Die Theorie der Intertextualität besagt, dass kein Text innerhalb eines kulturellen Umfeldes unabhängig von der Gesamtheit aller Texte betrachtet werden kann – Bedeutung konstituiert sich aus speziellen Bezügen zu literarischen Einzeltexten eines Kulturkreises. Das grundlegende Fundament dieser Theorie bildet Roland Barthes´ Essay Der Tod des Autors, welches zugleich den Übergang von der Hermeneutik zum Strukturalismus darstellt.
Essay II: Intertextuelle Verfahren der Literatur in Alison Bechdel´s Fun Home (Kapitel 1-2) in Bezug auf Roland Barthes´ Der Tod des Autors
Die Theorie der Intertextualität besagt, dass kein Text innerhalb eines kulturellen Umfeldes unabhängig von der Gesamtheit aller Texte betrachtet werden kann - Bedeutung konstituiert sich aus speziellen Bezügen zu literarischen Einzeltexten eines Kulturkreises. Das grundlegende Fundament dieser Theorie bildet Roland Barthes´ Essay Der Tod des Autors, welches zugleich den Übergang von der Hermeneutik zum Strukturalismus darstellt. Er fordert programmatisch die Dekonstruktion des Autors:
„ Indem er aber den Text zu einem `Gewebe von Zitaten` erklärt, bringt er die Autonomie der künstlerischen Kreativität nahezu zum Verschwinden. “ 1
Er kritisiert in seinem Aufsatz übertriebenen bzw. fehlinterpretierten Biographismus, denn nicht der Autor, sondern die Sprache spricht. Somit verlagert sich der Ort, an dem Literatur beginnt vom Autor hin zum Leser
"Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors." 2.
Außerdem zerstöre die Schrift jeglichen Hinweis auf den Ursprung des Inhaltes - das Problem der Schrift als unfixierbaren Ort, indem Identitäten sich auflösen.
„ In seiner Novelle Sarrasine schreibt Balzacüber einen als Frau verkleideten Kastraten den folgenden Satz: » Das war die Frau mit ihren plötzlichenängsten, ihren grundlosen Launen, ihren unwillkürlichen Verwirrungen, ihren unmotivierten Kühnheiten, ihren Wagnissen und ihrer reizenden Zartheit der Gefühle. « Wer spricht hier? Ist es der Held der Novelle, um den Kastraten zu ignorieren, der sich hinter der Frau verbirgt? Ist es das Individuum Balzac mit seiner persönlichen Philosophieüber die Frau? Ist es der Autor Balzac, der >literarische< Ideenüber das Weibliche verkündet? Ist es die Weisheit schlechthin? Die romantische Psychologie? “ 3
Damit einher geht zugleich das vernachlässigen einer möglichen hermeneutischen Auslegung, dar es für uns nun nicht mehr von Bedeutung sein kann, was der Autor uns sagen wollte, weil es keinen einzigen Sinn mehr geben kann.
In Kontrast zu dieser neuen Sachlichkeit steht die nonlineare Erzählweise bei Alison Bechdels Fun Home. Sie hängt sich an literarischen Oberthemen auf., da jedes der sieben Kapitel sich auf eines von sieben Lieblingsbüchern des Vaters bezieht. Von Fitzgerald bis Joyce, von Wilde bis Proust bis hin zu griechischen Sagen. Bechdel bedient sich eines Verfahrens, das sich gegen die Debatte über den Tod des Autors wendet, ohne ihr zu widersprechen. Denn das Muster der Autorschaft bietet sinnstiftend die Grundlage für das Leben des Protagonisten, der zugleich auch Bechdels größter Widersacher ist.
Während Roland Barthes bestimmt
„ Lingustisch gesehen, ist der Autor immer nur derjenige, der schreibt [ … ]. Es gibt nur dir Zeit deräußerung und jeder Text ist immer hier und jetzt geschrieben. “ 4, schafft Bechdel in ihrer Graphic Novel eine Art Überbau, der Barthes Model parodiert, überdenkt und ihm zugleich Recht gibt.
In Fun Home kann nicht die Rede davon sein der Autor sei tod. Der Text lebt von
Intertextualitätsverhältnissen bis hin zu Übernahmen biographischer Muster, die weder zu Lasten Bechdels innovativem Charakters fallen, noch ein Eigenleben entwickeln. Außergewöhnlich ist in dem Comic Strip, dass sich die intertextuellen Bezüge oftmals auf zwei unterschiedlichen Ebenen abspielen. Im ersten Kapitel mit der Überschrift Old Father, Old Artificer wird explizit auf James Joyce Portrait of the Artist as a Young Man verwiesen, denn Joyce` Alter Ego, das größtenteils das Leben des Autors wiederspiegelt, nennt sich Stephen Dedalus - in Anlehnung an den griechischen Mythos. Daedalus, der Architekt, der das Labyrinth baute, in dem König Minos den Sohn seiner Frau einsperrte.
„ Indeed, the result of that sheme [ … ] He hid the Minotaur in the labyrinth - a maze of passages and rooms opening endlessly into one another and from which, as stray youths and maidens discovered to their peril. Escape was imspossible. “ 5
Bruce, Alisons Vater, wird dargestellt als unermüdlicher Schöpfer und zugleich Wärter des seelischen Gefängnisses Alisons.
Bechdel arbeitet quasi mit Interexten aus Intertexten, es scheint nicht als bediene sie sich der Elemente aus anderen Texten, sondern als gäben diese Texte die exakte Vorlage in bestimmten Lebensabschnitten ihrer Familie als eine Art Bedienungs- oder Dechiffrierungsanleitung. Die Graphic Novel Fun Home lebt und konstituiert sich aus ihrer Liebe zur Literatur, ebenso wie das Familienleben Bechdels.
Ähnlich verhält es sich im zweiten Kapitel A Happy Death. A Happy Death von Albert Camus handelt von dem menschlichen Streben nach Glück, Geld und die dafür aufgewendete Zeit. Camus hat bei der Niederschrift von „Der Glückliche Tod“ viele eigene Lebenserfahrungen aufgearbeitet - die finanzielle Misere nach dem Studium, der Bruch mit der Geliebten, Europareisen, u. a. nach Prag, Breslau und Wien. Eine Zeile in Fun Home ist bereits markiert, die explizit Paralellen zu Bruce` Leben eröffnet
„ He discovered the cruel paradox by which we always deceive ourselves twice about the people we love - first to their advantage, then to their disadvantage. “ 6.
Womit Alison auf die unglückliche, aber funktionale Ehe ihrer Eltern verweist. Jeder Mensch strebt nach Selbstverwirklichung, aber Bruce scheitert, wie der Romanheld, und ergibt sich zunächst seinem Schicksal. Eine weitere Ebene, die Bechdel eröffnet, ist wiederum eine biografische, denn Camus erkrankte an Tuberkulose und verstarb im Alter von 47 Jahren bei einem Autounfall - auch hier indiziert sie Parallelen. In Anspielung auf den Sisyphos - Mythos sagt Camus: Selbstmord entspringe aus der Erkenntnis der Sinnlosigkeit des Lebens
„ The subject of this essay is precisly this relationship between the absurd and suicide, the exact degree to which suicide is a solution to the absurd. “ 7.
Sisyphos verkörpert Bruce - den Held des Absurden, der dazu verdammt ist unablässig einen Felsblock einen Berg hinaufzuwälzen, von dessen Gipfel der Stein selbst wieder hinunterrollte. Die Götter hatten bedacht, dass es keine fürchterlichere Strafe gibt, als eine unnütze und aussichtslose Arbeit. Bruce` Bürde ist es sein Leben glaubhaft aufrecht zu erhalten, dass er nur spielt, um seine wahre Natur zu verleugnen.
Der Tod des Autors geht einher mit dem Tod des Vaters, der zugleich auf Dauer die Befreiung Alison Bechdels, sowie ihrer Familie bedeutet.
Dennoch warnt Roland Barthes
„ Das Leben ahmt immer nur das Buch nach, und das Buch ist selbst nur ein Gewebe von Zeichen, eine verlorene, eine unendlich entfernte Nachahmung. “ 8
Dieses Zitat steht für die Selektivität mit der jeder Leser ein Zitat, einen Text belebt und sich somit subjektiv in ihn einschreibt. Denn zunächst ist auch Alison Bechdel niemand anderes als der Rezipient.
„ Nicht sein Ursprung oder seine Stimme sind der wahre Ort der Schrift, sondern die Lektüre. “ 9.
Die von Roland Barthes eröffnete Debatte um den Tod des Autors halte ich definitiv für angebracht, dennoch beweist die junge Autorin von Fun Home, dass auch hier Ausnahmen die Regel bestätigen.
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1 http://teaching.eduhi.at/kulturpaedagogik/Downloads/laengsschnitte_09/Barthes_Tod_Autors.PDF
2 http://teaching.eduhi.at/kulturpaedagogik/Downloads/laengsschnitte_09/Barthes_Tod_Autors.PDF
3 http://www.textmachina.uzh.ch/ds/index.jsp?positionId=11736
4 http://teaching.eduhi.at/kulturpaedagogik/Downloads/laengsschnitte_09/Barthes_Tod_Autors.PDF
5 Bechdel, A.: Fun Home (Seminarausgabe online), S. 12
6 Bechdel, A.: Fun Home (Seminarausgabe online), S. 28
7 Bechdel, A.: Fun Home (Seminarausgabe online), S. 47
8 http://teaching.eduhi.at/kulturpaedagogik/Downloads/laengsschnitte_09/Barthes_Tod_Autors.PDF
9 http://teaching.eduhi.at/kulturpaedagogik/Downloads/laengsschnitte_09/Barthes_Tod_Autors.PDF
- Quote paper
- Lena Kleinschmidt (Author), 2010, Intertextuelle Verfahren der Literatur in Alison Bechdel´s Fun Home (Kapitel 1-2) in Bezug auf Roland Barthes´ Der Tod des Autors, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/157350
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