Pedro Almodóvars Film "Alles über meine Mutter" und die Möglichkeiten der Identitätsänderung durch kritische Lebensereignisse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

25 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Wahl des Themas
1.2 Vorgehensweise

2. Definitionen
2.1 Identität
2.2 Identitätsentwicklung
2.3 Identitätsänderung
2.4 Alte Welt
2.5 Moderne Welt

3. Identitätsänderung in der alten und der modernen Welt
3.1 Identitätsänderung in der alten Welt
3.1.1 Alles über Eva - Joseph L. Mankiewicz, 1950
3.1.2 Endstation Sehnsucht - Elia Kazan, 1951
3.2 Identitätsänderung in der modernen Welt Alles über meine Mutter - Pedro Almodóvar, 1999

4. Vergleich der Identitätsänderung in der alten und modernen Welt

5. Schlussfolgerung

6. Bibliografie

ANHANG

Zusammenfassung der Filminhalte aus dem Lexikon des internationalen Films

1. Einleitung

1.1 Wahl des Themas

Im Rahmen des Seminars „Narración fílmica y relación social en Pedro Almodóvar“ (SS08) hat der Film „Alles über meine Mutter“ (1999) mein besonderes Interesse geweckt. Nach zwölf vorangegangenen Kinofilmen und vielen anderen Projekten geht Almodóvar hier neue Wege.

Zeichnung der Charaktere

Der Film hebt sich insbesondere durch die Darstellung der Filmfiguren von den frühe- ren deutlich ab. In Filmen wie „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ (1987) oder „Kika“ (1993) wurden die Schauspieler zu einer übertriebenen Zurschaustellung der Charaktere aufgefordert. Es ging Almodóvar um eine sehr extrovertierte Spielweise, oft am Rande des Karnevalesken, ungeschminkt und schamlos. In „Alles über meine Mutter“ hingegen werden Emotionen sehr zurückhaltend dargestellt, wodurch der Film an Ernsthaftigkeit gewinnt.

In die Haupthandlung eingewobene Bezugsfilme

In Almodóvars Filmen werden oft Szenen aus Hollywood-Filmen mit eingebaut, die überwiegend aus den 50er Jahre stammen und deren stilistische Mittel teilweise über- nommen werden[1]. Auch in „Alles über meine Mutter“ ist dies der Fall. Es handelt sich hier um „Endstation Sehnsucht“, einem Theaterstück von Tennessee Williams, das 1947 geschrieben und 1950 von Elia Kazan verfilmt wurde, „Alles über Eva“, einem Film von Joseph L. Mankiewicz aus dem Jahre 1950, und „Die erste Vorstellung“ unter der Regie von John Cassavettes, 1977, sowie um eine Theaterszene aus Federico García Lorcas „Bluthochzeit“ (1933). Es ist jedoch das erste Mal, das eine von Almodóvar ge- wählte Referenz einen so großen Einfluss auf das Geschehen im Film hat. Die Hand- lung ist um Tennessee Williams´ Theaterstück „Endstation Sehnsucht“ aufgebaut und spielt eine wichtige Rolle im Leben der Protagonistin. In diesem Rahmen tritt ein deut licher Kontrast zwischen der „alten“ Welt der Hollywood-Melodramen und der „modernen“ Welt des zeitgenössischen Films auf.

Einfluss von Almod ó vars eigener Identitätsbildung

Der Film „Alles über meine Mutter“ scheint mir auch ein sehr persönlicher Film des Regisseurs zu sein, als seine eigene Identitätsbildung zwischen zwei Welten hier mit eingeflossen ist, wie das folgende Zitat belegt:

Es ist immer die Erzählung, die mich Personen erfinden, gewisse Farben, gewis- se Objekte zeigen lässt, aber ich denke, dass alles von meinem eigenen Leben in- fiziert ist.[2]

Sein Leben ist geprägt von der dörflichen Gemeinschaft seiner Kindheit, seiner Schul- zeit bei den Salesaniern in Cáceres und seinem anschließenden Umzug nach Madrid. Seine Identitätsentwicklung fand bereits früh zwischen zwei Welten statt. In Cáceres stand die religiöse, konservative Welt der Priester im Gegensatz zu der Kinowelt des Hollywoods der 50er und 60er Jahre, in die sich der junge Almodóvar häufig flüchtete. Ab 1968, mit 17 oder mit 19 Jahren[3], arbeitete er in Madrid in einer Atmosphäre der Kleinbürgerlichkeit bei der spanischen Telefongesellschaft, während die Großstadt es ihm gleichzeitig ermöglichte, in der Subkultur seine Freiheit auszuleben und eine ihm vollkommen neue Welt zu entdecken[4]. Im Vorwort zu seinem Buch „Patty Diphusa“ gibt Almodóvar dazu folgende Stellungnahme ab:

Auch wenn ich natürlich immer nur in meinem Namen spreche, so waren die frühen Achtziger wagemutige Jahre, da ist viel passiert. Nicht nur, dass wir jünger waren und schlanker, ahnungslos stürzten wir uns in jedes Abenteuer. [...] Wir waren noch ohne Erinnerung, machten alles nach, was uns gefiel, und wir hatten Spaßdabei. [...] Die Drogen zeigten sich ausschließlich von ihrer Schokoladen seite, und Sex war nichts anderes als Zähneputzen.[5]

Im folgenden Kapitel stelle ich den Aufbau der Arbeit und die Blickrichtung meiner Untersuchung dar.

1.2 Vorgehensweise

In Almodóvars Film „Alles über meine Mutter“ verschmelzen Filmzitate und eigentliche Filmhandlung miteinander. Almodóvar erklärt, wie Ausschnitte früher gesehener Filme integraler Bestandteil des neuen Films werden und Einfluss auf das Schicksal seiner Filmfiguren nehmen:

Er (der Ausschnitt aus einem Film, Anm. der Autorin) wird zum Teil der Ge- schichte, die ich erzähle [...]. Ich verwandle das Kino, das ich gesehen habe, in meine eigene Erfahrung, die automatisch zur Erfahrung meiner Personen wird.[6]

Der Einfluss der Filme ist nicht nur einfach ästhetisch oder narrativ zu verstehen; die Allusionen und Verweise werden sofort im Film funktionalisiert[7]. Sie haben einen direkten Einfluss auf das Leben der Protagonistinnen.

Aus diesem Sachverhalt leite ich meine Arbeitshypothese ab:

Da Filmzitate und eigentliche Handlung in verschiedenen Zeiten spielen, stehen sich zwei verschiedene Zeitebenen gegenüber, die ich „alte“ und „moderne“ Welt nenne (vgl. Def. 2.4 und 2.5). In den beiden Zeitebenen des Films befinden sich die Figuren in einem unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontext, so dass man von einem unterschiedlichen Einfluss auf deren Verhalten ausgehen kann[8].

In einer Filmrezension nennt Huven als Leitthemen in dem Film „Alles über meine Mutter“ pers ö nliche innere Konflikte, Identitätssuche und Vergangenheitsbewältigung.[9]

Ich schließe mich dieser Einschätzung an und untersuche in der vorliegenden Arbeit, welche Möglichkeiten der Identitätsänderung in den verschiedenen Zeitebenen des Films für die Protagonistinnen bestehen.

In beiden Teilen, im eigentlichen Film wie in den Bezugsfilmen, werden die Protagonis- tinnen mit kritischen Lebensereignissen konfrontiert, die zu Identitätsänderungen führen können oder die Frauen in einer Stagnation verharren lassen. Die Wahrnehmung dieser Möglichkeiten der Identitätsänderung wird in der vorliegenden Arbeit von mir unter- sucht.

Nach einer Definition der von mir verwendeten Begriffe in den Kapiteln 2.1-2.3 widme ich mich zunächst jeder Zeitebene in getrennter Form (Kap. 3.1 und 3.2). Eine genauere Betrachtung des Verhaltens der weiblichen Hauptfiguren in der „alten“ und in der „modernen“ Welt soll deutlich machen, wie die Protagonistinnen Lebenskrisen bewältigen, auf die Herausforderungen unterschiedlichster Situationen reagieren, und wie sich dies auf ihre Identität auswirkt. Interessant ist es zu erforschen, worin sich ihre Herangehensweisen unterscheiden und inwiefern sie gesellschaftlichen Konventionen unterworfen sind, die sie in ihrem Verhalten bestimmen.

In meiner Arbeit konzentriere ich mich auf die Filme „Alles über Eva“ und „Endstation Sehnsucht“, die eine wichtige Rolle in „Alles über meine Mutter“ spielen.

Im darauf folgenden Kapitel (Kap. 4) stelle ich dann die unterschiedlichen Identitätsänderungen der Protagonistinnen der verschiedenen Zeitebenen gegenüber. In Kapitel 5 werden die jeweiligen Gemeinsamkeiten der Protagonistinnen der alten und der modernen Welt herausgearbeitet. In diesem Kapitel stelle ich dem Leser auch eine abschließende Betrachtung zur Filmaussage Almodóvars vor.

In meiner Arbeit gehe ich davon aus, dass der Inhalt der Filme bekannt ist und werde daher keine Inhaltsangabe vorausschicken. Im Anhang finden sich jedoch kurze Zu- sammenfassungen des Inhalts der behandelten Filme aus dem Lexikon des internationa- len Films (s.S. 23).

2. Definitionen

2.1 Identität

Im Wörterbuch der Psychologie[10] wird die menschliche Identität als eine auf relativer Konstanz von Einstellungen und Verhaltenszielen beruhende, relativ überdauernde Ein- heitlichkeit in der Betrachtung seiner selbst oder anderer definiert. Haußer[11] macht in seinem Werk „Identitätspsychologie“ noch einmal klar, dass es sich laut dieser Definiti- on nicht um die Rolle des Individuums handelt, welche sich an den gesellschaftlichen Verhaltenserwartungen orientiert und auch nicht um die psychischen Merkmale einer Person, sondern um das Bewusstsein des Individuums, das von ihm selbst konstruiert wird. Die Konstruktion einer individuellen Identität ist laut Keupp et al. notwendig, da sie das menschliche Grundbedürfnis nach Anerkennung und Zugehörigkeit erfüllt.[12]

2.2 Identitätsentwicklung

Die klassische Lehre der Identitätsentwicklung bzw. -bildung ist stark auf die Adoles- zens fokussiert und bestimmten Phasenlehren unterworfen[13]. Ich beziehe mich jedoch auf die modernere Definition von James E. Marcia[14], nach dem Identitätsentwicklung ein lebenslanger, gradueller Prozess ist, in dem keine altersgebundenen Entwicklungs- phasen stattfinden und der nicht mit dem Erreichen des Erwachsenenalters abgeschlos- sen ist. Für die Identitätsbildung sind zwischenmenschliche Beziehungen und Reflexion von herausragender Bedeutung.

2.3 Identitätsänderung

Eine Identitätsänderung beschreibt die - meist umwälzende - Veränderung einer schon bestehenden Identitätsstruktur und wird meist durch eine Identitätskrise herbeigeführt[15]

[...]


[1] Allison, Mark; 2001, S. 125: His films are in constant dialectic with genres - comedy, melodrama, crime - often combining elements of different genres and making explicit references to other genre film texts.

[2] Strauss, Fréderic; 1998, S.216

[3] Anm. der Autorin: es gibt unterschiedliche Quellenangaben über das Geburtsdatum Almodóvars; Vossen, Ursula; 1999, S.23: *1949, Holguín, Antonio, 1999, S.25: *1951

[4] Haas, Christoph 2001, S.14/15

[5] Almodóvar, Pedro; 1991, in 2008, S. 5/6

[6] Almodóvar in: Haas, Christoph; 2001, S.148

[7] Haas, Christoph; 2001, S.148

[8] vgl. Def. 2.3 über den Einbau von Erlebnissen in eine bestehende Identität

[9] Huven, Kerstin; 2002, S.75

[10] Fröhlich, Werner D., 2002, Identität

[11] Haußer, Karl; 1995, S.3

[12] Keupp et al.; 2002, S. 28

[13] Erikson, Erik H., 1980 in Noack, Juliane; 2005

[14] Marcia, James E.; 1993, S.3-21 in Haußer, Karl; 1995, S.3

[15] Haußer, Karl; 1995, S.99

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Pedro Almodóvars Film "Alles über meine Mutter" und die Möglichkeiten der Identitätsänderung durch kritische Lebensereignisse
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Romanistik)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
2,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
25
Katalognummer
V154708
ISBN (eBook)
9783640676736
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar des Professors: Problematisch bleibt die Übertragung der entwicklungspsychologischen Kategorie der Identität auf fiktionale Figuren. [...] Unlogisch scheint die Bewertung der Kategorie "Identität", wenn sie einmal [...] als dynamisch und prozessual definiert wird, um dann doch wieder völlig essentialistisch eingestuft zu werden. [...] Die Funktion der filmischen Intertexte wird zwar nicht theoretisch reflektiert, aber dennoch betrachtet und mit Erfolg ausgewertet. Die Arbeit hat eine gute Art, empirische Daten zu erklären.
Schlagworte
Pedro, Almodóvars, Film, Alles, Mutter, Möglichkeiten, Identitätsänderung, Lebensereignisse
Arbeit zitieren
Birgit Hollenbach (Autor:in), 2009, Pedro Almodóvars Film "Alles über meine Mutter" und die Möglichkeiten der Identitätsänderung durch kritische Lebensereignisse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/154708

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