Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.) Hinführung zum Thema
2.) Lessing und die Religion
2.1.) Lessings Beschäftigung mit der Thematik
2.2.) Der Goeze- Streit als Grundlage des „Nathan“
2.3.) Lessings Auffassung von Religion
3.) Das Drama „Nathan der Weise“ im religiösen Kontext
3.1.) Darstellung der drei Religionen
3.1.1.) Der Islam und das Judentum
3.1.2.) Das Christentum
3.2.) Lessings theologische Aufklärungsarbeit
3.3.) Die Ringparabel
3.4.) „Ergebenheit in Gott“
3.5.) Das Dramenende
4.) Die Aufklärung der Religion – eine Religion der Aufklärung: Die Vision einer Humanitätsreligion
5.) Resümee
6.) Literatur- und Quellenverzeichnis
1.) Hinführung zum Thema
Gotthold Ephraim Lessings Spätwerk Nathan der Weise gilt als unumgängliche Pflichtlektüre aufklärerischer Textproduktion. Es handelt sich um ein dramatisches Gedicht, welches das Verhältnis zwischen den drei Weltreligionen thematisiert. Das Stück hat in den zwei Jahrhunderten seit seinem ersten Erscheinen 1779 nicht zuletzt wegen den darin angesprochenen religiösen Aspekten manche Diskussion angeregt und es ist sicher kein Zufall, dass dieses Werk von den Nationalsozialisten genauso rigoros abgelehnt wurde, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg quasi als kompensatorische Gegenreaktion auf allen wichtigen Bühnen gespielt wurde. In dieser thematischen Brisanz liegt auch seine noch heutige Aktualität.
In dieser Arbeit gilt es nun, die Rolle, Funktion und Präsenz der Religion im genannten Werk und Leben Lessings zu untersuchen. Erklärtes Ziel ist es zu zeigen, dass nicht nur die augenscheinliche Thematik, sondern auch das gesamte Stück in seinem Ursprung, Aufbau und seiner Form religiös bestimmt ist und damit unter anderem der Zusammenführung von Vernunft und Religion, sowie der Ausbildung einer aufgeklärten humanitären Praxis dient. Die Aufdeckung dieser Forderungen wird angestrebt.
Zu diesem Zweck gliedert sich die Arbeit in einzelne Bearbeitungsschwerpunkte. Der erste Abschnitt widmet sich der Person Lessings. Sein Interesse und seine Position bezüglich der religiösen Thematik finden hier eine Darstellung. Des Weiteren wird der Goeze- Streit näher beleuchtet und in Zusammenhang mit dem Nathan gebracht. Im zweiten Abschnitt richtet sich der Fokus auf das Drama selbst. Hierbei erfolgt eine Illustration der drei Religionen und ihrer jeweiligen, zum Teil konträr angelegten, Vertreter im Stück. Auch die allseits bekannte Ringparabel wird einer Betrachtung unter dem genannten Schwerpunkt unterworfen. Ein wesentliches Element dieses Abschnittes bildet die Analyse Lessings theologischer Aufklärungsarbeit im Drama. Im letzten Kapitel werden Lessings Visionen bezüglich einer Humanitätsreligion veranschaulicht.
Es existieren unzählige Forschungen und fachwissenschaftliche Auseinandersetzungen bezüglich Lessings Werk Nathan der Weise. Aufgrund dessen stellte die Literaturrecherche keine Hindernisse dar. Die Forschungsliteratur entstammt jedoch meist zurückliegenden Jahrzehnten, sodass eine absolut aktuelle Darstellung neuer Erkenntnisse eher schwierig ist. Die dargestellten Ergebnisse in dieser Arbeit bieten dennoch bezüglich der Thematik viele fundierte Ansätze, welche im Laufe der Zeit nicht unbedingt an Aktualität eingebüßt haben.
2.) Lessing und die Religion
Lessings Interesse an Religion wird bei einer Betrachtung seines Lebenswerkes deutlich. Nicht erst im Nathan greift er den Stoffkreis der Religion und der mit ihr verbundenen Probleme auf. Schon in Die Juden nimmt Lessing bezüglich der Situation der Juden zur damaligen Zeit Stellung. Auch außerhalb der Werke hat das Thema der Religionen und die damit verbundene Toleranzfrage sein Leben bestimmt.
Es gilt nun darzustellen, inwieweit das Interesse an Religion Lessings Leben ergriff, welcher Zusammenhang zwischen dem Goeze- Streit und Nathan dem Weisen besteht und inwieweit Lessing eine Zuordnung seiner selbst zur Religionsfrage vornimmt bzw. erlaubt.
2.1.) Lessings Beschäftigung mit der Thematik
Lessings religiöses Denken und Handeln entstammt einer fundierten Auseinandersetzung mit diesbezüglichen Fragen und Diskursen seiner Zeit. Besonders in späteren Jahren seines Lebens befasste sich Lessing intensiv und kenntnisreich mit spezifischen theologischen Problemen und somit dem hier anstehenden Stoffkreis. Er wurde von dem Bemühen geleitet, sich ein konkretes Wissen über andere Religionen zu erwerben. In dieser Rolle als Forscher verschiedener Quellen ist er immer der „Tradition der Toleranzforderung in den drei Buchreligionen [...] nachgegangen“.[1]
Ein besonderer Fokus seiner Aufmerksamkeit liegt auf dem Christentum und dessen theoretisch- theologischer Durchdringung, sowie praktischen Lebensgestaltung.[2] Neben dieser, für Lessing direkt erfahrbaren, Offenbarungslehre interessiert er sich ebenso für das Judentum und den Islam. Sein langjähriger Freund und Schachpartner Moses Mendelssohn, ein Jude, stellte eine direkte Verbindung zum jüdischen Glauben und dessen Hintergründe dar. Der Islam war im 18. Jahrhundert weniger bekannt. Lange galt der Islam als Feindbild und moralisch minderwertig aufgrund der Vielehe. Mohammed sah man als Instrumentarium des Bösen. Allmählich kam es jedoch zu einer etablierenden Orientalistik. Man begann den Koran als Religionsurkunde wahrzunehmen.[3] Lessing nutzte die entstandenen zeitgenössischen Quellen zu dieser Thematik, um beispielsweise den Charakter des Sultan Saladin zu bilden. Die allgemeine gesellschaftliche und wissenschaftliche Aufwertung des Korans nahm Lessing auf und schuf das Bild eines muselmännischen Herrschers, welcher als Mensch auf dem Thron erscheint.
2.2.) Der Goeze- Streit als Grundlage des Nathan
Somit prägten die zeitgenössischen religiösen Diskurse Lessings Interesse und Beschäftigung mit den Offenbahrungsreligionen. Wie bereits erwähnt galt ein besonderer Schwerpunkt seiner Aufmerksamkeit dem Christentum. Ganz im Sinne der Aufklärung setzte er sich kritisch mit diesem auseinander. Die Aufklärung wird als unaufhörliches kritisches Gespräch mit dem Christentum gewertet. Der Höhepunkt Lessings kritischer christlicher bzw. kirchlicher Opposition bildete die Veröffentlichung der Fragmente eines Ungenannten[4]. Diese Schriften zogen den Zorn der Kirche und besonders des Hamburger Hauptpastors Goeze auf sich. Zwischen Lessing und Goeze entfachte ein Streit, welchen der Hauptpastor in Abgeschiedenheit und innerhalb der theologischen Fachwelt, dementsprechend auf Latein, führen wollte.[5] Lessing jedoch bevorzugte es bewusst vor einem Publikum, auch vor einem nicht theologisch gebildeten, zu diskutieren. Nach elf, von Lessing verfassten, Anti- Goeze- Schriften erfolgte die Aufhebung der Zensurfreiheit. Die Wahrheit, sowie die Legitimation und Wahrheit der Religionen standen im Zentrum des Streitgespräches.[6] Lessing wurde „die Feder gewaltsam aus der Hand genommen“[7] und bezüglich religiöser Diskurse der Mund verboten. Nach Abbruch des Streites scheint er zum Schweigen verurteilt. Doch einen Monat nach Entzug der Zensurfreiheit und des Publikationsverbots für theologische Schriften, datiert Lessing die Ankündigung zum „Nathan“.[8] Nach dem Verbot jeder weiteren Äußerung im Fragmentenstreit schreibt er an Elise Reimarus: „Ich muss versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater, wenigstens noch ungestört will predigen lassen.“[9]. Er transponiert demnach die Auseinandersetzung in das Medium der Poesie und zwingt so „zu Distanzierung und Objektivierung“[10]. Er versteht das Stück nun als Fortsetzung des Streits mit andern Behelfen.[11] Lessing wechselt also von der Kanzel zur Bühne, welche „dadurch selbst zur Kanzel wird und somit theologisches Gewicht erhält“[12]. Er verlagert die Auseinandersetzung auf eine höhere Ebene. Es interessiert nicht mehr der „kleinliche Konflikt zwischen dem orthodoxen Hauptpastor und dem aufgeklärten Schriftsteller [...], sondern das dramatische Gespräch zwischen den drei Weltreligionen“[13]. Dieses Gespräch wird nicht in einen beliebigen poetischen Zeit- Raum eingeführt, sondern an einen Ort, der die Fantasie der Zuschauer ergreift – Jerusalem als heiligste Stadt der drei Religionen zur Zeit der Kreuzzüge und Judenverfolgung.[14] Zeitlich ist das Stück im 12. Jahrhundert mitten im dritten Kreuzzug angesiedelt. Diese zeitlich räumliche Entrücktheit und orientalische Atmosphäre dienen der bereits erwähnten bewussten Objektivierung und Distanzierung.
Zu erkennen ist anhand dieses Goeze- Streits, dass schon der Anlass zum Verfassen von Nathan der Weise religiös bestimmt war. Der Streit dient als Ausgangspunkt. Dementsprechend ist der religiöse Stellenwert und Faktor des Werkes bereits im Anfangsstadium der Textproduktion immens
[...]
[1] Fick, Monika: Lessing Handbuch. Leben- Werk- Wirkung. 2.Auflage. Stuttgart/ Weimar: Metzler 2004. S.403.
[2] Vgl. Schilson, Arno: Lessings Christentum. Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 1980. S.10.
[3] Vgl. Fick: Lessing Handbuch, S.404.
[4] Diese Fragmente stellten die Bibel und ihren Wahrheitsanspruch stark in Frage. (Anm. d. Verf.)
[5] Vgl. Schilson, Arno: „...auf meiner alten Kanzel, dem Theater“. Über Religion und Theater bei Gotthold Ephraim Lessing. Göttingen: Wallstein 1997. S.5.
[6] Vgl. ebd., S.10.
[7] Ebd., S.7.
[8] Vgl. ebd., S.7.
[9] Kaiser, Gerhard: Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm und Drang. 5.Auflage. München: Francke 1996. S.133. (Zitat Lessings aus einem Briefkontakt mit Elise Reimarus)
[10] Fick: Lessing Handbuch, S.403.
[11] Vgl. ebd., S.402.
[12] Schilson: „...auf meiner alten Kanzel, dem Theater“, S.10.
[13] Küng, Hans: Religion im Prozess der Aufklärung. In: Jens, Walter; Küng, Hans: Dichtung und Religion. München, Zürich: Serie Piper 1992. S.82- 101. S. 92.
[14] Vgl. ebd., S.92.