Eine der zentralen Fähigkeiten, die der Geschichtsunterricht seit geraumer Zeit zu vermitteln hat, betrifft die geschichtskulturelle Kompetenz. Schülerinnen und Schüler werden außerhalb der Schule und auch über ihre Schulzeit hinaus zunehmend mit geschichtskulturellen und weniger mit -wissenschaftlichen Phänomenen konfrontiert. So werden laut Helmuth Voit „Mythen und Legenden, Vorurteile und Feindbilder, Feste und Feiertage […] zum Gegenstand historischen Lernens“ (Voit 2004: 34). Der kritische Umgang mit den diversen populärwissenschaftlich aufbereiteten historischen Darstellungen sowie die kompetente Teilnahme am geschichtskulturellen Diskurs bilden einen neuen Schwerpunkt im Geschichtsunterricht. Dabei spielen auch zeitgeschichtliche Ereignisse eine große Rolle, wie erst jüngst die historisch-politischen Gedenktage mit ihren zahllosen Festreden zu den Friedensdemonstrationen und zum ,Mauerfall’ im November 1989 eindrucksvoll unter Beweis stellten. Die zum ,Fest der Freiheit’ am 09.11.2009 in Berlin zusammengekommenen 250.000 Menschen belegen das ungebrochene Interesse für das Ereignisjahr 1989. Ansprachen der politischen Funktionsträger zu diesem Festakt und ähnlichen Veranstaltungen gehören zu den gesellschaftlichen Höhepunkten der Feierlichkeiten. Die Legitimation einer geschichtsdidaktischen Auseinandersetzung mit der Gattung Festrede ergibt sich aus der dringenden Notwendigkeit, Schülerinnen und Schüler zu einer kritischen Rezeption solcher Ansprachen zu befähigen.
Im ersten Teil dieser Arbeit werden zunächst zentrale Merkmale von Reden im Allgemeinen sowie der Gattung Festrede im Speziellen dargelegt, um anschließend didaktische und methodische Erwägungen zum Einsatz von Festreden anzuführen. Dabei soll erläutert werden, welche unterrichtlichen Perspektiven und Chancen die Beschäftigung mit Festansprachen bieten, aber auch, welche Schwierigkeiten zu beachten sind.
Im zweiten Teil erfolgt dann eine exemplarische Analyse und Interpretation dreier Festreden deutscher Bundespräsidenten. Im Zuge dessen soll besonders auf die von den jeweiligen Rednern vorgenommene Reflexion des Jahres 1989 eingegangen werden und im Vergleich die Frage beantwortet werden, inwiefern sich die Darstellungen ähneln bzw. unterscheiden und ob eine Veränderung der Deutung der Ereignisse vom Herbst 1989 stattgefunden hat.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Reden als (Text-)Quellen
- 2.1 Merkmale und Funktionen der Rede
- 2.2 Redegattungen
- 2.3 Die Festrede
- 2.3.1 Ritualisierung
- 2.3.2 Konfliktneutralisierung
- 3. Reden als Quellen des Geschichtsunterrichts
- 3.1 Allgemeine didaktische Überlegungen zum Einsatz von Reden
- 3.2 Didaktik und Methodik der Rede - das Interpretationsmodell nach Christian Tischner (2008)
- 4. Die Reflexion des Jahres 1989 in Festreden - drei Fallbeispiele
- 4.1 Ansprache von Bundespräsident Richard von Weizsäcker (03.10.1990)
- 4.2 Rede von Bundespräsident Johannes Rau (03.10.2002)
- 4.3 Ansprache von Bundespräsident Horst Köhler (09.11.2009)
- 4.4 Vergleich der drei Reden
- 5. Fazit Didaktische Potenziale von Festreden zum Herbst 1989
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der geschichtsdidaktischen Bedeutung von Festreden deutscher Bundespräsidenten zum Jahrestag des Mauerfalls und der deutschen Wiedervereinigung. Ziel ist es, die Rolle dieser Reden als Quellen für den Geschichtsunterricht zu analysieren und die didaktischen Möglichkeiten ihres Einsatzes zu beleuchten.
- Analyse der Rede als Textgattung und ihrer Merkmale
- Bedeutung der Festrede in Bezug auf Ritualisierung und Konfliktneutralisierung
- Didaktische Perspektiven und Herausforderungen im Umgang mit Festreden im Geschichtsunterricht
- Exemplarische Analyse dreier Festreden von Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, Johannes Rau und Horst Köhler
- Bewertung der geschichtsdidaktischen Potenziale von Festreden zum Herbst 1989
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel dieser Arbeit führt in die Thematik ein und beleuchtet die Bedeutung der geschichtskulturellen Kompetenz im Geschichtsunterricht. Die Rolle von Festreden in diesem Kontext wird hervorgehoben und die Notwendigkeit einer kritischen Rezeption dieser Ansprachen betont.
Kapitel 2 befasst sich mit der Rede als (Text-)Quelle und analysiert ihre Merkmale und Funktionen. Die besondere Bedeutung der Festrede als Gattung wird in Bezug auf Ritualisierung und Konfliktneutralisierung betrachtet.
Kapitel 3 beschäftigt sich mit der didaktischen und methodischen Verwendung von Reden im Geschichtsunterricht. Das Interpretationsmodell nach Christian Tischner (2008) wird vorgestellt und die Chancen sowie Herausforderungen des Einsatzes von Festreden in der Unterrichtspraxis beleuchtet.
Kapitel 4 präsentiert eine exemplarische Analyse dreier Festreden deutscher Bundespräsidenten, die sich mit dem Herbst 1989 auseinandersetzen. Die Analyse fokussiert auf die jeweilige Reflexion des Jahres 1989 und die Frage, inwiefern sich die Deutungen der Ereignisse ähneln oder unterscheiden.
Schlüsselwörter
Diese Arbeit befasst sich mit den Themen Festreden, Geschichtsdidaktik, geschichtskulturelle Kompetenz, Redegattungen, Festrede, Ritualisierung, Konfliktneutralisierung, Didaktik und Methodik, Interpretationsmodell, 1989, Mauerfall, Deutsche Einheit, Bundespräsidenten, Richard von Weizsäcker, Johannes Rau, Horst Köhler.
- Quote paper
- Ines Hermeling (Author), 2010, Die Reflexion des Jahres 1989 in ausgewählten Festreden deutscher Bundespräsidenten aus geschichtsdidaktischer Perspektive, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/154245