Trinational Verhandeln, Führen und Planen

Ein interkultureller Ratgeber für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein


Masterarbeit, 2010

99 Seiten, Note: 5.8


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

A Trinational Verhandeln, Planen und Führen am Oberrhein
A.1 Kulturelle Ebenen in der Kooperation am Oberrhein
A.1.1 Gedanken zum Kulturbegriff
A.2 Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein: Was sollte man darüber wissen?
A.2.1 Wie entstand die Zusammenarbeit am Oberrhein?
A.2.2 Auf welchen Ebenen findet die Zusammenarbeit statt?
A.2.3 Von der Vielfalt der Gremien
A.2.3.1 Die Oberrheinkonferenz: Das zentrale politische Kooperationsgremium
A.3 Die Vielfalt der Partner: Worauf sollte man besonders achten?
A.3.1 Begegnungen auf Sitzungsebene
A.3.2 Verhandeln & Entscheiden mit asymmetrischen Kompetenzen
A.3.2.1 Die unterschiedlichen Kompetenzverteilungen und ihre Auswirkungen
A.3.3 Von geschriebenen und ungeschriebenen Regeln
A.3.4 Sprachunterschiede sind nicht vom Tisch zu reden
A.4 Die interkulturelle Begegnung am Oberrhein
A.4.1 Wie entstehen Missverständnisse?
A.4.1.1 Konzept oder Dossier?
A.4.1.2 Ist die Verabredung verbindlich?
A.4.1.3 Ist der Franzose nicht ernsthaft und der Deutsche humorlos?
A.4.1.4 Von gut gemeinten Redeunterbrechungen zum störenden Akt
A.4.1.5 Der Schweizer ist kleinkariert und der Franzose hält sich nicht an Zeitpläne
A.4.2 Interkulturelle Kommunikation: Thema unserer Zeit
A.4.3 Wie können unterschiedliche kulturelle Orientierungen sichtbar gemacht werden?
A.4.4 Welche kulturellen Orientierungen prägen die Zusammenarbeit am Oberrhein?
A.4.4.1 Das Verhältnis zur Hierarchie
A.4.4.2 Direkter und indirekter Kommunikationsstil
A.4.4.3 Synchrones und sequentielles Zeitmanagement
A.4.4.4 Verhandlungs- und Entscheidungsstil
A.4.4.5 Personenorientiertes oder sachbezogenes Handeln
A.4.4.6 Zukunfts- und Leistungsorientierung
A.4.5 Gefahr & Nutzen von Kulturkategorisierungen: Achtung neue Vorurteile!
A.5 Die trinationale Sitzung aus kultureller Perspektive
A.5.1 Kommunikation ist mehr als nur Sprechen
A.5.1.1 Die Eröffnungsphase
A.5.1.2 Die Verhandlung und die Entscheidungsfindung
A.5.1.3 Verbindlichkeit von Entscheidungen
A.5.2 Tipps für Verhandlungen mit Deutschen, Schweizern und Franzosen
A.5.3 Was sollte ein Vorsitzender mitbringen?
A.5.3.1 Sprachunterschiede explizit machen!
A.5.3.2 Wie erkenne ich einen interkulturellen Konflikt?
A.5.3.3 Metakommunikativen Moderationsstil entwickeln
A.5.3.4 Fallbeispiel: „Unterschiedliche Ansichten über die Organisation einer Tagung“
A.6 Das grenzüberschreitende Projekt aus kultureller Perspektive
A.6.1 Herausforderungen in der Zusammenarbeit trinationaler Teams
A.6.2 Wie plane ich ein grenzüberschreitendes Projekt?
A.6.3 Wie finde ich geeignete Projektpartner?
A.6.4 Wie vermeide ich Fehler durch unklare Zielvorstellungen?
A.6.5 Was sollte ich über meine Projektpartner wissen?
A.6.6 Wie entwickle ich ein interkulturelles Team?
A.6.6.1 Welche kulturellen Stilunterschiede beeinflussen ein trinationales Team?
A.6.6.2 Praktische Hinweise für die Entwicklung trinationaler Teams
A.6.7 Wie führe ich ein interkulturelles Team?
A.6.7.1 Praktische Führungsempfehlungen für trinationale Teams
A.7 Vom interkulturellen Verstehen zum transkulturellen Handeln
A.7.1 Entwickeln Sie Ihre transkulturelle Kompetenz
A.7.2 Das „zweite Protokoll“: Von Empathie und Perspektivenwechsel
A.8 Anhang & Materialien
A.8.1 Die wichtigsten kulturellen Dimensionen am Oberrhein im Überblick
A.8.2 Fragebogen zur Erforschung der eigenen kulturellen Orientierung
A.8.3 Die Regio-Strukturen auf einen Blick
A.9 Literaturempfehlungen

B Schlussbetrachtungen

C Literaturverzeichnis

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Das Eisbergmodell der Kultur

Abbildung 2: Das Eisbergmodell der Oberrheinischen Zusammenarbeit

Abbildung 3: Die oberrheinischen Kooperationsräume auf regionaler und lokaler Ebene

Abbildung 4: Die Partner der D-F-CH Oberrheinkonferenz

Abbildung 5: Teufelskreis Modell

Abbildung 6: Kulturelle Orientierungen am Oberrhein

Abbildung 7: Das Wertequadrat

Abbildung 8: Die fünf Phasen eines Projekts

Abbildung 9: Swot-Analyse zur Kommunikation am Oberrhein

Abbildung 10: SMART-Analyse zur Zieldefinition

Abbildung 11: Ziele sortieren mit dem Zielbaum

A trinational verhandeln, planen und führen am Oberrhein

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sind Schweizer Delegierter der deutsch-französisch-schweizerischen Oberrheinkonferenz und bereiten sich wie immer gründlich auf die erste Sitzung einer neu gegründeten Projektgruppe vor. Ihr Ziel in dieser Sitzung ist es, mit den deutschen und den französischen Partnern die ersten Projektschritte zu definieren. Auf der Einladung des französischen Partners stehen aber bloss der Tagungsort und die Uhrzeit.

Nachdem der französische Partner sich für seine halbstündige Verspätung entschuldigt hat und die Sitzungsteilnehmer nach einem zehnminütigen Monolog zur gegenwärtigen politischen Situation in der EU noch wortreich zum anschliessenden gemeinsamen Mittagessen eingeladen hat, ergreift der deutsche Delegierte das Wort und weist die französische Seite deutlich und mit Nachdruck auf die fehlende Tagungsordnung hin. Der Franzose wird daraufhin ziemlich wortkarg und macht während der Sitzung einen eher abweisenden Eindruck. Die Atmosphäre ist nicht besonders freundschaftlich und die Gespräche stocken. Die Sitzung endet ohne konkrete Resultate und Sie verstehen nicht warum.

Bestimmt kennen Sie diese oder ähnliche Situationen aus eigener Erfahrung im grenzüberschreitenden Arbeitsalltag? Hand aufs Herz: Haben Sie manchmal nicht auch heimlich über die Franzosen, die Deutschen oder die Schweizer gestöhnt und sich gefragt, wo denn der tiefere Sinn dieser Zusammenarbeit liegt?

Trotz der engen, historisch gewachsenen Bande zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz stolpern wir immer wieder über die teilweise so ganz anderen Arbeitsgewohnheiten, über die Art und Weise der Kommunikation und über den andersartigen Umgang mit Zeit und Regeln.

Die Kenntnis und das Verständnis der Kultur, der unterschiedlichen politischen und administrativen Systeme des eigenen Hintergrunds sowie desjenigen des Nachbarlandes bilden die Grundvoraussetzung für die erfolgreiche grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

Dieser Ratgeber soll Ihnen dabei helfen, sich in der komplexen Welt der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein zurechtzufinden. Wir geben Anregungen für das konstruktive Verhandeln unter den trinationalen Partnern sowie praktische Tipps für Projektleiter und Vorsitzende. Anhand ausgesuchter Beispiele aus der deutsch-französisch-schweizerischen Zusammenarbeit werden interkulturelle Stolpersteine aufgezeigt, die zu Missverständnissen, Störungen und möglicherweise zum Scheitern von Verhandlungen und Projekten führen können.

Der Ratgeber ist in mehrere thematische Bereiche gegliedert und soll Ihnen Antworten auf bestimmte Fragestellungen bieten. Die ersten Kapitel sind vor allem den Grundlagen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein gewidmet und sollen Ihnen, neben den technischen Aspekten und den systemischen Unterschieden, auch Einblick in die die vielen ungeschriebenen Regeln und Abläufe der Kooperation vermitteln. Im zweiten Teil des Ratgebers entführen wir Sie in die komplexe Welt des Verhandelns und Führens unter interkulturellen Aspekten.

Es ist uns bewusst, dass Ihr Alltag in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit davon geprägt ist, sich mit einer Fülle von Papieren, Dokumenten und Unterlagen herumzuschlagen. Aus diesem Grund verzichten wir auf längere, theoretische Ausführungen zugunsten von praktischen Empfehlungen. Für theoretische Vertiefungen finden Sie in der interkulturellen Bibliographie einige ausgesuchte Literaturhinweise.

A.1 Kulturelle Ebenen in der Kooperation am Oberrhein

A.1.1 Gedanken zum Kulturbegriff

In der deutsch-französischen-schweizerischen Zusammenarbeit kann man in der Praxis schnell erkennen, dass unter den Partnern sehr unterschiedliche Arbeitsweisen und Normvorstellungen herrschen. Beispielsweise befürworten die deutschen Akteure tendenziell eher formale Regelungen und verlässliche Vereinbarungen, während in Frankreich Kreativität und situationsangepasste Flexibilität hoch geachtet werden und sich die Schweizer irgendwo zwischen beiden Polen befinden. Unterschiedliche Vorstellungen von Arbeitsorganisation werden in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit oft den nationalkulturellen Unterschiedlichkeiten zugeschrieben. Darüber hinaus sollte man aber nicht vergessen, dass sich kulturelle Unterschiede am Oberrhein auch zwischen Gruppen zeigen, die nichts mit nationaler Kultur zu tun haben: zum Beispiel unterscheiden sich die verschiedene Unternehmens- und Verwaltungskulturen, die verschiedenen Berufsgruppen und Branchenkulturen - und - schliesslich hat jeder Mensch seine eigene individuelle Kultur, seine spezifischen Charakteristika und eine eigene Biographie, welche ihn von allen anderen unterscheidet.

Um die vielschichtigen kulturellen Einflüssen auf die trinationale Oberrheinkooperation zu verstehen, ist es notwendig, sich einige Gedanken über den Kulturbegriff zu machen.

Es gibt sehr unterschiedliche Sichtweisen, wie und in welcher Form Kultur wahrgenommen und dargestellt wird. Die heutigen Kulturen entsprechen meist nicht mehr den alten Vorstellungen geschlossener und einheitlicher Nationalkulturen. Sie sind durch eine Vielfalt möglicher Identitäten gekennzeichnet und haben grenzüberschreitende Konturen[1].

Kulturen haben eines mit Eisbergen gemeinsam: Man sieht nur einen kleinen Teil. Doch dieser kleine Teil kann schnell den Blick versperren für die tiefere Einsicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 : Das Eisbergmodell der Kultur

(Quelle: Krämer/Quappe 2006, eigene Darstellung)

Was wir oberhalb der Wasseroberfläche wahrnehmen ist vielfältig: Essen, Kleidung, Sprache, Gesetze, Vorschriften usw. Was wir nicht erkennen, aber was für das Verständnis von Kultur ungemein wichtig ist, das sind die Werte, die Annahmen, Einstellungen, Wahrnehmungen, Kommunikationsstile und die Grundhaltungen der Menschen. Alles zusammen bildet das, was wir Kultur nennen.

In der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein haben wir es mit einem ziemlich komplexen Eisberg zu tun. Unter dem Dach einer gemeinsamen Verwaltungskultur mit eigenen Spielregeln, treffen zuerst die sichtbaren Aspekte wie unterschiedliche Sprachen, politische und rechtliche Systeme sowie Kompetenzverteilungen der drei beteiligten Nationen aufeinander und bestimmen die Arbeit der grenzüberschreitenden Akteure. Diese Aspekte sind bereits relativ komplex und aus diesem Grund werden wir ihnen die ersten Kapitel des Ratgebers widmen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 : Das Eisbergmodell der Oberrheinischen Zusammenarbeit

Auf die unsichtbaren Aspekte unter der Wasseroberfläche werden wir später im interkulturellen Teil des Ratgebers eingehen und Ihnen aufzeigen, wie die unterschiedlichen Kommunikationsformen, Grundhaltungen und Erwartungen der Menschen die Zusammenarbeit beeinflussen können.

A.2 Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein: Was sollte man darüber wissen?

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit[2] ist die nachbarschaftliche Zusammenarbeit in allen Lebensbereichen zwischen angrenzenden Gebieten, regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften oder sonstigen Körperschaften in Grenzgebieten. Ein Grenzgebiet besteht aus einem Gebiet mit seinen Bewohnern und dem Beziehungsnetz, das zwischen ihnen besteht, jedoch durch die Grenze gestört wird bzw. wo die Grenze den Aufbau von Beziehungsnetzen von vornherein verhindert oder zumindest erschwert. Ein grundlegendes Prinzip der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit besteht darin, Verbindungen und vertragliche Beziehungen in Grenzregionen zu schaffen, sodass gemeinsame Lösungen für Probleme gefunden werden können, von denen die gesamte Grenzregion betroffen ist.

Durch die Grenzlage werden zum Beispiel kleine und mittlere Unternehmen in ihrer wirtschaftlichen Aktivität auf beiden Seiten der Grenze beschränkt. Arbeitnehmer haben Schwierigkeiten bei ihren Sozialversicherungen und ihrer Besteuerung, bei Beschäftigung auf der anderen Seite der Grenze, bei Benützung der öffentlichen Nahverkehrsmittel, die oft nicht aufeinander abgestimmt sind. Auch die Verwaltungen beiderseits der Grenze sind häufig wenig oder gar nicht miteinander vernetzt, sodass Defizite beispielsweise im Katastrophenschutz oder bei der Kriminalitätsbekämpfung entstehen.

A.2.1 Wie entstand die Zusammenarbeit am Oberrhein?

Der Oberrhein kennt eine lange Tradition der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Insbesondere die Stadt Basel war trotz ihrer Zugehörigkeit zur Schweizerischen Eidgenossenschaft ab 1501 immer auch mit dem südbadischen und dem elsässischen Raum verbunden. Nach den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts mussten die grenzüberschreitenden Netzwerke allerdings weitgehend neu geknüpft werden. Einen wichtigen ersten Schritt stellte dabei 1949 die Schaffung des binationalen EuroAirport dar.

Die aktive grenzüberschreitende Netzwerkbildung im Oberrheingebiet begann mit der Gründung des schweizerischen Vereins REGIO BASILIENSIS bereits im Jahre 1963[3]. Dieser auf privater Initiative basierende Zusammenschluss legte, gemeinsam mit einer grenzüberschreitenden Bürgerbewegung, den Grundstein für die Zusammenarbeit zwischen der Nordwestschweiz, dem Elsass und Baden-Württemberg. Schon wenig später wurde auf französischer Seite die elsässische Regio du Haut-Rhin gegründet, deren Vereinszweck weitgehend mit dem der REGIO BASILIENSIS übereinstimmte. Sie verstand sich somit von Beginn an als eine Art Partnerorganisation auf französischer Seite, der dann erst 1985 folgerichtig auf deutscher Seite die Gründung der Freiburger Regio-Gesellschaft folgte. Dies gab eine wichtige Signalwirkung für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die sich in den folgenden Jahren in einer Reihe weiterer Zusammenschlüsse auf den unterschiedlichsten Ebenen manifestierte. Die Bonner Vereinbarung von 1975 brachte schliesslich eine zwischenstaatliche Offizialisierung der Zusammenarbeit. Die Vereinbarung zwischen Bonn, Paris und Bern, die später durch die so genannte Basler Vereinbarung vom 21. September 2000 abgelöst wurde, stellt die rechtliche Basis für die Deutsch-französisch-schweizerische Regierungskommission und deren Oberrheinkonferenz dar. Letztere bildet das Rückgrat der regionalstaatlich geprägten Zusammenarbeit am Oberrhein.

Gemeinsame grenzüberschreitende Projekte in der Euroregion Oberrhein haben also bereits eine lange Tradition. In der Chronologie der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit spiegelt sich die stete Fortentwicklung der Kontakte von anfänglichen gegenseitigen Höflichkeitsbesuchen, über den zunehmenden Austausch von Informationen bis hin zur Realisierung von konkreten Gemeinschaftsprojekten und grenzüberschreitenden Einrichtungen. Diese Projekte[4], die von den unterschiedlichsten Projektpartnern (von kleinen Vereinen bis hin zu Universitäten und Fachhochschulen), in den unterschiedlichsten Bereichen (z.B. Wirtschaft, Verkehr, Raumordnung, Bildung, Jugend und Kultur), umgesetzt werden, geben entscheidende Impulse für die Entwicklung des Oberrheins zu einer zusammengehörigen europäischen Region.

A.2.2 Auf welchen Ebenen findet die Zusammenarbeit statt?

Die Region Oberrhein umfasst das deutsch-französisch-schweizerische Grenzgebiet, welches sich aus den Teilgebieten Baden (in Baden-Württemberg), Südpfalz (in Rheinland-Pfalz), Elsass und Nordwestschweiz zusammensetzt. Auf Schweizer Seite sind die Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau, Jura und Solothurn beteiligt. Die Euroregion Oberrhein zählte im Jahr 2006 nahezu 5,9 Millionen Einwohner bei einer Gesamtfläche von 21'500 km2.

Die grenzüberschreitenden Strukturen am Oberrhein können in eine nationale, regionale und kommunale Ebene eingeteilt werden[5]:

Nationale Ebene: Die Deutsch-französisch-schweizerische Regierungskommission zur Prüfung und Lösung von nachbarschaftlichen Fragen bildet das nationalstaatliche Dach für die Oberrheinkooperation. Sie nimmt sich derjenigen Fragen an, die nicht auf regionaler Ebene geregelt werden können. Die drei Delegationen werden von Vertretern des jeweiligen Aussenministeriums geleitet.

Regionale Ebene: Die Deutsch-französisch-schweizerische Oberrheinkonferenz (ORK) ist das zentrale grenzüberschreitende Gremium der regionalstaatlichen Partner aus den drei Ländern. Auf regionaler Ebene agiert neben der Oberrheinkonferenz und ergänzend dazu der Oberrheinrat (ORR) als grenzüberschreitendes Organ der Gewählten und Abgeordneten.

Lokale bzw. kommunale Ebene: Die kommunale Ebene der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wird durch die drei deutsch-französischen Strukturen Eurodistrikt Regio PAMINA, Eurodistrict Strasbourg-Ortenau und Eurodistrikt Region Freiburg / Centre et Sud Alsace sowie durch den Trinationalen Eurodistrict Basel (TEB) gebildet. Die vier INFOrmations- und BEratungsSTellen INFOBEST ergänzen diese Kooperationsstrukturen um ein Netzwerk von Bürgeranlaufstellen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 : Die oberrheinischen Kooperationsräume auf regionaler und lokaler Ebene

(Quelle: Jakob 2009)

A.2.3 Von der Vielfalt der Gremien

Zahlreiche grenzüberschreitende Gremien und Kontakte, sowohl institutioneller als auch informeller Art, tragen die intensive Kooperation zwischen den französischen, den deutschen und den schweizerischen Grenznachbarn. Der oberrheinische Kooperationsimpuls war zwar aus der Grenzlage Basels hervorgegangen, institutionalisiert wurde die grenzüberschreitende Zusammenarbeit aber zuerst im Grossraum der Euroregion Oberrhein. So gehört es zu den Merkwürdigkeiten dieser europäischen Modellregion, dass hier die Vernetzung räumlich vom Grossen ins Kleine und institutionell von oben nach unten entwickelt worden ist.

Als Aussenstehender oder als Neueinsteiger sieht man sich in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit einer Fülle von Begriffen konfrontiert, die ziemlich verwirrend sein können. Unübersichtlich sei die Zahl der Gremien und der daran Beteiligten, aber auch die Abgrenzungskriterien der Gebietskulissen seien undurchschaubar - lautet die oft gehörte Kritik. Doch jede politische Ebene, jedes Anliegen und jedes Projekt hat einen eigenen Wirkungsperimeter.

Im Grunde genommen sind diese Strukturen aber gar nicht so kompliziert, wie sie auf den ersten Blick erscheinen: Der Oberrhein besteht aus drei grenzübergreifenden Regionen und bisher neun trinationalen Gremien. Diese relativ überschaubare Zahl der trinationalen Gremien setzt sich aus den beteiligten Instanzen der Partnerländer zusammen. Einzig die grosse Anzahl der beteiligten Instanzen ist oft Grund für manche Verwirrung[6].

Um vom vielfältigen Netzwerk am Oberrhein profitieren zu können, sollten Sie die Zusammenhänge und das Zusammenwirken der wichtigsten Gremien und Instanzen kennen:

- Welches Gremium hat welchen geographischen Wirkungsperimeter?
- Wer sind die Kooperationspartner und beteiligten Instanzen im jeweiligen Gremium?
- Welches Gremium verfügt über welche politische Entscheidungskompetenz?
- Welches Gremium verfügt über finanzielle Ressourcen?

Lassen Sie sich nicht verwirren und erkundigen Sie sich beispielsweise bei der REGIO BASILIENSIS[7] oder bei INFOBEST, dem Netzwerk der Informations- und Beratungsstellen für grenzüberschreitende Fragen am Oberrhein[8] ! Nutzen Sie deren Webseiten, welche eine Fülle von Informationen bieten.

Das zentrale politische Kooperationsgremium im Oberrheinraum ist die Deutsch-französisch-schweizerische Oberrheinkonferenz. Im folgenden Kapitel stellen wir Ihnen dieses Gremium vor und zeigen Ihnen auf, welche Verwaltungen und Organisationen zu Ihren Verhandlungspartnern gehören, sollten Sie in eine der Arbeitsgruppen delegiert werden oder auf anderer Ebene mit der Oberrheinkonferenz in Kontakt kommen.

A.2.3.1 Die Oberrheinkonferenz: Das zentrale politische Kooperationsgremium

Seit 1975 besteht auf der Grundlage eines Notenaustauschs zwischen Bern, Bonn und Paris das grosse Mandatsgebiet für die offizielle Kooperation in der Euroregion Oberrhein. Unter dem nationalstaatlichen Dach der Deutsch-französisch-schweizerischen Regierungskommission finden sich seither die regionalstaatlichen Partner zweimal jährlich zur Deutsch-französisch-schweizerischen Oberrheinkonferenz (ORK) zusammen, um die Ergebnisse ihrer zwischenzeitlich tätigen, ständigen Arbeitsgremien zu beraten, Empfehlungen zu vereinbaren und Projekte zu lancieren.

Beteiligt sind Regierungs- und Verwaltungsstellen der deutschen Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, des französischen Staates, der Région Alsace und der Départements Bas-Rhin und Haut-Rhin sowie der Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau, Solothurn und Jura. Inhaltlich bildet die Arbeit der trinational zusammengesetzten thematischen Arbeitsgruppen und deren Expertenausschüsse das Rückgrat der Zusammenarbeit. Rund 600 Behördenvertreter und Experten aus den drei Ländern sind hier eingebunden; sie bilden thematisch ausgerichtete Netzwerke und garantieren programmatische Kontinuität. Begleitet wird diese Zusammenarbeit auf technischer Ebene durch das gemeinsame, trinational zusammengesetzte Sekretariat in Kehl (D).

A.3 Die Vielfalt der Partner: Worauf sollte man besonders achten?

Eine im grenzüberschreitenden Alltag stets wiederkehrende Frage ist die nach dem entsprechenden Partner. Die Antwort ist leider nicht immer eindeutig; es können mehrere Personen sein oder manchmal gibt es gar keinen entsprechenden Partner. Es ist daher ratsam, sich vor einer ersten grenzüberschreitenden Sitzung klar zu werden, wer in dem jeweiligen Gremium vertreten ist.

Am Beispiel der Deutsch-französisch-schweizerischen Oberrheinkonferenz lässt sich die Vielfalt der Partner besonders gut verdeutlichen. Aus den im vorhergehenden Kapitel genannten Regierungs- und Verwaltungsstellen der drei Länder sind folgende Instanzen beteiligt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Die Partner der D-F-CH Oberrheinkonferenz

(Quelle : REGIO BASILIENSIS, eigene Darstellung)

Aus den oben genannten Instanzen wird in der Regel jeweils ein Vertreter an die einzelnen Arbeitsgruppen delegiert. Dies ergibt eine Grösse der Arbeitsgruppe von manchmal bis zu 20 Personen. Die Länderverteilung und die Repräsentanz sind unterschiedlich, je nach Gewichtung durch die einzelnen Behörden. Die deutsche, die französische und die schweizerische Delegation übernehmen den Vorsitz von jeweils drei Arbeitsgruppen für die Dauer von drei Jahren. Die Vorsitzenden und die Mitglieder der Arbeitsgruppen werden von den jeweiligen Delegationsleitern ernannt.

A.3.1 Begegnungen auf Sitzungsebene

Die offiziellen Begegnungen am Oberrhein, namentlich im Rahmen der Deutsch-französisch-schweizerischen Oberrheinkonferenz, finden hauptsächlich auf Sitzungsebene statt. Aus den deutschen, französischen und schweizerischen Fachverwaltungen arbeiten etwas 600 Experten kontinuierlich zusammen und stehen in ständigem Informationsaustausch.

Dabei kann man zwischen institutionellen Sitzungen, operationellen Arbeitssitzungen und Projektsitzungen unterschieden.

Die institutionelle Sitzung

Institutionelle Sitzungen sind relativ strengen Repräsentationsregeln unterworfen und erfüllen eine politische Funktion. Dabei treffen sich politische Abgeordnete oder die hierarchischen Vertreter der betroffenen Stellen. Sie sind gewählt, verfügen über einen Sitz oder haben ein Mandat und vertreten offiziell ihre Institution. Die Regierungskommission, beispielsweise, setzt sich zusammen aus einer deutschen, französischen und schweizerischen Regierungsdelegation, die durch ihre Regierungen ernannt werden. Jede Delegation wird von Vertretern der jeweiligen Außenministerien geleitet.

Sie ist die Schaltstelle der Oberrheinkonferenz zu den jeweiligen nationalen Regierungen für Fragen, die nicht auf regionaler Ebene geregelt werden können. Die Regierungskommission formuliert für die französische, deutsche und schweizerische Regierung Empfehlungen. Sie kann bei Bedarf Vereinbarungsentwürfe zwischen den Parteien vorbereiten oder die Oberrheinkonferenz damit beauftragen, ihr Empfehlungen und Vereinbarungsentwürfe vorzulegen.

Die Arbeitssitzung

Arbeitssitzungen finden meist auf operationeller Ebene statt und haben andere Zielsetzungen als die institutionelle Sitzung. Sie sind eher ergebnisorientiert und bereiten oft institutionelle Sitzungen vor. Die Arbeitssitzung soll auch eine Begegnung mehrerer Branchenkulturen mit gemeinsamen Zielsetzungen ermöglichen. Die Deutsch-französisch-schweizerische Oberrheinkonferenz, um nochmals dieses Beispiel aufzugreifen, richtet zu den von ihr behandelten Themen trinational besetzte ständige Arbeitsgruppen ein. Die deutschen, französischen und schweizerischen Partnerbehörden stellen ihre Fachleute zur Verfügung, um im Rahmen der Arbeitsgruppen Projekte der Oberrheinkonferenz zu planen und die Beschlüsse der Konferenz umzusetzen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit werden bei den Plenarsitzungen der Oberrheinkonferenz vorgestellt.

Die Projektsitzung

Die projektbegleitende Sitzung weist ähnliche Strukturen wie eine Arbeitssitzung auf, ist aber meist operationeller und dient vor allem dazu, ein definiertes Ziel zu erreichen. In einer Projektsitzung finden sich tendenziell weniger Verwaltungsbeamte und dafür mehr Experten, was der Sitzung einen etwas informelleren Rahmen gibt. Ein gutes Beispiel hierfür sind die verschiedenen Expertenausschüsse der Deutsch-französisch-schweizerischen Oberrheinkonferenz, welche unterhalb der Arbeitsgruppenebene zur Aufbereitung und Lösung fachspezifischer Problematiken eingesetzt werden.

A.3.2 Verhandeln & Entscheiden mit asymmetrischen Kompetenzen

Organisatoren sowie Teilnehmer von grenzüberschreitenden Sitzungen sind immer wieder sowohl über die Anzahl der Teilnehmer, die ein jeweiliges Land repräsentieren, wie auch über die Vielfalt von deren Hintergründen erstaunt. Diese Heterogenität ist Beleg für eine Asymmetrie in der Organisation auf den deutschen, französischen und schweizerischen Verwaltungsebenen.

Diese komplexe Voraussetzung birgt auch immer wieder mögliches Konfliktpotential: In einer grenzüberschreitenden Situation kommen Menschen aus drei Sprachregionen, aus unterschiedlichen hierarchischen Strukturen zusammen, bringen unterschiedliche berufliche Erfahrungen mit und müssen diese untereinander akzeptieren. Einige Mitglieder der trinationalen Arbeitsgruppen kommen von staatlicher Seite als offizielle Behördenvertreter und andere Mitglieder kommen aus privaten Organisationen, sind aber in der Arbeitsgruppe je nach Auftrag gleichgestellt.

Die besondere Herausforderung in grenzüberschreitenden Sitzungen ist das gegenseitige Respektieren der verschiedenen Arbeits- und Entscheidungsstrukturen. Sie sollten sich deshalb bewusst sein, dass die grenzüberschreitende Sitzung Unterschiede zwischen Strukturen in der Organisation und in den Entscheidungsbefugnissen hervorhebt und sich entsprechend darüber informieren.

Klären Sie die Zuständigkeiten der beteiligten Organisationen und Verwaltungen und deren Vertreter, den Grad der Entscheidungsmöglichkeiten sowie die Spielräume der Entscheidungsfindung. Diese beiden Aspekte sind manchmal getrennt voneinander wirksam. Es kann sein, dass ein deutscher, französischer oder ein schweizerischer Vertreter nur an eine Sitzung delegiert worden ist, um die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu analysieren und in die Entscheidungsfindung dann gar nicht involviert ist.

Die politischen und administrativen Systeme sind in Frankreich, Deutschland und in der Schweiz sehr unterschiedlich. In der grenzüberschreitenden Sitzung kommt dieser Aspekt, wie bereits erwähnt, eigentlich immer zum Tragen. Alleinige oder geteilte Kompetenzen zwischen Gebiets- und Staatskörperschaften - wie wir am Beispiel der Partner der Oberrheinkonferenz beschrieben haben – wirken sich auf die Anzahl der Sitzungsteilnehmer, auf ihren Kompetenzbereich und auf ihre Entscheidungsprozesse aus.

A.3.2.1 Die unterschiedlichen Kompetenzverteilungen und ihre Auswirkungen

Im Folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassung der Kompetenzverteilung in den drei beteiligten Nationen sowie einige Beispiele möglicher Auswirkungen auf die Arbeit der grenzüberschreitenden Akteure.

Die Kompetenzverteilung in der Schweiz

Die Verantwortung für die auswärtigen Angelegenheiten liegt beim Bund. Gleichzeitig ist der Bund verpflichtet auf die Zuständigkeiten der Kantone Rücksicht zu nehmen und ihre Interessen zu wahren. Die Kantone dürfen in ihren Zuständigkeitsbereichen mit dem Ausland Verträge abschließen, wobei diese aber dem Recht und den Interessen des Bundes sowie den Rechten anderer Kantone nicht zuwiderlaufen dürfen. Zudem haben die Kantone vor Abschluss der Verträge den Bund zu informieren. Mit untergeordneten ausländischen Behörden können die Kantone direkt verkehren; in den übrigen Fällen erfolgt der Verkehr der Kantone mit dem Ausland durch Vermittlung des Bundes. Untergeordnete Behörden und Beamte sind alle Verwaltungsorgane mit Ausnahme der politischen Instanzen (Gesamtregierung, Minister und Staatssekretäre) des ausländischen Staates.

Die Kompetenzverteilung in Deutschland

Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist in Deutschland Sache des Bundes. Zwar legt dieser Grundgesetz-Artikel auch fest, dass die Länder Verträge mit auswärtigen Staaten schließen können, soweit der Gegenstand des Vertrages in ihre Gesetzgebungskompetenz fällt. Trotzdem werden auch diese in der Praxis durch den Bund abgeschlossen, nachdem er im Vorfeld das Einverständnis der Länder eingeholt hat.

Eine neue Möglichkeit der Beteiligung der örtlichen Gebietskörperschaften und örtlicher öffentlicher Stellen an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wurde 1996 durch den Abschluss des Karlsruher Abkommens zwischen den Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Luxemburgs und der Schweiz geschaffen. Die in dem Abkommen aufgeführten Gebietskörperschaften und öffentlichen Stellen können nun in ihren Zuständigkeitsbereichen grenzüberschreitende Kooperationsvereinbarungen schließen und Einrichtungen der Zusammenarbeit mit und ohne Rechtspersönlichkeit gründen.

Die Kompetenzverteilung in Frankreich

Grundsätzlich ist das Außenministerium für die Beziehungen der französischen Republik mit dem Ausland zuständig. Im Zuge der europäischen Einigung wurde mit dem Gesetz vom 2. März 1982 den Gebietskörperschaften die Möglichkeit eingeräumt, mit ausländischen Gebietskörperschaften in der Grenzregion zu kooperieren. Die Kooperation bedarf jedoch der Erlaubnis des Staates. Das Gesetz vom 6. Februar 1992 bestärkt diese Kooperation, in dem es nun allen Gebietskörperschaften und ihren Vereinigungen erlaubt, im Rahmen ihrer Kompetenzen Vereinbarungen mit ausländischen Gebietskörperschaften abzuschließen. Die Vereinbarungen müssen aber an den zuständigen Präfekten übersendet werden.

Auch für Frankreich verschafft das Karlsruher Abkommen neue Möglichkeiten und schreibt die Freiheit der Gebietskörperschaften fest, Maßnahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit durchzuführen. Es räumt ihnen ebenfalls die Möglichkeit ein, an Institutionen mit Rechtspersönlichkeit teilzuhaben oder solche einzurichten. Die Ratifizierung des Abkommens wurde durch das Gesetz Nr. 97-102 vom 5. Februar 1997 genehmigt. Am 22. August 1997 wurde der Durchführungserlass veröffentlicht. Für jedes Projekt müssen die Körperschaften jedoch die Genehmigung der staatlichen Stellen (Präfekt) einholen, um dem geplanten Zusammenschluss eine legale Existenz zu verleihen.

Die unterschiedlichen Kompetenzverteilungen und ihre möglichen Auswirkungen im grenzüberschreitenden Alltag anhand einiger ausgesuchter Beispiele:

Beispiel 1: Destabilisierung von grenzüberschreitenden Gremien wegen Personalwechsel in Frankreich

Findet auf französischer Seite ein Wechsel eines Entscheidungsträgers oder eines Verantwortlichen statt, kann dies aufgrund des französischen Systems zu längeren Vakanzen in trinationalen Gremien führen, mit der Konsequenz, dass diese über einen gewissen Zeitraum hinweg nicht entscheidungsfähig sind. Jede Neubesetzung eines Vertreters des französischen Staates kann somit ein Destabilisierungsfaktor für eine grenzüberschreitende Gruppe sein. Die Arbeit mehrer Arbeitsgruppen hat sich aus solchen Gründen verlangsamt oder ist ganz zum Stillstand gekommen.

Beispiel 2: Unklare Delegierungs- und Entscheidungsmacht

Ein weiterer wichtiger Aspekt, den es zu beachten gilt, betrifft die Delegierungs- und Entscheidungsmacht der jeweiligen Akteure. Unerfahrene Schweizer und Deutsche Partner müssen manchmal mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen, dass ihre französischen Partner vor gemeinsamen Entscheidungen zuerst Rücksprache mit den Vertretern ihrer Gebietskörperschaften nehmen müssen oder manchmal sogar längere Zeit auf die Entscheidung eines politischen Gremiums warten müssen.

Umgekehrt kann es auch vorkommen, dass die französische Seite die Vertreter der einzelnen Nordwestschweizer Kantone nicht ernst nehmen, d.h. ihre Anliegen nicht genügend würdigen, weil ihnen deren Entscheidungskompetenz schlichtweg zuwenig bekannt ist.

Um Missverständnisse und Konflikte, die sich bei solchen Konstellationen leicht ergeben können zu vermeiden, ist es enorm wichtig zu wissen, aus welcher Hierarchieebene mit welcher Kompetenz und welchem beruflichen Hintergrund die einzelnen Delegierten kommen.

A.3.3 Von geschriebenen und ungeschriebenen Regeln

Wenn man sich mit kulturellen Einflüssen am Oberrhein beschäftigen möchte, ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein selbst eine eigene Kultur entwickelt hat. Diese Kultur begründet die Basis eines gemeinsamen Verständnisses der Zusammenarbeit Die Akteure sind Teil eines transnationalen Systems, welches Merkmale einer Verwaltungskultur bezüglich arbeitstechnischen Gewohnheiten oder institutionellen Lösungen aufweist[9]. In Bezug auf unser Eisbergmodell aus Kapitel B.1.1 befinden wir uns jetzt auf der Ebene der nur teilweise sichtbaren Elemente. Im nachfolgenden Versuch, Ihnen diese Elemente anhand der gemeinsamen oberrheinischen Verwaltungskultur sichtbar zu machen, stossen wir auf eine Vielzahl geschriebener und ungeschriebener Verhaltensmuster, die man in der täglichen Zusammenarbeit mit den Partnern beachten sollte.

Wenn man die Geschichte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit betrachtet, fällt auf, dass die zentralen Akteure der Kooperation am Oberrhein immer schon gemeinsame Handlungsmotive hatten. Unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, als die Grenzen noch weitgehend abgeschottet waren, fand die grenzüberschreitende Zusammenarbeit unter anderem auf humanitärer Ebene statt, beispielsweise in der Form von Erholungstagen für französische Kinder in der Schweiz. In der Nachkriegszeit war die Kooperation hauptsächlich von der Überzeugung einer politischen Versöhnung der alten Feinde Deutschland und Frankreich geprägt und es wurden neue Kommunikationswege gesucht.

Auch G emeinsame Symbole spielen in der Kooperation am Oberrhein immer eine wichtige Rolle. An öffentlichen Anlässen und gemeinsamen Sitzungen sieht man neben den drei nationalen Flaggen meist auch die oberrheinische Flagge. Die Suche nach gemeinsamen Logos für Projekte hat einen grossen Stellenwert in der Zusammenarbeit und ist oft einer der ersten Schritte bei der Planung eines grenzüberschreitenden Projekts.

In der trinationalen Zusammenarbeit am Oberrhein finden wir auch so genannte gemeinsame Normen, d.h. geschriebene und ungeschriebene Regeln, die das praktische Funktionieren der Zusammenarbeit garantieren sollen und die von allen Partnern als praktisch akzeptiert werden. Grenzüberschreitende Vorhaben sind fast immer durch Konventionen abgesichert, obwohl oft weder ihre rechtliche Grundlage noch ihr praktischer Nutzen wichtig für die Zusammenarbeit sind. Diese Konventionen legen normalerweise die formalen Normen fest, welche die einzelnen Verwaltungskulturen repräsentieren sollen. Die drei wichtigsten Prinzipien sind:

- Das Partnerschaftsprinzip ( keine einseitige Handlung ist möglich)
- Das Kofinanzierungsprinzip (gleichberechtigte Finanzierung aller beteiligten Nationen)
- Das Prinzip der Einstimmigkeit (kein Partner kann gegen seinen Willen zu etwas gezwungen werden)

Gemeinsame Werte finden sich vor allem in der Überzeugung und dem Anspruch der meisten Akteure, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein bedeutend besser funktioniert, als in anderen europäischen Grenzregionen. Die meisten Politiker sehen die Mitarbeit in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als wichtigen Bestandteil ihres Wahlpotentials an, weil die Arbeit in der so genannten „kleinen Aussenpolitik“ einem lokalen Politiker erlaubt, sich auf einem zusätzlichen politischen Parkett zu bewegen. Der Basler Regierungspräsident erfreut sich beispielsweise daran, dass er, aufgrund des politischen Doppelstatus von Basel als Stadtkanton, sowohl die Stadt (hier als Stadtpräsident) als auch den Kanton sozusagen als „Regierender Bürgermeister“ repräsentieren darf und somit auf Augenhöhe mit französischen Regierungsrepräsentanten verhandeln kann.

Letztlich haben die Akteure in der langjährigen Zusammenarbeit am Oberrhein auch viel praktische Erfahrung gesammelt, die zu einem allseits akzeptierten Verständnis bezüglich Verhalten und zu gemeinsamen Lösungen für Standardsituationen geführt hat. Heute ist es ganz selbstverständlich, dass die Gebietskörperschaften spezielle Institutionen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit professionellem und zweisprachigem Personal aufgebaut haben[10]. Obwohl es für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit kein offizielles Jobprofil gibt, sind die Anforderungen an das rekrutierte Personal in allen Gebietskörperschaften etwa gleich.

A.3.4 Sprachunterschiede sind nicht vom Tisch zu reden

In der erweiterten Vereinbarung der Deutsch-französisch-schweizerischen Regierungskommission über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Raum Oberrhein vom 21. September 2000 ist festgehalten, dass die Sprachen der Kommission Deutsch und Französisch sind. Die oft fehlende Kenntnis der Fremdsprache ist bekannter Weise ein Problem in der trinationalen Zusammenarbeit. Selbst wenn mündliche oder schriftliche Kenntnisse der Sprache des Nachbarn bei einigen Akteuren vorhanden sind, ermöglichen diese meistens kein grundlegendes Verständnis und Ausdrucksvermögen in einem Fachgebiet. Professionelle Übersetzungen durch Sprachvermittler sind während der Sitzungen der Arbeitsgruppen aus finanziellen und zeitlichen Aspekten aber nicht möglich. Erfahrene Akteure der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gehen davon aus, dass jeder seine Sprache spricht und die Sprache des Nachbarn versteht. In der Praxis sieht das leider oft anders aus und man kann schon länger nicht mehr erwarten, dass die elsässischen Kooperationspartner automatisch Deutsch sprechen.

In drei[11] Sprachen zu arbeiten erfordert für diejenigen, die nicht alle Sprachen beherrschen, viel Geduld, Selbstvertrauen und Vertrauen in den anderen. Oft wird in Arbeitssitzungen die Sprache zu einem strategisch wichtigen Element, das mehr oder weniger unbewusst dazu benutzt wird die Gesprächspartner zu verunsichern.

Die Sprache ist jedoch nur der sichtbare Teil von viel grundlegenderen kulturell basierten Unterschieden und sollte entsprechend ernst genommen, aber nicht überbewertet werden. Im Kapitel B.4.2 werden Sie mehr über unterschiedliche Kommunikationsstile und ihre Auswirkungen auf die trinationalen Verhandlungen erfahren.

Einige Tipps zum Umgang mit sprachlichen Differenzen:

- Sprechen Sie langsam und deutlich
- Fragen Sie nach, ob Sie verstanden worden sind
- Fassen Sie jeweils kurz zusammen, was Sie gesagt haben
- Bitte Sie um ein Beispiel, wenn Sie etwas nicht verstanden haben
- Versuchen Sie mehr visuelle Mittel zu gebrauchen
- Verlangen Sie Agenda und Protokoll oder sonstige wichtige Dokumente
schriftlich

Die Verantwortung für Kommunikation liegt beim Sprechenden und beim Zuhörenden !

A.4 Die interkulturelle Begegnung am Oberrhein

Wie wir bereits im ersten Teil des Ratgebers gesehen haben, gibt es eine Vielzahl kultureller Aspekte, die die Zusammenarbeit am Oberrhein beeinflussen. Nochmals das Eisbergmodell aufgreifend, widmen wir uns nun den unsichtbaren und schwer fassbaren Aspekten von Kultur.

Die Verhaltensweisen der Akteure in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein sind durch die Elemente unter der Wasseroberfläche geprägt. Und genau diese Unterschiede in den Werten und Grundannahmen, die oftmals für den oberflächlichen Betrachter kaum ersichtlich sind, können Störungen und Irritationen in der zwischenmenschlichen Kommunikation und Kooperation verursachen. Diese Werte sind vereinheitlicht und erlernt von Kindesbeinen an - und relativ konstant innerhalb einer kulturellen Gruppe. Wir haben gelernt mit diesen Werten umzugehen, ohne diese auch nur wahrzunehmen - weil es einfach so ist. Wir beurteilen die Welt, und andere Personen unter Heranziehung dieser Werte - und interpretieren das Verhalten anderer als Interpretation und Ausdruck der darunter liegenden Werte[12].

[...]


[1] Welsch 1995

[2] Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Grenz%C3%BCberschreitende_Zusammenarbeit ,15.10.2008

[3] Vgl. INFOBEST, Chronologie der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, http://www.infobest.eu/de/levolution-de-la-cooperation-transfrontaliere-de, 13.02.2010

[4] Vgl. REGIO BASILIENSIS, Projekte, http://www.regbas.ch/d_projekte.cfm, 05.01.2010

[5] Jakob 2009

[6] Im Anhang finden Sie eine Übersicht der Gebiete, Gremien und Instanzen am Oberrhein

[7] REGIO BASILIENSIS: http://www.regbas.ch

[8] INFOBEST: http://www.infobest.eu

[9] Thedieck 2008: 181

[10] Seit März 1996 hat die Oberrheinkonferenz beispielsweise ein eigenes, trinational besetztes Sekretariat in Kehl am Rhein (D) mit vier Mitarbeitern (je ein Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin pro Land und einem Assistenten bzw. einer Assistentin). Das Sekretariat ist in erster Linie für die Organisation und Durchführung der Plenar- und Delegationsleitersitzungen, die Verfolgung der Umsetzung der vom Plenum getroffenen Beschlüsse sowie für Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich.

[11] Im trinationalen Kontext betrachten wir auch das Schweizerdeutsch als Fremdsprache. Es ist immer wieder zu beobachtet, dass Schweizer sich zwar sehr gut schriftlich ausdrücken, sich während Verhandlungen aber oft von ihren deutschen Gesprächspartnern mit präzisen und geschliffenen Formulierungen ins Abseits drängen lassen.

[12] Vgl. Dahl 2000

Ende der Leseprobe aus 99 Seiten

Details

Titel
Trinational Verhandeln, Führen und Planen
Untertitel
Ein interkultureller Ratgeber für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein
Note
5.8
Autor
Jahr
2010
Seiten
99
Katalognummer
V157356
ISBN (eBook)
9783640702886
ISBN (Buch)
9783640702824
Dateigröße
1480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Trinational, Verhandeln, Führen, Planen, Ratgeber, Zusammenarbeit, Oberrhein
Arbeit zitieren
Brigitte Raaflaub (Autor:in), 2010, Trinational Verhandeln, Führen und Planen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/157356

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