Hermetische Lyrik am Beispiel Ingeborg Bachmanns


Referat (Ausarbeitung), 2009

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Programmatik der hermetischen Lyrik

3. Hermetische Lyrik am Beispiel Ingeborg Bachmanns
3.1 Gedichtinterpretation: „Früher Mittag“
3.2 Gedichtinterpretation: „Anrufung des Großen Bären“

4.Schlusswort

Literatur

Anhang

1. Einleitung

Theodor Wiesengrund Adorno (1903 – 1969) schrieb in seinem Essay „Kulturkritik und Gesellschaft“ (1951)[1]:

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“

Diese zentrale These des deutschen Philosophen und Soziologen weist daraufhin, dass nicht nur das Reine und Schöne, sondern auch Auschwitz Teil der deutschen Kultur ist. Demnach ist Kultur, die auch für die Situation in der Gesellschaft verantwortlich ist, als vielseitiger Begriff zu verstehen. Die oben angeführte meistzitierte These Adornos fechtet demzufolge nicht nur die Dichtung, sondern die gesamte Kultur in der deutschen Gesellschaft an und zeigt auf, in welch schwieriger Situation sich insbesondere die deutsche Lyrik nach der „Stunde Null“, nach dem Jahr des Zusammenbruchs des faschistischen deutschen Reichs und der zuvor mit sich getragenen Geschehnisse, befand. Es eröffnete sich daraus die Frage, wie Lyrik nach den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges mit den damit verbundenen Massenmorden der Nationalsozialisten noch möglich und in der Lage war, das Geschehene verarbeiten und möglicherweise darstellen zu können.

In der vorliegenden Hausarbeit möchte ich mich mit der „hermetischen Lyrik“, die sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aus den geschilderten Bedenken entwickelte, beschäftigen. Mit der Österreicherin Ingeborg Bachmann als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der modernen hermetischen Lyrik werde ich auf eine Schriftstellerin eingehen, die die hermetische Lyrik stark beeinflusst und gelenkt hat. Vor dem Hintergrund der schwierigen Lage der Nachkriegslyrik werde ich versuchen, die Programmatik der hermetischen Lyrik, speziell die Lyrik Ingeborg Bachmanns, herauszuarbeiten und anhand von zwei Gedichtbeispielen erläutern. Es folgt ein abschließendes Fazit der Hausarbeit, in der die wichtigsten Erkenntnisse zur Thematik der hermetischen Lyrik dargelegt werden.

2. Programmatik der hermetischen Lyrik

Der Begriff „Hermetik“ leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet ins Deutsche übersetzt „fest verschlossen“. Dieser Begriff beschreibt somit die bezeichnende Charaktereigenschaft der so genannten „hermetischen Lyrik“, einer Sonderform poetischen Sprechens, die ihren stilistischen Ursprung in Italien hatte[2].

Bereits seit der Jahrhundertwende gab es hermetische Tendenzen zu immer komplexeren Ausdrucksformen und zu immer verschlüsselteren Bildern. Dichter wie Rainer Maria Rilke und Stefan George schufen als Antwort auf die geistesgeschichtliche und naturwissenschaftliche Entwicklung eine dichterische Gegenwelt und koppelten sich somit von der gesellschaftlichen Realität, die in den Augen vieler Schriftsteller und Lyriker unüberbrückbar war, ab. Dieses Verhalten der Autoren wird auch als „Sprachskepsis“ bezeichnet. Man stellte sich der Reflexion über die Sinnstrukturen des menschlichen Daseins und man beabsichtigte sich dem „Augenblickscharakter des Daseins“ (Hoffmann 1998, S. 46) zu entziehen. Indem man immer kompliziertere sprachliche Formen und Bilder in die Dichtung einführte, versuchte man, die komplexe Wirklichkeit besser verarbeiten zu können. Es kamen aber im Rahmen dieser Wirklichkeitsverarbeitung auch Zweifel auf, ob die Übertragbarkeit der außersprachlichen Realität in Sprache überhaupt möglich sei. Hugo von Hofmannsthal thematisierte diesen Zweifel beispielsweise in seinem „Brief des Lord Chandos“, den er in den Jahren 1901/1902 verfasste. In diesem Brief legte er dar, wie ihm das zuvor Selbstverständliche plötzlich fragwürdig erschien (vgl. Hoffmann 1998, S. 14 ff).

Der Zweite Weltkrieg führte noch einmal das Zerstörungspotential des Menschen und seine mangelnde Lernfähigkeit vor Augen und machte es den Menschen noch schwieriger, an einen Sinn des menschlichen Daseins zu glauben (vgl. Hoffmann 1998, S. 65). Nachdem auch die Sprachskepsis durch den nationalsozialistischen Sprachmissbrauch eine Radikalisierung erfahren hatte, ließen sich in der Lyrik der Nachkriegszeit zwischen 1945 und 1960 verschiedene Tendenzen feststellen. Die Dichter versuchten, eine eigene dichtungssprachliche Realität zu schaffen. Die lyrischen Formen wie zum Beispiel die „naturmagische Schule“ (Bsp. Elisabeth Langgässer: „Frühling 1946“, s. Hoffmann 1998, S. 37) und die Trümmerlyrik (Bsp. Günter Eich: „Inventur“, s. Hoffmann 1998, S. 14 f.) entwickelten sich parallel, bedingten sich teilweise aber auch gegenseitig. Die hermetische Lyrik, die dem französischen Symbolismus des späten 19. Jahrhunderts sehr ähnelte, entwickelte sich ebenso in dieser Zeit, nach dem Trauma von Auschwitz. Die hermetischen Tendenzen des Sprachgebrauchs der Jahrhundertwende wurden in dieser Phase intensiviert. Die hermetische Lyrik war durch eine verschlüsselte, chiffrierte[3] Sprache gekennzeichnet und war durch eine undurchdringliche und rätselhaft wirkende Semantik charakterisiert. Man kann daher auch von einer Dissonanz zwischen dem Bezeichnenden und Bezeichnetem sprechen. Durch die Verwendung von Chiffren, eine Verringerung der Wörter und Wortwiederholungen entstand eine komplett neue Syntax der hermetischen Lyrik. Diese Form von Lyrik wird daher auch als „Dichtung an der Grenze des Sagbaren“ (Hoffmann 1998, S. 46) bezeichnet. Hermetische Lyrik war gekennzeichnet durch ihren sozialkritischen Charakter, und zwar im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung während der Nachkriegszeit. Der Gebrauch der Sprache, der aus dem Misstrauen gegenüber dem alltäglichen Ausdruckswert hervorging und eine Reaktion auf den Sprachmissbrauch des Faschismus darstellte, war bewusst distanziert. Der lyrische Sprachgebrauch, der von Ausdrucksnot, aber auch von Ausdruckszwang gekennzeichnet war, schlug somit einen neuen Weg ein, der einen Bruch mit den Konventionen der Sprache bedeutete. Die Hermetik als eine experimentelle Form von Lyrik war eine Loslösung von herkömmlichen Gedicht- und Sprachstrukturen, die nach den traumatischen Erlebnissen zu Kriegszeiten keine Anwendung mehr finden konnten.

Da beim erstmaligen Lesen hermetischer Gedichte aufgrund der verdichteten und schwierigen Sprache zunächst eine völlige Unverständlichkeit hervorgerufen wird, wird der Leser dazu aufgefordert, sich mit einer guten Beobachtungsgabe und einer hohen Aufmerksamkeit mit dem hermetischen Gedicht auseinanderzusetzen. Hinsichtlich dieser Anforderung, die auch als Herausforderung an den Leser ausgelegt werden kann, spricht Paul Celan (1920 – 1970) von einer „besonderen Form von Konzentration, des Sich-Einlassens auf die Welt“ (s. Hoffmann 1998, S. 65) und zitiert den französischen Philosophen Nicole Malebranche (1638 – 1715): „Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele.“ (s. Hoffmann 1998, S. 65). Um hermetische Lyrik begreiflich zu machen, muss ihre sprachliche Struktur genau dechiffriert werden. Die Dechiffrierungsleistung der Leserschaft steht somit vor dem Verstehen eines Gedichts. Nach der Entschlüsselung der hermetischen Lyrik, wird oft versucht, eine eindeutige Interpretation zu entwickeln. Eine „richtige“ Interpretation der hermetischen Texte im engeren Sinne gibt es allerdings nicht, da bei den meisten hermetischen Gedichten mehrere Interpretationsansätze zulässig sind. Die Analyse hermetischer Gedichte darf daher nicht auf eine Deutungshypothese eingeschränkt werden. Dieses beruht darauf, dass der lyrische Text der Hermetik allein auf einen Zusammenhang im Bewusstsein des Autors verweist. Je chiffrierter die Texte und je undurchschaubarer die Inhaltswelt des Gedichtes ist, desto höher ist die Qualität des hermetischen Textes einzuordnen.

3. Hermetische Lyrik am Beispiel Ingeborg Bachmanns

Ingeborg Bachmann (1926 – 1973) war eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen und Lyrikerinnen der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, die sich mit der hermetischen Lyrik befasste. Die Lyrik Bachmanns ist sehr vielschichtig. Sie thematisiert vorwiegend die gesellschaftliche Wirklichkeit, die in der modernen Lyrik nach 1945 immer wieder eine bedeutende Rolle spielte. Vor allem ihre beiden veröffentlichten Gedichtbände „Die gestundete Zeit“ (1953) sowie „Anrufung des Großen Bären“ (1956), die den Kern ihrer Lyrik bilden, finden in Diskussionen über die wichtigsten Werke der modernen hermetischen Lyrik immer wieder Erwähnung. Im Folgenden werde ich mich zunächst einmal mit diesen beiden wichtigen Gedichtbänden Bachmanns befassen und anschließend zu Interpretationen zweier Gedichte der Lyrikerin, überleiten.

[...]


[1] Theodor W. Adorno (1951): „Kulturkritik und Gesellschaft“, S. 49. In: „Lyrik nach Auschwitz? Adorno und die Dichter“. Hrsg. von Petra Kiedaisch. Stuttgart 1995

[2] Hermetismus: Artikel in: Bertelsmann – Wörterbuch der deutschen Sprache, Gütersloh 2004, S. 633

[3] Chiffre = unauflösbares Bild, absolute Metapher; zentraler Begriff der hermetischen Lyrik

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Hermetische Lyrik am Beispiel Ingeborg Bachmanns
Hochschule
Universität Münster  (Germanistisches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V155870
ISBN (eBook)
9783640692118
ISBN (Buch)
9783640692507
Dateigröße
383 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ingeborg Bachmann, Hermetische Lyrik, Früher Mittag, Anrufung des Großen Bären
Arbeit zitieren
Katharina von Lehmden (Autor:in), 2009, Hermetische Lyrik am Beispiel Ingeborg Bachmanns, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155870

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