Man könnte meinen, im wissenschaftlichen Forschungsdiskurs ranken sich Mythen um die schwierige Überlieferung und Entstehungsgeschichte des Eneasromans Heinrichs von Veldeke:
Fand die so genannte „Klever Hochzeit“ überhaupt in Kleve statt? Ungeachtet dessen, wann wird sie datiert? Lässt sich ein „Manuskriptdieb“ eindeutig identifizieren? Und wann beendete Veldeke letztendlich sein Werk, nachdem es ihm gestohlen wurde? Diesen Fragen soll nun im weiteren Verlauf des Artikels nachgegangen werden.
Das Verfasserlexikon beschreibt folgenden Vorgang:
Das Romanmanuskript wurde der Gräfin Margarete von Kleve, der [Heinrich von Veldeke] es zu lesen gegeben hatte, bei ihrer Hochzeit mit dem Landgrafen (Ludwig III. von Thüringen), also in Kleve im März 1174, von einem Grafen Heinrich entwendet, der es nach Thüringen mitnahm (vgl. S. 901). Bastert übernimmt den Namen Margarete unkritisch, Weicker erkennt hingegen, dass keine historischen Quellen diese Gräfin von Kleve mit dem Namen Margarete bezeugen, genauso wenig wie eine Hochzeit mit Ludwig III. Dennoch, eine Erfindung hält Weicker für unplausibel, verneint also nicht die Existenz einer Gräfin von Kleve und ihre Eheverbindung.
‚Die schwierige Überlieferung und Entstehungsgeschichte des Eneasromans Heinrichs von Veldeke’
Man könnte meinen, im wissenschaftlichen Forschungsdiskurs ranken sich Mythen um die schwierige Überlieferung und Entstehungsgeschichte des Eneasromans Heinrichs von Veldeke: Fand die so genannte „Klever Hochzeit“ überhaupt in Kleve statt? Ungeachtet dessen, wann wird sie datiert? Lässt sich ein „Manuskriptdieb“ eindeutig identifizieren? Und wann beendete Veldeke letztendlich sein Werk, nachdem es ihm gestohlen wurde? Diesen Fragen soll nun im weiteren Verlauf des Artikels nachgegangen werden.
Das Verfasserlexikon beschreibt folgenden Vorgang:
Das Romanmanuskript wurde der Gräfin Margarete von Kleve, der [Heinrich von Veldeke] es zu lesen gegeben hatte, bei ihrer Hochzeit mit dem Landgrafen (Ludwig III. von Thüringen), also in Kleve im März 1174, von einem Grafen Heinrich entwendet, der es nach Thüringen mitnahm (vgl. S. 901). Bastert übernimmt den Namen Margarete unkritisch, Weicker erkennt hingegen, dass keine historischen Quellen diese Gräfin von Kleve mit dem Namen Margarete bezeugen, genauso wenig wie eine Hochzeit mit Ludwig III. Dennoch, eine Erfindung hält Weicker für unplausibel, verneint also nicht die Existenz einer Gräfin von Kleve und ihre Eheverbindung.
Die Eheschließung wurde lange Zeit auf das Frühjahr im Jahre 1174 datiert, zu dem Zeitpunkt, als die Brüder Ludwig III. und Heinrich Raspe am Niederrhein, in Aachen anwesend waren und an Barbarossas Festkrönung am Ostertag (24. März) teilnahmen. Ludwig hätte zu diesem Zeitpunkt die Gelegenheit genutzt, seine zukünftige Frau seinem gerade in der Gegend anwesenden Onkel Friedrich I. vorzustellen. Nach Bastert und Weicker scheint dies falsch zu sein, wahrscheinlich war sein dortiger Aufenthalt mit bestimmter Aufgabe an dem Zeremoniell begründet, zumal wäre die Hochzeit somit in die Fastenzeit gefallen und somit schwer mit den Anschauungen und Gebräuchen des 12. Jahrhunderts zu vereinbaren gewesen. Somit kann über den Zeitpunkt der Hochzeit nur spekuliert werden.
Dies gilt auch für den Ort der Feierlichkeiten. Veldeke selbst berichtet uns im Epilog des Eneas-Romans nichts über den Ort, nur „ d ô si [Margarete von Kleve] der lantgr â ve nam, d ô wart daz b û ch ze Cleve verstolen einer frouwen, der ez was bevolen “(V. 13454 ff.). Es sagt nicht aus, dass, neben dem Diebstahl des Manuskripts, auch die Hochzeit „ ze Cleve “ stattgefunden hat. Bastert hält eine Eheschließung in Kleve für unwahrscheinlich, da er keinen Grund zur Annahme sieht, dass Ludwig von dem traditionellen Heiratszeremoniell, die Heimführung der Zukünftigen in den eigenen Herrschaftsbereich, abgewichen sein soll. Weicker hingegen schließt Kleve als Ort der Feierlichkeiten nicht vollständig aus, denn in besonderen Fällen sei ein Abweichung der Heiratstradition üblich, wenn eine Machtdemonstration im Territorium der Braut nötig schien. Weiter merkt sie an, dass die Möglichkeit einer Hochzeitsfeier im Hause der Braut mit anschließender Heimführung zu jener Zeit durchaus bestand und im 13. Jahrhundert sogar langsam die Regel wurde.
Es bleibt somit der Ort einer Eheschließung, wie eine genaue Datierung, im Dunkeln.
Bastert und Weicker schließen den lange Zeit als Dieb des Romanmanuskripts vermuteten Heinrich Raspe aus, da die Quellen und Urkunden von keinerlei Differenz zwischen den beiden Brüdern zeugen. Für Bastert kommt nur Heinrich I. von Schwarzburg als Dieb infrage, der lange Zeit mit Ludwig in Thüringen in Fehde lag und beruft sich auf folgende Stellen in der Mehrzahl der überlieferten Handschriften des Romans: „ des wart die gr â vinne gram dem gr â ven heinr î ch von swartzburg der ez nam “ und weitere Verse berichten, dass der Dieb das Buch „ dannen sande ze Doringen heim ze lande “. Der „Buchraub“ war ein zu dieser Zeit durchaus übliches Mittel der Fehdeführung, merkt Bastert an. Weicker widerspricht der Auffassung, dass Heinrich I. von Schwarzburg der Dieb gewesen sein soll. Sie hält eine erst viel spätere Interpolation der Ereignisse für wahrscheinlich, als in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts die Thüringer Grafenfehde das politische Geschehen der Region bestimmte, in der sich die Schwarzburger besonders hervortaten. Somit bleibt auch die Frage nach dem Manuskriptdieb vorerst offen.
Die Vollendung des Romans fand laut Bastert neun Jahre später statt, nachdem Heinrich 1184 gestorben war und das Manuskript vermutlich durch die Vermittlung von Heinrichs Bruder Günther von Schwarzburg wieder in Veldekes Hände gelangte. Nach Weicker könnte die Vollendung des Werks aus der Verbindung zwischen Veldeke und dem Pfalzgrafen Hermann (vermittelt durch die Gräfin von Kleve) resultieren, welcher das literarische Mäzenatentum unterhielt. Zeitlich wurde das Werk vielleicht zwischen 1184 und 1186 abgeschlossen.
Wakefield unternimmt eine völlig andere Sicht auf die Ereignisse. Unreflektiert übernimmt er „that the wedding takes place in Cleve in 1174...Ludwig's brother, Count Heinrich, is the thief who returns to Thurngia in 1174 with the purloined manuscript“ und merkt weiter an „but this is not the most interesting part of his [Veldekes] story“. Die eindeutige Zuordnung Veldekes zu einem „archetype“ scheint im nationalen Zeitalter an Bedeutung gewonnen zu haben: Geboren ist Henric van Veldeken in Limburg, Belgien, später kam er nach Thüringen. Im wissenschaftlichen Diskurs galt es deshalb der Beantwortung der Frage nachzugehen, ob Veldeke „as a Middle Dutch author“ anzusehen sei. Bis heute repräsentiert Veldeke vor allem den „Thuringian archetype“, wie ihn erstmals Ettmüller 1852 skizzierte. Dazu bleibt anzumerken: „the element of language nationalism is still with us – both German and Dutch national histories of literature continue their claims to Veldeke.“
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- Quote paper
- Stud. phil. Jan Schultheiß (Author), 2008, Die schwierige Überlieferung und Entstehungsgeschichte des Eneasromans Heinrichs von Veldeke, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/156054