Fast sechs Jahre dauerte die Arbeit Rainer Maria Rilkes an seinem einzigen Roman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Sein erster Aufenthalt in Paris von August 1902 bis Juni 1903 prägte ihn so nachhaltig, dass er bereits am 8. Februar 1904 in Rom mit seinen Aufzeichnungen begann, die er am 27. Januar 1910 in Leipzig beendete. Zu dieser Zeit sind Rilke und sein Protagonist Malte fast gleich alt, da Rilke 1875 geboren wurde: "Ich bin achtundzwanzig, und es ist so gut wie nichts geschehen." (Rilke, Rainer Maria: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Hamburger Lesehefte Verlag. S.11)
Der Roman beginnt in der Rue de Toullier 11 in einem kleinen Hotel, in dem auch Rilke 1902 nach seiner Ankunft wohnte. Rilke selbst setzte sich während der Arbeit und nach deren Vollendung intensiv in zahlreichen Briefen mit seinem Malte auseinander.
Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge ist der erste moderne Roman. Malte „lernt sehen“ in der Großstadt und das fast zwei Jahrzehnte vor Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz.
Bevor auf die Großstadt Paris und ihr Verhältnis zu Malte unter Zuhilfenahme von Textbelegen im Sinne einer textimmanenten Studie näher eingegangen wird, soll an dieser Stelle kurz der historische Hintergrund rekapituliert werden, in dem Rilke lebte und arbeitete. (Ebd. S161)
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Historischer Hintergrund: Situation der Großstadt Paris zur Jahrhundertwende
1.1.1. Umstrukturierung von Paris
1.1.2. Paris zur Zeit der Industrialisierung
2. Rainer Maria Rilke Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
2.1. Biographisches in den Aufzeichnungen und Rilkes Pariser Eindrücke
2.2. Die Großstadt in den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
2.2.1. Maltes Pariser Eindrücke/ Pariser Standorte und ihre Wirkung auf Malte
2.2.2. Die Menschen in der Großstadt und ihre Wirkung auf Malte
2.2.3. Pariser Standorte und ihre Wirkung auf Malte
3. Schlusswort
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Fast sechs Jahre dauerte die Arbeit Rainer Maria Rilkes an seinem einzigen Roman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Sein erster Aufenthalt in Paris von August 1902 bis Juni 1903 prägte ihn so nachhaltig, dass er bereits am 8. Februar 1904 in Rom mit seinen Aufzeichnungen begann, die er am 27. Januar 1910 in Leipzig beendete.[1] Zu dieser Zeit sind Rilke und sein Protagonist Malte fast gleich alt, da Rilke 1875 geboren wurde: „Ich bin achtundzwanzig, und es ist so gut wie nichts geschehen.“[2]
Der Roman beginnt in der Rue de Toullier 11 in einem kleinen Hotel, in dem auch Rilke 1902 nach seiner Ankunft wohnte.[3] Rilke selbst setzte sich während der Arbeit und nach deren Vollendung intensiv in zahlreichen Briefen mit seinem Malte auseinander.
Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge ist der erste moderne Roman. Malte „lernt sehen“ in der Großstadt und das fast zwei Jahrzehnte vor Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz. [4]
Bevor auf die Großstadt Paris und ihr Verhältnis zu Malte unter Zuhilfenahme von Textbelegen im Sinne einer textimmanenten Studie näher eingegangen wird, soll an dieser Stelle kurz der historische Hintergrund rekapituliert werden, in dem Rilke lebte und arbeitete.
1.1. Historischer Hintergrund: Situation der Großstadt Paris zur Jahrhundertwende
Seit es Städte gibt, setzen sich Menschen mit dem Leben in ihnen und ihrem eigenen konkreten Erleben des städtischen Alltags auseinander. Vor allem Künstler und Geisteswissenschaftler beschäftigten sich in den vergangenen Jahrhunderten in zunehmendem Maße mit Fragen und Problemen, die das Stadtleben aufwarf. In dieser Zeit entstanden viele literarische Werke, die die Großstadt zum Thema hatten , wie z.B. Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz, Georg Simmels Aufsatz Die Großstädte und das Geistesleben[5] oder eben Rilkes Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge.
Die Moderne gilt als Zeit des Umbruchs in allen Bereichen des individuellen, gesellschaftlichen und politischen Lebens. Die gesellschaftliche Veränderung durch den Prozess der Verstädterung zur Zeit der Jahrhundertwende hatte große Auswirkungen auf die Menschen. Gab es um 1800 erst 21 Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern, in denen zusammen 4,5 Millionen Menschen lebten, waren es 100 Jahre später bereits 147 Städte mit mehr als 40 Millionen Einwohnern. Damit lebten etwa 10% der europäischen Gesamtbevölkerung in Großstädten.[6]
1.1.1. Umstrukturierung von Paris
Paris, die Hauptstadt Frankreichs und (nach Walter Benjamin) auch die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, erlebte die größte radikale Umstrukturierung, die eine moderne, europäische Großstadt je erlebt hatte, unter der Herrschaft Napoleons III. Dieser beauftragte seinen Präfekten, Baron Haussmann zwischen 1853 und 1870 mit zahlreichen Sanierungsmaßnahmen, die das Bild von Paris stark veränderten.[7] Dazu gehören die vielen Plätze, von denen die groß angelegten Boulevards sternförmig in die umliegenden Stadtbezirke ausstrahlten, die großbürgerlichen Häuser und die einheitliche Gestaltung der Straßen. Dafür wurden 20.000 Häuser abgerissen und 40.000 neu errichtet.[8] Paris wurde zu einer dicht bebauten Metropole, die sich schnell vergrößerte. 1846 wurde bereits die Millionengrenze überschritten. Mit 1.170.000 Einwohnern war Paris um 1850 nach London schon die zweitgrößte Stadt Europas. 1881 erreichte sie bereits die zweite Million. Bis 1911 stieg die Zahl der Bevölkerung auf fast drei Millionen (etwa 2.888.000).[9] Die Modernisierungspläne Haussmanns nahmen zur Zeit des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 ein abruptes Ende. Die Stadt benötigte über 10 Jahre, um sich von den Folgen des Krieges zu erholen und die Baumaßnahmen wieder aufzunehmen. Von Haussmann selbst wurden jedoch nur wenige Projekte zu Ende geführt.[10]
1.1.2. Paris zur Zeit der Industrialisierung
Von Paris ging im 19. Jahrhundert eine solche politische und kulturelle Wirkung aus, dass die Stadt als geistiges Zentrum der beginnenden Moderne bezeichnet werden kann. Die Belle Époque (1871-1914) stellt den Höhepunkt und zugleich das Ende dieser Zeit dar. Paris war in den Jahren 1855, 1867, 1878, 1889, 1900 und 1937 Veranstaltungsort von sechs Weltausstellungen, 1900 zudem der Olympischen Spiele, was der Stadt weltweit Ansehen und noch mehr Bekanntheit einbrachte.[11] Doch dies hatte nicht nur positive Auswirkungen für die Bevölkerung.
Seit der Zeit der Industrialisierung um 1890 vollzogen sich in der französischen Hauptstadt wichtige wirtschaftliche und soziale Veränderungen, die das Leben in der Stadt prägten. Paris wuchs zu einer der größten Industriemetropolen heran, die bis zu 1,2 Millionen Arbeiter beschäftigte. Zahlreiche Industrien siedelten sich in und um Paris an, was zu gravierenden Wohnungs-, Gesundheits-, und Verkehrsproblemen, zu vermehrter Bildung von Elendsvierteln und sozialen Schwierigkeiten führte. Lange Zeit bedrohten u. a. Tuberkulose, Cholera, Pocken und Typhus die Bevölkerung, ehe um die Jahrhundertwende dank der Verbesserung der Wasserversorgung einige dieser Krankheiten ausgerottet werden konnten.[12]
Dennoch wuchs Paris weiter, was vor allem auf die große Zahl der Immigranten zurückzuführen ist, die in der Hoffnung auf Arbeit in die Hauptstadt strömten. „Die Volkszählung von 1901 ergab, dass Paris die europäische Hauptstadt ist, in der die dort geborene Bevölkerung am schwächsten vertreten ist.“[13] Das machte Paris zur kosmopolitischsten Hauptstadt Europas, da auf 1000 Einwohner 75 Ausländer kamen.[14]
Aufgrund der hohen Bau- und Bevölkerungsdichte (1900: 378 Einwohner/ ha) lebten viele Menschen der unteren Schichten in erbärmlichen Verhältnissen. Mehrere Personen mussten sich eine kleine Wohnung teilen, die meist nicht ausreichend gegen die Witterung geschützt war, was dazu führte, dass die Häuser feucht, schmutzig und faulig wurden. Auch sammelte sich in den Hinterhöfen der Abfall an, wodurch bald gesamte Viertel verschmutzt und verseucht waren.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts, der Zeit von Rilkes Aufenthalt in Paris, wurden infrastrukturelle Maßnahmen im Bereich der Hygiene, der Versorgung und des Verkehrs durchgeführt. Es wurden das Kanalnetz ausgebaut, eine Müllabfuhr und innerstädtische Massentransportmittel eingeführt, die die Elendsviertel etwas entlasteten. Doch trotz der Sanierungen existierten auch zur Zeit der Belle Époque dennoch zahlreiche Slums im Pariser Stadtzentrum, in denen schlechte Lebensbedingungen herrschten.[15]
Davon wurde auch Rilke während seines Aufenthalts Zeuge.
[...]
[1] Rilke, Rainer Maria: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Hamburger Lesehefte Verlag. S. 161 (im Folgenden nur noch MLB)
[2] MLB S.11
[3] Günther, Herbert: Deutsche Dichter erleben Paris. S.110
[4] MLB S.161
[5] ex: Die Grossstadt. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung. Jahrbuch der Gehe-Stiftung Dresden, hrsg. von Th. Petermann, Band 9, 1903, S. 185-206, Dresden
[6] Zimmermann, Clemens: Die Zeit der Metropolen. Urbanisierung und Großstadtentwicklung. S. 32f.
[7] Vgl. auch Sennett, Richard: Fleisch und Stein
[8] Bußmann, Klaus: Paris und die Ile de France. S.74ff.
[9] Bode, Ursula: Paris – Belle Époque. S.22
[10] Bußmann, Klaus: Paris und die Ile de France.: S.80f.
[11] Häußermann, Hartmut: Metropolen im Vergleich. Hagen. 2002. S.44f.
[12] Bode, Ursula: Paris – Belle Époque. S.23
[13] Ebd. S.23
[14] vgl. London mit 22 Ausländern/ 1000 Einwohner
[15] Bode, Ursula: Paris – Belle Époque S. 21- 53
- Arbeit zitieren
- Magistra Artium Bettina Müller (Autor:in), 2006, Die Großstadt Paris in Rainer Maria Rilkes "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155887
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