[...] Diese Arbeit hat zum Thema, inwieweit sich die Prozesse der touristischen Anpassung
auf kultureller Ebene in Cusco finden lassen. Durch seine Geschichte
als ehemalige Hauptstadt des Inka-Reiches und Ausgangsort für den Besuch
der weltweit bekannten Inka-Anlage Machu Picchu ist die Stadt das Zentrum
des peruanischen Fremdenverkehrs geworden. Mehr als die Hälfte aller Peru-
Reisenden besuchen Cusco und die Präsenz internationaler Gäste nimmt immer
mehr Einfluss auf die Stadt und ihre Bewohner. Dabei fällt auf, dass sich
gleichzeitig zur zunehmenden Orientierung auf die Touristen und ihre Interessen
die Lokalbevölkerung erneut mit dem inkaischen Erbe und der gegenwärtigen
indianischen Kultur befassen. Diese Rückbesinnung auf andine Traditionen
ist in Cusco zwar kein unbekanntes Phänomen und zeigt sich bis heute im
Indigenismo bzw. Incanismo, jedoch kann der Prozess der Re-Indianisierung,
also der Versuch, die indianische Kultur in ihrer vergangenen oder gegenwärtigen
Ausdrucksform mit einem bestimmten Ziel wieder aufzugreifen, in einer
Wechselbeziehung zum Tourismus gesehen werden. Dabei stellt sich die
Frage, wie und unter welchen Gesichtspunkten die andinen Traditionen im Tourismusgeschäft
aufgenommen werden bzw. welche Bezüge sich eventuell zu
einer allgemeinen, unabhängig vom Tourismus stattfindenden Auseinandersetzung
mit der andinen Kultur in Cusco ziehen lassen. Die Ethnologie beschäftigt sich seit nunmehr drei Jahrzehnten mit dem Tourismus
bzw. mit den Auswirkungen desselben auf die Kulturen der Reiseländer.
Aber erst in den letzten Jahren wurde von einer Verteufelung des Tourismus als
Auslöser von Kulturwandel vor allem bei indigenen Völkern, wie De Kadt 1979
oder May 1985 in ihren Arbeiten vertreten, Abstand genommen. Neuere Studien
ergeben, dass der Reiseverkehr nicht als einziger Grund für die Modernisierung
bzw. Globalisierung indigener Kulturen zu betrachten ist, sondern dass
er in manchen Fällen sogar eine gegenläufige Entwicklung hervorruft. Denn
unter Umständen löst das touristische Interesse sogar eine Revitalisierungsbewegung
bestimmter Kulturmerkmale aus; sozusagen als Gegenreaktion auf die
Touristen und ihre mitgebrachte Kultur (vgl. unter anderem MacKean 1989,
Friedman 1992). [...]
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Tourismus als ethnologisches Forschungsfeld
- 2.1 Definitionen von Tourismus
- 2.2 Anforderungen an eine ethnologische Tourismusforschung
- 3 Tourismus und seine kulturellen Auswirkungen
- 3.1 Kontaktebenen des Tourismus
- 3.2 Reaktionen der Gastgeber auf die Touristen
- 3.2.1 Imitationseffekt
- 3.2.2 Veränderungen in der Sozialstruktur
- 3.3 Kommerzialisierung von Kultur
- 3.3.1 Tourist Art
- 3.4 Die Rolle von Stereotypen im Tourismusgeschäft
- 3.5 Das Problem der Authentizität im Tourismus
- 3.5.1 Das Konzept der „staged authenticity“
- 4 Tourismus in Peru und Cusco
- 4.1 Das touristische Angebot Perus
- 4.2 Cusco als Touristenziel
- 4.2.1 Die Geschichte des Tourismus in Cusco
- 4.2.2 Die verschiedenen Angebote
- 4.2.3 Das touristische Publikum Cuscos
- 4.3 Tourismusinduzierte Probleme im sozial-ökonomischen Bereich
- 5 Incanismo und Re-Indianisierung in Cusco
- 5.1 Der Incanismo
- 5.2 Die Re-Indianisierung
- 5.3 Lo inca versus lo indio
- 5.4 Die Inszenierung von Indianität
- 5.4.1 Die indigene Bevölkerung in der Rolle der tourees
- 5.4.2 Die Mestizen als Vermittler zwischen tourees und Touristen
- 5.4.3 Die Vertreter des Staates als Protagonisten der Re-Indianisierung
- 5.4.4 Das Stadtbild Cuscos als Kulisse für den Tourismus
- 6 Veränderungen andiner Traditionen und Konzepte für den Tourismus
- 6.1 Das historische Bild der Inka im Spiegel des Tourismus
- 6.2 Neuerfundene raymis als Beispiele für eine „,emergent authenticity\"?
- 6.2.1 Das Inti Raymi in Cusco
- 6.2.2 Das K'intu Raymi in Wasao
- 6.3 Der turismo místico
- 6.3.1 Traditionelle paqos im Tourismusgeschäft
- 6.3.1.1 Aufgaben eines paqo
- 6.3.1.2 Ein despacho-Ritual mit einer Touristengruppe
- 6.3.2 Neoschamanen
- 6.3.2.1 Eine,,shamanistic session\" in Cusco
- 6.3.1 Traditionelle paqos im Tourismusgeschäft
- 6.4 Die Frage nach der Authentizität
- 7 Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Magisterarbeit untersucht die Wechselbeziehungen zwischen Tourismus und Re-Indianisierung in Cusco, Peru. Sie beleuchtet, wie sich die Prozesse der touristischen Anpassung auf kultureller Ebene in Cusco manifestieren und wie die Lokalbevölkerung in Cusco mit dem inkaischen Erbe und der gegenwärtigen indianischen Kultur in Verbindung tritt.
- Die Auswirkungen des Tourismus auf die Kultur der Reiseländer
- Die Re-Indianisierung als Reaktion auf den Tourismus
- Die Inszenierung von Indianität im Tourismusgeschäft
- Die Kommerzialisierung von Traditionen
- Die Frage nach der Authentizität im Tourismus
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1 führt in die Thematik des Tourismus und seine Auswirkungen auf die Kultur von Reiseländern ein. Es beschreibt die spezifische Situation in Peru und Cusco, wo die touristische Vermarktung von archäologischen Orten und der indigenen Andenbevölkerung zu einer Manipulation des touristischen Umfeldes führt.
- Kapitel 2 beleuchtet den Tourismus aus ethnologischer Sicht. Es werden Definitionen und Anforderungen an eine ethnologische Tourismusforschung dargelegt.
- Kapitel 3 behandelt die kulturellen Auswirkungen des Tourismus. Es werden verschiedene Reaktionen der Gastgeber auf die Touristen, wie Imitationseffekt, Akkulturation und die Kommerzialisierung von Kultur, analysiert.
- Kapitel 4 konzentriert sich auf den Tourismus in Peru und Cusco. Es wird das touristische Angebot Perus, die Geschichte des Tourismus in Cusco und die verschiedenen Angebote sowie das touristische Publikum Cuscos vorgestellt.
- Kapitel 5 befasst sich mit dem Incanismo und der Re-Indianisierung in Cusco. Es werden die unterschiedlichen Bedeutungen des Incanismo und die Re-Indianisierung als ein Versuch, die indianische Kultur mit einem bestimmten Ziel wieder aufzugreifen, dargestellt.
- Kapitel 6 analysiert die Veränderungen andiner Traditionen und Konzepte für den Tourismus. Es werden Beispiele für die Neuerfindung von Traditionen im Tourismus, wie das Inti Raymi in Cusco, und die Integration traditioneller Schamanen in das Tourismusgeschäft, untersucht.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter dieser Arbeit sind Tourismus, Re-Indianisierung, Cusco, Peru, Andenkultur, Incanismo, Authentizität, Kommerzialisierung, Kulturwandel und ethnologische Forschung.
- Quote paper
- Brigitte Binder (Author), 2002, Wechselbeziehungen zwischen Tourismus und der Re-Indianisierung in Cusco, Peru, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15740