Der Rockmusiker als Marke


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

34 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Der Musikmarkt im Umbruch
1.2 Die Marke

2 Der Rockmusiker
2.1 Entstehung und Ideologie der Rockmusik
2.2 Die Musiker
2.3 Der Rockmusiker als Star
2.4 Im Spannungsfeld zwischen seinen Fans und der Industrie

3 Der Musiker als Marke
3.1 Kulturtheoretische Fundierung
3.2 Das 4-C-Modell des Musikmarkenmanagements
3.2.1 Die A&R-Politik als Produktdimension
3.2.2 Verwertungspolitik
3.3 Fallbeispiel: Die Toten Hosen
3.3.1 Produkt-Dimension
3.3.2 Verwertungspolitik

4 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

3.1 Die Parallelitat zwischen dem 4-C-Modell und dem Encoding/Decoding Modell (Quelle: Engh 2006, S. 161)

3.2 Das 4-C-Basismodell (Quelle: Engh 2006, S. 101)

3.3 Das Tool-Wheel des 4-C-Modells (Quelle: Engh 2006, S. 179)

3.4 Die wichtigsten Symbole der Toten Hosen: der skelettierte Bundesadler und der Totenkopf. Letzterer hier als Teil des Logos von JKP (Quelle: Cover der CD ,,Unsterblich“; www.jkp.de)

1 Einleitung

„Beruf: Musiker - verachtet, vergottert, vermarktet“ - dieser Titel von Salmens Sozial- geschichte des Musikerberufs fasst dessen Entwicklung treffend zusammen. Im Mittel- alter hatten lediglich die wenigen geistlichen Musiker einen festen, geachteten sozialen Platz in der Gesellschaftsordnung. Die ubrigen Musiker waren stark von ihrem Auftrag- gebern abhangig und mussten deren Wunsche mehr oder weniger unterwurfig erfullen. Die Rangordnung, der zumeist aufierhalb der Standesordnung lebenden Musiker be- stimmte sich unter anderem anhand der Sesshaftigkeit oder ganzlichen Unbehaust- heit, des Herkommens, des Bildungsstandes, des materiellen Besitzes, des Standes des Dienstherren, des Wirkungsortes, des angeeigneten Repertoires und des Spielgerates (vgl. Salmen 1997, S. 27 ff.). Der soziale Status der weltlichen sesshaften Musiker reichte von sozialen Aufienseitern bis zu den rechtlich Etablierten und Hochgeehrten. Die nicht sesshaften Musiker, die heute mit dem Begriff ,,Spielleute“ bezeichnet werden, gaben ein vielfaltiges Bild ab. Sie bestanden aus Theologiekundigen, Ritterburtigen, Handwerkerssohnen Scholaren und Bettlern und waren nicht nur soziale Aufienseiter, sondern auch ehr- und rechtlos. Von der Justiz wurden sie wie Strafienrauber, Morder und Asoziale behandelt (vgl. ebd., S. 36 f.).

In der Neuzeit trat das Ziel der Musiker, einer moglichst freien Musikausubung nach- zugehen, in den Vordergrund. Die Erftillung einer bestimmten musikalischen Funktion war weniger entscheidend. Verschiedene Emanzipierungsbestrebungen verfolgten das Ziel, den Musiker zu einem sozial unabhangigen Freischaffenden werden zu lassen. Er sollte seine Produktionen mbglichst urheberrechtlich geschutzt, von Kastenvorurtei- len und Patronage befreit, selbst vermarkten. Virtuosen bot die Neuzeit zunehmende Existenzgrundlagen. Ihre Bedeutung wuchs dank zunehmender Hofhaltung, dem auf Primadonnen und herausragende Sanger angewiesenen Opernbetrieb und der steigen- den Bedeutung des Konzerts, ,,das die Schau- und Horgeluste der Menge“ befriedigt (vgl. ebd., S. 44 ff.).

Sowohl im heutigen Bereich der klassischen als auch der populaaren Musik genie- fien einige Musiker die Bewunderung einer breiten Anhaangerschaft. Die kommerziel- le Auswertung ihrer Musik verschafft nicht nur den Musikern ein Einkommen, son­dern beschaftigt auch eine gesamte Industrie. Der Musiker ist nicht mehr nur Kunstler fur seine Rezipienten, sondern auch „Anlageverm5gen“ fur seinen Arbeitgeber. Dieser folgt dem Ziel der Gewinnmaximierung, muss also mit dem Produkt des Musikers den grbfitmoglichen Umsatz erzielen. In den letzten Jahren, als Folge von sinkenden Ge- winnen der Tontragerindustrie, entstand die Vorstellung, dass der Musiker als Marke definiert werden kann. Diese Vorstellung, die im folgenden Abschnitt naher erlautert wird, soll in dieser Arbeit am Beispiel von Rockmusikern erlaautert werden.

1.1 Der Musikmarkt im Umbruch

Der Musikmarkt, insbesondere der Tontragermarkt, befindet sich in einem enormen Umbruch. Der Tontragermarkt verzeichnet bereits seit einigen Jahren starke Um- satzeinbufien, fur die verschiedene Grunde angefuhrt werden. Beispielsweise wird die digitale Piraterie, also das Austauschen von digital gespeicherter Musik uber sog. Peer2Peer-Netzwerke im Internet, oft als der wichtigste Grund fur die Umsatzeinbufien genannt. Empirisch konnte bisher jedoch nicht der eindeutige Beweis erbracht werden, dass der digitale Musikkonsum uber das Internet die Umsatzeinbriiche verursacht hat. Ergebnis neuerer Studien ist sogar, dass die digitale Piraterie positiv auf den Ton- tragerabsatz wirkt (vgl. Engh 2006, S. 3).

Auch das sog. ,,Brennen“ von Tontragern auf CD-Rohlinge wird ebenfalls haufig als Grund fur die Marktveranderungen angefuhrt. Die Zahl der mit Musik kopierten Rohlinge ubertraf dabei im Jahre 2002 erstmals die Zahl der gekauften Tontrager (vgl. ebd., S. 3 f.).

In der Zeit zwischen 1983 und 1995 haben die Musikkonsumenten ihre Bestande an analogen Tontragern durch digitale ersetzt, wodurch die Musikindustrie ein starkes Wachstum verzeichnen konnte. Dieser Austausch der Tontrager ist mittlerweile abge- schlossen und der Markt digitaler Tontrager nahert sich der Sattigungsgrenze (vgl. ebd., S. 4).

Die Tontragerindustrie fokussiert ihre Aktivitaten auf eine junge Zielgruppe zwischen 14 und 29 Jahren. Der Anteil dieses Marktsegments am Gesamtumsatz reduzierte sich in nur drei Jahren von 46 auf 36 Prozent. Der Grund wird in verschiedenen empirischen Studien darin gesehen, dass insbesondere diese Zielgruppe Peer2Peer-Netzwerke nutzt (vgl. ebd., S. 4).

Der Musikmarkt ist in zahlreiche verschiedene Genres und Subgenres segmentiert, wodurch es fuar die Musikindustrie schwieriger wird, neue Musiktrends zu entdecken und auf diese zu reagieren. Aufierdem wird die Innovationsfaahigkeit bei Musiktrends durch die Konzentration der Musikindustrie auf ,,Superstars“ gehemmt. Starkes Markt- wachstum resultierte in der Vergangenheit oft aus neuen Musiktrends, wie z. B. dem Hip-Hop und dem Techno in den 1990er Jahren (vgl. ebd., S. 4).

Der Musikkonsum erfullt die Funktion der Identitatskonstruktion und kann zur Defi­nition der sozialen Position des Konsumten beitragen. Die Musikprodukte stehen heute jedoch einem starkeren Konkurrenzumfeld gegenuber und haben durch die steigende Popularitat von alternativen Konsum- und Freizeitangeboten (z. B. Mobiltelefone und Spielkonsolen) an Bedeutung verloren (vgl. ebd., S. 5).

Aufgrund dieser Probleme, mit denen die Tontragerindustrie konfrontiert ist, wird von einigen Autoren (Renner 2004 und insbesondere Engh 2006) empfohlen, dass die Tontraagerindustrie dazu uabergehen muss, auch die Musik auswertenden Maarkte zu bearbeiten. Unter diesen sog. Nebenmarkten werden alle Bereiche verstanden, die aus der Rechteverwertung des Musikinhalts und des Ktinstlerimages Erlose generie- ren und zudem das Kunstlerimage sowie die Kunstlerentwicklung beeinflussen (vgl. ebd., S. 7 f.). Die relevanten Nebenmarkte des Musikmarktes umfassen den Markt fur Live-Entertainment, den musikrelevanten TV-Markt, den Merchandising- wie auch den Sponsoringmarkt, den Markt fur Klingeltone und den Radio-Markt (vgl. ebd., S. 9).

Der Musikmanager Tim Renner definiert in diesem Zusammenhang den Musiker als Marke und fordert, dass sich die Industrie ,,endlich von der antiquierten Vorstellung“ verabschieden muss, lediglich Tontragerhersteller zu sein. „Ein moderner Musikkon- zern muss wie ein Markenentwickler arbeiten, weil Musiker heute nichts anderes sind als Marken, die man multipel auswerten kann.“ (Clark 2003, S. 13). Engh entwickelt auf Grundlage der Basisthese, dass der Popstar als Marke zu definieren ist, einen Bei- trag zur Analyse des Markenmanagements fur Musikangebote und ein Konzept zur Musikmarkenfuhrung (vgl. Engh 2006). Auf Grundlage seiner Erkenntnisse wird in dieser Arbeit der Rockmusiker als Marke betrachtet. In den folgenden Abschnitten wird der Markenbegriff erlautert, der Rockmusiker betrachtet und das Modell von Engh dargestellt. Diese Erkenntnisse werden an einem Fallbeispiel veranschaulicht und abschliefiend zusammengefasst.

1.2 Die Marke

Der Begriff ,,Marke“ wird aufierst vielfaltig definiert. Die verschiedenen Definitionen erklaren sich zum einen von der unterschiedlichen Herkunft der Wissenschaftler und Praktiker, die sich mit dem Begriff auseinandergesetzt haben, und zum anderen von der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Markenbegriffs (vgl. Baumgarth 2008, S. 1). So hat sich das Markenverstaandnis seit der Entwicklung des Markenartikelkonzeptes zu Beginn des 19. Jahrhunderts tiefgreifend geandert. Als Folge der Vereinheitlichung von Produktionsprozessen im Zuge der Massenproduktion, haben sich die objektiv be- wertbaren technischen Eigenschaften von Produkten zunehmend angeglichen. Durch diese Entwicklung kommt es zu einer ,,Entmaterialisierung des Konsums“ (Kroeber- Riel und Weinberg 1999, S. 127), da ,,Produkte weniger wegen ihres sachlichen und funktionalen Nutzens, sondern immer mehr wegen ihres immateriellen (und damit geftihlsmafiige Konsumerlebnisse vermittelnden) Nutzens gekauft werden.“ (Tromms- dorff 2004, S. 170 f.). Entsprechend ist es Ziel der Markenftahrung, die Produkte durch geftihlsmafiige Erlebnisse erfahrbar zu machen (vgl. ebd., S. 171).

Die Markendefinition von Keller, Aperia und Georgson (2008) soll auch in der vor- liegenden Arbeit Anwendung finden. Sie definieren eine Marke als ,,product but one that adds other dimensions that differentiate it in some way from other products de­signed to satisfy the same need.“ (ebd., S. 3, Hervorhebungen aus der Quelle). Die Unterschiede zu anderen Produkten konnen sowohl materieller Art sein und sich auf Produkteigenschaften beziehen, als auch symbolischer und emotionaler Art und sich eher auf das Markenimage beziehen. So konnen Marken sowohl Produkte, Dienstleis- tungen, Geschafte, Personen, Orte, Organisationen als auch Gedankenkonzepte (z. B. Unternehmensphilosophie) sein (vgl. ebd., S. 3). Diese Definition zieht also auch explizit Personen mit ein, sie ist also fur diese Arbeit gut geeignet.

Heute hat sich ein Markenverstandnis entwickelt, das die Marke insbesondere un- ter sozialpsychologischen Gesichtspunkten betrachtet. So wird die hohe Relevanz der Marke fur das Kaufverhalten auf ihre starke Identitat zurackgeftihrt. Eine profilierte Markenidentitat stellt sich dabei als die notwendige Voraussetzung fur die Entwick- lung und Festigung von Vertrauen dar, das wiederum Fundament fur eine langfristige Kundenbindung und Markentreue ist (vgl. Meffert und Burmann 1996, S. 13).

Meffert und Burmann definieren schliefilich die Markenidentitat als „[...] in sich wi- derspruchsfreie, geschlossene Ganzheit von Merkmalen einer Marke, die diese von an­deren Marken dauerhaft unterscheidet. Die Markenidentitat entsteht dabei erst in der wechselseitigen Beziehung zwischen internen und externen Bezugsgruppen und bringt die spezifische Personlichkeit einer Marke zum Ausdruck.“ (ebd., S. 31). Die Wechselsei- tigkeit wird durch das Bild, das die Markeninhaber von der Marke haben (Selbstbild) und das Bild, das die externen Bezugsgruppen von dieser haben (Fremdbild), zum Ausdruck gebracht. Insbesondere das Selbstbild der Marke kann von ihren Inhabern beeinflusst werden. Im Zentrum des Selbstbildes steht die Markenphilosophie, welche die ,,[...] Idee, den Inhalt und die zentralen Eigenschaften einer Marke in Form ei- nes plastischen Markenbildes festlegt.“ (vgl. ebd., S. 38) Das Markenimage, also das Fremdbild der Marke, resultiert aus allen von der Marke ausgesendeten Impulsen und wie diese von den externen Stakeholdern1 aufgenommen werden. Die Starke der Marke wird vor allem durch den Grad der Deckung von Fremd- und Selbstbild definiert.

2 Der Rockmusiker

In den 1950er Jahren waren die Tontragerproduzenten und die Musikverlage eng mit- einander verbunden. Die grofien Tontragerproduzenten waren stark von den Verlagen abhangig, sie bezogen die zu verbffentlichende Musik auf der Grundlage von Pauschal- vertragen von den Musikverlagen. Diese wurde von den bei den Tontragerproduzenten unter Vertrag stehenden Musikern produziert und als Tontraager vertrieben. In der Rockmusik wurde dieser eingespielte Produktionsprozess aufgebrochen, Rockmusiker tibernahmen nicht nur die Produktion der Musik, sondern auch deren Komposition und wurden als Rockstars zu Imagetragern. Diese Zusammenhange werden in den fol- genden Abschnitten detaillierter dargestellt.

2.1 Entstehung und Ideologie der Rockmusik

Bedingt durch den Zweiten Weltkrieg litt die Musikindustrie zu Beginn der 1940er Jah- re am Mangel an Schellack, was sie dazu zwang, das Geschaft mit den aus Schellack produzierten Schallplatten umzustellen. Die grofien Schallplattenproduzenten entschie- den sich dazu, lediglich die national verbreitete ,,Popular Music“ zu bedienen und die regional bedeutsamen Musikformen des ,,Country & Western“ und des ,,Rhythm & Blues“ den kleineren Produzenten zu uberlassen (vgl. Chapple und Garofolo 1980, S. 37). Mit dieser Fokussierung auf die Popular Music ging eine Auseinandersetzung zwischen den Radiosendern und den grofien Schallplattenunternehmen einher. Als Fol- ge boykottierten die Radiosender das Repertoire der grofien Schallplattenunternehmen und griffen auf das der kleinen Unternehmen zuriick. Dadurch gewann deren Repertoire von Country & Western und insbesondere Rhythm & Blues an Bedeutung (vgl. Wicke 1987a, S. 47).

Der Umstand, dass die Radiostationen zunehmend auf Rhythm & Blues und Coun­try & Western zuruckgriffen, war der wichtigste Faktor dafur, dass die weifien Zuhorer mit der schwarzen Musik in Kontakt kamen. Es war ausgeschlossen, die herrschende Rassentrennung im Radio durchzusetzen, daher war es nun auch weifien Jugendlichen moglich, den zuvor nur von Schwarzen gehorten Rhythm & Blues im Radio zu horen. Dies wirkte sich in der Folge auch auf die Plattenverkaufe aus: weifie Jugendliche began- nen schon 1952 Rhythm & Blues-Schallplatten zu kaufen. Dolphin Records verkundete im Mai 1952, dass 40% des Umsatzes mit weifien Kunden gemacht wurden, wenige Mo- nate zuvor war hingegen fast der gesamte Kundenstamm schwarz (vgl. Chapple und Garofolo 1980, S 39.).

Die verschiedenen Musikformen des Country & Western und insbesondere des Rhythm & Blues, die zuvor lediglich auf lokaler Ebene eine Rolle gespielt hatten, wurden in den 1950er Jahren mit dem Etikett ,,Rock’n’Roll“ versehen (vgl. Wicke 1987b, S. 59 und Wicke 1987a, S. 47). Unter dem Begriff wurden die funf verschiedenen Western Swing, Rockabilly, New Orleans Rock’n’Roll, Chicago Blues und der Rock’n’Roll der Vocal Groups subsumiert (vgl. Gillett 1975, S. 57). Auf die weitere Entwicklung des Rock’n’Roll soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden.

Als der Rock’n’Roll Mitte der 1950er Jahre aus den USA nach Grofibritannien kam, traf er dort auf andere Bedingungen des sozialen Umfeldes der Jugendlichen, wodurch sich auf Basis des amerikanischen Rock’n’Roll eine eigene Musikpraxis entwickelte. Zum einen herrschten im Grofibritannien der Nachkriegszeit starke soziale Gegensatze, durch die insbesondere Jugendliche der unteren sozialen Klassen oft keine Moaglichkeit eines sozialen Aufstiegs sahen. Aufierdem kampfte die britische Musikindustrie gegen die Importe aus den USA an, um den durch diese zunehmenden Wettbewerb zu verhin- dern. Die britische Musikindustrie ignorierte zunachst die Begeisterung der britischen Jugend fur die aus den USA stammende Musik und versuchte lediglich mit einer eige- nen Version die Nachfrage zu befriedigen (vgl. Wicke 1987a, S. 61 ff.). Diese britische Variante des Rock’n’Roll, die beiden wichtigsten Vertreter waren Tommy Steele und Cliff Richard, entstand aus dem Kontext des Entertainments. Die Musikindustrie ver­suchte, wie im Genre der Popular Music, die Wtinsche des Publikums zu erfullen. Die Musiker dieser Zeit sahen keinen Widerspruch in ihrer Kunst und ihrem kommerziellen Erfolg (vgl. Frith 1981, S. 186). Dieser Version des Rock’n’Roll fehlte es jedoch an den wilden und larmenden Elementen, die die Musik fur Jugendliche so anziehend machten. Dass die Musikindustrie nicht entsprechend auf die Begeisterung der Jugendlichen fur den urwuchsigen Rock’n’Roll reagierte, war die hauptsachliche Ursache dafur, dass die zahlreichen Amateurbands, die sich urspritnglich der Skiffle-Musik verschrieben hatten, gegen 1958 dazu ubergingen, die amerikanische Musik nachzuspielen (vgl. Wicke 1987a, S. 61 ff.).

Im Laufe der Zeit entwickelten diese Bands ihr „[... ] eigenstandiges Spielkonzept, da schon beim direkten Nachspiel der amerikanischen Rock’n’Roll-Vorlagen vor allem aus handwerklichen Griinden nur der rhythmische und melodische Rahmen ubernommen wurde, den die jugendlichen Amateurmusikanten dann mit eigenen, ihren spieltechni- schen Voraussetzungen entsprechenden instrumentalen Begleitfloskeln ausfullten.“ (vgl. ebd., S. 67). Da die jugendlichen Amateurmusiker demnach mit begrenzten musikhand- werklichen Fahigkeiten ausgestattet waren, modifizierten sie die aus den USA impor- tierte Musik. Bei dieser britischen ,,Beatmusik“ standen die rhythmischen Grundschlage und ihre Unterteilungen in Achteln im Vordergrund. Die Gitarren unterteilen sich in Rhythmusgitarre, mit der die Harmonien gespielt wurde, und in Melodiegitarre, die den Gesang stutzte. Die Bassgitarre spielte in einfacher Form die Grundtone (vgl. ebd., S. 67).

In den USA war der Rock’n’Roll ein neues Produkt, das uber die eingefahrenen Produktions- und Vertriebsformen fur die jugendlichen Konsumenten produziert und vertrieben wurde. In Grofibritannien wurde die Musik hingegen zunachst aufierhalb der kommerziellen Zusammenhange der Musikindustrie konsumiert. Anfang der 1960er Jahre konnten sich die britischen Plattenfirmen der Stilrichtung Beatmusik nicht mehr verschliefien und begannen auf diese Bewegung zu reagieren. Dies konnte jedoch nicht mit den ublichen Produktions- und Vertriebsmethoden geschehen. In den Musikgrup- pen der jugendlichen Amateurmusiker gab es keine personelle Trennung von Texter, Komponist, Arrangeur und Interpret. Das Musizieren fand nicht mehr in dem in Ka- pitel 2 auf Seite 4 beschriebenen zerteilten Produktionsprozess statt, den die Musik­industrie kalkulieren und kontrollieren konnte. Die britische Beatmusik war daruber hinaus in den Lebensstil und den Alltag der Jugendlichen eingebunden, so dass die blofie Unterhaltung kein ausreichendes Verkaufsargument mehr darstellte und somit anders vermarktet werden musste als die Popmusik (vgl. ebd., S. 65).

Die Rockmusik erhielt schliefilich - nicht zuletzt durch den Ubertritt von Bob Dylan von der Folkmusik zur Rockmusik - auch eine politische Dimension, die das Selbst- verstandnis der Rockmusiker pragte. Als Interpret von Folksongs startete Bob Dylan 1961 seine musikalische Karriere, engagierte sich ab 1962 fur die amerikanische Burger- rechtsbewegung gegen die Rassentrennung und wurde schliefilich zur ,,Symbolfigur des Protests gegen den amerikanischen Kapitalismus“ (Wicke 1987b, S. 143). Beim New­port Folk Festival 1965 verstarkte Dylan seine Gitarre elektrisch und wurde von rocki- gen Rhythmen seiner Band begleitet, was mit Buhrufen und Pfiffen seines Publikums kommentiert wurde. Dem Ubertritt zur Rockmusik folgten viele politisch engagierte Folkmusiker, wodurch die Rockmusik eine zunehmend politische Note erhielt, aus der sich eine radikale Kritik am Kapitalismus entwickelte (vgl. ebd., S. 143 ff.).

In der zweiten Halfte der 1960er Jahre wurde der Umgang mit der Rockmusik von Kunstlern und Konsumenten bewusster. Die Beatles veraffentlichten 1967 ihr Kon- zeptalbum ,,Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, das sich durch hintergriindige Texte auszeichnet. Mit ,,Revolution“ sangen die Beatles 1968 den ersten Rocksong, dessen Text sich mit einer politischen Botschaft aufierte (vgl. ebd., S. 131 ff.). Sowohl in den USA als auch in Grofibritannien unterschied man fortan zwischen Rockmusik als Unterhaltung und Rockmusik als Kunst. Sie hatte sich zu eeiner komplexen mu- sikalischen Form entwickelt. Ihre Musik ermoglichte den Musikern, ihre Personlichkeit auszudruacken und so verbot es sich, sie den Mechanismen des Marktes unterzuord- nen (vgl. Frith 1981, S. 188). Die Rockmusiker wollten nicht nur den Musikmarkt mit kommerziellen Produkten beliefern, sondern verfolgten nun auch kuanstlerische und po- litische Ambitionen. Die Rockmusiker entfernten sich in ihrem Selbstverstaandnis von ihrer Tatigkeit als Musiker. Sie losten sich aus den Zusammenhangen, in denen ihre Musik entstanden war und es entstand bei den Rockmusikern ein Widerspruch zwi- schen ihrem kuanstlerischen Anspruch und dem Wunsch, die Konsumenten mit einer bestimmten Ware zu versorgen (vgl. Wicke 1987b, S. 131 ff und Frith 1981, S. 189). Die Rockmusik galt nun als ,,progressiv“. So bezeichneten Musiker, Journalisten und Fans die Musik, die sich mit ihren politischen und kuanstlerischen Anspruachen von der kommerziellen Belieferung des Musikmarktes unterschied (vgl. Wicke 1987b, S. 133).

Moaglich wurde dieses neue Selbstverstaandnis der Musiker durch die steigende Be- deutung der Arbeit im Tonstudio. Die Musiker verstanden sich ihrer Tradition ent- sprechend zuvor vor allem als Live-Musiker und die Schallplattenproduktion lediglich als Mittel, ihre Musik fur den Musikmarkt zu reproduzieren. Die Studio- und Auf- nahmetechnik wurde zunehmend besser und die Rockmusiker hatten mehr Zeit und Geld, sich mit dieser auseinander zu setzen. Die Schallplatte gewann aufierdem zuneh- mend an Bedeutung, wodurch die Interpreten ihrer Musik vermehrt mit Schallplatten- produktionen Ausdruck verleihen konnten. Solange sie Platten produzierten, die ihre Produzenten auch verkaufen konnten, war es den Musikern moglich, ihren eigenen mu- sikalischen Vorstellungen zu folgen und sich gar von den kommerziellen Interessen zu distanzieren (vgl. Frith 1981, S. 189 ff.). Diese kunstlerischen Ambitionen fanden in den Konsumenten ein Publikum, das sich mit der Ideologie der Rockmusiker identifizierte und ,,lieber Kunst ,geniefien‘ als Pop konsumieren wollte“ (ebd., S. 190).

Durch die Ubermittlung einer politischen Botschaft wurde die Rockmusik als ein Gemeinschaft bildendes Element einer den Kapitalismus kritisierenden Generation ge- sehen. Mit diesem Anspruch, politische Botschaften zu ubermitteln, konnte sich die Rockmusik davor bewahren ,,eine konfektionierte Massenware nach dem Mafi des Hit- paradenpop“ (Wicke 1987b, S. 150) zu werden. Die kommerziellen Erfolge der „pro- gressiven“ Rockmusik konnten nun auch mit dem hohen kuonstlerischen Anspruch der Rockmusiker verbunden werden. Da die Rockmusik nun die Funktion hatte, fur die Rockgemeinschaft eine Gemeinschaftserfahrung darzustellen, konnte der kommerzielle Erfolg als Ausdruck dieser Gemeinschaft interpretiert werden (vgl. ebd., S. 149 ff.).

Peter Wicke weist auf die der Ideologie der Rockmusik ,,immanente Zirkelschlus- sigkeit“ hin. Denn die Rockmusik sei nun als Ausdruck einer Gemeinschaft interpre­tiert worden, die die Rockmusik aber erst durch ihren kommerziellen Erfolg hergestellt habe (vgl. ebd., S. 151). ,,Rockmusik, die, ohne Kompromisse einzugehen, nur den personlichen Vorstellungen der Musiker folgt und deshalb ,authentisch‘ ist, galt als Spiegel von Erfahrungen, die allen Jugendlichen gemeinsam sind, sofern sie kommer- ziell erfolgreich war.“ (ebd., S. 151; vgl. auch Frith 1981, S. 58). Die paradoxe Ar­gumentation, dass mit einer Musik eine Gemeinschaft geschaffen wird, die sich durch die Individualitat des Musikers prasentiert, stellt die Grundlage der Rockideologie dar. Sie bildet die Grundlage fur das Selbstverstandnis des Musikers, seine Rolle in der Gesellschaft, und sein Verhaltnis zum Publikum. In den 1960er Jahren stand dabei das politische Selbstverstandnis der Musiker im Fokus, woraus sich der Anspruch be- grundet, gesellschaftlich relevante Musik zu produzieren (vgl. Wicke 1987b, S. 150 f.).

Obwohl in der Rockideologie der Gedanke verankert ist, dass die Musik eine Gemein­schaft, bestehend aus Musikern und Rezipienten schafft, die die gleichen Erfahrungen teilen, weist Frith darauf hin, dass sich die Rockmusiker aus ihrem klassenspezifischen Hintergrund gelost haben. Besonders auffallig war, dass die britischen Rockmusiker der 1960er Jahre oft eine Kunstschule besuchten. Die Kunstschulen waren zu dieser Zeit Institutionen, an denen sich Kinder der Arbeiterklasse einfanden, die zwar aus ihrer sozialen Klasse ausbrechen wollten, aber nicht uber ,,die Fahigkeiten oder den Ehrgeiz flir einen Aufstieg in der Leistungsgesellschaft“ verfugten. Ebenso trafen sich hier Ju- gendliche der Mittelschicht, die mit ihrem Leben unzufrieden waren. Dieser Weg zum Rockmusiker uber die Kunstschulen verweise laut Frith auf zwei Aspekte, die zeigen,

[...]


1 Mit Stakeholder werden in der Wirtschaft Anspruchsguppen bezeichnet - Einzelpersonen oder ju- ristische Personen, die ein Interesse an der Tatigkeit eines Unternehmens oder Organisation haben. Es kann sich hierbei um Mitarbeiter, Kunden, Geschaftspartner, ortliche Gemeinden etc. handeln.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Der Rockmusiker als Marke
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
34
Katalognummer
V156251
ISBN (eBook)
9783640685295
ISBN (Buch)
9783640685448
Dateigröße
995 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rockmusik, Popmusik, Musikindustrie, Tonträgerindustrie, Tonträger, Vermarktung, Musikmarketing, Marketing, Marke, Markenverständnis, Markenidentität, Toten Hosen, Punk, Tote Hosen, Tote, Hosen, Punkrock
Arbeit zitieren
Dipl.- Kfm. Matthias Lehmann (Autor:in), 2010, Der Rockmusiker als Marke, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/156251

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