Die Dramaturgie des indischen Films

Dargestellt am Beispiel von "Kabhi Khushi Kabhie Gham"


Hausarbeit, 2005

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhalt

Einfuhrung

Thematische Bestimmung

Anmerkungen zur Gegenwartskultur Indiens

Zur Geschichte des indischen Mainstream-Films

Uber die Besonderheiten der indischen Film- und Kinokultur

Ein Wort zur Zensur

Kabhi Khushi Kabhie Gham - eine kurze Inhaltsangabe

Uber den typischen Aufbau eines indischen Mainstream-Films

Typische dramaturgische Elemente

Exkurs: Das Sanskrit-Drama im Beispiel

Weitere dramaturgische Elemente

Gesang und Tanz

Hintergrundmusik

Die „rasas“

Das Schicksal

Die Verbundenheit im Geist

Die Hochzeit

Das religiose Ritual

Wetter

Tranen

Dramaturgische Funktion und Konzeption

Traditionelle Rollenverteilungen

Handlungsraum „Familie“

Figurennamen als Charakterstereotypen

Die Figur der Mutter

Das Adoptivkind

Klassische dramatische Struktur

Kabhi Khushi Kabhie Gham -Vorbemerkungen

Kabhi Khushi Kabhie Gham - Szenen und Kommentare

Grundkonstellation

1 Vorspann (00:00:55 - 00:04:20)

2 London, Manor House College (00:04:20 - 00:07:31)

Anmerkungen (Szenen 01 und 02)

3 Hardwar, in einem Tempel (00:07:31 - 00:13:05)

Anmerkungen (Szene 03)

4 Ruckblende: Das Lichterfest (00:13:06 - 00:20:29)

Anmerkungen (Szene 04)

5 Familienleben / Das Versprechen (00:20:30 - 00:26:30)

Anmerkungen (Szene 05)

6 Anjali (00:26:30 - 00:30:36)

Anmerkungen (Szene 06)

7 Rahul und Naina / Ein erster Disput (00:30:37 - 00:33:16)

Anmerkungen (Szene 07)

8 Anjali und Rahul (00:33:17 - 00:40:59)

Anmerkungen (Szene 08)

9 Der 50. Geburtstag (00:41:00 - 00:51:57)

10 Die Entschuldigung (00:51:58 - 00:54:46)

11 Schulstress (00:54:47 - 00:55:42)

12 Die Versohnung (00:55:43 - 00:58:14)

13 Volksfest in Agypten (00:58:15 - 01:10:14)

Anmerkungen (Szene 13)

14 Dissonanzen (01:10:14 - 01:14:15)

15 Die Hochzeit (01:14:16 - 01:20:41)

16 Naina gibt Rahul frei (01:20:42 - 01:23:27)

17 Liebe oder Gehorsam (01:23:28 - 01:24:52)

18 Die Liebe und der Tod (01:24:53 - 01:27:28)

Anmerkungen (Szenen 14 bis 18)

19 Verstofien (01:27:29 - 01:37:25)

Anmerkungen (Szene 19)

20 Abschied von Rohan (01:37:26 - 01:38:47)

Anmerkungen (Szene 20)

21 Zuruck in der Gegenwart (01:38:48 - 01:39:06)

22 Der Entschluss (01:39:07 - 01:40:59)

Anmerkungen (Szene 22)

23 Veranderungen (01:41:03 - 01:41:50)

24 Nachforschungen (01:41:51 - 01:43:55)

25 Abschied (01:43:45 - 01:46:34)

26 London (01:46:34 - 01:49:01)

27 Rahuls neues Leben (01:49:02 - 01:54:35)

28 Das Wiedersehen (01:54:36 - 02:04:52)

29 Der Fremde (02:04:53 - 02:11:49)

30 Annaherung (02:11:50 - 02:17:51)

31 King’s College Party (02:17:52 - :02:27:40)

32 Vater (02:27:41 - 02:32:21)

33 Karwa Chauth (02:32:21 - 02:36:43)

34 Das Fest (02:36:44 - 02:42:20)

35 Schulfest (02:42:21 - 02:57:01)

36 Bruder (02:57:02 - 03:00:28)

37 Der Lockvogel (03:00:28 - 03:01:50)

38 Bluewater Einkaufszentrum (03:01:50 - 03:07:12)

39 Starrkopfigkeit (03:07:13 - 03:11:45)

40 Hohere Gewalt (03:11:45 - 03:13:31)

41 Abrechnung (03:13:32 - 03:19:30)

42 Happy End (03:19:31 - 03:28:05)

43 Abspann (03:28:06 - 03:30:04)

Schlussbetrachtung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Medienverzeichnis

Einfuhrung

Wer nur einmal - zufallig oder absichtlich - einen modernen Film des indischen Popularkinos gesehen hat, dem wird eine eigentumliche Erfahrung zuteil. Diese Erfahrung besteht aus mehreren mit einander konkurrierenden Eindrucken: Zunachst stellt man beim Verlassen des Kinosaals fest, dass man soeben gut drei Stunden darin verbracht hat, ohne es recht bemerkt zu haben. Aufierdem hat man das Gefuhl, einen Film gesehen zu haben, zu dem im ersten Moment nur negativ konnotierte Beschreibungsformeln einfallen wollen: „Schmonzette“, Tanz- film, Heimatfilm, Liebesmarchen, „Soap Opera“ - und sich dabei dennoch kostlich amusiert zu haben. Salman Rushdie nannte das einmal die „episch-mythisch-tragisch-komisch-super sexy-hohe-Masala-Kunst‘[1].

Gegenwartig ist ein Trend zu beobachten, vermehrt „indische Elemente“ auch in westlichen Film- und Theater- produktionen zu verarbeiten [2]. Diese als „Bollywood-Chic“ bezeichnete Tendenz hat Zuge des Orientalismus des 19. Jahrhunderts oder, vereinfacht gesagt: Wenn man das Exotische einer fremden Kultur fur die westlichen Sehgewohnheiten auf Hochglanz poliert, wird es fur eine Gesellschaft, die des eigenen kulturellen Mainstreams uberdrussig wird, erst richtig interessant.

Was macht diese eigentumliche Faszination eines so genannten indischen Mainstream-Films aus? Was reizt an einem Film, in dem „die Protagonisten unversehens und ohne Not und direkten Anlass ins Singen und Tanzen geraten“, wie es die Schweizer Filmwissenschaftlerin Dr. Alexandra Schneider ausdruckt[3] ? Diese Arbeit will den Versuch wagen, diesem Phanomen nachzuspuren und insbesondere die Dramaturgie zu beleuchten, den Span- nungsbogen, der dieses Konglomerat von stilistischen Mitteln zusammenschweifit zu einen rezeptiven Erlebnis, das den Betrachter uber gut drei Stunden fesselt und auch hinterher einen bleibenden Eindruck hinterlasst.

Als Beispiel soll dafur in erster Linie der Film Kabhi Khushi Kabhie Gham dienen, der 2001 gedreht wurde und als erster Film aus „Bollywood“ - der indischen Filmindustrie, verballhornt als das „Hollywood“ vom Bombay[4] - in die deutschen Programmkinos kam. Nachdem der Film dort nur mit deutschen Untertiteln zu sehen war, brachte ein Privatsender 2004 eine nun vollstandig synchronisierte Fassung mit dem deutschen Titel „In guten wie in schweren Tagen“ ins Fernsehen[5]. Damit durfte „Kabhi Khushi Kabhie Gham “, was richtig ubersetzt „Manchmal glucklich, manchmal traurig“ heifit, der bis jetzt international erfolgreichste indische Film sein, der ubrigens auch in Indien selbst mit seinem enormen Staraufgebot zu einem „Gassenhauer“ wurde.

Ende Februar 2005 sendete aufierdem „arte“ anlasslich des 100sten Geburtstags des indischen Films eine ganze Reihe neuerer indischer Filme und auch mehrere Dokumentationen, die auch in dieser Arbeit berucksichtigt werden.

Thematische Bestimmung

Wie schon in der Einfuhrung angedeutet, sollen die dramaturgischen Elemente des modernen indischen Kino- films im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Um diese nicht nur zu erkennen, sondern auch nach ihrer Funktion zu definieren, ist ein zumindest kurzer Blick auf die mannigfaltigen Ursprunge dieser Elemente erforderlich.

In der Dramaturgie des modernen Hindi-Kinos haben nicht nur die antike indische Literatur, das indische Sansk- rit-Theater oder das klassische Drama griechischer Pragung ihre Spuren hinterlassen. Es finden sich auch Ein- flusse aus dem popularen amerikanischen und europaischen Film, aus der eigenen indischen Filmgeschichte und nicht zuletzt aus der kulturellen und religiosen Tradition Indiens, eines Landes, in dem weit uber eine Milliarde Menschen leben, mit verschiedensten Sprachen, Religionen und lokalen Kulturen. Auch die indische Gegen- wartskultur hat erheblichen Anteil an der Dramaturgie der modernen Filme.

Somit wird diese Arbeit sich nicht allein auf einen kultur- oder medienwissenschaftlichen Blickwinkel beschran- ken konnen, wenn sie ihrer thematischen Ausrichtung gerecht werden will. Ihre grofie Herausforderung besteht darin, die fur die Dramaturgie des modernen indischen Mainstream-Films wichtigen Aspekte herauszuarbeiten und in ihrem Kontext darzustellen, ohne sich in der vielfaltigen Materie zu verlieren.

Es ware durchaus moglich, auBerdem in ausfuhrlicher Weise z.B. die Produktionsbedingungen indischer Studios, den Einfluss von Staat und Politik auf die Filmproduktion oder deren religiosen und kulturellen Aspekte zu be- leuchten, aber das wurde den Rahmen dieser Arbeit in unangemessener Weise sprengen. Fur eine weitere Be- schaftigung mit dem Thema ist insbesondere das kompakte Buch Bollywood - a guidebook to popular Hindi cinema von Tejaswini Ganti empfehlenswert.

Anmerkungen zur Gegenwartskultur Indiens

Fur die Annaherung an den indischen Film und seine Eigenheiten ist ein kurzer Blick auf die Kultur dieses von uber einer Milliarde Menschen bevolkerten Landes sinnvoll. Die indische Kultur ist ohne Zweifel stark von der Geschichte des Landes und von seiner multireligiosen Gesellschaft gepragt.

Bis 1947 war der indische Subkontinent eine Kolonie GroBbritanniens und hieB British India. Als das Land in jenem Jahr in die Unabhangigkeit entlassen wurde, spaltete es sich in die Staaten Pakistan und Indien auf, was eine Massenflucht in beide Richtungen bewirkte, da sich Pakistan als muslimischer Staat grundete, Indien als hinduistischer. Etwa sieben Millionen Muslime und funf Millionen Hindus verloren ihre angestammte Heimat; rund eine Million Menschen verloren bei den begleitenden, burgerkriegsahnlichen Unruhen ihr Leben. Die bei- den neuen Staaten kamen bis heute zu keiner wirklich friedlichen Nachbarschaft, wie die immer wieder auf- flammenden Konflikte um die von beiden Seiten beanspruchte Region Kaschmir zeigen.

In Indien besteht die Bevolkerung derzeit zu etwa 82 bis 86% aus Hindus, aber es leben auch um die 100 Millio­nen Muslime im Land und bilden damit die groBte muslimische Population eines einzelnen Landes auf der Welt[6]. In den letzten zwei Jahrzehnten war ein Erstarken fundamentalistischer Tendenzen zu beobachten, in deren Folge es auch immer wieder zu religios motivierten Unruhen kam, so etwa 1993 in Bombay[7]. Insgesamt soll es, so eine Schatzung, seit der Unabhangigkeit Indiens zu rund 12.000 religios motivierten kommunalen Ausschreitungen und Massakern gekommen sein[8].

Ein pragendes Element der hinduistischen Gesellschaft ist das Kastensystem, eng verbunden mit dem Glauben an die Wiedergeburt: Je nach den Verdiensten im vorigen Leben wird man im nachsten Leben belohnt oder be- straft, je nachdem, in welche Kaste, d.h. soziale Schicht, man „hineingeboren“ wird. Dieses fur die unteren so- zialen Schichten nachteilige Glaubensverstandnis hat zeitweilig zu Abwanderungen benachteiligter Hindus in andere Religionen - Buddhismus und Christentum - gefuhrt[9].

Wahrend diese Angaben den Eindruck erwecken, Indien konnte sich in einer Art „religioser Zeitschleife“ befin- den, die eine Entwicklung hin zur Modernitat nach westlichen MaBstaben verhindert, zeigt ein Blick auf Politik, Kultur und Wirtschaft, dass es auch eine andere Seite Indiens gibt: die des aufstrebenden Industriestaats, poli- tisch eine Demokratie mit pluralistischer Pragung, in der die Bevolkerung aus Hindus, Moslems, Sikhs, Jains, Parsen, Christen und Buddhisten fur einen kulturellen Reichtum steht, der in der Welt seinesgleichen sucht.

Wirtschaftlich ist die indische Bevolkerung in drei Schichten unterteilt: die ^Business Class Economy“, die „Motorcycle Economy“ und die „Ox-Wagon-Economy“. Etwa 2% der Bevolkerung, rund 25 Millionen Men­schen, gehoren zur Klasse der Geschaftstatigen, zu der auch die Oberschicht zu rechnen ist, wahrend die burger- liche Mittelschicht durch das weit verbreitete Transportmittel des Mopeds oder Motorrads gekennzeichnet ist. Zur Mittelschicht zahlen etwa 250 Millionen Menschen, die sich einen Fernseher, Radio, Telefon und auch einen Gasanschluss leisten konnen. Der groBe Rest, fast eine Milliarde Menschen, erledigt seine Transporte nach wie vor mit dem Ochsenkarren, wie in uralten Zeiten. Insbesondere fur diese Landbevolkerung hat das Kastenwesen eine hohe Bedeutung. Je starker entwickelt und moderner die Okonomie entwickelt ist, desto geringer ist der Einfluss der Religion auf das tagliche Leben und Denken.

Die regionale Verteilung der Wirtschaftskraft ist sehr unterschiedlich. Wahrend im Nordwesten um die Zentren Bombay und Delhi sowie im Suden mit dem aufstrebenden Hyderabad[10] und dem „indischen Silicon Valley“ Bangalore der Boom deutlich spurbar ist, stagnieren die landlichen Regionen im Norden und Osten[11].

Das tagliche Leben in Indien ist religios gepragt; entsprechend verhalt es sich mit der Kultur und auch den kultu- rellen Produkten des Landes, wie etwa dem Film. Der in dieser Arbeit zu untersuchende Film Kabhi Khushi Kabhie Gham etwa setzt sich unter anderem mit gesellschaftlichen Klassenunterschieden auseinander, die in der modernen indischen Gesellschaft, insbesondere auch unter den vielen im Ausland lebenden Indern, allmahlich an Bedeutung verlieren und eher fur ein antiquiertes Indien stehen. Obwohl sich der moderne Film also durchaus kritisch mit der indischen Gegenwartsgesellschaft auseinander setzen kann, unterliegen gerade Filme auch einer Art moralischer, kulturell und religios gepragter Zensur, wie nachfolgend noch zu sehen sein wird[12]. Dabei han- delt es sich nicht einmal um eine staatlich oktroyierte Zensur, sondern gewissermaben um eine uberwiegend selbst verordnete Einhaltung kultureller und religioser Wertmabstabe und Moralvorstellungen[13]. Entsprechend der Wertigkeit der Religion im indischen Alltag hat diese auch im Film ihren nicht wegzudenkenden Platz[14].

Kino und Film haben fur die indische Bevolkerung nicht zuletzt deshalb einen sehr hohen Freizeitwert, weil sie Abwechslung und Zerstreuung inmitten eines rauen, anstrengenden Alltags bieten.

Zur Geschichte des indischen Mainstream-Films

Im Rahmen dieser Arbeit ware es unangebracht, die Geschichte des indischen Films in ihrer Gesamtheit erfassen oder darstellen zu wollen. In Bezug auf die thematische Setzung soll darum das Augenmerk auf dem popularen Hindi-Film seit Beginn der 90er Jahre liegen.

Etwa Anfang bis Mitte der 80er Jahre veranderte sich die Medienprasenz in Indien nachhaltig. Bis zu diesem Zeitpunkt spielte Fernsehen in der indischen Medienlandschaft eine sehr untergeordnete Rolle. Seit 1976 gab es zwar mit Doordarshan einen staatlich betriebenen Fernsehkanal, der aber nur in geringer Verbreitung zu emp- fangen war. Das anderte sich erst mit der Ausrichtung der „Asiad Games“[15] 1982. Das gesteigerte Publikumsin- teresse fuhrte zu einer starkeren Verbreitung von Farbfernsehen, Kurzwellensendern und Satellitenanlagen[16].

Ab 1983 wurde Fernsehen auch von der Wirtschaft gesponsert, ab 1984 verbreitete sich, ausgehend von Touris- ten-Hotels, das privatwirtschaftliche Kabelnetzwerk. Im Mai 1990 gab es in Indien rund 3.450 voneinander un- abhangige Kabelnetzwerke, vorwiegend in den Stadten Bombay, Kalkutta, Delhi und Madras. In diesen schwer kontrollierbaren Kleinkabelnetzen versorgen die privaten Betreiber meist eine uberschaubare Anzahl von Haus- halten uber angeschlossene Videorecorder und DVD-Player mit Inhalten. Dabei werden vielfach Raubkopien indischer Mainstream-Kinofilme eingespeist, oft noch wahrend diese Filme in den indischen Kinos zu sehen sind, ja manchmal sogar noch vor deren Erstausstrahlung im Kino[17].

Ab 1991 wurden Kabelnetzwerke immer haufiger per Satellit an uberregionale Anbieter angeschlossen und sen- deten jetzt auch das Programm von STAR TV, BBC und CNN[18].

Die zunehmende Verbreitung von Home Entertainment speziell in den groben Stadten musste auch die Filmwirt- schaft beeinflussen. Aufgrund der sich ausdehnenden Filmpiraterie betrachtete die Filmwirtschaft das Fernsehen zwar zunachst als Gefahr, aber sie begann auch, das Fernsehen als Werbemedium fur ihre Filme zu nutzen und schlieblich uber die legalen kommerziellen Sender auch eine weitere Einnahmequelle uber den Verkauf von Zweitverwertungsrechten zu erschlieben.

Gleichzeitig wurde das Fernsehen aber auch zu einer starken Konkurrenz im inhaltlichen und finanziellen Be- reich, denn fur die durchschnittliche indische Familie mit normalem Einkommen stellte nun das Fernsehen eine wesentlich kostengunstigere Unterhaltung als der Gang ins Kino dar. Auch deshalb musste das Kino jetzt einfach mehr bieten, als es das Fernsehen vermochte.

Daneben wurden die Vermarktungswege standig ausgebaut. Seit 1997 werden indische Filme zum Beispiel sehr intensiv im Internet beworben[19]. Auberdem wird die Musik zum Film grundsatzlich schon drei Monate vor dem Filmstart veroffentlicht, damit das Publikum auf den Film neugierig wird und die Songs bereits verinnerlicht hat, wenn er in die Kinos kommt[20].

Im TV gibt es inzwischen unzahlige Talk-Shows und Magazine wie Filmfare, Stardust oder Screen, die uber die Filme und die Stars informieren[21].

Mit der gewachsenen Konkurrenz und der Professionalisierung der Vermarktungswege stiegen die Anspruche an die technische und inhaltliche Umsetzung der Filme, so dass seit Mitte der 90er Jahre die popularen Hindi-Filme mit digitalem Sound, bester Bildqualitat, Drehorten im Ausland und naturlich extravaganten Tanz- und Gesangs- passagen aufwarten konnen[22] Entsprechend stiegen die Kosten fur die Produktionen enorm. Auch die Gehalter der Stars nahmen fast schon Hollywood-Ausmabe an.

Gegenwartig unternehmen die indischen Filmgesellschaften verstarkte Anstrengungen, ihre Filme auch interna­tional zu positionieren. Viele Unternehmen haben bereits Buros in New York, London oder New Jersey gegrun- det. Auberdem werden die Filme vermehrt mit internationalen Untertiteln ausgestattet oder sogar von Partnerun- ternehmen synchronisiert, um ein breiteres Publikum in aller Welt ansprechen zu konnen. Auch die Positionie- rung indischer Filme auf den bekannten Filmfestivals in Cannes, Venedig oder Toronto hat die Popularitat des indischen Mainstreams gesteigert[23].

Inzwischen sind vermehrt Echo-Effekte zu beobachten: In letzter Zeit gewannen Gesang und Tanz durch den Einfluss des indischen Mainstreams auch im europaischen Film wieder groberen Raum, wie etliche neuere Pro­duktionen, etwa Baz Lurmanns Moulin Rouge, Ghost World (Regie: Terry Zwigoff) oder Dancer in the Dark (Regie: Lars von Trier), beweisen.

Umgekehrt tauchen vermehrt so genannte „Hinglish-Produktionen“ auf, also Filme mit einem Sprachgemisch aus Hindi und Englisch, die nicht in Indien gedreht sind, sondern an Schauplatzen in „Diaspora-Stadten“ wie London oder New York entstanden[24]. In diesen Filmen wird auch vermehrt die veranderte Lebensart der Diaspo- ra-Inder thematisiert - die westliche Kultur beeinflusst also auch den indischen Film. Ein gutes Beispiel ist In­dian Love Story (Kal Ho Naa Ho). In diesem in New York spielenden Film tauchen nach wie vor Gesangs- und Tanzeinlagen auf, aber diese erinnern teilweise eher an populare westliche Musicals, etwa an Hair.

Uber die Besonderheiten der indischen Film- und Kinokultur

Indien ist ein Land, in dem die Verbreitung von Massenmedien bislang noch in keinem adaquaten Verhaltnis zur Bevolkerungszahl steht - allerdings mit beeindruckenden Wachstumsraten. Bis zum Jahr 2000 gab es in Indien bei rund einer Milliarde Menschen weniger als 800.000 Internetanschlusse. Bis 2003 stieg diese Zahl immerhin auf 8 Millionen, bis 2008 sollen es 35 Millionen sein[25]. Dabei ist die Relation zum Bevolkerungswachstum zu beachten: Indien hat eine Geburtenrate von rund 24 Millionen neuen Erdenburgern pro Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland sind es pro Jahr nur etwas mehr als 700.000[26].

Zwar liegen vergleichbare Zahlen uber die Verbreitung von Fernsehgeraten nicht vor, aber es wird verstandlich, warum in Indien die Kinokultur einen hohen Stellenwert besitzt. Das Kino gilt als die Freizeitbeschaftigung Nummer eins[27]. Neben der angesprochenen Minderverbreitung von Home Entertainment hat dies noch einige weitere Ursachen.

Zum Beispiel ist es in den groben Kinosalen angenehm kuhl. Kuhlaggregate sorgen dafur, dass die Menschen aus der flirrenden Hitze und Hektik des Tages entfliehen konnen in einem abgedunkelten, behaglichen Raum. Allein das Betreten des Kinosaals ist schon der Beginn einer bewussten „Realitatsflucht“. Die durchschnittlich groben Kinos fassen etwa 500 bis 600 Besucher, die groben Kinos fassen bei jeder Vorstellung bis zu 1.000 Menschen[28]. Die alten Gebaude stammen grobtenteils noch aus der Kolonialzeit.

An den Kassen der Kinos herrscht regelmabig grober Andrang. Uberwiegend geduldig warten die Besucher gut eine halbe Stunde, bis sie ihre Karten haben und in den Saal gehen konnen. Besser gestellte Inder schicken ihre Hausangestellten zur Kasse, um sich das Anstehen zu ersparen.

So besuchen in Indien taglich etwa 10 bis 15 Millionen Menschen die rund 13.000 offentlichen Kinos. Ange- sichts dieses groben Interesses ist es nicht verwunderlich, dass Indien auch uber eine enorm produktive Filmin- dustrie verfugt. In den Filmstudios des ganzen Landes entstehen rund 800 bis 1000 Kinofilme pro Jahr, was die Produktion anderer Lander weltweit klar ubertrfft[29]. Dabei kommt es ofter zu der Verallgemeinerung, dass „Bol- lywood“ derartig viele Filme produziere, aber in den Studios in Bombay werden tatsachlich im Schnitt jahrlich nur etwa 150 bis 200 Hindi-Filme gedreht, was in etwa auch dem Produktionsausstob der groben Hollywood- Studios entspricht[30]. Die meisten Filme entstehen in Sudindien in tamilischer Sprache[31]. Dennoch ist die Hindi- Filmproduktion aus Bombay uberregional bedeutsamer, denn diese Filme werden in fast allen Landesteilen aus- gestrahlt und rezipiert. Die indische Fotografin Dayanita Singh druckte das in ihrem Aufsatz „Das Kino ist unse­re zweite Religion“ so aus: „Der Grund, weshalb Hindi als Sprache in diesem vielsprachigen Land so popular geworden ist, liegt beim Kino. Abgesehen davon gabe es fur einen Bengali uberhaupt keinen Grund, Hindi zu verstehen.“[32]

Neben den einheimischen Produktionen laufen in den Kinos aber auch noch international Produktionen, meist aus Hollywood, in englischsprachigen Fassungen. Der Heimanteil indischer Filme im indischen Kino liegt dabei aber bei uberwaltigenden 95%[33].

Die Nachfrage nach Kinokarten ist grob genug, um einen Schwarzmarkt zu etablieren, auf dem die Billets fur teils moderate, teils satte Aufschlage gehandelt werden. Dabei ist das Kino zumindest aus hiesiger Sicht ein eher billiges Vergnugen[34]. In den alteren Kinos kosten Karten fur einheimische Produktionen in der Regel zwischen 25 und 60 Rupien, was etwa 50 Cent bis etwas mehr als ein Euro waren. Teurer wird es nur bei Hollywood- Produktionen und in den etwa ein Dutzend modernen Multiplex-Kinos, in denen eine Karte 100 bis 150 Rupien kosten kann, also etwa zwei bis drei Euro[35]. Entsprechend konnen sich die meisten Inder den regelmabigen Ki- nobesuch leisten[36].

Bei indischen Filmen beginnt die erste Vorstellung des Tages in aller Regel gegen 12 Uhr mittags; folgende Vorstellungen sind meist gegen 16 und 20 Uhr, denn die Filme sind selten weniger als drei Stunden lang.

Vor Beginn des Hauptfilms gibt es etwas Werbung und einen staatlich vorgeschriebenen Dokumentarfilm; au- berdem gibt es haufiger so genannte „Newsreels“, die uber halbwegs aktuelle Geschehnisse informieren[37]. Es folgen Vorankundigungen neuer Filme - dann kommt der Hauptfilm.

Was jetzt geschieht, hangt sehr davon ab, ob der Film brandneu ist, oder ob er schon etwas langer lauft. Erstvor- stellungen sind besonders im jungeren Publikum sehr begehrt, denn so weib man als erster, worum es in dem Film geht, kennt die Darsteller, die Lieder usw. - ein unschatzbarer Vorteil fur die Gesprache mit Gleichaltri gen[38].

Bei Erstvorstellungen folgt das Publikum in aller Regel gebannt und gespannt der Handlung, um moglichst nichts zu versaumen und alle Details zu verinnerlichen. Das so erworbene „Wissen“ kommt zum Tragen, wenn man den Film ein zweites oder drittes Mal im Kino sieht. Die Situation im Kino ist bei einer solchen Vorstellung eine vollig andere: Die „Eingeweihten“ sprechen die Dialoge der Personen leise mit und erheben die Stimmen, um die Songs mitzusingen. Wenn ein Hauptdarsteller erstmals im Film ins Bild kommt, wird dies mit Applaus begrubt - eine Tatsache, die den Regisseuren der Filme durchaus bekannt ist, weshalb sie solche Szenen in manchmal geradezu kathartischer Weise aufbauen.

Zunehmend verstehen sich die Zuschauer mit ihrer Filmkenntnis auch als Kritiker und kommentieren die Film- szenen. Tragt etwa ein Protagonist ein Gedicht oder ein Lied vor, ist oft ein anerkennendes „wahwah“ im Kino zu horen, was auf Hindi soviel heibt wie „grobartig“.

So wird der Kinobesuch von einem im Ursprung rezeptiven Ereignis zu einer interaktiven Angelegenheit. Das macht zu einem groben Teil das Vergnugen des Kinobesuchs aus. Was man in Deutschland nur gelegentlich bei so genannten „Kultfilmen“ erleben kann[39], ist in indischen Kinos der Normalfall. Das hat auch erheblichen Ein- fluss auf die dramaturgischen Elemente eines Films: je aubergewohnlicher die Dialoge, je eingangiger die Musik und die Liedtexte, desto wahrscheinlicher wird ein Film bleibende Eindrucke bei den Zuschauern hinterlassen, die bis in deren Alltagswelt hineinreichen[40].

So in etwa spielen sich die Kinoerlebnisse und -ereignisse in den groberen Stadten Indiens ab. Daneben gibt es eine nicht genau bekannte Anzahl - man geht von vielleicht 3.000 aus - „reisende Kinos“. Das sind Kinoklein- unternehmer, die nur mit Projektor und Leinwand ausgestattet die mehr als 600.000 indischen Dorfer bereisen, um dort Filme vorzufuhren[41].

Ein Wort zur Zensur

Es gibt eine Zensurbehorde in Indien, die uber die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen in der Filmproduktion wacht. Nach den Worten des Gesetzes sind in Filmen exzessive Liebesszenen verboten, auberdem sexuelle Vor- gange und Begebenheiten, die unmoralisches Verhalten nahe legen[42].

Aus der Sicht westlicher Betrachter ware das kein Grund, in einem Film auf Kussszenen zu verzichten, aber in Indien verhalt es sich anders. In der Offentlichkeit werden alle korperlichen Beruhrungen, die uber das Umarmen und Handchen halten hinaus gehen, als Verstob gegen die offentliche Ordnung betrachtet. Obwohl also das Kus- sen auf den Mund im Film nicht explizit verboten ist, halten sich die Filmemacher zumeist an diese aus dem offentlichen Leben kommende Praxis und zeigen auch im Film keine derartigen Szenen.

Der Regisseur Nikhil Advani (z.B. Kal Ho Naa Ho) sieht die Zensurbehorde als einen normalen Teil des indi­schen Lebens an[43]. Die indischen Regisseure halten sich ohne besondere Umstande an die auferlegten Konventi- onen.

Der kommerzielle Erfolg der indischen Produktionen besonders in muslimischen Landern hangt eng mit dieser Selbstbeschrankung zusammen, denn hier werden traditionelle Werte auch in modernen Zeiten bewahrt, werden die Grenzen des Anstands auch fur Muslime nicht uberschritten.

Auberdem konnen Inder mit der ganzen Familie ins Kino gehen, ohne dass sie eine sittliche Verrohung ihrer Kinder befurchten mussten. Dieser Effekt ist finanziell in die Produktionen einkalkuliert.

Kabhi Khushi Kabhie Gham - eine kurze Inhaltsangabe

Da in den spateren Ausfuhrungen uber den typischen Aufbau indischer Mainstream-Filme und zu den dramatur­gischen Elementen haufiger auf den dieser Arbeit hauptsachlich zu Grunde liegenden Film Kabhi Khushi Kabhie Gham rekurriert werden muss, soll hier eine kurze Inhaltsangabe vorangestellt werden, um das Verstandnis zu erleichtern:

Der reiche Industrielle Yashovardan Raichand zieht mit seiner Frau Nandini zwei Sohne grob, den Adoptivsohn Rahul und den jungeren leiblichen Sohn Rohan. „Yash“ wunscht, dass Rahul seine Firma bald ubernimmt und dann die junge Naina heiratet, eine Frau aus gutem, reichem Hause, aber Rahul verliebt sich durch einen Zufall in die arme Anjali aus einem Armutsviertel der Stadt Delhi, die mit einer Hausangestellten der Raichands ver- wandt ist. Es kommt zum Disput zwischen Vater und Sohn. Rahul will zunachst klein bei geben, doch als er Anjali aufsucht, um ihr die Entscheidung seines Vaters mitzuteilen, gerat er in die Beerdigungszeremonie ihres Vaters. Aus einem Impuls heraus heiratet er die nun auf sich allein gestellte Anjali vom Fleck weg. Als der Vater davon erfahrt, enterbt er Rahul und verstobt ihn aus der Familie. Rahul zieht mit seiner Frau nach London und verschwindet aus dem Leben der Familie.

Zehn Jahre spater erfahrt der inzwischen erwachsen gewordene jungere Bruder Rohan durch Zufall von den Umstanden, unter denen sein Bruder Rahul damals plotzlich verschwand. Er beschliebt, die Familie wieder zu- sammenzubringen. Er uberredet seinen Vater, ihn in London studieren zu lassen, wo er bald inkognito Kontakt zu der jungen Familie seines Bruders aufnimmt. Schlieblich fuhrt Rohan die Eltern und Rahul und Anjali in einer fingierten Begegnung in London zusammen. Der uber all die Jahre hart gebliebene Vater will dennoch nicht nachgeben. Erst als seine Mutter in Indien stirbt, wahrend er in London ist, kommen Vater und Sohne bei ihrer Beisetzung wieder zusammen. Der Vater bricht unter dem Eindruck des Verlustes zusammen und bekennt sich zu seiner falschen Engstirnigkeit; die Familie versohnt sich wieder.

Neben diesem Haupthandlungsstrang gibt es noch mehrere kleine Nebenhandlungen, etwa uber die sich entwi- ckelnde Liebe zwischen dem jungeren Bruder Rahuls und der jungeren Schwester Anjalis, die den sich abzeich- nenden Generationskonflikt komplettiert und am Ende ebenfalls in eine Hochzeit mundet.

Uber den typischen Aufbau eines indischen Mainstream-Films

Das Ziel des Mainstreams ist es immer, den Massengeschmack zu treffen - das ist in Indien gar nicht so einfach, wenn man sich vergegenwartigt, dass es in diesem Land allein 17 staatlich anerkannte „offizielle“ Sprachen gibt. Der grofite gemeinsame Nenner ist die Sprache Hindi, die von immerhin etwa 40% der Bevolkerung gesprochen wird. Entsprechend werden Mainstream-Filme in dieser Sprache produziert. Grofiter Produktionsstandort fur das Hindi-Kino ist „Bollywood“.

Diese so genannten Mainstream-Filme haben allerdings mehr als nur die Sprache gemeinsam, denn die indischen Filmproduzenten und Vermarkter haben versucht, analytisch zu ermitteln, was den Erfolg des indischen Films ausmacht, um das so gewonnene Erfolgsrezept immer wieder „kopieren“ zu konnen. Diese Vorgehensweise mag der Arbeitsweise westlicher Filmproduzenten nicht unahnlich sein[44], aber die Ingredienzien der indischen Rezep- tur sind doch signifikant anders.

Wollte man den modernen indischen Mainstream-Film in eine Genre-Schublade packen, so ware das am ehesten die des Melodrams, aber man musste nebenbei auch die Musical-Schublade aufziehen, denn ohne Tanz und Gesang kommt kein indischer Mainstream-Film aus[45]. Uberdies legen die meisten indischen Filme Wert auf eine klare moralische Botschaft.

Der indische Anthropologe Tejaswini Ganti weist treffend darauf hin, dass sich der Hindi-Film seit der Einfuh- rung des Satellitenfernsehens auch inhaltlich stark verandert hat: Klassenunterschiede werden nur noch selten thematisiert; der inhaltliche Fokus liegt auf gesellschaftlichem Wohlstand. Hinweise auf Armut, okonomischen Uberlebenskampf oder religiose Kampfe sind aus den Filmen verschwunden. Die Protagonisten entstammen nicht mehr der Unterschicht oder der Arbeiterklasse, sondern sind oft unglaublich reich - nicht selten sind die jungeren Protagonisten Sohne und Tochter von Millionaren. Wenn doch Charaktere aus der Arbeiterklasse auf- tauchen, liefern sie meist das Problem fur die Handlung oder sorgen fur Spannungen.

Aufierdem tauchen in modernen Hindi-Produktionen anders als in den Filmen vor 1990 praktisch keine Vertreter des Staates auf, weder Polizisten, noch Richter oder Verwaltungsbeamte. Es gibt scheinbar auch keine Wirt- schaftskriminalitat mehr, wie sie vorher im Umfeld der Reichen und Schonen gelegentlich thematisiert wurde. Jetzt sind die Millionare liebende, zuvorkommende, freundliche und meist geduldige Vater[46].

Auch fur diesen thematischen Wandel steht Kabhi Khushi Kabhie Gham als ein sehr treffendes Beispiel, das sich auch gut eignet, den Mainstream gegen eher randstandige oder aus dem Rahmen fallende Filme abzugrenzen.

So gilt im Westen zum Beispiel der Film Monsoon Wedding (2001) nach seiner Auszeichnung mit dem „Golde- nen Lowen“ fur den besten Film auf der Biennale 2001 in Venedig als ein Paradebeispiel fur den indischen Film - aber es handelt sich hier um kein „Bollywood“-Erzeugnis und auch keinesfalls um einen Mainstream-Film. Zwar geht es auch hier um ein im indischen Film weit verbreitetes Thema, namlich die von den Eltern arrangier- te Eheschliefiung, aber die in den USA lebende Regisseurin Mira Nair, die ihre Karriere als Dokumentarfilmerin begann, war sehr darum bemuht, den indischen Alltag ohne die im Mainstream ubliche Schonfarbung darzustel- len. So gibt es in dem in Delhi gedrehten Film keine choreographierten Tanzszenen, keine Playback-Songs und kaum Hintergrundmusik. Alle Schauspieler sind praktisch „Nobodys“ - es gibt keine Stars, die fur den Mainstream unverzichtbar sind[47]. Umgekehrt gibt es eine realistischere Darstellung von Korperlichkeit und Se- xualitat, etwa in Form der sonst tabuisierten Mundkusse. Daneben wird in diesem Film auch das Thema Inzest behandelt, was ebenfalls fur einen Bollywood-Film kaum denkbar ware. Insofern ist Monsoon Wedding alles, was Mainstream nicht ist, ohne dabei seine indische Identitat preiszugeben - und hat damit dennoch gewaltigen Erfolg.

Ein anderes Beispiel fur eine Ausnahme ist der Film Dil Se, der in Deutschland unter dem Titel Von ganzem Herzen gezeigt wurde. Hier wird die ungluckliche Liebe eines Radiojournalisten zu einer Widerstandskampferin in Kaschmir thematisiert. In gewisser Weise ist dieser Film so etwas wie ein uneheliches Kind des Mainstreams, denn er bedient sich bei den Stilmitteln des Mainstreams, ohne sich dessen thematischer Beschranktheit zu un- terwerfen[48]. Dagegen treten hier deutlich inhaltliche Anleihen bei Good Morning, Vietnam (USA, 1988) hervor, gepaart mit den typischen, aber immerhin uberwiegend ungewohnlich inszenierten Tanz- und Gesangsszenen[49]. Die Hauptrolle ist mit Shah Rukh Khan Mainstream-typisch besetzt und es fehlt auch nicht an der obligatori- schen Hochzeitsthematik - aber anders als der typische Mainstream strahlt dieser Film zumeist eine dustere Beklemmung aus. Hier wimmelt es nur so vor Soldaten, die Moglichkeit willkurlicher Gewalt bleibt stets spur- bar; und selbst die Vergewaltigung von Frauen und Kindern durch indische Soldaten wahrend es Kaschmirkon- flikts (der allerdings namentlich nicht explizit als Handlungsrahmen benannt wird) ist dem Regisseur kein zu heifies Eisen. Der in Filmen wie Kabhi Khushi Kabhie Gham oder Kal Ho Naa Ho demonstrierte unreflektierte Patriotismus der Inder findet in dem in Dil Se gezeigten todlichen Patriotismus der Widerstandskampfer einen enttarnenden Spiegel.

Die typische Buntheit indischer Mainstream-Filme ist hier zugunsten der bedruckenden Wirkung sehr reduziert, wie alle stilistischen Mittel der vermittelten Stimmung angepasst wurden. Folgerichtig mundet die Handlung auch nicht in das sonst ebenfalls obligate Happy End, sondern in ein tragodisches Ende.

Mit der Skizzierung der Ausnahmen werden schon einige Standardelemente des indischen Mainstreams deutlich:

- die arrangierte Eheschliehung
- Liebe, um die man kampfen muss
- Schonfarbung des Alltags
- Patriotismus des Volkes
- Religiositat
- Choreographierter Tanz und Gesang[50]
- Stars in den Hauptrollen
- Happy End (meist mit Hochzeit)[51]

Auherdem kann mittels dieser Betrachtung bereits festgehalten werden, welche Elemente fur den indischen Mainstream tabu oder zumindest sehr untypisch sind:

- Thematisierung sozialer oder politischer Konflikte
- Offen gezeigte Sexualitat, Probleme mit der Sexualitat
- Der Staat und seine Vertreter
- Gewalt

Neben den Grundelementen gibt es noch etliche weitere „Standards“, die miteinander wie in einem Baukasten- system kombiniert werden, um aus den immer gleichen Zutaten einen jedes Mal etwas anders wirkenden, aber stets Erfolg versprechenden Film zu kreieren[52]. Das Prinzip ist in Hollywood oder auch in den europaischen Studios nicht unbekannt, heifit dort „High Concept“-Film oder schlicht „Blockbuster“[53].

Allerdings gibt es doch Unterschiede in der Erzahlstruktur der Filme. Wahrend die besseren Hollywood- Produktionen vor allem versuchen, den konzeptionellen Unterbau mit einem stringenten narrativen Uberbau zu „verputzen“, zeichnet den indischen Blockbuster eher die detaillierte Ausarbeitung der einzelnen Segmente aus[54]. Zwar gibt es naturlich auch hier einen narrativen Zusammenhalt, aber er ruckt doch gegenuber der szeni- schen Detailversessenheit in den Hintergrund, was gerade fur den westlichen Rezipienten mit seinen von Holly­wood konditionierten Sehgewohnheiten zunachst sehr irritierend wirkt und den Zugang erschwert. Insofern mag die Behauptung zutreffen, dass der indische Mainstream-Film eher ein „Kino der Attraktionen“ liefert, bei dem ein Hohepunkt an den anderen gereiht wird, anstatt allzu sehr einer klassischen dramatischen Handlungskurve zu folgen[55]. Dadurch wirkt der indische Film manchmal weniger linear und ufert auch gern in Nebenhandlungs- strange aus.

Entsprechend begnugen sich indische Mainstream-Filme fur ihren Potpourri aus Liebe, Action, Comedy, Gesang und Tanz nicht mit dem bei uns ublichen, etwa 90 bis 100 Minuten langen Spannungsbogen. Kino ist in Indien nicht Fastfood, sondern ein gesellschaftliches Ereignis und personliches Erlebnis. Wer in Indien ins Kino geht, mochte fur wenigstens drei Stunden gut unterhalten werden[56]. Deshalb lassen sich die Regisseure auch Zeit da- mit, den Plot zu entwickeln und gewinnen so viele Gelegenheiten, attraktive Sequenzen in den Film zu integrie- ren. Da gibt es viel Platz fur romantische Liebe, Freundschaft unter Mannern (oder auch unter Frauen), schick- salhafte Ereignisse oder Begegnungen, ein Hochhalten der und Abmuhen an den Traditionen und den heroischen Kampf mit der Ungerechtigkeit in Leben und Gesellschaft.

Der im Folgenden noch naher zu untersuchende Film Kabhi Khushi Kabhie Gham kann von seiner Genre- Einordnung her als ein Familienmelodram gelten, das allerdings verschiedene Subgenres tangiert. Man konnte den Film je nach Perspektive auch als Liebesfilm betrachten oder als ein bunt verpacktes Sozialdrama. Auf jeden Fall aber bedient der Film gekonnt eine ganze Reihe von Zielgruppen und erfullt damit eine Grundvoraussetzung als „Blockbuster“[57].

Typische dramaturgische Elemente

Wie schon erwahnt, bedienen sich indische Drehbuchautoren und Regisseure gern eines Baukastenprinzips, bei dem Standardelemente wie Liebesszenen, Gesang und Tanz, Freundschaft, Tradition etc. obligatorisch sind.

Hier kann auch der moderne Bollywood-Film seinen Ursprung in der indischen Tradition nicht verleugnen, denn die verwendeten Elemente sind uberwiegend Tradierungen aus dem Sanskrit-Drama und dem Sanskrit-Theater, das die UNESCO zu den „47 Meisterwerken der Weltkultur“ zahlt[58]. Das Sanskrit-Drama zahlt zur klassischen indischen Sanskrit-Literatur. Die Blutezeit dieser Theaterliteratur reichte von 1500 v.Chr. bis 1100 n.Chr. - was mehr als genug Zeit ist, eine komplexe und hochst kunstlerische Form zu erreichen. Die erste kritische Abhand- lung Na ya-sastra uber das Sanskrit-Drama datiert auf die Zeit 200 n.Chr.[59] und stammt vom legendaren Bharata, dessen Werke fur das Verstandnis der literarischen Vergangenheit Indiens als unverzichtbar gelten[60], zumal von den Sanskrit-Dramen nur wenige im Original erhalten geblieben sind. Die vornehmlich in Palasten aufgefuhrten Dramen waren von einer starken Stilisierung gepragt, mit reichhaltiger Kostumierung und Buhnen- ausstattung, aber auch in der Darstellung von Mimik und Gestik. Musik und Tanz spielen schon hier eine wichti- ge Rolle. AuBerdem wirkt das Sanskrit-Drama auf den westlichen Betrachter geradezu uberladen mit religiosen und ubernaturlichen Elementen. Trotzdem spielt die Handlung der Dramen immer in der „realen“ Welt.

Der religiose Einfluss auf die Dramengestaltung ist auch dafur verantwortlich, dass alle bekannten Sanskrit- Dramen ein „Happy End“ haben - ein signifikanter Unterschied zur westlichen Dramen-Historie. Liebe und Heldentum sind die wesentlichen inhaltlichen Elemente des Sanskrit-Dramas, aber auch „Wunder“ durch den Einfluss des Ubernaturlichen spielen eine Rolle. Die Stoffe konnen komplett vom Ubernaturlichen handeln (wie in Vikramorvasi von Kalidasa) oder politische und historische Begebenheiten behandeln (wie in Malavikagnimitra, ebenfalls von Kalidasa). Daneben gibt es den Typ des hochst melodramatischen Stoffes wie in Mrcchakatika, das vom legendaren Konig Sudakra handelt.

Zwischen 1909 und 1912 entdeckte Ganapathi Shastri bei Trivandrum in Kerala (Sudindien) Manuskripte von 13 Sanskrit-Dramen, die er dem legendaren Kalidasa-Vorlaufer Bhasa zuschrieb[61].

Exkurs: Das Sanskrit-Drama im Beispiel

Das vor uber 1600 Jahren entstandene Drama Sakuntala aus der Feder des beruhmten Sanskrit-Dramatikers Kalidasa (er lebte vermutlich in der Zeit zwischen 315 und 415 n.Chr. in der sog. Gupta-Klassik) handelt in sieben Akten von der Liebe des Herrschers Dusyanta zu Sakuntala, der Adoptivtochter eines hochgeachteten Einsiedlers[62].

Das Verhangnis nimmt eines Tages ohne Vorwarnung seinen Lauf: Sakuntala, in Gedanken abwesend, versaumt es nach dem Abschied von ihrem Geliebten, einem groBen Seher den ihm gebuhrenden Respekt zu erweisen. Der dadurch in Zorn Geratene verflucht sie daraufhin.

Ein Fluch trennt nun die Liebenden voneinander, noch bevor sie ihre Liebe ausgekostet haben: Der Konig, durch den Verlust seines Gedachtnisses geschlagen, erinnert sich nicht mehr an seine Herzenserwahlte. Seinen Ring, einziges Zeichen und alleiniger Beweis der Begegnung, verliert Sakuntala beim Baden im Fluss. In tiefer Be- trubnis und Beschamung muss sie den Hof des Konigs wieder verlassen. Der Ring der Erinnerung scheint fur immer verschwunden. Vergessen ist nun die Sehnsucht des Konigs nach seiner Geliebten.

Der vom Fluch verursachte Nebel zwischen Erinnerung und Gegenwart verschleiert die Herzensliebe des Ko­nigs. Er ist blind fur alles bisher Erlebte. Sakuntala, verschreckt und traurig, sieht die Sinnlosigkeit ihrer Liebe ein und spricht zornig zum Konig: „Du urteilst, wie dein eigenes schlechtes Herz dir erlaubt. Ein Vorbild bist du wahrlich nicht: Hullst dich in den Panzer des Rechts und bist eine mit Gras bedeckte tiefe Grube!“

Wahrend Sakuntala sich entfernt, kehrt im Konig zwar kein genaues Gedachtnis zuruck, doch ist er von nun an versunken in Gedanken an sie. Ob er diese Asketentochter zur Frau genommen habe, fragt er sich und fahrt fort: „Da sagt mir die Erinnerung Nein./ Aber mein Herz/ in seinem Aufruhr/ straft mich Lugen.“ Eines Tages taucht der besagte Ring wieder in den Handen eines Fischers auf und mit ihm die Bilder der Liebe im Gedachtnis des Konigs. Das Gemut des Herrschers strebt nun dem Gleichgewicht entgegen. Immer groBer wird seine Scham, aber auch die Zartlichkeit. Er sieht seine Gewissenlosigkeit ein. Das Herz aus Stein gehort alsbald der Vergan- genheit an. Der sich selbst „Unmensch“ Scheltende hatte den Urgrund der Liebe vergessen.

Die Gotter sind dem Konig nun wohlgesonnen. Kein Fluch und keine Finsternis konnen ihn mehr betauben. So singt der vom Gluck umarmte Herrscher Dusyanta ein Loblied auf das Geschick: „Auf die Blute folgt die Frucht/, auf die Wolken der Regen./ Zuerst die Ursache,/ dann die Wirkung.“

Die traditionelle Art der Theaterauffuhrung bettet das Stuck stets in einen religiosen Kontext ein: Das Theater- stuck wird erst nach der Anrufung Gottes, meistens Shivas, durch einen Prolog eroffnet. Dabei ist das Stuck grundsatzlich als Tanztheater angelegt.

Obwohl das Stuck an sich inhaltlich keine besondere Komplexitat aufweist, wirkt es doch auf eine erstaunlich einfache Weise ergreifend, wie auch die Schriftstellerin Marica Bodrozic in einer Rezension zum Theaterstuck[63] feststellt: „Als wurde ein lange im Vorfeld geschriebenes Menschheitsbuch gelesen werden, entstromt diesem zeitlosen Werk ein starkes, gegenwartiges Gedachtnis; es lehrt uns, dass Liebe nur bedingungslos wahr ist und dass es nichts auBerhalb des Prinzips Liebe gibt. Sie ist „Alles-was-ist“. Wir sehen durch dieses Drama die Zeit jenseits der Zeit. Darin ist der Mensch, zunachst, befangen. Er ist eingesperrt in sich selbst. Erringt er, Kummer und Leiden hinter sich lassend, seine wahre Erinnerung wieder, ist er des Sieges gewiss. Die falsche Erinnerung gibt es auch, gerade sie aber soll uberwunden werden. Die Sehnsucht nach Wissen und Licht wird erst dann eingelost.“

[...]


[1] Zitiert nach Schneider, a.a.O. (Masala ist eine indische Gewurzmischung, u.a. mit Pfeffer, Kardamom, Zimt, Nelken, Kreuzkummel und Koriander, manchmal auch mit Lorbeer und Muskat, und ist die Grundlage von Curry; Anm. d. Verf.)

[2] Z.B. im Musical Bombay Dreams von Andrew Lloyd Webber, an dem indische Spezialisten fur Tanz und Choreographie mitwirkten, oder in der aktuellen Verfilmung von Vanity Fair, einem englischen Roman von W. M. Thackerey unter der Regie der Inderin Mira Nair, die durchMonsoon Wedding bekannt wurde (vgl. z.B. Knorer, a.a.O.).

[3] Vgl. Schneider, a.a.O.

[4] Offiziell wurde Bombay (portugiesisch: Bom Bahia = guter Hafen) 1996 in den ursprunglichen Namen Mumbai, nach der indischen Gottin Mumbadevi, zuruckbenannt. Seither ist dieser Name im Westen gebrauchlich, wahrend die Einheimischen die Stadt aus Gewohnheit nach wie vor Bombay nennen.

[5] Im November 2004 sahen etwa 1,82 Millionen Zuschauer „In guten wie in schweren Tagen“ auf RTL II als Deutschland- Premiere in synchronisierter Fassung. Das entsprach einem Marktanteil von 6,9%. Unter den 14- bis 49-jahrigen betrug der Anteil dabei 11,9%. Quelle: RTL 2.

[6] Vgl. Uhl/Kumar, S. 125 f.

[7] Vgl. Uhl/Kumar, S. 133

[8] Vgl. Uhl/Kumar, S. 134

[9] Vgl. Uhl/Kumar, S. 137

[10] In den letzten Jahren hat sich gerade in Hyderabad eine mit Bombay konkurrierende Filmindustrie entwickelt. Die Filme aus dieser Region werden in der Sprache Telugu gedreht (vgl. Munchmeyer, a.a.O.).

[11] Quelle: www.globaldefence.net/deutsch/asien/indien/dossier.htm

[12] Diese Art von kultureller und religioser Zensur ist nicht zuletzt einer der Grunde des Erfolgs der indischen Filme, die nach China, Ostasien und in die gesamte islamische Welt von Marokko bis Indonesien exportiert werden konnen, weil keine Kusse auf den Mund, keine explizite Sexualitat oder Nacktszenen zu sehen sind (vgl. Kruger, S. 4).

[13] Vgl. Uhl/Kumar, S. 129ff.

[14] Eine eindringliche Beschreibung der indischen Alltagskultur, ihrer Unterschiede zur abendlandischen Kultur und zur dies- bezuglichen Bedeutung der Religion findet sich bei Wagner (s. Literaturverzeichnis).

[15] Eine Art asiatischer Olympiade, die 1982 in Delhi ausgetragen wurde.

[16] Vgl. Ganti, S. 35

[17] Vgl. Ganti, S. 36f.

[18] Seit 1992 sendet Rupert Murdochs STAR TV in Indien. Im gleichen Jahr nahm ZEE TV die Arbeit auf, der mittlerweile beliebteste Hindi-Privatsender (vgl. Ganti, S. 35).

[19] Vgl. Ganti, S. 37

[20] Vgl. Munchmeyer, a.a.O.

[21] Vgl. Wenner, a.a.O.

[22] Vgl. Ganti, S. 36f.

[23] Vgl. Ganti, S. 37f.

[24] Das Sprachgemisch verringert dabei nicht einmal die Absatzchancen in Indien selbst, denn selbst dort sprechen uber 60 Millionen Menschen, besonders aus der urbanen Mittelklasse, in erster Linie Englisch, abgesehen davon, dass die Filme auch in jeder beliebigen Sprache untertitelt werden konnen. Oft entstehen Filmskripte erst in englischer Sprache und werden dann ins Hindi ubersetzt. (vgl. Krill, a.a.O.; Ganti, S. 69).

[25] Quelle: www.globaldefence.net/deutsch/asien/indien/dossier.htm

[26] Quelle: www.welt-in-zahlen.de

[27] Vgl. Uhl/Kumar, S. 11

[28] Vgl. Uhl/Kumar, S. 11. Nach Ganti (S. 231, Anm. 18) konnen auf einen Kinosaal auch bis zu 2.500 Sitzplatze kommen.

[29] Von 1988 bis 1998 wurden in Indien im Durchschnitt 839 Filme jahrlich produziert (vgl. dazu auch Ganti, S. 228, Anm. 3). Damit liegt Indien einsam an der Weltspitze, gefolgt von China/Hongkong mit 469 Filmen. Die USA liegt mit durchschnitt- lich 385 Filmen jahrlich auf Platz 4. Quelle: UNESCO-Statistik, zitiert nach Hepp, Andreas, a.a.O. (statistisch nicht erfasst ist die Videoproduktion auf dem afrikanischen Kontinent, z.B. aus Nigeria)

[30] Vgl. Schneider, a.a.O.; Ganti, S. 3

[31] Vgl. Schneider, a.a.O. Nach anderen Angaben (vgl. Munchmeyer, a.a.O.) entstehen die meisten Filme in Hyderabad in der Sprache Telugu.

[32] Zitiert nach Schneider, a.a.O., aus: Schneider, Alexandra (Hg.): Bollywood: Das indische Kino und die Schweiz, Zurich 2002.

[33] Vgl. Schneider, a.a.O.

[34] Allerdings ist das Lohnniveau in Indien nicht annahernd so hoch wie etwa in Deutschland. Zum Vergleich: Die Lohnkos- ten in der Maschinenindustrie lagen in Deutschland 2004 durchschnittlich bei 33,8 US-$ pro Stunde, dagegen in Indien bei 0,9 US-$. Quelle: Economist Intelligence Unit survey, August-September 2004, Link: www.kpmg.de.

[35] Vgl. Uhl/Kumar, S. 12

[36] Vgl. u.a. Krill, a.a.O.

[37] Vgl. Uhl/Kumar, S. 13

[38] Diese Wissbegier macht sich die Filmindustrie auch fur die Vermarktung im Vorfeld der Filmausstrahlung zunutze, indem etwa die Musik bereits drei Monate vorher auf CD veroffentlicht wird und standig im Radio zu horen ist (vgl. Munchmeyer, a.a.O.)

[39] Z.B. bei der Rocky Horror Picture Show oder The Life of Brian

[40] Vgl. Uhl/Kumar, S. 13f.

[41] Vgl. Uhl/Kumar, S. 15f.

[42] Vgl. Uhl/Kumar, S. 130

[43] Vgl. Suchsland, a.a.O.

[44] Es gibt dafur auch den Begriff „Formula Film“, vgl. Schneider, a.a.O.

[45] Der Vollstandigkeit halber sei erwahnt, dass es durchaus auch noch andere (Sub-) Genres gibt, etwa den Stuntfilm, den Historienfilm oder - ganz wichtig - den religios-mythologischen Film, aber diese Genres nehmen einen vergleichsweise geringen Raum ein oder werden teilweise von ubergeordneten Genres subsumiert.

[46] Vgl. Ganti, S. 40

[47] Vergleicht man die Darsteller von Monsoon Wedding mit denen typischer Mainstream-Filme, fallt auch sofort auf, dass hier keine „Filmschonheiten“ prasentiert werden, sondern eher typische Inder - eine offenkundige Parallele zur Differenz zwischen westlichem Art- und Mainstream-Kino.

[48] Allerdings sind nach Aussagen des Regisseurs Nikhil Advani in Indien allein 2003 um die 30 bis 40 Filme zum Thema Terrorismus entstanden, wobei der inhaltliche Fokus bei den meisten Filmen auf der Action liegt. Advani zieht dabei Ver- gleiche zu Die Hard oder S.W.A.T., also Filmen, in denen terroristische Gewalt mit Gewalt bekampft wird. Dabei stellt er aber auch fest, dass Dil Se fur Bollywood diesbezuglich Mahstabe gesetzt hat (vgl. Suchsland, a.a.O.)

[49] Man merkt dem Film allerdings auch an, dass sich Regisseur und Drehbuchautor in der Thematik nicht „zu Hause“ fuhlten, denn die Handlungen und Motive der Figuren wirken oft nicht schlussig.

[50] Uber die kommerziell notwendige Anzahl von Songs und Tanzszenen gibt es unterschiedliche Angaben. Allgemein schei- nen funf bis sechs Songs der Standard zu sein (vgl. Takhar, a.a.O.)

[51] Suchsland weist darauf hin, dass in Bezug auf das Ende eines Films Variationen moglich sind. So kommt nicht immer ein Happy End nach der Standardformel „mannliche Hauptrolle heiratet weibliche Hauptrolle“ zustande - es kann auch z.B. tragodische Variationen geben, etwa wie in Kal Ho Naa Ho, wenn der dem Tod geweihte Hauptdarsteller quasi als letzten Willen die Ehe zwischen der weiblichen Hauptrolle und dem mannlichen Co-Star einfadelt (vgl. Suchsland, a.a.O.)

[52] Vgl. Uhl/Kumar, S. 17f.

[53] Der amerikanische Medien- und Kulturhistoriker Neal Gabler, sieht die Formelhaftigkeit als der Unterhaltung naturgemah an: „Unterhaltung sucht unablassig nach einer Kombination von Elementen, die in der Vergangenheit bereits vorhersehbar eine gewunschte Reaktion hervorgerufen hat, in der Annahme, dass die gleiche Kombination hochstwahrscheinlich wieder dieselbe Reaktion hervorrufen wird.“ (vgl. Gabler, S. 29)

[54] Dr. Alexandra Schneider stellt in ihrem Vortrag (vgl. Schneider, a.a.O.) treffend fest: „Der Hollywood-Film unternimmt erhebliche Anstrengungen, um die Aufmerksamkeit des Publikums nicht auf sich als Artefakt, d.h. als Gemachtes zu ziehen. Die filmischen Parameter und technischen Mittel - wie Inszenierung, Kamerafuhrung und Schnitt, werden moglichst weit gehend dem Vorantreiben der Erzahlung und der Darlegung der kausalen Zusammenhange der Ereignisse untergeordnet, womit auch der zumindest fur das klassische Hollywood typische Realismus erzeugt wird. Der Bollywood-Film hingegen arbeitet gern mit ausgestellten Artefakt-Effekten (...). Der Realismus impliziert hier seine eigene Subversion. Realismus (...) spielt im Bollywood-Film eine untergeordnete Rolle.“

[55] Die Autoren Uhl/Kumar weisen allerdings ausdrucklich darauf hin, dass dies nicht als ein Mangel des indischen Kinos oder der indischen Filmschaffenden an sich anzusehen ist, da es durchaus beachtenswerte kunstlerische Filme gibt, die stilis- tisch im italienischen Neorealismus verwurzelt sind, vgl. S. 18.

[56] Auch vor diesem Hintergrund ist Monsoon Wedding mit seinen nur knapp zwei Stunden Spielzeit ein eher untypischer Film.

[57] Der Regisseur Nikhil Advani (Kal Ho Naa Ho) stellt fest, dass Bollywood in seiner Formelhaftigkeit erstarrt ist. Die voll- standige Ausrichtung auf den kommerziellen Erfolg sorgt dafur, dass in den USA und Europa nur die Filme zu sehen sind, die nach der Erfolgsformel konstruiert sind. Andere Filme, etwa Horrorfilme oder Action, die ebenfalls produziert werden, wurden nur ein Nischenpublikum bedienen (vgl. Suchsland, a.a.O.)

[58] Quelle: www.unesco.de. Bereits seit 2001 ist dort das einzig erhalten gebliebene klassische indische Kutiyattam Sanskrit Theater verzeichnet, auBerdem seit November 2003 die Tradition des wedischen Sprechgesangs (gesungene Verse aus der religiosen Sanskrit-Dichtung Weda) aus Indien.

[59] Die Entstehungszeit wird je nach Quelle unterschiedlich angegeben und konnte auch um 200 v.Chr. gewesen sein.

[60] Bharata beschrieb in seinem Werk, das verschiedentlich auch mit Natyashastra bezeichnet wird, die Art der korrekten Auffuhrung eines Sanskrit-Theaterstucks. Dafur benannte er unter anderem die neun Gemutszustande (rasas), die ein Schau- spieler zum Ausdruck bringen konnen muss.

[61] Eine Digitalisierung einiger Bhasa-Dramen findet sich im Internet unter www.uni-wuerzburg.de/indologie/bhasa/. Gegen- wartig wird am Institut fur Indologie in Wurzburg eine multimediale Datenbank aufgebaut, die dem zunehmenden Interesse der Theaterwissenschaft fur die globale Entwicklung postmoderner Theaterformen Rechnung tragen soll.

[62] Inhaltsangabe nach Kalidasa, a.a.O..

[63] Quelle: www.hr-online.de. Das Foto zeigt eine Szene aus der Auffuhrung Shakuntala of the Mahabharata (2002).

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Die Dramaturgie des indischen Films
Untertitel
Dargestellt am Beispiel von "Kabhi Khushi Kabhie Gham"
Hochschule
Universität Bremen
Veranstaltung
Dramaturgisches Denken: Analyse, Praxis, kreatives Schreiben
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
41
Katalognummer
V155421
ISBN (eBook)
9783640688500
ISBN (Buch)
9783640688364
Dateigröße
843 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Bollywood, Dramaturgie, Kino, Hindi, Indien, indisches Kino, Shah Rukh Khan
Arbeit zitieren
Holger Pinnow-Locnikar (Autor:in), 2005, Die Dramaturgie des indischen Films, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155421

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