Die Rolle der Städte Paris und Buenos Aires in Julio Cortázars Roman „Rayuela“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Raumsemantik im Roman „Rayuela“.

3 Das Sujet in „Rayuela“

4 Die Figur auf der anderen Seite („del lado de acá“) [Kapitel 36 – 57]

5 Bezug des Rayuela –Spieles auf Paris und Buenos Aires

6 Paris als civilización vs. Buenos Aires als barbarie?

7 Die duale Struktur der Figuren

8 Die Suche als zentrales Thema in „Rayuela“

9 „Rayuela“ ein „Anti- Bildungsroman“ ?

10 Die Ästhetik in „Rayuela“

11 Schlussbemerkungen

12 Literaturverzeichnis:

1 Einleitung

Julio Cortázar, einer der profiliertesten Vertreter des argentinischen Prosaschrifttums der Gegenwart, gehört zu der Gruppe von Autoren, die den neuen lateinamerikanischen Roman seine Weltgeltung verschafft haben.

1963 schuf er mit seinem Roman „Rayuela“ ein Werk, das aufgrund der Fragmentierung der traditionellen Fabel durch diverse Einblendungs- und Collagetechniken und aufgrund der wechselnden Erzählperspektive sowie der Dekonstruktion des sprachlichen Mediums, nicht mehr als Roman bezeichnet werden kann. Vielmehr ist es ein Anti-Roman, der durch seine philosophisch-metaphysischen Elemente und seiner kaleidoskopischen Struktur ein Werk bildet, das den Leser selbst ständig zwingt, während der Lektüre mitzuarbeiten.

Der Titel „Rayuela“ ist der Name eines Kinderspiels, das Hüpfkastenspiel „Himmel und Erde“[1]. Es bezieht sich unmittelbar auf die Lektüreweise des Textes, die nicht linear fortschreitet, sondern vor- und zurückspringt.[2] Rayuela, das Zentralsymbol des Werkes, meint vor allem die existenzielle Haltung der Suche nach dem authentischen Dasein und dem vom Spiel versprochenen Himmel. Träger dieser konfliktvollen Existenzform ist Horacio Oliveira, ein Argentinier, Wanderer zwischen zwei Welten, Paris und Buenos Aires, keiner recht zugehörig.[3]Der folgende Text wir sich primär mit der Rolle der Städte Paris und Buenos Aires in Julio Cortázars Roman „Rayuela“ beschäftigen. Zunächst wird zu prüfen sein, inwieweit Jurij M. Lotmans Modell der Sinnstiftung bzw. der Konstruktion einer erzählten Welt anhand der Semantisierung oppositioneller Räume auf den Roman „Rayuela“ anwendbar ist. In diesem Zusammenhang wird besonders die Ästhetik des Werkes sowie die Funktion der im Roman auftretenden Dichotomien zu betrachten sein. Ferner wird noch zusätzlich zu untersuchen sein, inwiefern das Rayuela-Spiel selbst bzw. die im Spiel vorkommenden Räume Himmel und Hölle mit den Städten Paris und Buenos Aires verglichen werden können.

Anhand diverser Textbeispiele aus dem Roman wird im Folgenden herausgearbeitet welche weiteren in „Rayuela“ vorkommende Dichotomien Oppositionen semantischer Räume bilden.

Anschließend wird die Suche des Protagonisten als zentrales Thema des Romans in Augenschein genommen, sowie das Phänomen des Sujets in diesem Text herausgearbeitet und dargestellt. Als weiteres wird „Rayuela“ mit dem deutschen Bildungsroman verglichen, sowie die Funktion des räumlichen Bildes von der Rayuela auf den Roman untersucht. Abschließend wird noch die Frage zu klären sein, inwieweit eine Oppositionierung semantischer Räume bzw. eine Strukturierung der realen Welt anhand von semantischen Räumen ein kulturübergreifendes, narratives Grundmuster darstellt. Hiermit stellt sich auch gleichzeitig die Frage ob die Konstruktion eines Weltbildes durch diese Oppositionierung ein interkulturell auftretendes Modell der Sinnstiftung sowie der Erklärung des „Unerklärlichen“ darstellt.

2 Raumsemantik im Roman „Rayuela“

Dadurch, dass räumliche Oppositionen zum Modell für semantische Oppositionen werden, findet eine Semantisierung des Raumes statt, die den fiktiven Raum prinzipiell vom realen unterscheidet.[4]Das bedeutet, dass die räumliche Ordnung der erzählten Welt zum organisierenden Element wird, um das herum auch die nicht-räumlichen Charakteristiken aufgebaut werden. Betrachtet man den Raum als die Gesamtheit homogener Objekte (Erscheinungen, Zustände, Funktionen, Figuren, Werte von Variablen, u.dgl.), zwischen denen Relationen bestehen, die den gewöhnlichen räumlichen Relationen (Ununterbrochenheit, Abstand, u.dgl.) gleichen[5], ist deutlich zu erkennen, dass sich die Funktionen des Raumes in dramatischen und in narrativen Texten nicht in der Notwendigkeit eines Schauplatzes für eine Geschichte bzw. eines Aktionsraumes für die agierenden Figuren erschöpft.

Wird das Universum einer erzählten Welt innerhalb der Geschichte in zwei disjunkte Teileräume gegliedert, so werden beide Segmente automatisch semantisch konnotiert. So entstehen beispielsweise klassische Oppositionen wie etwa bei Benito Pérez Galdós „Doña Perfecta“ die semantische Gegenüberstellung von Stadt vs. Land zusammen mit den semantischen Konnotationen wie z.B. modern vs. konservativ, hektisch vs. ruhig, etc. Oder etwa die typischen Oppositionen in Märchen, die Vladimir Propp in seiner „Morphologie des Märchens“ 1927 bereits in zahlreichen Fällen miteinander verglich, wie z.B. die semantische Gegenüberstellung von Haus vs. Wald mit ihren jeweiligen Konnotationen wie z.B. sicher vs. unsicher, bekannt vs. unbekannt, etc. Man kann also sagen, dass in der Literatur bzw. in narrativen Texten die räumliche Gegenüberstellung immer eine modellbildende Funktion für die erzählte Welt hat.

Betrachtet man nun Julio Cortázars Roman „Rayuela“ ist bereits äußerlich diese Einteilung in zwei semantisch oppositionelle Räume deutlich erkennbar. So nennt er seinen ersten in Paris spielenden Teil „Del lado de allá“, und seinen zweiten in Buenos Aires spielenden Teil „Del lado de acá“. Die Dichotomien, bzw. die damit verbundenen Konnotationen sind in diesem Roman fast grenzenlos. So zeigen sich beispielsweise die Oppositionen wie:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die einzige Inkonstante in diesen Gegenüberstellungen bildet das Gegensatzpaar vom Rayuela-Spiel Himmel (cielo) vs. Hölle (tierra), da dies jeweils davon abhängt, wo H. Oliveira sich gerade befindet.

Im eigentlichen Sinne sind Paris und Buenos Aires komplementäre und sogar austauschbare literarische Orte. Sie sind zwar nicht austauschbar in dem Sinne, dass man Paris etwa durch London o.ä. ersetzen kann, dennoch sind die Städte an und für sich nicht wichtig. Sie sind Utopie und Antiutopie und existieren gleichwie die Maga (die all das repräsentiert, was H. Oliveira nicht ist) als Phantasiegebilde im Kopf Horacio Oliveiras, der in seiner Gespaltenheit immer in zwei Welten lebt und der in Paris eher an Buenos Aires denkt, und in Buenos Aires eher an Paris. So sagt er selbst z.B. im dritten Kapitel:

„En Paris todo le era Buenos Aires y viceversa; en lo más ahincado del amor padecia y acataba la pérdida y el olvido.“[6]

oder im Kapitel 21:

„Rodeado de chicos con tricotas y muchachas deliciosamente mugrientas bajo el vapor de loscafés crèmesde Saint-Germain-des-Prés, que leen a Durrelle, a Beauvoir, a Duras, a Douassot, a Queneau, a Sarraute, estoy yo un argentino afrancesado (horror horror), ya fuera de la moda adolescente, delcool, con en las manos anacrónicamenteEtes-vous fous?“[7]

Wie bereits erwähnt wurde, haben die Städte an sich keine große Bedeutung. Wichtig ist vielmehr, was H. Oliveira mit ihnen verbindet; sprich „el otro mundo“ oder „el kibbutz del deseo“ bzw. die Suche danach. Man kann sagen, dass sie als eine Art Werkzeug fungieren, um diese unmögliche Suche Oliveiras darzustellen. Aus diesem Grund kann von einem Städteroman (im Sinne von Volker Klotz) hier keine Rede sein. Die konkreten Schauplätze in Paris, die expliziten Straßennamen und der Stadtplan im Epilog lassen einen an typische Stadtromane wie z.B. Camilo José Celas „La Colmena“ erinnern. Dennoch repräsentieren die beiden Städte Paris und Buenos Aires in J. Cortázars Roman „Rayuela“ lediglich die zwei Welten, in denen sich Oliveira bewegt. Der Leser kann, gleichwie Oliveira, zwischen den Orten hin- und herspringen, räumlich und zeitliche Kontinuität aufheben, Oppositionen und Analogien herstellen und wieder aufheben, und er wird dennoch nie, ebenfalls wie Oliveira, ein festes Bild der Wirklichkeit gewinnen. Als Wanderer zwischen den Welten, in diesem Fall Paris und Buenos Aires, ist Oliveira nicht schuldloses Opfer eineréducacion sentimental. Nach der irreparablen Trennung von der Maga wird er zur Regression und zur topografischen sowie psychischen Reduzierung gezwungen. Nach dem nicht unverschuldeten Verlust seiner Geliebten verliert Horacio jeglichen Halt, ansatzweise noch in Paris und endgültig dann in Buenos Aires. Es wäre verfehlt in Horacios Schicksal lediglich eine Parabel der Polarität Paris – Buenos Aires bzw. „el mundo de allá“ – „el mundo de acá” sehen zu wollen. Dennoch ist sein Schicksal sehr wohl exemplarisch in dem Sinne, dass für einen Argentinier wie Horacio nach gescheiterter Identitätssuche auf Pariser Boden, Buenos Aires keine konstruktive Alternative zu bieten vermag. Der Zurückkehrende war heimatlos von jeher und bleibt es weiterhin.

[...]


[1] „Himmel und Erde“ ist lediglich die spanische Übersetzung des als „Himmel und Hölle“ in Deutschland bekannten Spieles.

[2] Wolfgang Brandt: „Lateinamerikanische Lit. der Gegenwart“, S. 41.

[3] Wolfgang Brandt: „Lateinamerikanische Lit. der Gegenwart“, S. 42.

[4] Manfred Pfister: „Das Drama“, S. 339.

[5] Jurij M. Lotman: „Die Struktur literarischer Texte“, S. 312.

[6] Julio Cortázar: „Rayuela“, S. 141.

[7] Julio Cortázar: „Rayuela“, S. 229.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Rolle der Städte Paris und Buenos Aires in Julio Cortázars Roman „Rayuela“
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Romanische Philologie)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
18
Katalognummer
V154461
ISBN (eBook)
9783640671380
ISBN (Buch)
9783640671618
Dateigröße
478 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rolle, Städte, Paris, Buenos, Aires, Julio, Cortázars, Roman
Arbeit zitieren
Oliver Kneip (Autor:in), 2004, Die Rolle der Städte Paris und Buenos Aires in Julio Cortázars Roman „Rayuela“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/154461

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