Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Religion und Politik: Theoretische Perspektiven
2.1 Renaissance der Religionen?
2.2 Was ist Religion - was ist Politik?
2.2.1 Der Begriff der Religion
2.2.2 Der Begriff der Politik
2.3 Interferenzen
3. Theoretische Überlegungen zu New Age
3.1 Der New-Age-Komplex: Übersicht und Spezifikation
3.2 Das New-Age-Paradigma
3.3 Grundzüge der New-Age-Politik
4. Forschungsdesign
5. ,Integrale Politik' - eine Standortbestimmung
5.1 Zur Bedeutung von ,integral'
5.2 Integrales Welt- und Menschenbild
5.3 Integrale politische Ordnung
5.4 Integrale Bildung, Erziehung und Kultur
5.5 Integrale Wirtschaftsordnung
5.6 Wissenschaft und Forschung
5.7 Gesundheit und Gesundheitswesen
5.8 Friedensförderung und Sicherheitspolitik
5.9 Binnenleben und Kultur der integralen Politik
6. Fazit
6.1 Auswertung der Inhaltsanalyse
6.2 Schlussfolgerungen
7. Literaturverzeichnis
Anhang: Primärquelle mit Codierungen
1. EINLEITUNG
Religion verfällt, Religion wird bedeutungslos, Religion stirbt - so der Tenor der säkularen europäischen Moderne. Besonders in der Politik habe Religion nichts (mehr) verloren, die Bereiche sind getrennt. Umso erstaunlicher scheint es, wenn - statt christlicher Parteien oder islamischem Fundamentalismus, die ja durchaus politisch bedeutend sind - unkonventionelle Religion wie New Age scheinbar plötzlich auf die politische Bühne tritt, ja explizit Spirituali- tät mit Politik verknüpfen will. So tun dies etwa ,Die Violetten - für spirituelle Politik' in Deutschland und bald auch ,Integrale Politik' (zurzeit noch ein Verein) in der Schweiz, beides Parteien, die aus New-Age-Strömungen entstanden sind. Was aber ist New-Age-Politik? Und inwiefern ist sie religiös und spirituell oder politisch und säkular?
Diese Arbeit möchte die wichtigsten Stossrichtungen des New-Age-Paradigmas beschreiben und dessen politische Dimensionen aufzeigen. Die beiden Bereiche von Religion bzw. New- Age-Spiritualität und Politik sowie ihre Berührungspunkte werden an einem empirischen Fallbeispiel eines Parteiprogramms (,Integrale Politik') analysiert. Es wird gefragt, inwiefern New-Age-Politik ,religiös-spirituell' und inwieweit sie ,politisch-säkular' ist. Oder kurzum: Wie religiös ist New-Age-Politik? Das Interesse gilt also weniger der Typisierung der Partei, sondern dem Problem, inwiefern Religion identifizierbar ist in begrifflichen Gehalten, durch die bestimmte Ausprägungen von Religiosität als derart bedeutsam ausgewiesen werden, dass sie nicht einfach unter allgemeinere Begriffe wie Kultur oder Werte gefasst werden können.
Roter Faden der Argumentation wird eine Kette von Anknüpfungspunkten sein: Religion / New-Age-Spiritualität - Bewusstseinswandel - Paradigmenwechsel - Kulturkritik / Moral / Ethik / Werte - Politik. Jeder Begriff führt durch eine gewisse Modifikation, Interpretation und Konsequenz zum nächsten: Religion wird umgeformt in die Spiritualität des New Age, welches wiederum Bewusstseinswandel und einen Paradigmenwechsel, verbunden mit fun- damentaler Kulturkritik, propagiert. Dies führt zu einer Moral, einer Ethik und zu Werten, die schliesslich in der Formulierung politischer Inhalte und Ziele münden. So gelangt man ge- mäss meinem Vorschlag in diesem Kontext von Religion bis zur Politik.
Der Versuch einer Antwort auf die formulierte Forschungsfrage gliedert sich in fünf Teile. Erstens wird das Verhältnis von Religion und Politik im Zusammenhang mit der Säkularisie- rungsthese erläutert. Zweitens werden Überlegungen zu New Age und dessen Paradigma und Politikdimensionen angestellt. Drittens werden die Methodik geklärt und die Begriffe operati- onalisiert, worauf der empirische Teil der Inhaltsanalyse eines Grundlagenpapiers von ,Integ- rale Politik' aufbaut. Schliesslich werden die Ergebnisse in der Schlussdiskussion zusammen- geführt.
2. RELIGION UND POLITIK: THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
Das Wechselverhältnis von Religion und Politik ist komplex. Die folgende kurze Darstellung will die für die Fragestellung relevanten Punkte erörtern. Es wird zunächst auf die umstrittene Säkularisierungsthese, anschliessend auf Definitionen und Abgrenzungen sowie schliesslich auf Interferenzen der beiden Bereiche eingegangen.
2.1 RENAISSANCE DER RELIGIONEN?
Säkularisierung bedeutet den Verfall der Religion, die Abkehr der Gesellschaft von Religion, allgemein die abnehmende Bedeutung der Religion in moderner Gesellschaft oder - mit Max Weber gesprochen - ,Entzauberung'. Die Verfechter dieser weit reichenden sozialen Tendenz zur Säkularisierung sehen vor allem den schwindenden Einfluss der Kirche als Indiz.1 Zudem verliere Religion ihre zentrale Stellung in einer sich zunehmend rationalisierenden und sozial immer mehr ausdifferenzierten Gesellschaft und wird bloss zu einem Teilbereich neben vielen anderen (Hock 2002: 16, 104f.).
Doch stimmt die verkürzte Gleichung Religion = Christentum = Kirche? Bei näherem Beo- bachten wird schnell klar: Säkularisierungsprozesse sind nicht so eindeutig, sie sind ambiva- lent (Bochinger 1994: 405). Zwar spielt Individualisierung, Privatisierung und die Auflösung institutioneller Formen von Religion als Teil der Säkularisierung eine Rolle. Doch Religion ist nicht verschwunden - sie hat vielmehr ihre Form geändert. Bochinger (ebd. 406) hält fest:
„Im Bild gesprochen, ist nach der Rodung des ,Urwaldes' der Religion durch die Säkulari- sierungsprozesse ein ,Sekundärwald' entstanden, der nicht mehr identisch mit dem Vorgän- ger ist und in dem eigene Gesetzmässigkeiten herrschen. Sämlinge der alten Waldbestände mischten sich mit zufällig eingeschleusten oder bewusst gepflanzten ,Exoten', viel Erde wurde weggeschwemmt, allerhand ,Säkularisierungsmüll' blieb liegen, und auch die einge- zäunten künstlichen Reservate haben den ,Zauber' des alten Urwalds längst verloren. Man- che ,Bewohner' der religiösen Landschaft reflektieren die neue Situation, andere lassen kei- ne spezifische Reaktion erkennen, obwohl alle gleichermassen von den Veränderungen be- troffen sind."
Diese ,komplementär-synchrone' Entwicklung zur Säkularisierung wird oft auch als ,Resakralisierung' oder ,Wiederverzauberung' gesehen. Ähnlich dazu auch Hanegraaff (2000: 301): "[R]eligion is in the process of changing its face in a quite radical fashion. It is not va- nishing, but is being transformed under the impact of new circumstances." Bei dieser Ände- rung der Sozialgestalt von Religion in Richtung ,unsichtbare Religion' (Luckmann 1991), Verflüchtigung der Religion ins Religiöse oder individuelle, private Religion wird Spirituali- tät zunehmend wichtig. Knoblauch (2009: 41) meint: „Die Wendung zur Spiritualität ist Aus- druck einer grundlegenden Transformation der Religion, die sich an die gegenwärtige postin- dustrielle Gesellschaft anpasst." Und zusammenfassend sowie ausblickend nochmals Hane- graaff (2000: 302): "Secularization does not mean that religion is vanishing or that religions are dying out; but it does mean that religion as such is radically changing its face. The essence of this process […] lies in the fact that religion is becoming less and less the domain of reli- gions, and more and more the domain of spiritualities.”2
2.2 WAS IST RELIGION - WAS IST POLITIK?
2.2.1 DER BEGRIFF DER RELIGION
Wir sehen also: Religion verschwindet nicht einfach, sondern ist noch immer eine signifikante Grösse - wenn auch in neuer Form. Diese neuen Entwicklungen und die Transformation von Religion erfordern aber auch einen angemessenen und operationalisierbaren Begriff. Die Formulierung eines solchen theoretischen Konzepts soll hier versucht werden.
Die Debatte um den Religionsbegriff3 führt direkt ins Herz der Religionswissenschaft. Sie wurde seit ihren Anfängen ausgetragen und wird wahrscheinlich nie definitiv abgeschlossen sein. Es gibt hierbei zwei vorherrschende Stränge: (1) substanzialistische und (2) funktionalis- tische. Ersteres zielt auf die Erfassung eines ,Wesens' bzw. einer inhaltlich fassbaren Sub- stanz hinter allen religiösen Phänomenen ab, beispielsweise mit den Begriffen des Heiligen und des Profanen wie bei Rudolf Otto oder Mircea Eliade. Diese Richtung ist hier einerseits wegen seiner (vielfach kritisierten) Theologisierung des Religionsbegriffs und dessen Unwis- senschaftlichkeit4 sowie andererseits seiner geringen Bedeutung für die hier aufgeworfene Forschungsfrage zu vernachlässigen - trotz meiner Suche nach ,religiöser Substanz' in einem Dokument. Funktionalistische Religionsbegriffe sind hingegen zentral, da sie überhaupt erst operationalisierbar sind. Es wird dabei nicht gefragt, was Religion ist, „sondern was sie tut bzw. was sie bewirkt, was sie leistet und welche Funktionen sie erfüllt" (Hock 2002: 16). Re- ligion wird begriffen als Reaktion auf allgemeine und grundlegende Probleme, die nicht tech- nisch lösbar sind, wie z.B. menschliche Sinnfragen. Ob diese Funktionen kulturunabhängig sind, soll hier offen bleiben. Jedenfalls muss eine begriffliche Bestimmung immer ihrem Ar- beitskontext Rechnung tragen.
Durch einige Religionskonzeptionen inspiriert (Bärsch 2005; Bizeul 2009; Ferré 1970; Hilde- brandt & Brocker 2008; Hanegraaff 2000; Hock 2002; Knoblauch 2009; Liedhegener 2008; Waardenburg 1993) kann folgender Religionsbegriff für diese Arbeit formuliert werden:
Religion ist ein System von besonderen Symbolen, Sinnkonstruktionen, Glaubensüberzeu- gungen, Werten, Praktiken, Verhaltensweisen und Erfahrungen, das gesellschaftliche und individuelle Sinnkonstituierung, Identitätsstiftung, Kontingenzbewältigung, moralische Handlungsbeurteilung, Sozialintegration, und Welterklärung beinhalten bzw. bewirken kann, wobei es stets an als absolut geltende Bezugspunkte im überweltlichen Bereich des Transzendenten (Meta-Ebene) geknüpft ist und somit ultimativen Charakter hat.
Ich habe versucht, möglichst viele Aspekte zu berücksichtigen, denn erst dadurch wird Reli- gion als spezifische Kombination und Konfiguration von zahlreichen Elementen erkennbar. Ob diese bewusst breite funktionalistische Arbeitsdefinition die klare Abgrenzung zu nicht- religiösen Systemen genügend erlaubt, wird sich im empirischen Teil zeigen.
2.2.2 DER BEGRIFF DER POLITIK
Beim Politikbegriff sind die Definitionen zwar fast genauso zahlreich, jedoch viel eindeutiger in ihrer Ausrichtung. Ich bestimme den Begriff mit Patzelt (2007: 22):
Politik ist jenes menschliche Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regelungen und Entscheidungen in und zwischen Gruppen von Menschen ab- zielt. Gegenstand des Bemühens um Verbindlichkeit sind sehr oft Konflikte über Werte oder Güter; diese werden von Einzelnen, von Gruppen, Klassen, Parteien, Staaten oder Bündnis- sen ausgetragen.
Menschliches Handeln in diesem Sinne ist geprägt von Normen, Interessen, Wertvorstellun- gen und Weltanschauungen. Die Ordnung von Mensch, Gesellschaft und Geschichte ist stets eingebettet in Paradigmen gesellschaftlich-politischer Existenz und Sinndeutung (Handeln im Hinblick auf Moral, Ethik, Recht, Gerechtigkeit und Werte wie Freiheit, Gleichheit und Wür- de) und ist somit auch offen für Anliegen mit religiösem Hintergrund (Bärsch 2005: 24). Sol- che Spuren können sich dann schliesslich in Parteiprogrammen manifestieren.
2.3 INTERFERENZEN
Als gesellschaftliche Teilsysteme sind Religion und Politik heute getrennt - so sehen dies zumindest Verfechter der Säkularisierungsthese. Die Bereiche haben sich zunehmend entkop- pelt (institutionell, sozial-strukturell und kulturell) und sind separate bezüglich ihrer Logiken. Allfällige Interferenzen sind aus dieser Sicht Abweichungen der Modernitätslogik (Giesen & Suber 2005: 2). Die Bereiche können sich aber auch verflechten, wie z.B. beim Sonntagsar- beitsverbot. Liedhegener (2008: 192) sieht deshalb Politik und Religion als "komplexes Ge- füge komplexer Grössen” im Hinblick auf das auf gesamtgesellschaftlich verbindliche Regeln angelegte System der Politik. In dem Sinn argumentieren die Vertreter der ,Resakralisie- rungsthese' für die nachhaltige Persistenz von einem religiösen und transzendenten Kern mo- derner Gesellschaften (ebd. 3).
Die Trennung von traditioneller Religion und säkularen Kulturen, die Religion in den Bereich des Privaten degradieren, ist hiermit nicht ganz klar. Es scheint eher eine hintergründige Ver- wobenheit der oberflächlichen Säkularisierung mit Religiösem zu existieren. Religiöse Gefüh- le spielen bei vielen menschlichen Weltkonzeptionen eine Rolle. Nur werden diese Gefühle - wie oben erwähnt - immer weniger von traditionellen Kirchen bereitgestellt, sondern ändern ihre Sozialgestalt in neue, privatisierte Religionsformen, fernab von herkömmlichen Instituti- onen, womit wir wieder bei Luckmanns ,unsichtbarer Religion' wären (ebd. 4f.).
Im politischen Kontext wird der Religionsbegriff oft auf Moral kondensiert. Der Glaube wird privat empfangen und dann als moralisch-ethische Werte in die Politik exportiert. Eine solche Transformation von religiösen Glaubensvorstellungen in politische Inhalte zeigt, dass das Bewusstsein von Gesellschaft von religiösem Bewusstsein abhängen kann. Die Intensität des Religiösen zieht Ethik nach sich und beeinflusst damit die Entscheidungen und Handlungen im Politischen (Bärsch 2005: 44). Die religiösen Ideen müssen jedoch säkular übersetzt wer- den. So wird beispielsweise aus ,christlicher Nächstenliebe' ganz einfach ,Solidarität'.
Darum fragt die junge Disziplin der Religionspolitologie (ebd. 15): Deuten Menschen ihre Existenz religiös? Haben sie ein religiöses Bewusstsein von der gesellschaftlichen Ordnung? Sind Entscheidungen über diese Ordnung religiös beeinflusst? Aufgrund der Übersetzung und Ambivalenz (statt Evolution und Fortschritt) als die leitenden Kräfte der Moderne sowie der weit reichenden Rekomposition von Religion mit der Privatisierung und teilweisen Abspal- tung als gesellschaftliches Subsystem, kann man mit Liedhegener (2008: 193) jedoch festhal- ten: „Gott ist in den Details." Die transnationale Kapazität ,Neuer Religiöser Bewegungen' wie New Age ist dennoch nicht zu unterschätzen. Sie interpretieren die Moderne neu, legen sie in ihren eigenen Logiken aus und finden so neu konstruierte Antworten auf die Probleme und Dilemmata der heutigen Zeit (Giesen & Suber 2005: 23; 28f.).
3. THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN ZU NEW AGE
In diesem Abschnitt erfolgt die Einbettung des Forschungsfokus in den Bereich des New Age, mit dem wir in das Gebiet einer modernen individualisierten und privatisierten Religion vor- stossen, in der säkulare Themen religiös gedeutet werden (Hanegraaff: 2000/2007; Bochinger 1994: 407). Es wird eine Übersicht gegeben und der Begriff wird spezifiziert (inkl. dem Beg- riff der New-Age-Spiritualität). Danach wird das New-Age-Paradigma dargestellt und ab- schliessend die Grundzüge der New-Age-Politik mit einer knappen Übersicht des dazu schon vorhandenen Forschungsstandes aufgezeigt.
3.1 DER NEW-AGE-KOMPLEX: ÜBERSICHT UND SPEZIFIKATION
Die Bezeichnung ,New Age' ist ein breiter Sammelbegriff5 für eine Gruppe sehr heterogener, amorpher und nicht klar abgrenzbarer religiöser Phänomene, denen ein scharfer dogmatischer
Kern fehlt (Knoblauch 2009: 109). Knoblauch (2009: 100) benennt New Age (trotzdem) als „Neue Religiöse Bewegung". Bochinger (1994: 23) hingegen spricht von einer „neuen religi- ösen Szenerie", deren Phänomene distinkt von üblichen Religionen sind. Die aus meiner Sicht bedeutendsten New-Age-Experten (Heelas, Bochinger, Hanegraaff) bezeichnen New Age demnach als Form von Religion, wenn auch auf unterschiedliche Weise: Heelas (1996) als unkonventionelle Religion, Bochinger (1994) als ein als Weiterführung der abendländischen Moderne gedachter Religionstypus, Hanegraaff (1996/2000/2007) als religiöses (und in der Konsequenz ,alternativ spirituelles') Symbolsystem, das fundamentale Kulturkritik und Ele- mente westlicher Esoterik-Traditionen beinhaltet. Ich benutzte für dieses Gebiet die Bezeich- nung ,New-Age-Komplex' (NAK), mit der aber nie eine singuläre Entität, sondern ein plura- les Konglomerat oder eben ein Komplex gemeint ist.
Im NAK besteht vielfach ein Rückbezug zu esoterischen und östlichen Traditionen (z.B. Theosophie und Buddhismus), die mit neuen Elementen (u.a. der modernen Psychologie und Physik) auf synkretistische Weise oft sehr beliebig und ,flexibel' kombiniert werden6 (Hock 2002: 69f.; Knoblauch 2009: 108f.). Der NAK ist somit nicht einfach als Weiterführung von esoterischen Traditionen zu sehen und zusätzlich muss hier der Kontext des Aufbruchs von 1968 mit einbezogen werden.7 Charakteristisch für die Lehren des NAK sind die Betonung von Holismus und Ganzheitlichkeit, Monismus und Pantheismus, individueller Autonomie und erfahrungsorientierter Selbstverwirklichung, die Vereinigung von Wissenschaft und Reli- gion, der Idee der Bewusstseinsevolution sowie der Transformation des Individuums und da- durch der Gesellschaft hin zum Einklang mit dem Kosmos und der Natur. Dies soll im ,New Age', also im ,Neuen Zeitalter' verwirklicht werden. Im NAK gibt es aber „weder einen Schriftkanon noch festgefügte Sozialstrukturen und Institutionen" (Bochinger 1994: 23). Das Selbstverständnis beruht stattdessen auf der Idee eines weltweiten, organisatorisch flachen Netzwerks, das - von modernen Kommunikationstechnologien begünstigt - ein transformati- ves Moment in sich tragen soll.8
Die Identifikation mit der wörtlichen Bedeutung der Bezeichnung ,New Age' (,Neues Zeital- ter') ist bei Vertretern/Anhängern sehr unterschiedlich. So lassen sich gemäss Hanegraaff (1996: 97) zwei Bereiche des NAK definieren, nämlich (a) das ,New Age sensu stricto', wel- ches auf einer imminenten apokalyptisch-millenniaristischen Erwartung eines epochalen Wandels hin zum neuen so genannten ,Wassermann-Zeitalter' basiert und damit eine Sub- gruppe im NAK darstellt sowie (b) das übergeordnete ,New Age sensu lato', welches kom- plexer, unschärfer und breiter ist. Für diese Arbeit ist Letzteres zentral, da es nicht um die konkrete millenniaristische Erwartung, sondern um eine allgemeinere Bewegung geht.
[...]
1 An dieser Stelle muss betont werden, dass Europa in diesem Zusammenhang als ein Sonderfall zu sehen ist. Die Säkularisierungsthese hat auf keinem anderen Kontinent derart ige Relevanz.
2 Zudem wird die Moderne in der Religionswissenschaft durchaus als religionsproduktiv bewertet. Kennzeich- nend dafür sind weit verbreitete Dynamiken, die sich in Begriffen wie ,Neue Religiöse Bewegungen' und ,Neue Religionen' wiederfinden.
3 Etymologische Hintergründe und Diskussion des historisch-kulturellen Entstehungsprozesses dieses (okzidentalen) Begriffs bei Hock (2002: 10ff.).
4 Dazu Hock (2002: 18): „Religion ist […] nicht an eindeutigen Inhalten festzumachen, ist nicht in ihrem ,Wesen' zu fassen." Siehe dazu auch Waardenburg (1993: 96).
5 Die Diskussion um die Begrifflichkeiten ist in vielen Publikationen zu finden (spezifisch z.B. Klippenstein 2005). Für eine sehr umfassende Darstellung des gesamten Themenbereichs sei stets auf das Standardwerk von Bochinger (1994) verwiesen.
6 Kennzeichnend dafür sind zahlreiche Publikationen von ,klassischen' New-Age-Autoren wie z.B. Fritjof Capra oder Marilyn Ferguson bis hin zu neueren Vertretern wie z.B. Eckhart Tolle oder Neale Donald Walsch.
7 Beispiele für weitere Vorreiter sind das kalifornische Esalen-Institut und die schottische Findhorn- Kommune (beide 1962 gegründet; Knoblauch 2009: 101).
8 Es gibt zahlreiche entsprechende ,spirituelle' Institute, Zentren, Kleingruppen, Verlage, Zeitschriften, etc. Der
NAK manifestiert sich auch als stark ausgeprägtes Phänomen des Buchmarktes.