„Das Wort hat der Herr Bundeskanzler/die Frau Bundeskanzlerin“ – mit dieser standardisierten Formulierung, die seit der ersten Regierungserklärung von KONRAD ADENAUER im Jahr 1949 unverändert blieb, erteilt der Bundestagspräsident im Plenum des Deutschen Bundestags dem neugewählten Bundeskanzler1 das Wort. Nach seiner offiziellen Amtsaufnahme tritt der Regierungschef an das Rednerpult und verliest seine Regierungserklärung vor dem vollbesetzten Bundestag. Neben sämtlichen Bundestagsabgeordneten sind ebenso alle wichtigen Medienvertreter vor Ort, damit die nun folgende Rede live im Fernsehen übertragen und am nächsten Tag in den Zeitungen kommentiert werden kann. Was der Bundeskanzler in den kommenden Minuten zur geplanten Regierungspolitik sagen wird, wird in erheblichem Maße die vor ihm liegende Legislaturperiode bestimmen. Kaum eine politische Rede des Kanzlers erringt deshalb mehr Aufmerksamkeit. „Regierungserklärungen werden hierzulande wie Evangelien angekündigt, und das Publikum wird darauf eingestimmt, den Propheten eines neuen Zeitalters zu hören“2, schrieb 1998 ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung als Reaktion auf die damalige Regierungserklärung von GERHARD SCHRÖDER. Wird die Antrittsrede den hohen Erwartungen der Bundestagsabgeordneten, der Medien, der Bürger und dem Ausland entsprechen? Jede einzelne Formulierung dieser Rede wird im Nachhinein analysiert und beurteilt werden. Die Regierungsarbeit der nächsten vier Jahre wird an dieser ersten Erklärung, die auch als „Visitenkarte der Regierung“3 bezeichnet wird, gemessen und noch Jahrzehnte später wird man sich ausgewählter Passagen erinnern. Die Wortwahl dieser Rede wird demzufolge mit besonderer Bedachtsamkeit abgestimmt. Obwohl die Regierungserklärung nicht allein der Feder des Bundeskanzlers entstammt, kann sie doch als Zeugnis politischer Sprache gelten, deren Analyse Gegenstand dieser Staatsexamensarbeit sein wird. Gleichwohl die Regierungserklärung zu den wichtigsten Textsorten der politischen Sprache zählt, ist eine sprachwissenschaftliche Untersuchung mehrerer Antrittsreden im Vergleich bisher nur unzureichend vorgenommen worden. Als Teil eines Grenzgebiets zwischen der Politikwissenschaft und der Germanistik finden sich entsprechende Publikationen in beiden Disziplinen.
Inhaltsverzeichnis
- DIE BEDEUTUNG DER REGIERUNGSERKLÄRUNG IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
- Was ist eine „Große Regierungserklärung“?
- Die politische Aufgabe einer Großen Regierungserklärung
- Die Textsorte „Regierungserklärung“
- DIE ANALYSE DER REDEFUNKTIONEN EINER GROßEN REGIERUNGSERKLÄRUNG
- Die Redefunktion des Informierens
- Die Bedeutung in der Großen Regierungserklärung
- Die sprachliche Ausgestaltung
- Berichtstil
- Angabe von Statistiken, Zahlen und Prozenten
- Bewertungen des gegenwärtigen Zustands
- Phrasen zu vordringlichen Problemen
- Argumentationsweise
- Aufzählungen
- Ansprechen einzelner Ressorts
- Programmatische Vorhaben im Futur und mittels Sprechaktverben
- Zusammenfassung
- Der Umfang in den Großen Regierungserklärungen
- Die Redefunktion des Solidarisierens und Integrierens
- Die Bedeutung in der Großen Regierungserklärung
- Die sprachliche Ausgestaltung
- Solidarisieren und Integrieren durch die 1. Person Plural
- Inkludierendes Vokabular
- Berufung auf Elemente der Verfassungsordnung
- Beschwören gemeinsamer Werte, Tugenden und Eigenschaften
- Phrasen zur deutschen Einheit
- Zusammenfassung
- Der Umfang in den Großen Regierungserklärungen
- Die Redefunktion der Selbstdarstellung und Imagepflege
- Die Bedeutung in der Großen Regierungserklärung
- Die sprachliche Ausgestaltung
- Formulierungen zur positiven Selbstdarstellung
- Phrasen zur negativen Darstellung des politischen Gegners
- Zitate
- Rhetorische Figuren
- Schlagwörter
- Zusammenfassung
- Der Umfang in den Großen Regierungserklärungen
- Analyse der sprachlichen Mittel, die zur Erfüllung der verschiedenen Redefunktionen eingesetzt werden.
- Untersuchung der Bedeutung der Regierungserklärung als politische Textsorte im Kontext der deutschen Geschichte.
- Vergleich der Redefunktionen und sprachlichen Strategien der verschiedenen Bundeskanzler.
- Analyse der Rolle der Regierungserklärung in der medialen und öffentlichen Wahrnehmung.
- Bewertung der Wirkung der Regierungserklärung auf die politische Agenda und die öffentliche Meinung.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese wissenschaftliche Hausarbeit analysiert die Redefunktionen in den Regierungserklärungen zum Amtsantritt der deutschen Bundeskanzler von 1949 bis 2005. Der Fokus liegt auf der Untersuchung, wie die Kanzler die Sprache der Regierungserklärung nutzen, um zu informieren, zu integrieren und ihr eigenes Image zu pflegen.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in die Bedeutung der Regierungserklärung in der Bundesrepublik Deutschland. Sie beleuchtet die Funktion der Regierungserklärung als politisches Statement und als Mittel der Kommunikation zwischen Regierung und Volk. Es werden wichtige Textsortenmerkmale der Regierungserklärungen vorgestellt, wie z.B. die spezifische Rhetorik und die Verwendung von sprachlichen Stilmitteln.
Das Hauptkapitel der Arbeit beschäftigt sich mit der Analyse der Redefunktionen in den Regierungserklärungen. Es werden drei Hauptfunktionen herausgearbeitet: die Funktion des Informierens, die Funktion des Solidarisierens und Integrierens sowie die Funktion der Selbstdarstellung und Imagepflege. Für jede Funktion werden die sprachlichen Mittel und rhetorischen Strategien untersucht, die von den Kanzlern eingesetzt werden. Die Analyse umfasst Aspekte wie den Berichtstil, die Verwendung von Statistiken und Zahlen, die Bewertungsstrategie, die Argumentationsweise, die Verwendung von Sprechaktverben sowie die Verwendung von inklusiven Vokabeln und Phrasen zur deutschen Einheit.
Schlüsselwörter
Regierungserklärung, Redefunktionen, politische Sprache, Textsorte, sprachliche Analyse, Rhetorik, Information, Integration, Selbstdarstellung, Imagepflege, Bundeskanzler, Bundesrepublik Deutschland, Medien, öffentliche Meinung.
- Arbeit zitieren
- Nadin Gabriel (Autor:in), 2008, Das Wort hat der Herr Bundeskanzler / die Frau Bundeskanzlerin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/156311