Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Einführung in den Mediendiskurs um Alte und Neue Medien
2.1. Begriffsabgrenzung
2.1.1. Neue Medien und Alte Medien
2.1.2. Der Begriff der Supplementierung
2.1.3. Der Begriff der Komplementierung
2.2. Das Gesetz der Komplementarität
2.2.1. Das Riepl’sche Gesetz
2.2.2. Zeitgenössische Betrachtung
3. „Fahrenheit 451“
3.1. Filmanalyse und Interpretation
3.2. Historische Kontextualisierung
3.3. „Fahrenheit 451“ als Inkunabel einer Medienkritik
4. Resümee - Zeitgenössische Auslegung
5. Bibliographie
1. Einleitung
Nehmen wir eine Kultur, die verschwunden ist.
Unsere Kultur ist maximal viereinhalbtausend Jahre alt.
Was älter ist als viereinhalbtausend Jahre, davon wissen wir kaum etwas.[1]
Der in der Medientheorie immer wieder aufgegriffene Diskurs um Alte und Neue Medien, die Frage, ob ein Neues das Alte verdränge, ablöse, oder gar zerstöre, gilt heute gemeinhin allein dadurch beantwortet, dass es immer noch Bücher, Malerei, Schallplatten und Kassetten gibt, denen sich der Mediennutzer nahezu uneingeschränkt bedienen kann. Doch es ist jene grundlegende Annahme, jenes konstitutive „Gesetz von der Komplementarität“, welches die vorliegende Untersuchung kritisch zu reflektieren erstrebt. Die Untersuchung stellt sich somit bewusst gegen eine jahrelang aufrechterhaltene These, die auf das Jahr 1913 zurückgeht, und wird versuchen, diese zeitgemäß neu zu interpretieren. Obgleich in unserer modernen Gesellschaft durchaus noch Alte Medien existieren, ungeachtet der Tatsache also, dass diese (noch) nicht vollends verdrängt oder gar zerstört wurden, stellt sich doch die Frage, welche Position sie in dem Alltag unserer Generation bestreiten und welche Relevanz sie in fünfzig, sechzig Jahren aufweisen werden können, verglichen mit omnipotenten neuen Medientechniken, verglichen mit der E-Mail oder dem World Wide Web. Was wird mit der DVD passieren, nun, da die Blu-ray Disc, als ihr High-Definition-Nachfolger, allmählich die Regale der heimischen Filmfans erobert? Gerade in der heutigen Zeit schreitet die Sozialisierung über Bildmedien immer weiter fort, so dass ein Teil unserer Kultur Stück für Stück durch audiovisuelle Medien ersetzt wird. Sogar die „traditionellen Printmedien müssen sich zunehmend der Herausforderung durch die Neue[n] Medien stellen“[2]. Und so widmet sich die Untersuchung in beispielhafter Betrachtung des Filmes „Fahrenheit 451“ von Francois Truffaut, der zunächst im Zeichen der damaligen Medienkritik gedeutet und anschließend in einen aktuellen zeitgenössischen Kontext gebettet werden soll, der Frage, ob jener Wertigkeitsumbruch, der sich über Jahrhunderte stetig und schleichend vollzieht, nicht in seiner letzten Instanz doch mit einem Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ gleichzusetzen ist.
2. Einführung in den Mediendiskurs um Alte und Neue Medien
Bei der Einführung eines Neuen Mediums wird bereits mit der theoretischen Reflexion über die spezifische Funktion, die die innovative Technologie in unserem Kommunikationssystem übernehmen wird, eine Konkurrenzsituation etabliert, in der sich das ältere Medium der Gefahr einer Ablöse entgegensieht und um seinen Fortbestand bangt. Es erscheint als ein unbestreitbares historisches Faktum, dass die Produktionsmittel eines Mediums tatsächlich immer wieder durch neuere Methoden verdrängt und ersetzt wurden, so sorgte etwa die Erfindung des Buchdruckes im fünfzehnten Jahrhundert dafür, dass das Anfertigen der Werke mittels Holztafeldruck eingestellt wurde. Die Frage, ob jene Form der Substitution auch für die Medien an sich gelte, ob also ein Neues Medium in der Lage sei, ein Altes zu verdrängen, zu ersetzen oder gar zu zerstören, ist weitaus diffiziler zu beantworten und bedarf zunächst einer klaren Begriffsabgrenzung.
2.1. Begriffsabgrenzung
2.1.1. Neue Medien und Alte Medien
Die vorliegende Untersuchung versteht Medien als „Kommunikationskanäle“ nach Ulrich Saxer, die spezifische Zeichensysteme transportieren. Die Termini „Alte Medien“ und „Neue Medien“ sind jeweils im historischen Kontext und in Relation zueinander zu betrachten.
2.1.2. Der Begriff der Supplementierung
Der Terminus „Supplementierung“ beschreibt eine Art der Substitution, die auf einem Ersatzeffekt auf Seiten des Rezipienten beruht, welcher auf die Nutzung eines Alten Mediums zugunsten seiner verbesserten Version in Form eines Neuen Mediums vollständig verzichtet. Jenes übernimmt somit die spezifische Funktionen seines Vorgängers und entzieht diesem durch Übernahme der Aufgabenbereiche seine Daseinsberechtigung. Die Nachfrage der Rezipienten nach dem Alten Medium sinkt und, gemäß den neoklassischen Gesetzen der Marktwirtschaft, mit ihr das Angebot der Herstellerfirmen, die sich stattdessen auf den Vertrieb des Neuen Mediums beziehungsweise seiner Produkte konzentrieren. In diesem Sinne verwundert es nicht, dass sich mittlerweile in den Regalen großer Elektrofachmärkte kaum mehr VHS-Kassetten auffinden lassen, mussten diese doch längst der DVD ihren Platz räumen. Das Konzept der Supplementierung wird jedoch immer wieder diskutiert und ist stark umstritten.
2.1.3. Der Begriff der Komplementierung
Das Komplementärverhalten beschreibt die Optimierung eines bereits vorhandenen Mediensystems durch ein Neues Medium, welches als ein autonomes und ergänzendes Kommunikationsmittel wahrgenommen wird und eine Koexistenz mit bereits existierenden Technologien eingeht, anstatt diese zu verdrängen[3]. Das Fernsehen hat den Rundfunk bei seiner Einführung in die Medienlandschaft nicht zurückgedrängt, vielmehr hat es jenes Gefilde noch um seine spezifische Funktion erweitert. Zu solch einem Komplementärverhalten kommt es vor allem dann, wenn beide Einzelmedien spezifische, aber jeweils differente Eignungen aufweisen.
2.2. Das Gesetz der Komplementarität
2.2.1. Das Riepl’sche Gesetz
Das Gesetz von der Komplementarität besagt, im Gegensatz zur so genannten „Supplementärhypothese“, die davon ausgeht, dass sich Medien gegenseitig ersetzen, dass ein Altes Medium niemals vollständig durch ein Neues Medium verdrängt werden kann.
Jener Grundsatz geht auf den Historiker und Altphilologen Wolfgang Riepl zurück, dessen 1913 erschienene Publikation „Das Nachrichtenwesen des Altertums“ von der Kommunikationsforschung immer noch als Standardwerk in der Diskussion um Supplementierung oder Komplementierung gehandhabt wird, und in dessen Einleitung Riepl postuliert:
[…] Andererseits ergibt sich gewissermaßen als ein Grundgesetz der Entwicklung des Nachrichtenwesens, daß die einfachsten Mittel, Formen und Methoden, wenn sie nur einmal eingebürgert und brauchbar befunden worden sind, auch von den vollkommensten und höchst entwickelten niemals wieder gänzlich und dauernd verdrängt und außer Gebrauch gesetzt werden können, sondern sich neben diesen erhalten […][4]
Diesen Grundsatz stützt Riepl auf die Tatsache, dass „neben den höchstentwickelten Mitteln, Methoden und Formen des Nachrichtenverkehrs in den Kulturstaaten auch die einfachsten Urformen bei verschiedenen Naturvölkern noch heute im Gebrauch sind“[5].
[...]
[1] Flusser, Vilém, Kommunikologie weiter denken. Die „Bochumer Vorlesungen“, Hg. Silvia Wagnermeier/ Siegried Zielinski, Frankfurt am Main: Fischer Verlag 2009, S. 53
[2] Mittl, Petra, „Komplementarität oder Substitution? Vergleichende Analyse zu den österreichischen Nachrichtenmagazinen „Profil“ und „Format“ und deren Online-Angeboten im Jahr 2001“, Dipl.-Arb., Universität Wien, Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften 2002, S. 6
[3] vgl. Mittl, Petra, „Komplementarität oder Substitution? Vergleichende Analyse zu den österreichischen Nachrichtenmagazinen „Profil“ und „Format“ und deren Online-Angeboten im Jahr 2001“, Dipl.-Arb., Universität Wien, Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften 2002, S. 74
[4] Riepl, Wolfgang, Das Nachrichtenwesen des Altertums. Mit besonderer Rücksicht auf die Römer, Leipzig: Teubner 1913, S. 5
[5] ebenda, S. 5