Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die protestantische Ethik
2.1 Der Calvinismus
2.2 Die rationale und religiöse Lebensführung
2.3 Die Folgen
3 Der Kapitalismus
4. Die Entwicklung zur Industriegesellschaft
5 Die Folgen für die gesellschaftlichen Strukturen
5.1 Das Wertgerüst
5.2 Die organisatorischen Strukturen einer Gesellschaft
6. Kritik
6.1 Die Kritik von Karl Fischer (1879-1975)
6.2 Die Kritik von Felix Rachfahl (1867-1925)
6.3 Zusammenfassende Kritik
7. Schlussbetrachtung
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Vergleich der praktischen Religiositäten von Katholizismus, Luthertum und Calvinismus
1. Einleitung
Max Weber versucht in seinem Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ die Frage zu klären, was die so genannte Neuzeit (Moderne) ist und wo sie geographisch gesehen entstanden ist. Seine Überlegungen und Forschungen haben ergeben, dass gerade die Menschen in Westeuropa (Okzident) sich zu einer modernen Gesellschaft, vor allem in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Staat und Religion, entwickelt haben. Er konstatiert, dass sich die moderne Gesellschaft im Wesentlichen an der Rationalität aufbaut, die sich in allen gesellschaftlichen Bereichen und Funktionen wieder findet. Der Alltag des Menschen wird bestimmt durch sein rationales Handeln, sowohl im beruflichen wie im privaten Bereich. Dabei stellt Max Weber fest, dass das rationale Handeln nur gelingen kann, wenn eine bestimmte Ordnung und Systematisierung in der Gesellschaft vorherrscht. Diese tragen dazu bei das gesamte rationale System zu einer Effektivitätssteigerung zu führt. Er zeigt dabei vor allem die Wichtigkeit der Rationalität1 im gesamten Wirtschaftskreislauf auf, die den Kapitalismus als finales Ziel beinhaltet.
In diesem Zusammenhang stellt sich Max Weber die Frage, warum ausgerechnet Westeuropa prädestiniert ist für die ökonomische Rationalität und nicht auch so genannte prämoderne Gesellschaften. Um diese Frage zu beantworten, vergleicht er prämoderne Gesellschaften mit dem Okzident. Er beschäftigt sich zum Beispiel mit chinesischen und indischen Gesellschaften. Sein Ergebnis ist, dass in den prämodernen Gesellschaften die Ökonomie vorwiegend den täglichen Bedarf des Menschen gedeckt hat, während im modernen Kapitalismus das Streben nach Gewinn das inhärente Ziel ist.
Es geht Max Weber hauptsächlich um die Klärung der Frage: Warum entstand gerade im Okzident eine spezifisch moderne Gesellschaft mit Folgen auf das Wirtschaftssystem? Warum dehnte sich speziell im Okzident die Rationalität auf alle Lebensbereiche aus?
Die Lösung erscheint Max Weber insbesondere in der Religion der jeweiligen Gesellschaft bzw. der jeweiligen Kultur zu liegen. Vor allem die Rolle des Protestantismus scheint in der modernen Gesellschaft von Bedeutung zu sein. Welche Einflüsse haben religiöse Kulturen auf die Ordnungssysteme der Wirtschaft? Der zentrale Kern ist für Max Weber die „Synthese“ zwischen bestimmten Normen der protestantischen Ethik und dem modernen, rationalen und okzidentalen Betriebskapitalismus. Im Sinne von Max Weber ist der Protestantismus die Triebfeder des modernen Kapitalismus.
2. Die protestantische Ethik
2.1 Der Calvinismus
Max Weber geht in seinem Werk von der Annahme aus, dass die wesentlichste Grundlage für den Kapitalismus die Berufsethik ist. Diese wurde geprägt von religiösen Glaubenssätzen. Zu diesem Zweck untersucht er verschiedene Glaubensrichtungen: Calvinismus, Pietismus, Methodismus, Täuferbewegung, wobei Weber insbesondere den Calvinismus ausführlich analysiert.2 Der wesentlichen Grund hierfür liegt einerseits in der etwas abgemilderten Formen der innerweltlichen Askese3 von Pietismus, Methodismus und Täuferbewegung, andererseits steht der Calvinismus für eine strengere Ausbreitung der Berufsethik.4 Deshalb ist die Grundlage der vorliegenden Arbeit ausschließlich der Calvinismus.
Ansatzpunkt für Max Webers Thesen sind die Lehren des Reformators Calvin mit dem so genannten Dogma von der „Gnadenwahl“, dem Kern der
„Prädestinationslehre“5. In der „Westminster confession“ von 1647, die Weber zitiert, heißt es:
„Kapitel 3.(Von Gottes ewigen Ratschluss) Nr. 3: Gott hat zur Offenbarung seiner Herrlichkeit durch seinen Beschluß einige Menschen…bestimmt (predestinated) zu ewigen Leben und andere verordnet (forecordained) zu ewigen Tode. Nr. 5: Diejenigen aus dem Menschengeschlecht, welche bestimmt sind zum Leben, hat Gott, bevor der Grund der Welt gelegt wurde, nach seinem ewigen und unveränderlichen Vorsatz und dem geheimen Ratschluß und der Willkür seines Willens erwählt in Christus zu ewiger Herrlichkeit, und dies aus reiner Gnade und Liebe, nicht etwa so, daß die Voraussicht von Glauben oder guten Werken oder Beharrlichkeit in einem von beiden…als Bedingung oder Ursache, ihn dazu bewogen hätten […]“6
„Kapitel 5. (Von der Vorsehung) Nr.6: Was die bösen und gottlosen Menschen betrifft…so entzieht er ihnen nicht allein seine Gnade…sondern zuweilen entzieht er ihnen auch die Gaben, die sie hatten, und bringt sie mit solchen Gegenständen in Beziehung, aus welchen ihr Verderbnis eine Gelegenheit zur Sünde macht, und übergibt sie außerdem ihren eigenen Lüsten, den Versuchungen der Welt und der Macht Satans […]“7
Anders gesagt: Gott hat den Menschen erschaffen und ihm einen Platz in der Welt bereitgestellt. Gott entscheidet in dieser Situation sofort, ob dieser Mensch erwählt ist oder nicht. Gott allein hat die Gabe zu entscheiden über Seligkeit oder Verdammnis jedes Individuums. Dieser Glaubenssatz ist unverrückbar und von elementarer Bedeutung für das jeweilige Schicksal des Menschen.
Max Weber übernimmt diesen Glaubenssatz von Calvin für seine Theorie, die das zentrale Element seiner Ausführungen ist. Für die Menschen bedeutet der Satz, dass kein Individuum durch bestimmte Handlungsweisen an seiner Bestimmung etwas ändern kann. Der Mensch kann somit weder durch eine gute noch durch eine schlechte Lebensführung der Gottes- Bestimmung entgehen. Seine normativen und objektiven Handlungen sind vorher bestimmt. An dem feststehenden Entschluss Gottes, kann der Mensch auch nichts ändern. Der Glaubenssatz hat weitreichende Folgen für den Menschen: Er hat keine Möglichkeit herauszufinden, ob er erwählt ist oder nicht. Es gibt also kein Mittel zu erfahren, ob der Mensch vor Gott, am
Tag des „Jüngsten Gerichts“ freigesprochen wird oder nicht.8
Im Calvinismus kann sich der Mensch vor keiner Verdammnis retten, in deren Mittelpunkt der überirdische Gott steht. Die Bestimmung Gottes „steht“ und ist unverrückbar, unabhängig davon welche Taten der Mensch auf der Welt vollbringt. Ein möglicher menschlicher Rettungsversuch misslingt. Auch für die Gnade Gottes braucht der Mensch nichts speziellen zu vollbringen.
Die Gnade Gottes, sofern der Mensch sie erhält, ist eine unverdiente Gnade.9
Das Dogma von der Gnadenwahl stellt das Individuum vor die Frage: „Bin ich erwählt? Und wie kann ich dieser Erwählung sicher werden?“10 Zweifel prägen den Menschen auf Grund der Unsicherheit hinsichtlich der Wahl Gottes und greifen in seine „psychologische Prozesse“ ein. Mit seinen Fragen steht der Mensch allein da und kann sie nicht beantworten. Die Entscheidung, das Leben entsprechend der Erwähltheit oder Nichterwähltheit
zu gestalten, kann nur er allein beantworten.
Im Gegensatz zur katholischen Lehre, lehnt der Calvinismus z. B. die Beichte ab, die zu jener Zeit ein Allheilmittel war, die inneren Werte zu befreien. Das so genannte „Bonus-Malus-System“ wurde dem Dogma geopfert. Konnte man sich durch die Beichte von schlechten Taten durch Buße oder Strafe befreien und somit der Gnade Gottes wieder sicher sein, so hat die neue Lehre die Unsicherheit noch verstärkt.11 Diesen Prozess, indem alle magischen, mystischen Bestandteile der Religion aus der Welt des
Protestanten entfernt wurden, bezeichnet Max Weber als „Entzauberung der Welt“.12
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Vergleich der praktischen Religiosität von Katholizismus, Luthertum und Calvinismus 13
Um die Unsicherheit zu besänftigen machten sich die Menschen zunächst auf die Suche nach äußeren Symptomen der göttlichen Erwähltheit. Die Menschen brauchten als Lebenshilfe eine Heilsgewissheit, um der Hoffungslosigkeit zu entfliehen. Schließlich setzte sich die Auffassung durch, dass man von einer Erwähltheit auszugehen hat. Denn jeder Zweifel der eigenen Erwähltheit zeugte von Nichterwähltheit. Außerdem ging man davon aus, dass die rastlose Berufsarbeit ein hervorragendes Mittel sei, Heilsgewissheit zu erlangen. Die rastlose und unermüdliche Berufsarbeit war einzig in der Lage die Zweifel der Menschen zu beseitigen und ihnen eine entsprechende Sicherheit bezüglich der Erwähltheit zu bieten.
Max Weber sieht in folgenden Punkten eine Hilfestellung, wie der Einzelne seine Auserwähltheit erkennen konnte:
- Eine Lebensführung, die der Mehrung von Gottes Ruhm dient;
- Gute Werke sind als Zeichen der Erwählung zu deuten;
- Hilf Dir selbst, dann hilft Dir vielleicht auch Gott!
- Systematische Selbstkontrolle, um nicht der Verworfenheit anheim zu fallen.14
Mit diesem Rüstzeug begann der Mensch sich der göttlichen Auserwähltheit zu versichern und das Dilemma zu entschlüsseln: Erlösung im Paradies oder Verurteilung durch Gott?
2.2 Die rationale und religiöse Lebensführung
Das Individuum musste nach Max Weber die Berufsarbeit in der Weise erledigen, um einen objektiven wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Das ist der Beitrag, den jeder Einzelne beisteuern muss, um den Ruhm Gottes zu mehren. Denn der Mensch wurde von Gott erwählt und in die Welt
„ausgesandt“. Stellte sich der Erfolg ein, so konnte der Mensch davon ausgehen, positiv von Gott erwählt zu sein. Und je mehr und größer der Gewinn war, den das Individuum erzielte, desto sicherer konnte der Mensch sein, die Seligkeit Gottes zu erlangen.
Damit das „Gottes-System“ funktionierte hat sich der Mensch im Sinne von Max Weber einer religiösen Lebensführung, der so genannten Askese, zu unterwerfen. Diese entspricht einer streng enthaltsamen und entsagenden Lebensweise zur Verwirklichung sittlicher und religiöser Vorstellungen.15
[...]
1 Bedeutet: Es gibt für Weber unterschiedliche Formen des Rationalismus und unterschiedliche historische Prozesse der Rationalisierung. So stellt er in der „Vorbemerkung“ zur Religionssoziologie die Frage nach der Besonderheit des abendländischen Rationalismus. Es gilt zu erklären, warum dieser in der Religion, im Recht, in der Wissenschaft, vor allem aber in der kapitalistischen Wirtschaftsform gerade im Abendland und nicht anderswo entstanden ist. So konzentriert sich Weber auf die sozio-ökonomischen Entwicklung, die nach der Reformation in den Ländern Nordeuropas eingeleitet wurde. Sie weist auf einen Zusammenhang der religiösen Wirtschaftsethik mit dem ökonomischen Handeln hin, den die Soziologie historisch-kausal zu erklären hat. (Fitzi 2008, S.184)
2 Vgl. Fitzi (2008), S. 109.
3 Bedeutet: Askese ist der Verzicht auf Genuss. Die Askese bietet nicht nur eine Technik zur Erweckung von charismatischen Gaben, sondern zeichnet sich durch eine aktive Haltung zur Welt aus. Dabei versteht sich der Gläubige als Werkzeug Gottes, das seine Lebensführung zu diesem Zweck durch und durch zu rationalisieren hat. Die Askese kann außerweltlich und innerweltlich sein. Idealtypus der Ersteren ist das mittelalterliche Kloster, während Letztere für die in Sekten organisierten Richtungen der calvinistischen Reformation typisch ist. (Fitzi 2008, S. 182)
4 Vgl. Käsler (1995), S. 106-108.
5 Käsler (1995), S. 110.
6 Weber (2000), S. 58.
7 Weber (2000) S.59.
8 vgl. Lenhart (1998), S. 3-7.
9 vgl. Käsler (1995), S.110-113.
10 Weber 2000, S. 69.
11 Vgl. Müller (2007), S. 95-98.
12 Fiedler (2003), S. 38.
13 Müller (2007), S. 97.
14 Vgl. Müller (2007), S. 95.
15 Vgl. Fiedler (2003), S. 54.