger s „ Antike Mythologie im Erzählwerk Christa Wolfs. Kassandra und Medea. Stimmen “. Die verschiedenen Interpretationsansätze fasst Matthias Luserke-Jaqui in seiner Studie „ Medea. Studien zur Kulturgeschichte “ kurz und prägnant zusammen. Ebenso widmet er sich den Besonderheiten der einzelnen Kapitel im Roman. In Marianne Hochgeschurz ’ „ Christa Wolfs Medea. Voraussetzungen zu einem Text. Mythos und Bild “ kommen verschiedenste Autoren und Künstler zu Wort, die ihre Ansicht zum Roman entweder in Texten oder Bildern zum Ausdruck bringen. Auch ein Interview mit Wolf selbst ist darin enthalten. Wie Medea als ‚Bewältigungsfigur’ in politischen Umbruchszeiten gesehen werden kann, beschreibt Inge Stephan in ihrem Werk „ Medea. Multimediale Karriere einer mythologischen Figur “.

2 Medea als Figur über die Jahrhunderte hinweg

Der Stoff der „Medea“, welcher einen mythologischen Hintergrund besitzt, wird bereits seit Jahrhunderten immer wieder von bekannten Schriftstellern aufgegriffen. Galt diese Frau bei Euripides noch als Kindsmörderin, so wurde sie in späteren Jahrhunderten immer auch als Heilerin, Priesterin, Liebende, Eifersüchtige, Verräterin und Intrigantin gezeichnet.[5]

2.1 Die antike Medea bei Euripides – ein kurzer Abriss

Unter anderem widmete sich der antike Autor Euripides dieser sagenumwobenen Frau. Bei ihm wurde sie, deren Name eigentlich die „guten Rat Wissende“ bedeutet, im fünften Jahrhundert v. Chr. zum ersten Mal zur Kindsmörderin deklariert; die Quellen vor dieser Zeit nahmen Medea v. a. als Priesterin und Heilerin wahr.[6] 431 v. Chr. wurde sein Stück Medea das erste Mal uraufgeführt.[7] Euripides gebührt das große Verdienst, die teilweise sehr widersprüchlichen Überlieferungen des Medea-Mythos, die auch nur bruchstückhaft vorhanden waren, zu einer übersichtlichen und logisch strukturierten Handlung zusammengefasst zu haben.[8]

Der Mythos besagt[9], dass Pelias, der jüngere Bruder von Aison, der wiederum Jasons Vater war, seinen Bruder Aison vom Thron in Iolkos verdrängt und dessen Sohn, dem legitimen Thronerben, die unlösbare Aufgabe, das Goldene Vlies aus Kolchis zu rauben, gestellt habe, um sich ihm zu entledigen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, baut Jason das berühmte Schiff, die Argo, mit der er und seine Gefährten nach Kolchis gelangen. Dort erwartet ihn König Aietes, der Jason zwei Aufgaben stellt: Einmal gilt es, die göttlichen Stiere, die von außerordentlicher Stärke waren, zu besiegen und zum anderen muss Jason Drachenzähne aussähen, die sich sofort zu Kämpfern verwandeln. Medea, Aietes’ Tochter, die sich in Jason verliebt hat, weiß ob dieser scheinbar unlösbaren Aufgaben Rat: Um die Stiere besiegen zu können, verabreicht sie Jason einen Zaubertrank und um an die Drachenzähne zu gelangen, soll er einen Stein an den Kopf eines Kämpfers werfen, die sich daraufhin gegenseitig töten.

Jason besteht die Prüfungen schließlich, doch anstatt ihm das Goldene Vlies auszuhändigen, beschließt Aietes, Jason zu töten. Medea erfährt von diesem Vorhaben des Vaters, raubt mit Jason das Vlies und flieht mit ihm. Medea gewinnt Zeit, indem sie ihren Bruder Absyrtos, der ihnen heimlich gefolgt war, zerstückelt und ins Meer wirft. Über Jahre hinweg fliehen die beiden auf der Argo, immer verfolgt von den Kolchern, die Absyrtos’ Mord rächen wollen. Als sie endlich zurück nach Iolkos kommen, verweigert Pelias Jason trotz der erledigten Aufgabe den Thron. Medea beseitigt Pelias mit einer List, indem sie seinen Töchtern einen Zaubertrank verabreicht und diese daraufhin ihren Vater zerstückeln. Aus Furcht vor Rache fliehen Jason und Medea schließlich nach Korinth zu König Kreon wo sie zwei Kinder miteinander bekommen.

Doch eines Tages verliebt sich Jason in Glauke, die Tochter des Königs Kreon von Korinth, und trennt sich von Medea. Das will diese aber nicht auf sich sitzen lassen und schwört Rache: Indem sie Glauke ein vergiftetes Hochzeitskleid schickt, welches deren Haut verbrennt, als sie es anlegt, erfährt Jason eine politische Niederlage, da er nun nicht mehr durch Glauke an die Regentschaft kommen kann. Doch auch ihre beiden Kinder ermordet Medea, um sich an Jason für ihre Schmach zu rächen.

Als dieser schließlich von einem Schiffsbalken erschlagen wird und stirbt, heiratet Medea nach einiger Zeit König Aigeus von Athen, mit dem sie auch ein gemeinsames Kind, Medos, zeugt. Weil sie allerdings bei dem Versuch, den Sohn von Aigeus zu töten, erwischt wird, muss sie in die Verbannung und gelangt mit Medos zurück nach Kolchis.

2.2 Christa Wolfs Medea

In Christa Wolfs Medea, die das Porträt einer eigenwilligen und ungewöhnlichen Frau „zwischen den Zeiten“ entwirft[10], finden sich viele moderne Elemente, wie Emanzipation, Integrationsproblematik/Migrationsproblematik, Staatssysteme/soziale Systeme, Politik, Eheproblematik/Untreue, Alleinerziehende, Fremdenfeindlichkeit, Kindermord aus Rache und viele innere Monologe („Stimmen“) wider. Medea verkörpert hier die Hauptfigur, die auf der Suche nach Autonomie in einen Konflikt mit der Gesellschaft gerät.[11] Wolfs Medea kann auf vier verschiedene Arten angesehen bzw. interpretiert werden:[12] Der Roman könnte eine persönliche Antwort der Autorin auf den Literaturstreit und die politische Debatte um ihre Stasi-Mitarbeit sein.[13] Es könnte aber auch um grundsätzliche Fragen nach den Ursprüngen unserer Kultur gehen. Eine dritte Möglichkeit wäre, ihn als einen Rehabilitierungsversuch der mythologischen Figur der Medea zu verstehen. Möglich wäre außerdem ein aktueller politischer Zeitroman, der sich auf die deutsch-deutsche Wirklichkeit der neunziger Jahre oder auf den globalen Ost-West-Konflikt bezieht. Auf diese letzte Möglichkeit soll hier im Folgenden näher eingegangen werden.

[...]


[1] Vgl. Luserke-Jaqui 2002, S. 219.

[2] Diese Grundidee spiegelt sich sehr gut in Christa Wolfs Roman „Der geteilte Himmel“ von 1963.

[3] Frei zitiert aus den Gesprächen im Seminar „Literatur aus und über die DDR“ (WS 2009/2010).

[4] Vgl. Raß, Franziska: Handout im PS „Literatur aus und über die DDR“, WS 09/10, S. 2.

[5] Vgl. Wolf 122006 , S.2 (dtv-Einführung)

[6] Vgl. Wolf, in: Hochgeschurz 1998, Klappentext.

[7] Vgl. Roser 2000, S. 53.

[8] Vgl. Roser 2000, S. 53.

[9] Frei zitiert aus dem Gedächtnis nach Unterrichtsgesprächen aus der Kollegstufe 2007. Dabei wird auch auf die Vorgeschichte eingegangen, die bei Euripides noch keine Rolle spielt. Sein Werk setzt erst nach der Flucht nach Korinth ein.

[10] Vgl. Wolf 122006 , S.2 (dtv-Einführung).

[11] Vgl. Berger 2007, S. 105 (Schaubild)

[12] Vgl. Luserke-Jaqui 2002, S. 220.f

[13] Laut Wolfs eigener Aussage, ist dies jedoch eher unwahrscheinlich: „Häufig – oft im Zusammenhang mit mei­nem letzten Buch Medea werden mir Selbstinterpretationen abver­langt, besonders von Literaturwissenschaftle­rinnen und Literaturwissenschaftlern, denen man kaum eine größere Freude machen kann, als wenn man ihnen derartiges Material liefert, auf das sie sich begeistert stürzen, um es nach einem schweren durchschaubaren Ver­arbeitungsprozeß nun ihrerseits wieder zu interpretieren. Dies ist ein Spiel, ein Gesellschaftsspiel, und soweit ich sehe, eines der harmloseren, unschädlicheren, das allerdings viel häufiger lustvoll sein könnte, wenn wir, seine Mitspieler, nicht immer wieder vergessen würden, daß wir spielen – was allerdings in Deutschland leicht für ehrenrührig gilt.“: Wolf 1997, in: Roser 2000, S. 5.

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Details

Titel
Analyse der Medea-Figur in Christa Wolfs "Medea. Stimmen"
Untertitel
Eine Frau im Wandel der Zeit
Hochschule
Universität Passau  (Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Literatur aus und über die DDR
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
22
Katalognummer
V154202
ISBN (eBook)
9783640666522
ISBN (Buch)
9783640666478
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Christa Wolf, Medea, Kindermord, Jason, Korinth, Kolchis, Flucht, DDR, Ostdeutschland, Westdeutschland, Mythos, Antike
Arbeit zitieren
Nicola Huber (Autor:in), 2010, Analyse der Medea-Figur in Christa Wolfs "Medea. Stimmen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/154202

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