Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.0 Einleitung
1.1 Erläuterung und Eingrenzung des Themas
2.0 Grundstruktur der beiden Erzählungen
2.1 Die Komposition der Detektivgeschichten
2.2 Die Rolle des Erzählers
2.3 Die Rolle des Auguste Dupin
2.4 Die Rolle des Präfekten
2.5 Die analytischen Betrachtungen innerhalb der Erzählungen zur Aufdeckung eines Verbrechens
3.0 Wirkungsabsicht und Rezeption der beiden Erzählungen
3.1. Welche Schlussfolgerungen lassen Poe`s Äußerungen als Lektor, Kritiker und Theoretiker in Bezug auf seine Wirkungsabsicht zu?
3.2 Welche Wirkungen haben die Erzählungen auf den Leser?
3.3 Welche Grundstrukturen finden sich in späteren Detektivgeschichten anderer Autoren wieder
4.0 Schluss
4.1 Die Detektivgeschichte als Paradigma eines neuen Genres
Literaturangaben
1.0 Einleitung
1.1 Erläuterung und Eingrenzung des Themas
Edgar Allen Poe hat ein breites Spektrum literarischen Schaffens abgedeckt, welches sich vom Gedicht über die Kurzgeschichte bis hin zu zahlreichen Rezensionen, Kritiken und theoretisch-ästhetischen Literaturbetrachtungen erstreckt. Berühmt wurde er mit seinen so genannten „Tales of Ratiocination“ und mit den „Gothic Tellings“.
Diese Hausarbeit hat zum Ziel seine Detektivgeschichten „The Murders in the Rue Morgue“ und „The Purloined Letter“ zu untersuchen.
Zwei Fragen stehen dabei im Vordergrund, zum einen das Verfahren der Detektion zur Lösung eines Kriminalfalles und zum anderen die Konstruktion einer Detektivgeschichte als Short-Story. Für beide Aspekte erhebt Poe den Anspruch einer logischen Strenge, wie sie vornehmlich in der Mathematik vorzufinden ist.
Den ersten Aspekt, das Verfahren der Detektion, reflektiert er ausführlich innerhalb der beiden Erzählungen, während er den zweiten Aspekt, die Konstruktion einer Detektivgeschichte in seinen literaturtheoretischen Betrachtungen explizit erläutert.
Um das Wesen der „Detective Stories“ auszuloten, ist es erforderlich sowohl wissenschaftstheoretische als auch poetologisch-ästhetische Überlegungen einzubeziehen um daraus das sich mit Poe etablierende Genre zu erschließen.
2.0 Grundstruktur der beiden Erzählungen
2.1 Die Komposition der Detektivgeschichten
In „The Philosophy of Composition“ formuliert E.A. Poe seinen wichtigsten Grundsatz für die Komposition eines Gedichtes, der sich auch auf die Kurzgeschichte übertragen lässt:
Nothing is more clever, than that every plot, worth the name, must be elaborated to its denouement before anything be attempted with the pen. It is only with the denouement constantly in view that we can give a plot its indispensable air of consequence, or causation, by making the incidents, and especially the tone at all points, tend to the development of the intention.[1]
Mit dieser Forderung nach kausaler Strenge betritt E.A. Poe nicht unbedingt Neuland. Schon Aristoteles konstatierte in seiner Poetik:
Die Tragödie ist die Nachahmung einer guten in sich geschlossenen Handlung.[2]
Lessing erhob in seiner Hamburgischen Dramaturgie ergänzend den Anspruch, dass ein Genie sich nur mit Gegebenheiten beschäftigen könne, die ineinander begründet seien, sich also als Ketten von Ursache und Wirkung darstellen lassen.
Wenn E.A. Poe diesen Anspruch ebenso auf die „Short-Story“ und damit auch auf seine „Detective Stories“ bezieht, bewegt er sich also auf den Pfaden einer langen Tradition. Neu ist allerdings, dass Poe dem Zeitgeist folgend die kausale Strenge eines Plots aus der Mathematik abzuleiten versucht. In „The Philosophy of Composition“ konstatiert er in Bezug auf das Gedicht “The Raven”:
It is my design to render it manifest that no one point in its composition is referrible either to accident or intuition – that the work proceeded, step by step, to its completion, with the precision and rigid consequence of a mathematical problem.[3]
Historische Wurzeln für die Übertragung mathematischer Denkmuster auf die Dichtung lassen sich bis in die Goethezeit hinein zurück verfolgen.. Novalis betrieb intensive mathematische Studien., Tieck dachte über den Zusammenhang von Mathematik, Musik und Farben nach und Heinrich von Kleist sah ein Ideal darin, sich gleichermaßen auf „Metapher“ und „Formel“ zu verstehen.[4]
Neben diesem Anspruch, den Plot einer Erzählung mit der kausalen Strenge eines Mathematikers zu konstruieren, weisen die Detektivgeschichten des Autors einige erzähltechnische Besonderheiten auf:
Alewyn weist darauf hin, dass der Kriminalroman die Geschichte eines Verbrechens erzählt, während der Detektivroman die Aufdeckung desselben schildert. Des weiteren stellt er fest, dass in einem Kriminalroman die Erzählung parallel zum Geschehen verläuft, während in einer Detektivgeschichte das Pferd quasi von hinten aufgezäumt wird. Der finale Punkt des Kriminalromans, in der Regel ein Mord, wird dabei zum Ausgangspunkt des Detektivromans. Der Rest der Erzählung beschäftigt sich mit der Rekonstruktion des Verbrechens und seinen Wurzeln. Die eine Form des Erzählens kann man als progressiv bezeichnen, die andere als invertiert oder rückläufig. Als Beispiel für die erste Erzählform führt Alewyn die biblische Erzählung der Ermordung Abels durch Kain an. Dort verläuft die Erzählung parallel zum Geschehen. Als Prototyp für die zweite Erzählform verweist er auf das Enthüllungsdrama des König Ödipus.In dieser Tragödie wird erstmals ein Verbrechen analytisch rekonstruiert.[5]
Um die Konstruktionsprinzipien der „Detective Story“ wesensmäßig zu erfassen, kommt man allerdings nicht umhin, auch einige soziologische Aspekte der Moderne in seine Betrachtungen mit einzubeziehen.
An erster Stelle zu nennen wäre in diesem Zusammenhang der Wandel im Strafverfahren, der sich mit der Aufklärung vollzog. Während im Mittelalter die Inquisition noch von einer apriorischen Schuld des Beklagten ausging und mit den Mitteln der Folter arbeitete, um ein Geständnis zu erzwingen, ist ein wesentliches Merkmal der Moderne, dass rationale Verfahren der Verbrechensaufklärung ins besondere der Indizienbeweis mehr und mehr in den Vordergrund der Untersuchungen treten. Alewyn wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob der Detektivroman nicht geradezu ein Lehrbuch des freiheitlichen Gerichtsverfahrens sei und ob dieser überhaupt entstehen konnte ohne den Wandel im Gerichtswesen.[6]
Verallgemeinert kann man sich wohl auch fragen, ob der Detektivroman ausschließlich in einem demokratischen Umfeld gedeihen kann, da autoritäre
Regime eben kein rechtsstaatliches Verfahren kennen. Poe selbst gibt auf diese Fragen keine Antwort. Konstatieren lässt sich allerdings, dass in England 1829 erstmals eine nicht-uniformierte Polizei geschaffen wurde, die mit detektivischen Methoden arbeitete und aus der dann 1842 Scotland Yard hervorging.[7]
Poe rekonstruiert allerdings in seinen Erzählungen nicht das polizeiliche Verfahren. Mit der Figur des Dupin kreiert er quasi einen neuen Berufsstand, nämlich den des Privatdetektivs, der in „The..Rue Morgue“[8] scheinbar ohne finanzielle Ambitionen Verbrechensaufklärung betreibt, in „The Purloined Letter“ aber schon ganz gezielt einen Lohn für seine Aufklärungsarbeit von dem Präfekten der Stadt Paris einfordert.
Ein weiterer soziologischer Aspekt, der eine unterschwellige aber wichtige Rolle in den Erzählungen spielt, sind Phänomene der Urbanisierung und das Gedeihen von Kriminalität aus der Anonymität der Großstadt heraus.
Besonders in „The Rue Morgue“ zeigt sich, dass die Verbrechensaufklärung einem Universum von Unwägbarkeiten und möglichen Kausalitäten ausgesetzt ist, deren Fäden nur schwer mit den Methoden konventioneller Polizeiarbeit zusammenzuführen sind. Die Erkenntnis von Dupin, dass die Würgemale an der ermordeten Mademoiselle L `Espanaye nicht von einem Menschen stammen können, sondern nur von einem Orang-Utan verdeutlicht auf drastische Weise diese Universalität der Möglichkeiten. Erschwerend kommt hinzu, dass es zu Anfang des 19. Jahrhunderts keine sicheren und praktischen Methoden zur Identitätsermittlung gab. Die wissenschaftliche Analyse der Fingerabdrücke wurde 1823 zwar von Purkyne, dem Begründer der Histologie eingeleitet, als kriminalistisches Hilfsmittel wurde es aber erst Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt.[9].
Ein anderer soziologischer Aspekt, der implizit Einfluss auf die Detektivgeschichten Poes hatte, ist das sich rasch entwickelnde Pressewesen.
E.A. Poe setzte sich in seinem Aufsatz „How to write a Blackwood Article“ intensive mit der sensationshungrigen und oberflächlichen Presse auseinander. Dort heißt es:
There was no investigation of first causes, first principles. There was no investigation of anything at all.[10]
Diese Kritik an den Medien, ihre oberflächliche und vorurteilsbeladene Berichterstattung über Verbrechen spiegelt sich auch in den beiden Detektivgeschichten wider. Dupin zerlegt, wie ich später nachweisen werde, die Medienberichterstattung, um dann zu zeigen, wie er zu eigenen und präziseren Erkenntnissen kommt. In derselben Weise analysiert er die Polizeiarbeit, um auch dort zu zeigen, wie er zu eigenen und fundierteren Einsichten gelangt.
Das übergeordnete Verfahren, welches sich in den Detektivgeschichten abzeichnet, ist der Prozess der Wahrheitsfindung, welcher mit einem Rätsel beginnt und mit der Lösung endet.
2.2 Die Rolle des Erzählers
In beiden Erzählungen tritt der Narrator als Ich-Erzähler in Erscheinung, ohne dass die Identität desselben preisgegeben wird. In „.The Rue Morgue“ erfährt der Leser nur, dass es sich um einen Ausländer handelt, vermutlich um einen Engländer, der sich vorübergehend in Paris aufhält.
Als Ich- Erzähler ist der Narrator natürlicherweise in die Handlung eingebunden
ohne allerdings die Hauptrolle zu spielen. Seine Aufgabe besteht vielmehr darin, eine Vermittlerrolle zwischen Dupin und dem Leser herzustellen. In „The Rue Morgue“ zeichnet er zunächst ein differenziertes Charakterbild Dupins um dann im weiteren Verlauf der Erzählung im Dialog mit seinem Freund dessen Inspirationen, Beobachtungen, Analysen und Schlussfolgerungen zu reflektieren. Der Erzähler selbst besitzt dabei offensichtlich dessen analytischen Fähigkeiten nicht. Er zeigt sich oft überrascht von den Beobachtungen und Einsichten Dupins und wirkt manchmal sogar etwas einfältig.Trotzdem scheint beide eine innige und aufrechte Freundschaft zu verbinden. In „The Purloined Letter“ hat sich diese Beziehung zwischen dem Erzähler und Dupin zu einem festen Vertrauensverhältnis weiterentwickelt und die gemeinsamen Erfahrungen bei der Aufklärung der Todesfälle in „The Rue Morgue“ und „The Murder of Marie Roget“ bilden die Basis für die Lösung des nächsten Falls. Trotz dieser Vertrautheit bleibt das Grundmuster der Dialoge dasselbe. Dupin stellt gewagte Hypothesen auf, entwirft extravagante Analogien und kommt zu abenteuerlichen Schlussfolgerungen, während der Erzähler seine offensichtliche Unterlegenheit durch sein exzentrisches Verhalten zu kompensieren sucht.
Diese Charakterisierung des Ich - Erzählers könnte Anlass zu der Vermutung geben, dass dieser quasi die Perspektive des Lesers einnimmt. Warren Hill Kelly
vertritt diesen Standpunkt und begründet seine Ansicht mit folgenden Worten:
Perhaps Poe concluded that the most poignant manner of demonstrating to readers their own insensitivity in reading and their own susceptibility to being led by the nose in interpretation would be to guide them through their own process of reading by means of particular narrative arrangement.[11]
Diese Sichtweise widerspricht zunächst einmal dem Empfinden, dass es sich bei dem Ich –Erzähler um die Stimme des Autors handelt. Zu Beginn der Erzählung „The Murders in the Rue Morgue“ ist es der Erzähler und nicht Dupin, der einige Reflexionen über mentale Fähigkeiten der Analyse zum Besten gibt, die sehr differenziert sind und auch im weiteren Verlauf der Story behält er die Fäden der Erzählung in der Hand, auch wenn der Erkenntnis- und Aufklärungsprozess eindeutig von Dupin betrieben wird. Dennoch spricht auch einiges für die Sichtweise Kelly`s. So lässt sich nicht erkennen, dass der Erzähler eine kritische oder reflektierte Distanz zu Dupin aufrecht erhält.
Er stellt in keine Passage dessen gewagte Hypothesen in Frage, noch geht er auf Distanz zu dessen Handlungen, etwa, als Dupin dem Minister den Brief entwendet und durch ein Duplikat ersetzt oder als dieser eigenmächtig den Seemann „vorlädt“, um nach polizeilichen Vorbild ein Verhör durchzuführen. Diese unkritische Haltung gegenüber Dupin bis hin zur völligen Identifikation mit dessen Ansichten verleiht dem Erzähler ein gewisses Maß an Unzuverlässigkeit.
Der Mangel an eigenen Beobachtungen und Erkenntnissen zu den Fällen bzw. die mangelnde Fähigkeit zu einem eigenen Urteil lassen daher in der Tat die Vermutung zu, dass die Perspektive des Erzählers weitestgehend mit der Sichtweise eines relativ undifferenzierten Lesers übereinstimmt.
2.3 Die Rolle des Auguste Dupin
In „The Rue Morgue“ charakterisiert der Erzähler Dupin als einen Menschen, der befähigt ist, Gedanken zu lesen. Es heißt dort:
He boasted to me, with a low chuckling laugh, that most men, in respect to himself, ware windows in their bosoms.”[12]
Um dieses Phänomen zu untermauern, schildert der Erzähler folgende Begebenheit:
Während beide eines abends durch die Straßen von Paris spazierten, jeder beschäftigt mit seinen eigenen Gedanken, unterbrach Dupin plötzlich das Schweigen mit den Worten:
[...]
[1] Poe, E.A.: The Philosophy of Composition, S. 675
[2] Aristoteles: Poetik, S. 19
[3] Poe, E.A.: (wie Anm.1), S. 676-677
[4] Kreuzer, Helmut: Mathematik und Dichtung, S.9
[5] Alewyn, Richard:Probleme und Gestalten, Der Ursprung des Detektivromans, S. 361-362
[6] Ebd., S. 345
[7] Ebd., S. 345
[8] aus Vereinfachungsgründen wurde der Titel verkürzt. (Diese Verfahrensweise führe ich , falls erforderlich fort)
[9] Ginzberg,Carlo:Spurensicherung, S. 44 ff.
[10] Poe,E.A.: How to write a Blackwood Article, S.175
[11] Kelly, Warren Hill: Detecting the Critic, S.79
[12] Poe, E.A.: The Murders in the Rue Morgue, S.. 243