Es ist kaum von der Hand zu weisen, dass sich insbesondere die evangelische Kirche in der vergangenen Zeit zu sehr auf die theologische Seite der Religion konzentriert hat. So stellte Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche Deutschlands in den Jahren 2003 bis 2009, fest, dass die evangelische Kirche verlernt habe, in Gott zu ruhen, in seiner Liebe einzukehren und seine Gegenwart zu erahnen. Die Tatsache, dass viele Menschen ihren Glauben nicht nur theologisch wissenschaftlich durchdenken, sondern auch aktiv erleben wollen, trat in den Hintergrund.
Die Evangelische Kirche scheint ihren Anhängern zu wenig Raum zu geben, in dem Gott wirklich emotional begegnet werden kann. Dadurch verpasst die Evangelische Kirche die Möglichkeit als Pol gegenüber den Widrigkeiten der modernen Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Weiter führt dieses Versäumen dazu, dass der erlebnisorientierte Mensch der heutigen Zeit das Christentum innerhalb der Volkskirchen als langweilig und ermüdend empfindet. Er fühlt sich nicht unterhalten, ist emotional nicht ergriffen und findet in der Religiosität der evangelischen Kirchen nicht den geistigen „Kick“, den er in der Esoterik und Spiritualität der neuen Religiosität erfährt.
Will sich die evangelische Kirche aus dieser Entwicklung der ständig sinkenden Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung befreien, ist es notwendig sich dem Thema Spiritualität zu nähern. Es muss erkannt werden, dass die Religiosität den Bedürfnissen der Menschen angepasst werden muss. Zu diesen Bedürfnissen gehört unweigerlich auch die Befriedigung des Verlangens nach Spiritualität. Daher muss die evangelische Kirche sich ihrer eigenen Spiritualität bewusst werden. Sie muss die aus ihrer Lehre entstandene Form der Spiritualität den Bedürfnissen der heutigen Zeit anpassen ohne dabei den in den christlichen Glauben zu findenden Ursprung aufzugeben.
Ein Vorbild für diese Verbindung des christlichen Glaubens mit der Befriedigung des Bedürfnisses nach Spiritualität in der heutigen Zeit könnte in der Betrachtung freikirchlicher Gemeinden gefunden werden. Sie praktizieren eine andere Form der christlichen Spiritualität und können entgegen dem Trend der Kirchenaustritte und dem zunehmenden Desinteresse am sonntäglichen Gottesdienst in den letzten Jahren eine steigende Mitgliederentwicklung vorweisen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Religiosität im Wandel
- 1.2 Das Bedürfnis nach Spiritualität
- 1.3 Herausforderung der evangelischen Kirche
- 2. Spiritualität: Ein Begriff zwischen christlicher Frömmigkeit und Esoterik
- 2.1 Abgrenzung: Christliche Spiritualität - esoterische Spiritualität
- 2.2 Abgrenzung: Christliche Spiritualität – Frömmigkeit
- 3. Die Evangelische Kirche: Spiritualität oder protestantische Nüchternheit?
- 3.1 Merkmale der evangelischen Spiritualität
- 3.1.1 Konzentration auf Jesus Christus
- 3.1.2 Konzentration auf die Individualität des Glaubens
- 3.1.3 Konzentration auf das Handeln in der Gesellschaft
- 3.2 Zwischenfazit: Evangelische Spiritualität im Wandel der Zeit
- 4. Die Freikirchen Deutschlands: Wahre christliche Spiritualität?
- 4.1 Spiritualität des charismatischen Pfingstlertums: Konzentration auf den Heiligen Geist
- 4.2 Spiritualität der Baptisten: Konzentration auf die Glaubensgemeinde
- 4.3 Spiritualität des Quäkertums: Konzentration auf die spirituelle Erfahrung
- 4.4 Zwischenfazit: Freikirchliche Spiritualität im Wandel der Zeit
- 5. Evangelische Spiritualität jenseits der Hauptströmung
- 5.1 Konzentration auf den dreieinigen Gott: Spiritualität im Gebet und in der Meditation
- 5.2 Konzentration auf die Gemeinschaft: Spiritualität des Kirchentags
- 5.3 Karitatives Handeln aus der Spiritualität: Spiritualität in evangelische Kommunitäten
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, die unterschiedlichen Auffassungen von christlicher Spiritualität in der evangelischen Kirche und in ausgewählten freikirchlichen Gemeinden zu vergleichen und gegeneinander abzusetzen. Dabei werden die jeweiligen Merkmale der Spiritualität beleuchtet und in den Kontext des Wandels der Religiosität in unserer Gesellschaft gestellt.
- Die Entwicklung der Religiosität in der Gesellschaft, insbesondere die Säkularisierung und die Respriritualisierung
- Das Bedürfnis nach Spiritualität in der modernen Gesellschaft und die verschiedenen Ausdrucksformen
- Die Merkmale der evangelischen Spiritualität und ihre Herausforderungen im Kontext des Wandels der Religiosität
- Die unterschiedlichen Formen der Spiritualität in den Freikirchen Deutschlands, insbesondere im charismatischen Pfingstlertum, im Baptismus und im Quäkertum
- Evangelische Spiritualität jenseits der Hauptströmung, zum Beispiel in Gebet, Meditation, Kirchentagsbewegungen und evangelischen Kommunitäten
Zusammenfassung der Kapitel
Im ersten Kapitel werden die Entwicklungen der Religiosität in der modernen Gesellschaft, insbesondere die Säkularisierung und die Respriritualisierung, beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass die Institution Kirche an Bedeutung verliert, während gleichzeitig die Sehnsucht nach spirituellen Erfahrungen wächst.
Im zweiten Kapitel wird der Begriff "Spiritualität" definiert und abgegrenzt, sowohl von der esoterischen Spiritualität als auch von der christlichen Frömmigkeit.
Im dritten Kapitel werden die Merkmale der evangelischen Spiritualität vorgestellt und in den Kontext des Wandels der Religiosität gestellt. Hier werden die Konzentration auf Jesus Christus, die Individualität des Glaubens und das Handeln in der Gesellschaft als wichtige Elemente der evangelischen Spiritualität hervorgehoben.
Das vierte Kapitel widmet sich den Freikirchen Deutschlands und den verschiedenen Formen der Spiritualität innerhalb dieser Gruppen. Hier werden das charismatische Pfingstlertum, der Baptismus und das Quäkertum betrachtet.
Im fünften Kapitel werden verschiedene Formen evangelischer Spiritualität jenseits der Hauptströmung beleuchtet, wie zum Beispiel die Spiritualität im Gebet und in der Meditation, die Spiritualität des Kirchentags und die Spiritualität in evangelischen Kommunitäten.
Schlüsselwörter
Diese Arbeit befasst sich mit den Themen Spiritualität, Religiosität, Säkularisierung, Respriritualisierung, evangelische Kirche, Freikirchen, Pfingstlertum, Baptismus, Quäkertum, Gebet, Meditation, Kirchentag, evangelische Kommunitäten.
- Arbeit zitieren
- Andreas Trittmaack (Autor:in), 2010, Protestantische Nüchternheit oder gelebte Spiritualität?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155048