Wie realistisch ist Schumpeters Demokratietheorie?


Hausarbeit, 1998

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Rousseaus Utopie der Demokratie:

Schumpeters realistische Demokratietheorie:
Schumpeters Kritik der ´klassischen Lehre der Demokratie`:
Das Konstrukt der Verwirklichung des Gemeinwohls:
Die menschliche Natur in der Politik:
Demokratie als Konkurrenzkampf um die politische Führung:
Definition:
Probleme und Voraussetzungen:
Vorteile gegenüber dem ´klassischen Modell`:
Schumpeter in der Kritik:
Ökonomische Theorie:
Elitäre Theorie:

Fazit:

»Die Menschheit interessiert sich für die Freiheit eigentlich nicht, die meisten Menschen erkennen schnell, daß sie ihnen nicht viel bedeutet; sie wollen nur gefüttert, geführt, unterhalten und vor allem gedrillt werden. Aber sie mögen die Phrase.« J. A. Schumpeter

Einleitung

Auf den ersten Blick scheint es ein Widerspruch zu sein, daß ein Mann, der sein Menschenbild in solchen Worten zusammenfaßt, eine Demokratietheorie entwickelt hat. Denn Demokratie, wie auch immer definiert, bedeutet zwingend die Einbeziehung großer Teile der Bevölkerung in die Belange der Politik.

Es scheint mir darum nötig zu sein zu betonen, in welcher Situation nun Joseph Alois Schumpeter seinen Ansatz der Demokratietheorie entwickelt hat. Er schrieb sein wohl berühmtestes Buch, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie[1] in den Jahren 1938-1941. Davor hatte er in Österreich und später in Bonn den demokratischen Aufstieg des Nationalsozialismus unmittelbar erlebt und verfolgen können, wie kurz der Weg von der Gemeinschaft freier Bürger zur führertreuen Masse war. Die Problematik der Weimarer Republik, einer Demokratie ohne Demokraten, sowie ihrem Ergebnis klingt z.B. in folgendem Gedankenspiel an, das ihm als Ausgangspunkt für seine Betrachtung über das Wesen der Demokratie dient:

„Versetzen wir uns in ein hypothetisches Land, das auf demokratischem Weg (...) das Hinmorden von Juden praktiziert. (...) Die entscheidende Frage ist die: würden wir die demokratische Verfassung an sich billigen, die solche Resultate hervorbringt, und sie einer nicht-demokratischen vorziehen, die sie vermiede?“

Anders formuliert könnte seine Frage folgendermaßen lauten: Sind die Normen der Demokratie ihr höchster Wert, oder ist es ihre Methode? Was Schumpeter hier als Gedankenexperiment darstellt ist eigentlich das reale Erlebnis, daß diese beiden Elemente sich nicht decken müssen.

Schumpeter stellt an seine Demokratietheorie den Anspruch, eine realistische zu sein. Um diesen Anspruch zu überprüfen, werde ich zuerst auf Rousseaus Ideen zur Demokratie eingehen, da Schumpeter diese zum Ausgangspunkt für seinen Generalangriff auf die sogenannte „klassische Lehre der Demokratie“[2] macht.

Anschließend werde ich Schumpeters Alternative dazu vorstellen und sie unter den Begriffen der „elitären Demokratietheorie“ sowie der „ökonomischen Demokratietheorie“ diskutieren, um abschließend die Realitätsnähe seiner Theorie kritisch zu beurteilen.

Rousseaus Utopie der Demokratie:

Zentrales Thema bei Rousseaus Werk war die Freiheit und die Frage nach dem sittlichen und moralischen Leben. Sie durchzieht sowohl sein pädagogisches als auch sein politisches Werk. Da Begriffe wie Moral oder Freiheit nur bezüglich auf eine Gemeinschaft von Menschen gedacht werden können, war Rousseau gleichsam genötigt, einen Entwurf dieser Gemeinschaft von Menschen, des Staates eben, zu zeichnen.

„Das ist die Aufgabe, die Rousseau in seinen Werken aufnimmt: den freien, nur sich selbst bestimmenden Menschen zu finden und zu formen und dann, im Contrat social den für ihn passenden und notwendigen neuen Staat der freien Selbstbestimmung.“[3]

Vor Rousseau war der Mensch gezwungen, sich einer vorgegebenen Ordnung zu beugen, die sich entweder durch religiöse oder gesellschaftliche Tradition, das rationalistisch aufgeklärte Naturrecht oder das monarchischen Prinzip legitimierte. So wird schon in seiner Economie politique deutlich, wie unnatürlich er jede Regierungsgewalt empfindet. Rousseau umgeht nun diesen Punkt, indem er im Contrat social einen Staat entwirft, der eine „Ich-geschaffene freie Ordnung ist“.[4]

Wichtig scheint mir, hier anzumerken, daß Rousseau darin keinesfalls eine Variante der alten naturrechtlichen Vertragslehre entwickelt (diese Vorstellungen hatte er bereits in früheren Schriften scharf angegriffen). Die Übereinkunft, die in der Vertragslehre als Gedankenspiel in der Vergangenheit stattfindet zieht er in die Gegenwart als tatsächliche, historische Handlung von freien Menschen (agents libres), er betrachtet den Staat als ein kontinuierlich zu schaffendes Gebilde. Für ihn ist die Vorstellung völlig verfehlt, das Volk könne seine Souveränität auf einen Herrscher oder auf Repräsentanten übertragen.[5] Seine Volkssouveränitätslehre fordert vielmehr, daß das gesamte Volk die Souveränität ununterbrochen besitzt und ausübt, d.h. daß zumindest die Legislative direkt beim Volk und nicht einer intermediären Institution liegt. Die Aufgabe des Contrat social formuliert er deshalb so: „Eine Form der Gemeinschaft finden, (...) durch welche jeder, indem er sich mit allen vereint, trotzdem nur sich selbst gehorche und so frei bleibe wie zuvor.“[6] Aus dieser Forderung folgt notwendigerweise, daß das, was die Gemeinschaft will, identisch ist mit dem, was das Individuum will. Diesen Willen der Gemeinschaft, der sich auf die Verwirklichung des Gemeinwohls richtet, nennt Rousseau die volonté générale. Sie decke sich mit der Summe der Einzelwillen, da jeder Einzelwille normalerweise Allgemeininteressen enthält und durch die Abstimmung die sich entgegengesetzten Eigeninteressen aufhöben. Wer überstimmt wird, der wird zur Freiheit und seinem eigentlichen Willen, den er nur noch nicht erkannt hat, gezwungen.

Somit „wird der Staat nicht zum absolutistischen Gegenspieler der Freiheit; er gewährt sie vielmehr im höchsten Maße.“[7] Rousseau hob damit die Trennung zwischen Staat und Volk auf, Beherrschte und Herrscher sind identisch.

Rousseau war sich klar über die Bedingungen, die dieses Modell implizierte: das Land muß relativ klein sein, damit das Volk sich leicht versammeln kann, freie Meinungsäußerung, perfekte Information einerseits und völlige Autonomie der Individuen andererseits (um wirtschaftliche oder sonstige Abhängigkeiten zu vermeiden), einfache und verbindliche Sitten sowie eine hohe Homogenität, d.h. Gleichheit des Volkes um den Meinungsbildungs-, und Diskussionsprozeß zu ermöglichen.

Rousseau war sich wohl bewußt, daß diese Vorbedingungen nur in den seltensten Fällen, und dann nur in ärmeren und kleinen Staaten (d.h. wirtschaftlich und militärisch abhängigen) vorzufinden wären. Dies führte ihn dazu, die Überlebensfähigkeit von Demokratien sehr pessimistisch zu beurteilen. Er führt aus, daß es praktisch unmöglich sei, daß das Volk sich andauernd versammelt, um die öffentlichen Angelegenheiten zu regeln. Außerdem sei die Demokratie extrem instabil, führe leicht zu Unruhen und Bürgerkriegen und neige dazu, ihre Form zu ändern. Nur Götter könnten sich auf diese Weise regieren; „Eine so vollkommene Regierung paßt für Menschen nicht“[8].

Schumpeters „realistische“ Demokratietheorie:

Schumpeter schrieb Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie zu einer Zeit, als die Vorstellung von Demokratie bei weitem noch nicht so fix war wie sie es heute zu sein scheint. Schumpeter analysiert darin die langfristige Entwicklung des Kapitalismus[9] und kommt zu dem Ergebnis, daß dieser sich selbst unterminiert habe; einerseits durch seine eigene Effizienz und andererseits durch die Zurückdrängung der Unternehmerfunktion zugunsten von Großunternehmen sowie die fortschreitende Bürokratisierung. Damit zerstöre der Kapitalismus die ihn schützenden Bevölkerungsschichten und Rahmenbedingungen. Darüber hinaus zöge er auch noch eine ihm immer kritischer gegenüberstehende Schicht Intellektueller heran. Seiner Meinung nach entwickelt der Kapitalismus eine immer stärkere Tendenz hin zum Sozialismus. Daran anknüpfend entwickelt er einen Demokratiebegriff, der ihm realitätsbezogener erscheint und anhand dessen er die „Überlebenschancen“ der Demokratie im zukünftigen Sozialismus überprüft. Dabei kommt er zu dem überraschenden Ergebnis, daß sich Demokratie und Sozialismus keinesfalls ausschließen, da der Sozialismus seiner Ansicht nach sowohl politisch als auch kulturell indeterminiert sei.

Schumpeters Kritik der klassischen Lehre der Demokratie:

Bei seiner radikalen Kritik dessen, was er als die klassische Lehre der Demokratie bezeichnet, bezieht sich Schumpeter hauptsächlich auf Rousseau und die Utilitaristen.

„Die demokratische Methode ist jene institutionelle Ordnung zur Erzielung politischer Entscheide, die das Gemeinwohl dadurch verwirklicht, daß sie das Volk selbst die Streitfragen entscheiden läßt und zwar durch die Wahl von Personen, die zusammenzutreten haben, um seinen Willen auszuführen.“[10]

Seine Behauptung, diese Definition umfasse die Philosophie der Demokratie im 18. Jahrhundert ist wohl zu recht in der Literatur als „maßlos übertrieben“ und „Mythos“[11] bezeichnet worden. David Miller sieht darin sogar die Konstruktion eines ´Prügelknaben`: „Schumpeter has often (and rightly) been criticized for erecting a straw man which he then proceeds to demolish“.[12] Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen eignet sich dieses Konstrukt gut, um Schumpeters Ideen zu kontrastieren.

[...]


[1] Schumpeter, J.A.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Tübingen u.a., 1993, S. 383f

[2] ebd, S. 397

[3] Vossler, Otto: Rousseaus Freiheitslehre, Göttingen, 1963, S. 19

[4] ebd, S. 210

[5] So greift er z.B. den englischen Parlamentarismus mit dem Argument an, das Volk sei nur im Moment der Wahlen frei und ansonsten nur Sklave seiner Repräsentanten.

[6] Rousseau, Jean-Jacques, Du Contrat social, II Buch, Kapitel 6

[7] Röhrs, Hermann: Jean Jacques Rousseau. Vision und Wirklichkeit, Heidelberg, 1966, S. 26

[8] Rousseau, Jean-Jacques, Du Contrat social, III Buch, Kapitel 4

[9] Sein wohl bedeutendstes ökonomisches Werk war den ´business cycles, den langfristigen Konjunkturschwankungen in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung gewidmet, die ihm zufolge durch Innovationen zustandekommen.

[10] Schumpeter, J.A.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 7. erweiterte Auflage, Tübingen u.a., 1993, S. 397

[11] Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien, 2. Auflage, Opladen, 1997, S. 134

[12] Miller, David: The competitive model of democracy in: Democratic theory and practice, Duncan, Graeme (Hrsg.), Cambridge, 1983, S. 137

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Wie realistisch ist Schumpeters Demokratietheorie?
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Institut für Politikwissenschaften)
Veranstaltung
Vorkurs: Einführung in die Politikwissenschaft
Note
1,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
24
Katalognummer
V1576
ISBN (eBook)
9783638109758
ISBN (Buch)
9783638722735
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schumpeters, Demokratietheorie, Vorkurs, Einführung, Politikwissenschaft
Arbeit zitieren
M.A. Hans Christian Siller (Autor:in), 1998, Wie realistisch ist Schumpeters Demokratietheorie?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1576

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