Ornamentale Strukturen in der Literatur am Beispiel von Anton Tschechovs ,,Der Dicke und der Dünne"


Seminararbeit, 2008

11 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Themendarstellung und Vorstellung der behandelten Aspekte

2 Figurenkonstellation und körperliche Kontraste- eine erste PersonenÄquivalenz

3 Die soziale Opposition - ein Bruch mit der bisher scheinbar existierenden Similarität

4 Die Jugendzeit- ontogenetische Vertiefung derÄquivalenzen

5 ,, Der Dicke und der Dünne´´´Ein Beispiel für eineÄquivalenz von Personen- Resümee Literaturverzeichnis

1 Themendarstellung und Vorstellung der zu behandelnden Aspekte

Anton Tschechow( geb. Januar 1860 Taganrog; gest. Juli 1904 Badenweiler) wird in der heutigen Zeit meist nur noch mit Dramen wie ,, Die Möwe´´ , ,,Der Kirschgarten´´ oder ,, Onkel Wanja ´´ in Verbindung gebracht, hierbei wird meist vergessen das die Anfänge seines Literarischen Schaffens in das Genre der Prosa zu integrieren sind, welche besonders bekannt für ihre subtilen Stimmungs und Milieudarstellungen sind. Auf tragikomische Weise pointiert er somit die Vergänglichkeit des russischen Kleinadels, sowie die Banalität des Provinzlebens.

Tschechow entwickelte die Darstellungsweise der ,, indirekten Handlung´´, er verlagerte somit das Zentrum seiner Geschichte weg von der eigentlichen, spärlichen Handlung, hin zu einer gegenüber und nebeneinander Stellung der Charaktere.

Die meisten Literaturwissenschaftler zählen Anton Tschechow zu den russischen Realisten, dennoch zeichnen sich in seinen Werken Tendenzen ab, die auf einen europäischen Impressionismus und Symbolismus deuten.

Tschechows Prosadichtung kennzeichnete sich durch eine Vielzahl ornamentaler Erzählstrukuturen, die mittels Similaritäten, Oppostionen, Äquivalenzen und anderer Wiederholungskonstrukte formiert werden.

Meiner Meinung nach stellt ,, Der Dicke und der Dünne´´ ein besonders bemerkenswertes Beispiel für Tschechows ornamentales Erzählen dar. Signifikant ist hierbei die Gegenüberstellung zweier Personen, welche sogleich einen Kontrast zwischen Similarität und Opposition darstellen und somit ein ausgesprochen kontrastives Textgewebe erzeugen.

Ziel meiner Hausarbeit ist es, die ornamentalen Erzählstrukturen in Tschechows ,, Der Dicke und der Dünne´´ zu analysieren, sowie anhand von fundierten Beispielen und Textbelegen eine Rekonstruktion des Textgewebes vorzunehmen, welche ich durch die Betrachtung verschiedener Aspekte und Geschehensmomente stringend verfolgen werde.

Besonders kennzeichnent für ,, Der Dicke und der Dünne´´ sind die stereotypischen Formulierungen, die Demonstration der gestörten Kommunikation zwischen den Interakteuren und der spiegelbildliche Aufbau des Textgewebes. Die ornamentalen Erzählstrukturen erzeugen im Leser einen ständigen Wechsel zwischen Spannung und Humor, welches als ein weiteres Merkmal für die Vielschichtigkeit dieses Konstruktes ist und auf das aneinander flechten der der verschiedenen narrativen Mittel deutet.

In Verlauf meiner Analyse werde ich mich besonders auf körperliche Kontraste, Figurenkonstellation , soziale Oppositionen und den Wechsel zwischen scheinbarer Similarität und dem Bruch durch die sich heraus kristalisierende Opposition konzentrieren.

2 Figurenkonstellation und Körperliche Kontraste - Eine erste Personen Äquivalenz

Bereits der Titel ,, Der Dicke und der Dünne´´ deutet darauf hin das die ornamentalen Strukturen dieser Geschichte durch ein Gegenspiel zwischen formaler (phonischer und grammatischer) Similarität und semantischen Opposition modelliert werden.

Der körperliche Kontrast zwischen dem Dicken und dem Dünnen kündigt eine Gleich- und Gegenüberstellung der beiden Figuren im Verlauf der Handlung an. Der von Tschechow thematisierte Aspekt der Ähnlichkeit und des Kontrastes weist deutlich die Struktur einer ornamental erzählten Geschichte auf. Nicht nur der Titel verweist auf die unterschiedlichen körperlichen Beschaffenheiten, auch eine spätere Beschreibung der Familie des Dünnen indiziert einen Kontrast der beiden Interaktionspartner :

,,Hinter seinem Rücken schaute eine hagere Frau mit einem langen Kinn hervor - seine Ehefrau - und ein langer Gymnasiast mit einem zusammengekniffenen Auge - sein Sohn. ´´1

Dem Dicken steht als Äquivalenz nicht nur der Dünne, sondern dessen ganze Familie, welche die Merkmale des Dünnen gerneralisiert hat, gegenüber. Eine bildliche Darstellung dieses ornamentalen Erzählmusters würde eine Darstellung ergeben, in der sich zwei vollkommen unterschiedlich gebaute und konstruierte Figurenblöcke / Figurenfronten gegen überstünden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Trotz dass dem Dicken, der ganz allein auftritt, eine ganze Familie gegenüber steht, wirkt er einnehmender und mächtiger als diese. Das sich am Anfang durch eine detaillierte Beschreibung der Körperbauten formierende Ornament kann bereits als Symbol für den sozialen Status der beiden Schulfreunde angesehen werden2. Der Dicke hat eine höhere Postion und somit auch ein größeres gesellschaftliches Ansehen als der Dünne.

Rein äußerlich betrachtet stehen sich die beiden Schulfreunde oppositional gegenüber, ob es sich bei beiden sonst um eine Similarität handelt oder nicht werde ich im späteren Verlauf meiner Arbeit genauer analysieren.

3 Die soziale Äquivalenz - Ein Bruch mit der bisher scheinbare existieren Similarität

Neben dem Kontrast auf der Anatomieebene existiert eine Oppositon auf der Nahrungsebene, jene erste Anzeichen über die sich voneinander stark differenzierenden Lebensverhältnisse übermittelt. Besonders deutlich kommt dies in folgender Textpassage zu Geltung :

,,Der Dicke hatte gerade auf dem Bahnhof zu Mittag gegessen, und

seine mit Fett überzogenen Lippen glänzten wie reife Kirschen. Er

roch nach Jerez-Wein und Fleur d'orange . Der Dünne war eben aus dem Wagon gestiegen und mit Koffern, Bündeln und Kartons beladen. Er roch nach Schinken und Kaffeesatz. ''3

Die im Zitat hervorgehobenen Begriffe stellen besonders gut die vorherrschende Opposition dar, von der die Figuren allerdings zu Anfang ihrer Begegnung noch nichts Wissen, beide, der Dicke und der Dünne, denken, dass sie mit ihrem alten Schulfreund similarisch verbunden sind. Keiner von beiden ahnt das sein Gegenüber das komplette Gegenteil ihrer selbst ist. Mit großer Freude stellt Tschechow das Wiedersehen der beiden dar :

,,Die Freunde küssten sich und blickten einander an, die

Augen voll Tränen. Beide waren vor Freude überwältigt.´´4

Der anfangs als sehr kommunikativ charakterisierte Dünne stellt dem Dünnen seine Familie vor:

Das ist meine Frau Luise, geborene Wanzenbach...Lutheranerin...

Und das ist mein Sohn, Nafanail, Schüler der dritten Klasse. Das, Nafanail, ist der Freund meiner Kindheit! Wir sind zusammen aufs Gymnasium gegangen.´´5

Bereits der Geburtsname der Frau deutet auf die Einfachheit der Familie. Dennoch scheint dies den Dünnen noch nicht weiter zu stören. Sätze wie ,,Die selbe Schönheit wie früher´´6 und ,, Der selbe Wicht und Modenarr´´7 deuten darauf hin das beide denken das alles noch wie früher ist und das sich nichts verändert hätte. Ornamental betrachtet kann man sich hier zwei parallel nebenbeinander verlaufende Linien vorstellen, die nicht von ihrem Weg abkommen und immer nur in eine Richtung zeigen, ein immer gleich bleibendes Muster. Als sich der Dicke nach dem Beruf des Dünnen erkundigt, scheint diese soziale Similarität zu brechen:

,,Ich diene, mein Lieber! Schon im zweiten Jahr als Kollegienassessor, und den Stanislaus-Orden habe ich auch. Das Gehalt ist niedrig...na, was solls! Meine Frau gibt Musikstunden, ich mache privat Zigarrenetuis aus Holz.''8

Die körperliche Gestalt der Kartons und Kisten sind mit der des Dünnen äquivalent, dies wird durch dessen Namen verdeutlicht( kartonki <-->tonkij).

Der Dünne erkundigt sich daraufhin nach dem Beruf des Dicken, worauf dieser entgegnet :

,,Ich habe es schon zum Geheimrat gebracht...Und zwei Sterne habe ich auch.''9

Dadurch, dass der Dicke nun fünf Stufen über dem Dünnen steht, überschreitet er eindeutig die Grenzen dessen. Resultierend stehen sich beide Figuren nun eindeutig als Oppositonspaar gegenüber. Ornamental liese sich dies als Treppe darstellen. Durch die Stufen dieser Treppe würde der Kontrast zwischen beiden Freunden sehr deutlich veranschaulicht werden. Die Äquivalenz der Freunde nimmt nun eine zwiespältige Form an, beide Freunde reagieren anders auf den Übergang von einer scheinbaren Similarität zu einer wesenhaften Opposition. Während der Dünne, einschließlich seiner Familie, den Übergang zu einem Kontrast wahrnimmt, behaart der Dicke auf der Similarität:

,,Ich bin, eure Exzellenz...sehr erfreut, Exzellenz! Der Freund,

man kann sagen, der Kindheit und plötzliche Würdenträger

geworden, Exzellenz! Hihi, Exzellenz. [...] Der Dicke verzog sein

Gesicht. >>Weshalb dieser Ton? Wir sind Jugendfreunde, wozu jetzt diese Unterwürfigkeit!<< ''10

Der Dicke bittet den Dünnen einzuhalten und runzelt die Stirn, paradoxerweise kann dies als Äquivalenz zwischen dem Dicken selbst und den Koffern des Dünnen, welche auch Runzel haben, gedeutet werden.

Der Dünne scheint anschließend die Freundschaft mit dem Dicke zu annulieren, als er ihm seine Familie zum Dritten mal vorstellt. Die zweite Vorstellung der Familie scheint wie vergessen zu sein. Die Art und Weise wie er dem Dicken nun seine Familie vorstellt zeigt einen deutlichen Kontrast der beiden Figurenfronten auf. Während die erste Vorstellung von Nähe und Vertrautheit zeugte, verdeutlicht die dritte Vorstellung die plötzliche Distanz der beiden alten Schulfreunde:

,,Das, Eure Exzellenz, ist mein Sohn Nafanail...meine Frau

Luise, Lutheranerin, sozusagen.''11

Verglichen mit der ersten Vorstellung änderte der Dünne die Reihenfolge der vorgestellten Personen ab, nun stellt er zuerst seinen Sohn und dann seine Frau vor, zudem erwähnt er ihren Geburtsnamen nicht. Die gleich bleibende Struktur dieses Vorstellungsshemas wurde ebenfalls durchbrochen. Die beiden vorhin erwähnten Linien verlaufen jetzt nicht mehr in eine Richtung, beide Linien orientieren sich in entgegengesetzte Richtungen, die Struktur dieses Ornamentes ändert sich. Es entstehen neue Textmuster und die Lebensinhalte der Figuren werden nun differenziert voneinander in das Textgewebe verflochten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese Darstellung veranschaulicht den bestehenden narrativen Kontrast aus der Perspektive des Dünnen gegenüber der Simmilarität des Dicken. Schematisch betrachtet gehen laut dem Dicken beide Pfeile immer noch in eine Richtung. Ein weiteres Ornament ist somit auch im Meinungskontrast den beiden Figuren zu finden. Würden beide Meinungen zeichnerisch dargestellt werden, so kämen zwei voneinander differenzierte Muster zum Vorschein. Besonders auffällig ist, das der Dünne mit Koffern, Sohn und Frau immer noch leicht gewichtiger ist als der Dicke, welche schließlich allein ist.

Neben den körperlichen Kontrasten herrschen also auch Äquivalenzen auf der sozialen Ebene vor. Meiner Meinung nach kommen die Ornamentalen Strukturen besonders markant bei Betrachtung der sozialen Lage des Dicken und des Dünnen zum Vorschein.

[...]


1 Anton Tschechow: ,, Der Tod des Beamten´´ , ,, Der Dicke und der Dünne´´, ,, Der Mensch im Futteral´´ ; Ditzingen, Reclam Verlag,2005 , Seite 13

2 Siehe Inhaltspunkt 3

3 Anton Tschechow: ,, Der Tod des Beamten´´ , ,, Der Dicke und der Dünne´´, ,, Der Mensch im Futteral´´ ; Ditzingen, Reclam Verlag,2005 , Seite 13

4 Anton Tschechow: ,, Der Tod des Beamten´´ , ,, Der Dicke und der Dünne´´, ,, Der Mensch im Futteral´´ ; Ditzingen, Reclam Verlag ,2005, Seite 13

5 Ebd.

6 Ebd.

7 Ebd.

8 Anton Tschechow: ,, Der Tod des Beamten´´ , ,, Der Dicke und der Dünne´´, ,, Der Mensch im Futteral´´ ; Ditzingen, Reclam Verlag, 2005 , Seite 15

9 Ebd.

10 Anton Tschechow: ,, Der Tod des Beamten´´ , ,, Der Dicke und der Dünne´´, ,, Der Mensch im Futteral´´ ; Ditzingen, Reclam Verlag , 2005, Seite 15-16

11 Anton Tschechow: ,, Der Tod des Beamten´´ , ,, Der Dicke und der Dünne´´, ,, Der Mensch im Futteral´´ ; Ditzingen, 2005 , Reclam Verlag , Seite 15-16

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Ornamentale Strukturen in der Literatur am Beispiel von Anton Tschechovs ,,Der Dicke und der Dünne"
Hochschule
Universität Erfurt
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
11
Katalognummer
V157222
ISBN (eBook)
9783640705245
ISBN (Buch)
9783640705771
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ornamentale, Strukturen, Literatur, Beispiel, Anton, Tschechovs, Dicke, Dünne
Arbeit zitieren
Sandy Dännhardt (Autor:in), 2008, Ornamentale Strukturen in der Literatur am Beispiel von Anton Tschechovs ,,Der Dicke und der Dünne", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/157222

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