Der Berufseinstieg und die Lebenswelt von SozialwissenschaftlerInnen im Kontext der Transformationen des Erwerbssystems


Doktorarbeit / Dissertation, 2010

318 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

Aufbau der Arbeit

Teil 1: Theoretischer Rahmen

1. Transformationen im Erwerbssystem
1.1. Prekarisierung
1.2. Subjektive Verarbeitungsmechanismen prekärer Beschäftigung
1.3. Exklusion und soziale Unsicherheit
1.4. WissensarbeiterInnen

2. Von der universitären Sozialisation zur professionellen Identität
2.1. Bildung als multidimensionaler Faktor des Wissenserwerbs
2.2. Die Studienwahlmotivation als rationale und subjektive Entscheidung
2.3. Das universitäre System zwischen Ökonomisierung und Reproduktion
2.4. Die universitäre Sozialisation: Vom Fachhabitus zum Homo Academicus
2.5. Akademischer Wissenserwerb und Kompetenzentwicklung
2.6. Der Bildungsabschluss im Zusammenhang mit Employability
2.7. Die Relevanz von Sozialkapital und sozialen Netzwerken
2.8. Die berufsbiographische Sozialisation und der berufliche Habitus
2.9. Vom biographischen (Erfahrungs-)Wissen zur professionellen Identität

3. Biographiegestaltung im Kontext der Erwerbstätigkeit
3.1. Exkurs: Biographie und narrative Kompetenz
3.2. Individualisierung im Zusammenhang mit vielfältigen biographischen Gestaltungsmodi
3.3. Selbstsozialisation und Selbstreflexion: Das Individuum als biographischer Akteur
3.4. Die Subjektivierung von Arbeit und ihre Auswirkungen auf die geschlechtsspezifische Lebensführung
3.5. Weibliche Lebensplanung in Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie
3.6. Pluralisierte Familienformen und biographische Ambivalenzen
3.7. Das Konzept der Work-Life-Balance als Faktor der Lebensqualität

4. Der Berufseinstieg von SozialwissenschaftlerInnen
4.1. Befunde zum Berufseinstieg von SozialwissenschaftlerInnen allgemein
4.2. Soziologie als Studium und im Beruf - empirische und theoretische Implikationen
4.2.1. Allgemeine Situation vor dem Studium
4.2.2. Motivlagen, Eigenschaften der Studierenden und Relevanz der Studieninhalte
4.2.3. Nützliche erworbene fachliche und soziale Kompetenzen
4.2.4. Quellen der Arbeitssuche, Beschäftigungsverhältnisse und berufliche Situation
4.2.5. Arbeitsbereiche und Fach-Adäquanz
4.2.6. Aspekte der Professionalisierunng
4.3. Professionalisierungschancen der Soziologie
Fazit: Biographiegestaltung von SozialwissenschaftlerInnen als selbstreflexive Herausforderung im Kontext von Statuspassagen

Teil 2: Forschungsdesign und Methodologie

5. Theoretisches Sampling
5.1. Eigenschaften und Auswahl des Samples
5.2. Sampling-Strategien

6. Exkurs: Forschung im eigenen Feld

7. Erhebungs- und Auswertungsverfahren
7.1. Das narrative Interview
7.2. Transkription und Einsatz qualitativer Analysesoftware
7.3. Abgrenzung der formalen Netzwerke von den analytischen Netzwerken

8. Analysemethoden
8.1. Grounded Theory
8.2. Narrationsanalyse
8.3. Die qualitative Netzwerkanalyse
Diskussion: Limitationen und Qualitätskriterien der Methode

Teil 3: Empirische Ergebnisse

9. Beruflicher Sozialisationsprozess
9.1. Biographische Entscheidungen und Ressourcen
9.1.1. Studienwahlprozess und Motive
9.1.2. Ressourcen für die Ausbildung
9.2. Arbeitsrelevante Aspekte
9.2.1. Arbeitsbedingungen
9.2.2. Work-Life Balance
9.3. Beruflicher Sozialisationsprozess: Beschreibung des Kategoriensystems

10. Individuelle Identitätskonstruktion
10.1. Subjektive Identität
10.1.1. Selbstbild
10.1.2. Einstellung zu alternativen Bildungsoptionen
10.1.3. Familienbild und subjektive Relevanz
10.2. Gesellschaftliche Konstruktionen
10.2.1. Fremdbild und Rezeption
10.3. Individuelle Identitätskonstruktion: Beschreibung des Kategoriensystems

11. Biographische Exklusionsrisiken
11.1. Individuelle Unsicherheitsrisiken und Systemische Restriktionen
11.1.1. Strukturelle Restriktionen im Beschäftigungssystem
11.1.2. Strukturelle Restriktionen im Studium
11.1.3. Zukünftige Aspirationen
11.2. Biographische Exklusionsrisiken: Beschreibung des Kategoriensystems

12. Professioneller Habitus
12.1. Akademischer Habitus
12.1.1. Akademischer Status und Qualifikationen
12.1.2. Soziologische Denkweise und Qualifikationen
12.2. Berufliche Erfolgsstrategien
12.2.1. Berufsstrategische Kompetenzkonstruktion
12.2.2. Soziales Netzwerk
12.3. Professioneller Habitus: Beschreibung des Kategoriensystems
12.4. Ergebnisse der Qualitativen Netzwerkanalyse

Teil 4: Diskussion

13. Der Berufseinstieg und die Lebenswelt von SozialwissenschaftlerInnen im Kontext der Transformationen des Erwerbssystems
13.1. Entscheidung für das Studium
13.2. Universitäre Bildung
13.3. Akademischer Fachhabitus
13.4. Akademischer Status
13.5. Berufliche Qualifizierung und entscheidende Kompetenzen
13.6. Die Relevanz von sozialen Netzwerken
13.7. Professionalisierung der Soziologie
13.8. Beruflicher Erfolg von SozialwissenschaftlerInnen
13.9. Beruf, Freizeit und Familie
13.10. Konzeptionen und Eigenschaften von Familie
13.11. Auswirkungen der Transformationen des Erwerbssystems

Exkurs: Methodische Reflexion

Qualitative Forschung und das Kontextwissen

Theorie versus Empirie

Qualitative Methodik - Individuum und System

Der realisierte Forschungsprozess und abschließende Bemerkungen

Ausblick

Bibliographie

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Bezugsrahmen für Sozialisationstheorien

Abbildung 2: Mechanismen der forcierten Ambivalenz

Abbildung 3: Beweggründe für das Studium

Abbildung 4: Vier Idealtypen von Studierenden

Abbildung 5: Interessierende Studienbereiche

Abbildung 6: Aspekte des Soziologie-Studiums

Abbildung 7: Wichtigkeit der Aspekte für den Beruf

Abbildung 8: Quellen für die Anstellung unmittelbar nach dem Studium

Abbildung 9: Beschäftigungsverhältnis differenziert nach soziologienahen und -fernen Arbeitsbereichen

Abbildung 10: Beschäftigungsverhältnis der AkademikerInnen

Abbildung 11: Aktuelle berufliche Situation

Abbildung 12: Bereiche in denen die AbsolventInnen tätig sind

Abbildung 13: Ereignisse nach dem Studium

Abbildung 14: Bekanntheitsgrad Österreichische Gesellschaft für Soziologie

Abbildung 15: Transkriptionsregeln

Abbildung 16: Das paradigmatische Modell

Abbildung 17: Der Kodierprozess

Abbildung 18: Das verwendete Forschungsparadigma

Abbildung 19: Theoretisches Modell

Abbildung 20: Netzwerkansicht der Kategorie Beruflicher Sozialisationsprozess

Abbildung 21: Netzwerkansicht der Kategorie Individuelle Identitätskonstruktion

Abbildung 22: Netzwerkansicht der Kategorie Biographische Exklusionsrisiken

Abbildung 23: Netzwerkansicht der Kategorie Professioneller Habitus

Abbildung 24: Beschaffenheit der Sozialen Netzwerke

Abbildung 25: Der realisierte Forschungsprozess

Einleitung

Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten.

Konfuzius

Diese Studie untersucht, anhand des Berufseinstiegs von SozialwissenschaftlerInnen und besonders SoziologInnen, den Übergang von der universitären Bildung ins Erwerbsleben nach Abschluss des Studiums.

Dabei geht es um die Biographiegestaltung im Hinblick auf Statusübergänge im Lebenslauf. Es besteht nicht die Absicht, die gesamte Biographie ins Blickfeld zu nehmen, sondern den Übergang von einem Status in den nächsten, veranschaulicht anhand der Situation von Sozialwissenschafts-AbsolventInnen, zu untersuchen. Frühere Modelle, wie etwa das Schwellen-Modell (Mertens 1976), die den Übergang ins Berufsleben thematisierten, blenden oft aus, dass der Übergang nicht linear erfolgen muss, sondern sich über mehrere Stadien ziehen kann.

Das Konzept des Lebensverlaufes hingegen (Mayer 1995) fokussiert sowohl auf die individuelle Komponente als auch auf die strukturelle Einbettung sozialer Dynamiken im Hinblick auf den Arbeitsmarkt. Vier Grundannahmen sind in diesem Modell von Bedeutung: Erstens ist der Lebenslauf eines Individuums ein Teil und ein Produkt von gesellschaftlichen und historischen Entwicklungen, und steht daher dazu, und auch zu anderen Individuen und sozialen Gruppen, eng in Verbindung. Zweitens orientiert sich der Lebenslauf an institutionelle Gegebenheiten und Hierarchien in Organisationen. Drittens müssen diese Dynamiken immer auch in ganzheitlich biographischen Kat]egorien gedacht werden, wie etwa im Kontext von Familie. Und viertens steht dem Individuum ein Reservoir an Erfahrungen zur Verfügung, das es durch das Wechselspiel dieser Komponenten ständig anpassen und erweitern kann. (Dietrich und Abraham 2008: 76) Positiv an diesem Theoriemodell ist, dass nicht eine Normalbiographie vorausgesetzt werden muss, sondern dass ein Übergang durch mehrere Übergange - oder besser Statuspassagen - gekennzeichnet sein kann.

Statuspassagen werden in dieser Studie begriffsdefinitorisch als „Verlaufsformen“ verstanden, „die von einem Status zu einem anderen führen“ […] und mit typischen Veränderungen der Identität“ einhergehen können. (Fuchs-Heinritz, Lautmann, Rammstedt und Wienold 1994: 647) In einer über mehrere Wellen verlaufenden qualitativen und quantitativen empirischen Studie, die von 1988-2001 an der Universität Bremen durchgeführt wurde und unter dem Projekttitel „Statuspassagen in die Erwerbstätigkeit“1 lief (siehe z.B. Witzel und Kühn 1999), wurde der Übergang von der Ausbildung in den Beruf unter FacharbeiterInnen untersucht. Dabei wurden sowohl auf die Berufsfindung als auch auf die individuelle Biographien der Personen eingegangen. Das Projekt trug auch zum Verständnis der Risikolagen, die sich im Lebensverlauf ergeben können, bei.

In dieser Studie rückt nun eine andere Statuspassage ins Blickfeld der Untersuchung und zwar der Übergang vom Studium ins Berufsleben von AkademikerInnen. Dabei liegt das primäre Erkenntnisziel darin, zu erforschen, wie sich die Lebenswelt der AkademikerInnen zwischen und nach dem Eintritt ins Berufsleben darstellt. Als Sample wurden AbsolventInnen der Sozialwissenschaften gewählt und im speziellen SoziologInnen, die ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben. Dabei ist festzustellen, dass der Übergang vom Studium in den Beruf keinen klaren Linien folgen muss. Denn die AkademikerInnen können teilweise, über Jobs neben dem Studium, bereits am Arbeitsmarkt integriert sein. Studien zeigen, dass gerade StudentInnen der Sozialwissenschaften zu 80% unterschiedliche Arbeitstätigkeiten ausüben. „Studium geschieht nicht mehr hauptberuflich, sondern gleichsam nebenberuflich neben verschiedenen kleinen wechselnden Erwerbstätigkeiten.“ (Richter 2008: 730) Dieser Thematik wird im Kapitel über die Situation von Sozialwissenschafts-Studierenden und AbsolventInnen, die sich in empirischen Studien zeigt, ebenso nachgegangen, wie auch anderen wichtigen Implikationen, die im Studium und danach einen Einfluss auf das Leben als Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerin haben.

Transformationen im Erwerbssystem haben auch für die JungakademikerInnen Auswirkungen. Moderne Diskurse reden von Prekarisierung, Exklusion und sozialer Unsicherheit. Sicher ist, dass durch gesellschaftliche Veränderungsprozesse, sowie durch die Globalisierung und der Entwicklung moderner Informationstechnologien, neue Formen von Arbeit entstanden sind und auch solche, die zu einer Unsicherheitsproblematik führen können. Befristete Projektarbeit, Unterbeschäftigung und die Risiken Neuer Selbstständiger etwa, sind atypische Beschäftigungsformen, die das Leben erschweren können. Diese unter dem modernen Namen „prekäre Beschäftigungen“ laufenden Aktivitäten können Strukturmerkmale aufweisen, die sich in der Postmoderne entwickelt haben und Arbeitsformen der Industriegesellschaft ablösen. Wie gehen die SozialwissenschaftlerInnen mit diesen, daraus resultierenden Problemen, um? Welche Strategien verfolgen sie, um finanzielle Sicherheit zu erhalten?

Wie wirken sich diese neuen Arbeitsformen auf ihre Vorstellungen von, oder wenn schon realisiert, Familie oder Partnerschaft aus? Welche Zukunftsvorstellungen haben sie von ihrem Leben? Gibt es eine Lebensplanung auch dann, wenn sie Zeiten von unsicheren Arbeitsverhältnissen ausgesetzt sind? Inwiefern spielen soziale Netzwerke eine Rolle bei der Suche nach einer adäquaten Arbeit? Welche Beschäftigungsformen AbsolventInnen nachgehen und wie diese beschaffen sind, bzw. wie sie die Lebenswelt der AkteurInnen strukturieren, auch in Hinblick auf biographische Gestaltungswünsche, wird somit ein weiterer Teil der Studie sein.

Der Abschluss eines Studiums ist ein wichtiges Ereignis im Leben jedes Akademikers und jeder Akademikerin. Nicht nur, dass sie von einem Status in einen anderen wechseln, sie haben somit auch Optionen auf bestimmte Gratifikationen und werden in Bereiche involviert, ohne die sie mit einem formalisierten Universitätsabschluss nicht inkludiert worden wären. Die Entscheidung für ein Studium hat bereits Auswirkungen auf ihre universitäre Sozialisation. Bildung allgemein schafft Möglichkeiten, die weit über fachliche Kompetenzen hinausgehen. Wie gestaltet sich die Studienwahlmotivation von SozialwissenschaftlerInnen? Inwiefern kann man speziell vom idealtypischen Soziologen oder von einer idealtypischen Soziologin sprechen, wenn es darum geht zu untersuchen, ob es etwa einen „Fachhabitus“ gibt. Werden die Vorstellungen, die über das Studium vor und zu Beginn des Studiums bestanden, auch tatsächlich realisiert? Die universitäre Sozialisation ist also ein Teil, der die AbsolventInnen prägt und beeinflusst. So ist ihre Entscheidung für ein Studium nicht nur auf Grundlage ihrer persönlichen Interessen und Motivlagen zu sehen, sondern sie beginnen damit auch eine entscheidende Phase ihrer Biographie. Sie werden Teil des universitären Systems und, was auch als sehr relevant erachtet wird, Teil einer bestimmten Kultur und im speziellen, Fachkultur. (Multrus 2004)

Die AbsolventInnen erlangen durch das Studium einen Erfahrungshintergrund, der aus erreichten Qualifikationen, Kompetenzen und dem Umgang mit dem universitären bürokratischen System besteht, sowie empirisch zu ermittelnden anderen Eigenschaften. Mittels des individuellen Selbstbildes und Charakters jedes Akteurs wird sichtbar, welche Qualifikationen, die im Studium in mehreren Bereichen erworben werden, entscheidend für die Selbsteinschätzung und das Selbstbewusstsein sind und für das Vertrauen, erfolgreich in das Beschäftigungssystem übergehen zu können. Außerdem wird zu klären sein, inwiefern soziale Netzwerke sowohl vor, während und nach dem Studium für das berufliche Fortkommen genützt werden und wie diese beschaffen sind. Schließlich gilt es hier auch zu erfassen, wie Kompetenzen und Wissensbestände die berufliche Laufbahn der AkademikerInnen gestalten und ob und wie man in diesem Zusammenhang auch vom professionellen Habitus sprechen kann.

Der Übertritt vom Studium in den Beruf muss zwar nicht linear erfolgen, aber der Statuswechsel ist inhärent, auch wenn sich möglicherweise dadurch im Leben der AkademikerInnen nicht unbedingt sofort etwas ändert. Auch muss man sich hier der „Institution Beruf“ widmen, denn auch diese ist im Wandel begriffen. Wird von manchen TheoretikerInnen die „Auflösung der Normalbiographie“ beschrieben, so kann zumindest angenommen werden, dass der Beruf als Institution, ebenso Änderungen erfahren hat. Fand früher eine starke Identifikation über den Beruf statt, so wird heutzutage nicht primär danach gefragt. (Richter 2005) Die Berufssoziologie, die sich diesem Thema verschrieben hat, fand ihren Höhepunkt in den 80er Jahren. Heutige Theorien, die im Zusammenhang mit Beruf und Arbeit genannt werden, orientieren sich eher an den Paradigmen der sozialen Ungleichheitsforschung. Zu den neueren Entwicklungen lassen sich vor allem die These des Arbeitskraftunternehmers von Voß (2001) nennen, die feststellt, dass sich die berufliche Entwicklung jedes einzelnen, auf die systematische Veränderung der geforderten Qualifikationen anpassen muss und man zukünftig nicht mehr eine berufliche Ausbildung haben wird, sondern „sein je eigenes Berufsprofil machen muss, und zwar als kontinuierliches Projekt mit unklarem Ausgang.“ (Voß 2001: 303) Ich möchte klären, dass der Beruf Chancen, Perspektiven, Autonomie, sowie Sinnhaftigkeit bietet, um nur einige Attribute von Lebensqualität zu nennen, und „er ermöglicht eine längerfristige biographische Orientierung [und] stellt einen geregelten Zusammenhang von Bildungs- und Beschäftigungssystem dar und bietet eine Möglichkeit, „Übergangsphasen“ zu gestalten.“ (Kraus 2006: 182) Doch was braucht es alles, um beruflich erfolgreich zu sein? Welche Kompetenzen helfen den AbsolventInnen außer dem Studium, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sei es, ob sie sich für einen außeruniversitären fachfremden Beruf entschieden haben, oder etwa für einen wissenschaftlichen fachnahen Beruf?

Eines der weiteren Erkenntnisinteressen ist es schließlich, die Biographiegestaltung der AkademikerInnen im Kontext der Erwerbstätigkeit, ins Blickfeld zu nehmen. Berufsbiographische Möglichkeiten nach Beendigung eines Studiums ergeben sich aus den Strukturvorgaben im Kontext des Arbeitsmarktsystems und gesellschaftlicher Entwicklungen. „Soziale Strukturen [können] die Handlungsspielräume [der] Akteure verengen oder erweitern. Zum anderen sind sie Gegenstand der reflexiven Auseinandersetzung von Akteuren, die aus Ungleichheitserfahrungen Entscheidungen und Handlungen für ihre Lebensführung resp. Gestaltung ihrer Berufsbiographie formen.“ (Witzel und Kühn 1999: 9) Die AbsolventInnen gelten als GestalterInnen ihrer eigenen Biographie und zwar in dem Sinne, dass sie in ihren speziellen Handlungsräumen mögliche Optionen prüfen, ihre Entscheidungen danach ausrichten und auf ihre Ressourcen zurückgreifen, bzw. bei möglichen Restriktionen, aufgrund gesellschaftlicher Ungleichheitsbedingungen, entsprechend reagieren müssen. Es geht daher nicht nur um die Erfahrungswelt der Akteure, sondern auch um die vom System gegebenen Bedingungen und Möglichkeiten. Das Wechselspiel aus individuellen Handlungsstrategien und dem Übergang auf den Arbeitsmarkt ist der Fokus auf der Ebene der Biographieforschung, aber auch, inwiefern sich die Bereiche „Arbeit“ und „Leben“ für die AbsolventInnen darstellen. Wie strukturiert Arbeit den Lebenslauf und welchen Stellenwert nimmt sie für die SozialwissenschaftlerInnen ein? Wie zufrieden sind sie mit ihrer Arbeitstätigkeit und welche weiteren Aspirationen verfolgen sie? Wie sehr haben „positive“ und „negative“ Arbeitsformen Auswirkungen auf die Balance von Arbeit und Leben? Ein wesentlicher Grundgedanke bleibt hier, dass die Erfahrungen und Möglichkeiten der Akteure durch den Übergang in den Arbeitsmarkt, wesentlich zur Ausformung und Strukturierung ihrer Tätigkeiten außerhalb der Arbeit beitragen und einen direkten Einfluss auf ihre zeitlichen Ressourcen haben bzw. klar wird, wo sie in ihrer derzeitigen Situation Prioritäten setzen. Bezogen auf die mögliche Familienplanung im Kontext des stattfindenden biographischen Übergangs, gehe ich von der Annahme aus, dass aufgrund von bereits geschilderten Ungleichheitsphasen im Lebenslauf, eine langfristige Lebensplanung eher in den Hintergrund gerät und auf die aktuellen Veränderungen, die sich durch eventuelle Arbeitsmöglichkeiten ergeben, reagiert wird. Dabei geraten Wünsche, auch in Bezug auf die Familienplanung, in den Hintergrund oder sind noch gar nicht individuell ausformuliert worden.

Biographieforschung möchte ich hier noch weiter fassen. Die Studie beschäftigt sich zwar auf der individuellen Ebene mit Statuspassagen und dem Übergang in den Beruf. Allerdings werden die Möglichkeiten der AbsolventInnen durch vorgegebene Bedingungen und Restriktionen des Beschäftigungssystems oder des Studiums strukturiert und eingeschränkt. Es finden Selektionsprozesse in zweierlei Form statt. Erstens auf der Ebene der AkademikerInnen, die sich nach ihren individuellen Motivlagen, unter Berücksichtigung ihrer Qualifikationen, für Stellen bewerben und zweitens auf Ebene der ArbeitgeberInnen, die aufgrund ihrer Bedürfnisse, auf das Know How und die Bildung der BewerberInnen, zurückgreifen. Welche Erfahrungen die AkteurInnen mit den Strukturvorgaben der Metaebene ArbeitgeberIn machen und inwiefern sich darin die Makroebene Arbeitsmarkt und das politische System wiederfindet, wird in der Studie sichtbar werden. Es wird zu klären sein, „wie sich die Individuen mit ihren Erfahrungen, Ansprüchen und Ressourcen auf die ungleich verteilten Optionen und Handlungsspielräume im Lebenslauf beziehen.“ (Heinz 2000)

Die Situation der SozialwissenschaftlerInnen und speziell SoziologInnen, im Kontext von Studium und Beruf, soll schließlich anhand ausgewählter Studien und persönlicher statistischer Analysen, veranschaulicht werden. Dies soll dann auch als Übergangskapitel für meine eigene empirische qualitative Untersuchung, die durch die Grounded Theory forschungsgeleitet ist, gelten. Mithilfe narrativer Interviews mit SozialwissenschaftlerInnen und speziell SoziologInnen und deren anschließender Auswertung, werden die Erkenntnisintentionen auf empirischer Ebene versucht klar zu legen und abzudecken.

Im Sinne einer Bereicherung der bestehenden Forschungsergebnisse und theoretischen Implikationen, werde ich, durch meine qualitative empirische Herangehensweise und der Methodentriangulation, sowie der Zusammenführung daraus resultierender Ergebnisse aktueller, auf Mikro-, Meta- und Makroebene stattfindenden Theoriedebatten, die Erkenntnisintentionen versuchen zu erreichen, die hier zusammenfassend geschildert wurden.

Aufbau der Arbeit

Aufgrund dem Bestreben eine biographische Studie durchzuführen, die anhand des Übergangs vom Studium in den Beruf die Lebenswelt von SozialwissenschaftlerInnen untersucht, bietet sich eine Fülle von theoretischen Konzepten zu einzelnen Lebensbereichen aber auch zu systemischen Gegebenheiten, die auf die individuellen Biographien einwirken. Wie bereits in der Einleitung erläutert deckt das Thema, aufgrund der Beschaffenheit der Fragestellungen, verschiedene Erkenntnisintentionen ab. Zum einen ist das die individuelle Beschaffenheit jeder einzelnen Biographie aber zum anderen geht es auch darum, wie sich die Lebenswelt der AbsolventInnen aufgrund von systemischen Gegebenheiten und Anforderungen von außen im Zuge des Übergangs vom Studium in den Beruf darstellt.

Diese Arbeit beginnt daher mit den aktuellen theoretischen Konzepten bezüglich der Transformationen des Erwerbssystems und gibt vor allem einen Überblick über die Strukturen der modernen Erwerbsgesellschaft, in der neben neuen Ansätzen (Wissensgesellschaft) auch Restriktionen, die auf die Lebenswelt der Befragten Auswirkungen haben könnten (Prekarisierung, Exklusion und soziale Unsicherheit) diskutiert werden. Wie diese Gegebenheiten sich dann auf die Biographien der Individuen auswirken können, wird durch den Ansatz der subjektiven Verarbeitungsmechanismen in Zusammenhang mit möglichen prekären Beschäftigungsverhältnissen, dargestellt.

Im nächsten Theoriekapitel geht es dann um die universitäre Sozialisation beginnend bei der Studienwahlentscheidung. Diese wird schließlich vor allem im Zuge des Statuswechsels vom Studierenden zum Akademiker bzw. zur Akademikerin diskutiert wobei hier besonderes Augenmerk auch auf die vielseitige Kompetenzentwicklung im Zuge des Studiums und die Rolle von Sozialkapital gelegt wird. Als weiterer Schritt wird dann, durch eine weitere theoretische Ausarbeitung, die Entwicklung zur professionellen Identität erläutert.

Ist der Übergang vom Studium ins Berufsleben vollzogen, orientieren sich die Biographien an bestimmten Faktoren des neuen Lebensabschnittes wobei vor allem die berufliche Entwicklung eine Rolle spielt. Theoretische Konzepte werden in diesem Kapitel besprochen, die etwa von Individuen als biographischen Akteuren ausgehen und auch eine Subjektivierung von Arbeit - vor allem hier auch geschlechtsspezifisch diskutiert - vermuten lassen. Da aber auch der private Lebensbereich der AbsolventInnen Gegenstand der Untersuchung ist, soll dieses Theoriekapitel auch aktuelle Diskurse über Familienplanung, Arbeit, Beruf und Freizeit aufgreifen.

Das letzte Kapitel befasst sich dann speziell mit dem Berufseinstieg von SozialwissenschaftlerInnen. Dieses ist nicht nur geleitet durch theoretische Konzepte sondern hier werden auch empirische Ergebnisse präsentiert, die aus quantitativen Studien gewonnen wurden bzw. die eigene deskriptive Berechnungen beinhalten und die dann mittels Triangulation mit den qualitativen Ergebnissen verglichen bzw. durch diese erweitert werden. Es geht dabei nicht um eine Bewertung des sozialwissenschaftlichen Studiums sondern um den Kompetenzerwerb und die Möglichkeiten, die sich aufgrund dessen während und nach dem Studium für die AbsolventInnen ergeben bzw. ergeben haben. Angeführt werden dennoch auch, welche Inhalte des Studiums und welche weiteren Faktoren (z.B. Nutzung von Sozialkapital) für diesen Kompetenzerwerb ausschlaggebend waren.

Nach der Darstellung des Forschungsdesigns und der verwendeten sozialwissenschaftlichen Methoden werden dann die empirischen Ergebnisse präsentiert und schließlich im Diskussionskapitel mit den herausgearbeiteten theoretischen Konzepten und Ergebnissen aus den quantitativen Studien zusammengeführt.

Im letzten Teil dieser Arbeit ist es schlussendlich ein Anliegen, den Forschungsprozess, der den größten Teil der Studie ausmachte, im Zuge der allgemeinen Methodendiskussion zur qualitativen Sozialforschung, reflexionsartig darzustellen. Eine qualitative Forschungsarbeit in diesem Ausmaß, die mit theoretischmethodischen Überlegungen zum Forschungsprozess begonnen hat, kann Informationen und Reflexionen über Forschung in der Praxis vermitteln und somit einen Beitrag zur aktuellen Methodendiskussion leisten.

Teil 1: Theoretischer Rahmen

1. Transformationen im Erwerbssystem

Der Diskurs, in Bezug auf Transformationen im Erwerbssystem, ist ein sehr populärer und es gibt viele gegenwärtige Ansätze und Theorien, um diese Veränderung von Arbeitsformen zu erklären. Das Normalarbeitsverhältnis kann von sogenannten atypischen Arbeitsverhältnissen2 verdrängt werden und diese Beschäftigungsformen können individuelle Unsicherheitsrisiken bergen aber auch Chancen für eine flexible Lebensgestaltung bieten. Bei einer genaueren Analyse der gegenwärtigen Theorien zu diesem Thema fällt auf, dass das Phänomen auf unterschiedlichen Ebenen beleuchtet wird.

Transformationen im Erwerbssystem und deren Auswirkungen betreffen daher die Ebene des Staates, die Ebene des Arbeitsmarktes, die Ebene der Betriebe, Institute und Unternehmen und die individuelle Ebene. Setzt man sich also mit diesen Änderungen im Erwerbssystem auseinander, muss man die Implikationen, die sie auf diese einzelnen Bereiche ausüben, berücksichtigen. In dieser Studie liegt das Interesse auf der individuellen Ebene, aber dadurch, dass die individuelle Handlungsebene nicht losgelöst von den strukturellen Bedingungen betrachtet werden kann, die das System des Arbeitsmarkts gestalten, wird auch der Makro-Ebene Beachtung geschenkt.

Befasst man sich mit diesem Thema im Hinblick auf die Statuspassage Studium - Beruf, so stellt man fest, dass es keinen linearen, der Normalbiographie folgenden Übergang geben muss. Viele AkademikerInnen finden nicht sofort eine Arbeit, die bezahlt ist, oder ihnen ermöglicht unbefristet angestellt zu sein. Praktika gelten als bewährtes Mittel, um nach dem Studium Berufserfahrungen zu sammeln, allerdings kann dies schnell zu Unsicherheitsgefühlen führen, wenn diese nicht oder nur wenig entlohnt werden und keine Aussicht auf eine unbefristete Stelle bieten. Die Lebensplanung muss sich an diese flexiblen Arbeitsformen, und somit auch gewissen Lebensformen, anpassen und gerät dadurch oft in den Hintergrund. Vieles wird nicht mehr planbar, die Arbeit und somit die Existenzsicherung, kann zum Risiko werden. Daran sieht man, dass die Arbeit eine der wichtigsten Dinge im Lebensverlauf, darstellt.

Viele Dinge hängen von ihr ab - sie gewährt Einlass zu bestimmten Teilsystemen der Gesellschaft und sie verschafft Einfluss im Sinne einer existenzsichernden Lebensführung. Diese Ausführungen sind wichtig, um den gegenwärtigen Diskurs über Transformationen im Erwerbssystem zu verstehen.

In dem folgenden Kapitel wird auf die gegenwärtigen Begrifflichkeiten und Theorien, in Bezug auf diese Veränderungen, eingegangen.

1.1. Prekarisierung

Das Phänomen der Unsicherheit, in Zusammenhang mit Beschäftigungsverhältnissen, hat viele Namen aber nur einer erhielt in der derzeitigen Diskussion einen „Modestatus“: Prekarisierung. Ähnliche Wörter wie prekär, Prekarität oder Prekariat haben mit dem Begriff Prekarisierung den Wortstamm gemein und zwar lässt sich dieser von dem lateinischen Wort „precarius“3 herleiten, das so viel bedeutet wie „durch Bitten erlangt“, „widerruflich“, „unsicher“, „schwierig“. Im soziologischen Wortgebrauch ist er seit den 1980er Jahren und beschreibt Arbeitsverhältnisse, die nicht existenzsichernd sind. Damals war er aber vor allem ein Begriff, der auf die sozial schwachen Schichten zutraf, gegenwärtig hat die Prekarisierungswelle auch die Mittelschichten erreicht.

Den Begriff „Prekariat“ kann man bereits als institutionalisiert bezeichnen. Er wird vor allem im wissenschaftlichen Kontext dem Konzept der „neuen Unterschicht“ bevorzugt. Allerdings ist er im öffentlichen Diskurs auch stark ideologisiert worden und die Institutionalisierung und Ideologisierung erkennt man auch an dem eigenen Schutzheiligen des Prekariats „Punti San Precario“4.

Prekarität lässt sich in modernen kapitalistischen Gesellschaften nicht leugnen und ist ein weit reichendes Problem, das nicht nur auf die Erwerbssituation Auswirkungen hat. In allen Bereichen der Arbeit sind prekäre Formen der Erwerbstätigkeit anzutreffen. Sie berauben den Individuen jegliche Strukturen und „Prekarität hat bei dem, der sie erleidet, tief greifende Auswirkungen. Indem sie die Zukunft überhaupt im Ungewissen lässt, verwehrt sie den Betroffenen gleichzeitig jede rationale Vorwegnahme der Zukunft und vor allem jenes Mindestmaß an Hoffnung und Glauben an die Zukunft, das für eine vor allem kollektive Auflehnung gegen eine noch so unerträgliche Gegenwart notwendig ist.“ (Bourdieu 1998: 96, 97) Trotz hohen Bildungsabschlüssen und guten Leistungen werden ArbeitnehmerInnen auswechselbar. Prekarität pflanzt sich in das kollektive Bewusstsein der Individuen ein und macht immobil und zwar deswegen, weil sie aufgrund ihrer unsicheren Lage keine Zukunftspläne entwerfen können. „Die von der Prekarität bewirkten Dispositionen der Unterwerfung bilden die Voraussetzung für eine immer erfolgreichere Ausbeutung, die auf einer Spaltung zwischen einerseits der immer größer werdenden Gruppe derer, die nicht arbeiten, und andererseits, die immer mehr arbeiten, fußt.“ (ebd.) Das Individuum muss selbst zum Entscheidungsfaktor werden, indem es für sich zwischen Produktion und Reproduktion, Freizeit und Erholung wählen kann. Das kann nur mit einer Umverteilung von Arbeit einhergehen und mit einer Änderung der Sichtweise weg vom ökonomisch kalkulierenden Wesen der Menschen. Die Umverteilung der Arbeit könnte, laut Bourdieu, so aussehen, dass die Wochenarbeitszeit auf europäischer Ebene massiv verkürzt wird.

Bourdieu beschreibt also die Prekarisierung auf gesamtgesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Basis und zeigt Verbindungen zwischen diesen Bereichen auf. Die Prekarisierung kann als ein Gegensatz aufgefasst werden denn sie hängt mit den bisherigen normativen Begrifflichkeiten zusammen und beschreibt einen Prozess, der sich über längere Phasen entwickelt hat. Prekarität ist

„nicht identisch mit vollständiger Ausgrenzung aus dem Erwerbssystem, absoluter Armut, totaler sozialer Isolation und erzwungener politischer Apathie. Im Anschluss an Robert Castel [kann] von der Herausbildung einer „Zone der Prekarität“ gesprochen werden, die deutlich von der „Zone der Integration“ mit geschützten Normarbeitsverhältnissen […] abgrenzbar ist.“ (Brinkmann, Dörre, Röbenack, Kraemer, Speidel 2006: 17)

Prekarität ist also ein Zustand, der nicht einhergehen muss mit sozialem Ausschluss, sondern ein Zustand, der geprägt ist durch mehrere Kategorien. Dennoch ist er determiniert durch unabgesicherte Arbeitsverhältnisse, die eben weitreichende Folgen für das Individuum haben können und klarerweise dennoch in totale Ausgrenzung und Armut, führen können.

Allgemein wird von prekären Beschäftigungsformen gesprochen, wenn es sich dabei um kein Normarbeitsverhältnis handelt. „Unter einem Normarbeitsverhältnis [oder Normalarbeitsverhältnis] versteht man in der Regel eine Vollzeittätigkeit, die außerhalb des eigenen Haushalts ohne zeitliche Befristung für einen Arbeitgeber in einer einigermaßen gleichmäßig auf die Werktage verteilten Arbeitszeit geleistet wird.“ (Dörre 2005: 187) Auf der strukturellen Ebene sind prekäre

Beschäftigungsformen also alle atypischen Arbeitsverhältnisse, die sich von den typischen, also den Normalarbeitsverhältnissen unterscheiden.

Ein Normarbeitsverhältnis ist also der normative Geltungsanspruch dem prekäre Arbeitsverhältnisse gegenüberstehen. Die strukturelle Ebene, was Prekarität ausmacht, ist somit geklärt. Nun muss man aber auch die subjektiven Verarbeitungsformen unsicherer Beschäftigungsformen berücksichtigen. Das Phänomen kann nicht unabhängig seiner strukturellen Definition verstanden werden, denn jemand, der durch sein Arbeitsverhältnis zwar in die Gruppe unsicherer Beschäftigungsformen fällt, muss das subjektiv nicht so empfinden. Vice versa könnten Menschen in Normarbeitsverhältnissen sehr wohl am Existenzminimum leben und würden dann in diese „Zone der Prekarität“ hineinfallen.

1.2. Subjektive Verarbeitungsmechanismen prekärer Beschäftigung

Dem Begriff der Prekarität wird nachgesagt, dass er oft viel zu weit gefasst wird. Denn es geht nicht nur um unabgesicherte Beschäftigungsformen und ihre strukturelle Beschreibung, sondern der Begriff beinhaltet auch die Auswirkungen auf das Leben der Individuen. So geht man davon aus, dass sich das Leben der durch prekäre Arbeitssituationen Betroffenen verändert, und zwar im negativen Sinne. So können sie z.B. nicht mehr ihr Leben planen und führen in befristeten Beschäftigungsverhältnissen ein schlechtes Dasein, jederzeit unsicher, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll. Dieses Phänomen lässt sich mit subjektiven Verarbeitungsmechanismen prekärer Beschäftigung beschreiben. Um diese Dimensionen nun zu benennen, halte ich mich an die Einteilung von Brinkmann et al. (2006: 18) und Dörre (2005: 193). Prekäre Beschäftigung umfasst somit sechs Dimensionen mit je spezifischen (Des)Integrationspotentialen:

a) Die reproduktiv-materielle Dimension

Darunter wird der Begriff „prekär“ insofern verstanden, dass die Haupttätigkeit, die von einer Person nachgegangen wird, nicht existenzsichernd ist bzw., dass sie über ein kulturell anerkanntes Erwerbsminimum nicht hinausreicht.

b) Die sozial-kommunikative Dimension

Diese Dimension umfasst das soziale Netzwerk und die Infrastruktur der Arbeit. So gilt Arbeit als prekär, wenn man nicht in den sozialen Netzwerken durch die Arbeit integriert ist, etwa durch Heimarbeit.

c) Die rechtlich-institutionelle oder Partizipationsdimension

Darunter ist die soziale Absicherungsfunktion einer vollbeschäftigten unbefristeten Erwerbsarbeit zu verstehen, die bei prekär Angestellten wegfällt. Diese sind rechtlich oft kaum bis gar nicht abgesichert. Darunter versteht man folgende rechtliche Absicherungen der Arbeit: Tarifliche Rechte, Mitbestimmungsmöglichkeiten, Betriebsvereinbarungen und soziale Schutz- und Sicherungsrechte wie Kündigungsschutz und die Rentenversicherung.

d) Die Status- und Anerkennungsdimension

Von prekärer Arbeit wird auch gesprochen, wenn die Person durch diese Arbeit, und ihrer dadurch entstandenen Lebensverhältnissen, gesellschaftlich nicht anerkannt wird und sogar soziale Missachtung findet. Dabei geht es um symbolische Konflikte, die mit der materiellen Ebene zusammenhängen.

e) Die arbeitsinhaltliche Dimension

Eine Arbeit kann auch als prekär gelten, wenn die Arbeit überfordert, wenn sie zu ständigem Sinnverlust führt und auch zur Überidentifikation mit Arbeit, die dann in psychischen Krisen, wie z.B. im Burnout Syndrom, enden kann.

f) Die Planungsdimension

Wenn unter der Arbeitsform das Leben planende Elemente leiden, dann spricht man auch von prekärer Beschäftigung. Denn aufgrund von ständigem sich Einlassen auf unbefristete oder schlecht bezahlte Beschäftigungen, sehen sich die Arbeitenden

außer Stande, ihr Leben zu planen. Darunter leidet nicht nur die Familienplanung, sondern das ganze Leben kann nicht so geplant werden, wie das individuell gewünscht wird. (Brinkmann et al. 2006: 18 und Dörre 2005: 193) Um wieder auf die Prekarisierungsproblematik gesamtgesellschaftlich zurückzukommen muss erwähnt werden, dass die Prekarisierung eine restrukturierende Kraft darstellt, die ein Machtsystem ist, „dessen subtile Disziplinierungs- und Kontrollmechanismen zumindest zeitweilig eine - gleichwohl partikularistische und demokratisch kaum legitimierte - Form gesellschaftlicher Integration zu leisten imstande sind. [Denn] die disziplinierende Kraft der Prekarisierung wurzelt gerade darin, dass ein einigermaßen dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis mit halbwegs akzeptablen Einkommen den Arbeitenden subjektiv mehr und mehr als ein besonderes Privileg erscheint.“ (Dörre 2005: 202) Hingegen bleiben Individuen oft in dieser „Zone der Prekarität“ hängen, tun alles um nicht arbeitslos zu sein und das bedeutet, dass sie immer wieder unbefristete,

sehr wenig entlohnte Arbeitsverhältnisse eingehen. Mit den bereits erwähnten Zonen befasst sich Castel (2000, 2005) und definiert die Prekarisierungsproblematik. Die Lohnarbeit mit ihren sozialstaatlichen Absicherungssystemen war bis in die 70er Jahre ein entscheidender Faktor für die Aufrechterhaltung des Normalarbeitsverhältnisses. Es gab soziale Absicherungsmechanismen, soziale Stellungen mit klar definierten Aufstiegskriterien und Hierarchien. Lebenslanges Arbeiten in einem Großbetrieb gehörte zur Erwerbsgarantie. Diese ganzen Tendenzen waren auch auf die Aushandlungsstrategien der Gewerkschaften zurückzuführen. Nun kam es dann aber zu Flexibilisierungsprozessen der Arbeitsverhältnisse und dies bewirkte ein Schrumpfen von sozialstaatlichen Absicherungsmöglichkeiten. Castel beschreibt diese Zerstörung des Normalarbeitsverhältnisses mit einer Aufteilung der nach-fordistischen Erwerbsgesellschaft in mehrere Zonen. (Castel 2000, 2005) Die „Zone der Integration“ ist die des schrumpfenden Normalarbeitsverhältnisses. In der „Zone der Entkoppelung“ befinden sich Menschen, die meist gänzlich aus der Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind. Zwischen diesen beiden Zonen lässt sich jetzt die „Zone der Prekarität“ definieren, die aus Gruppen besteht, die in unsicheren Arbeitsverhältnissen stehen und somit „verwundbar“ sind. Castel beschreibt dies nicht mit dem Terminus der Exklusion, den für ihn ist ganz klar, dass sich Prekarität nicht zwangsläufig an den Grenzen unterer Bevölkerungsschichten abspielen muss, sondern dass sie multidimensional ist.

Die Prekarisierungstheorien sind also sehr vielseitig und dass ist dadurch zu erklären, dass Prekarisierung multidimensionale Ausprägungen hat, die bereits durch die verschiedenen Begrifflichkeiten auffallen. Einig sind sich die WissenschaftlerInnen darin, dass strukturelle Veränderungen auf der Makroebene stattfinden, und die Transformationen im Erwerbssystem formen. Auf der individuellen Ebene haben diese Veränderungen weitreichende Auswirkungen und bestimmen die subjektiven Verarbeitungsmechanismen prekärer Beschäftigung.

1.3. Exklusion und soziale Unsicherheit

Die Exklusionstheorie (Kronauer 2002) ist ein weiteres Konzept, um Transformationen im Erwerbssystem zu beschreiben. Exklusion bedeutet nicht einfach Armut und Armut bedeutet nicht einfach Exklusion. Das Problem ist vielschichtiger und Armut allein beschreibt dieses Phänomen nicht richtig, denn Exklusion bedeutet nicht nur ausgeschossen sein von Reichtum, sondern auch vom Zutritt zu sozialen Rechten, von der Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt und von informellen Netzwerken. Auch wer von Exklusion betroffen ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Es können beispielsweise Langezeitarbeitslose und Obdachlose davon betroffen sein, aber auch Unterbeschäftigung ist ein zunehmendes Problem. Unter Exklusion ist also die Nicht- Teilhabe an „gesellschaftlich realisierten möglichen Lebensstandards, der politischen Einflussnahme und der sozialen Anerkennung“, zu verstehen. (ebd.: 11)

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden Armut und Arbeitslosigkeit auf ein Minimum reduziert, bzw. konnten diese Probleme durch sozialstaatliche Absicherungen abgefedert werden. Gewerkschaften wurden gestärkt, Armut und Einkommensungleichheit wurden reduziert und der Massenkonsum wurde staatlich gefördert. Doch die ersten Anzeichen einer Veränderung waren bereits in den 70er Jahren bemerkbar, im Zuge des Konflikts mit Erdöl versorgenden Ländern. In den 80er Jahren gab es dann eine Entwicklung, die bis zum jetzigen Zeitpunkt zwar immer wieder leichten Veränderungen unterworfen war, aber sich nicht stoppen ließ. In Westeuropa war das „die Entkoppelung steigender Arbeitslosigkeit vom wirtschaftlichen Wachstum“ [und] in den USA die Entkoppelung steigender Armut vom wirtschaftlichen Wachstum.“ (ebd.: 14) In den 80er Jahren gab man dieser Entwicklung den Begriff der „neuen Armut“ (Balsen 1984) Seit dem 20. Jahrhundert stehen nun aber Arbeitslosigkeit und Armut in Verbindung mit der Verringerung industrieller Arbeit und dem Ausbau der Dienstleistungsarbeit.

Doch das Problem des Exklusionsbegriffs ist die Ambivalenz zwischen „Innen“ und Außen“. Einige TheoretikerInnen versuchten dieser Ambivalenz entgegenzuwirken mit neuen Begriffen, aber dennoch enthalten diese immer eine „Innen“-„Außen“ Konnotation. Wichtig ist also eine Veranschaulichung der Sachverhalte auf einer klärenden Basis. Kronauer stellt sich gegen die theoretische Innen-Außen Dichotomie, sondern setzt bei einem Konzept von Georg Simmel an. Simmel verstand darunter nicht sich entweder drinnen oder draußen von der Gesellschaft zu befinden, sondern für ihn war das Verhältnis der Gleichzeitigkeit ausschlaggebend. Kronauer rechtfertigt den Begriff, indem er sagt, dass sich „die Gefährdung des Sozialen bei den betroffenen Individuen als Spannungsverhältnis in der Gleichzeitigkeit des Drinnen und Draußen bemerkbar [macht]: als Auseinanderdriften von sozialen (d.h. äußeren wie verinnerlichten) Anforderungen an die eigene Lebensführung und den tatsächlich gegebenen Möglichkeiten zu ihrer Realisierung; als Spannung zwischen bürokratischer Betreuung durch die sozialstaatlichen Einrichtungen und stigmatisierender Bevormundung und Abhängigkeit; als Erfahrung von Einschließung und Ausschließung zugleich. (Kronauer 2002: 22-23) „Bei den gegenwärtigen Formen sozialer Ungleichheit geht es nicht mehr allein um Unten und Oben, sondern vielmehr um Drinnen und Draußen.“ (Bude und Willisch 2006: Klappentext) Es ist entscheidend, dass nicht unbedingt finanzielle Armut oder schlechte Bildung zum Ausschluss führen, sondern die soziale Exklusion stellt sich als ein Ausschluss „aus den dominanten Anerkennungszusammenhängen und Zugehörigkeitskontexten unserer Gesellschaft [dar]“. (ebd.)

Hinsichtlich der Veränderungen in der Erwerbsarbeit meint Kronauer, dass es sich um mehrere Faktoren handelt, die dazu beigetragen haben, dass die industrielle Arbeit zurückgegangen ist, dass un- und angelernte Tätigkeiten entwertet wurden und Arbeits- und Lebensbedingungen immer mehr auseinander gegangen sind. Die andauernde De-Industrialisierung der Massenproduktionsbranchen, die in Schwellenländer ausgelagert werden, ist ein Faktor. Ein weiterer Faktor ist der Einsatz neuer Technologien, wobei die Konkurrenz zwischen Ländern hoch entwickelter kapitalistischer Staaten stattfindet. Durch beschleunigte Produktion, bei nur mäßigem Wachstum der Wirtschaft, sollen Angebotsvorteile erarbeitet werden, wobei die Unternehmen auf einen stark segmentierten flexiblen Arbeitskräftepool setzen. Dadurch wird die prekäre Beschäftigung gestärkt, und Gewerkschaften werden durch den Beschäftigungsrückgang geschwächt. „Neue Formen der mindergeschützten Beschäftigung (Befristung, Scheinselbstständigkeit) breiten sich aus. Sie wirken teils als Brücke zwischen gesicherten und randständigen Arbeitsverhältnissen, teils aber auch als Sackgassen der beruflichen Laufbahn und Einstieg in den Abstieg.“ (Kronauer 2002: 104) Ein weiterer Faktor ist die Verlagerung der Produktionsstätten ins Ausland. Dort wird eine Infrastruktur geboten, durch etwa Bildungsmöglichkeiten und öffentliche Begünstigungen für private Investoren, wobei diese Entwicklungen zu Ungleichheiten bei der räumlichen Verteilung führen. Am widerständigsten gegen die Rationalisierung ist die Dienstleistungsbranche im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Doch gerade in diesem Bereich sind ungesicherte Arbeitsverhältnisse sehr häufig. Sollten alle diese Faktoren nicht gemindert werden, kann mit einer wachsenden Gefahr der Erweiterung von Einkommensunterschiede und sozialer Ungleichheit gerechnet werden.

Kronauer nimmt stark Rückgriff auf Castel, der hinsichtlich der Beschreibung der Entwicklung der Lohnarbeit, am meisten mit dem Thema Prekarisierung und soziale Unsicherheit, in Verbindung gebracht wird. Doch für Castel wird der Exklusionsbegriff zu locker verwendet und er schlägt das Wort „Désaffiliation“, also Ausgliederung vor, das aber auch nicht beschreibt wovon ausgegliedert wird und auf welche Weise.

In der Debatte um mögliche Risiken hat Ulrich Beck (1986) schon in den 80er Jahren eine „Zukunftsprognose“ der Entwicklung der Arbeit entworfen und hat das damals mit den Worten der Entstandardisierung der Erwerbsarbeit erläutert. Begriffe wie Prekarisierung hat er nicht verwendet, aber er hat gemeint, dass es zu einer Erosion des Normalarbeitsverhältnisses kommen wird und sich Unterbeschäftigung ausbreiten wird. Unter Unterbeschäftigung hat er verstanden, dass sich Phasen von Beschäftigung mit Phasen von Arbeitslosigkeit abwechseln werden, bzw., dass Arbeitsverhältnisse zunehmen, wie etwa die Teilzeitarbeit oder andere Formen atypischer Beschäftigung. Er meint außerdem, dass sich Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsrecht flexibilisieren werden. Durch die zunehmende Technisierung kann zusätzlich dezentral gearbeitet werden. Beck beschreibt diese Entwicklungen als ein risikoreiches „System flexibler, pluraler, dezentraler Unterbeschäftigung“ (Beck 1986: 227) und gibt der ganzen Entwicklung dann den Begriff eines „risikogesellschaftlichem Unterbeschäftigungssystem“. (ebd.)

Sergio Bologna (2006) konzentriert sich in seiner Publikation „Die Zerstörung der Mittelschichten“ vor allem auf die Gruppe derer, die selbstständige Arbeit leisten. Die selbstständig Arbeitenden unterscheiden sich von den Lohnarbeitern darin, dass sie von diversen Sozialleistungen ausgeschlossen sind, dass sie keinen gewerkschaftlichen Schutz genießen und gegenseitige Unterstützung ausbleibt. „Das kapitalistische System macht also von der Ressource der unabhängigen Arbeit massiv Gebrauch, die unabhängige Arbeit jedoch erkennt sich selbst noch nicht als Schicht.“ (ebd. 2006: 7) Er sieht die neue selbstständige Arbeit als großes soziales Problem und stellt die These auf, dass sie die Zerstörung der Mittelschichten einleitet. Für die Verschärfungen am Arbeitsmarkt ist eine „Betrugsökonomie“, in der die Politiker nicht entsprechend auf die Veränderungen reagieren, verantwortlich. Die Zuspitzung entstand aufgrund mehrerer Faktoren. Diese wären die Krise der Informatik- und Telekommunikationsbranche und der Einbruch der Aktienkurse an den Börsen. Außerdem besteht das Problem in der Stagnation der europäischen Wirtschaft sowie steigender militärischer Ausgaben der USA, die die amerikanische Wirtschaft schwächen. Ein weiterer Bereich betrifft die weltweiten politischen Veränderungen, vor allem „die Besorgnis erregende Präsenz des islamischen Fundamentalismus, den aggressiven Wahnsinn der amerikanischen Neo- Konservativen, die Unfähigkeit der europäischen Regierungen im Umgang mit den neuen Konflikten“ (ebd.: 49) und vor allem, dass es zu keinem Umlenken gekommen ist, wie die Neuorientierung der Märkte, ob dieser Einflüsse, auszusehen hat.

Bologna erklärt den psychosozialen Habitus selbstständig Arbeitender (ebd.) mit der Wahrnehmung des Risikos. Diese Annahme stützt er darin, dass die ökonomische Lage Unsicherheiten produziert und die Politiker vor allem ihre Pflicht darin sehen, die Bevölkerung vor Terrorismus zu schützen. Außerdem scheint die Ermöglichung eines ökonomischen Aufstiegs darin zu liegen, dass Sozialsysteme gekürzt werden. Der psychosoziale Habitus der Selbstständigen liegt nun darin, dass sie das Risiko immer vor sich haben, während plötzlich arbeitslos werdende Angestellte ein Trauma erleiden und nicht mit solchen Unsicherheiten gerechnet haben. Bologna erklärt, dass es immer aus der Notwendigkeit heraus selbstständige Arbeit geben wird, weil die Betriebe immer weniger mehr im Stande sind, Beschäftigung zu schaffen. Allerdings sieht er in der selbstständigen Arbeit auch die Chance flexibler Tätigkeiten, die immer eine Nachfrage haben werden. Auch wenn sich EinsteigerInnen in die Arbeitswelt zuerst um eine fixe Anstellung bemühen, werden sie irgendwann nach dem Scheitern eine selbstständige Arbeit beginnen. In Deutschland spricht man in diesem Zusammenhang nicht von der Gründung eines eigenen Unternehmens, sondern gerade die Hartz-Reform fördert selbstständige Arbeit, indem Menschen zur „Existenzgründung“ gebracht werden. Bologna sieht in solchen Kampagnen dennoch keine ideale staatliche Hilfe für selbstständig Arbeitende.

1.4. WissensarbeiterInnen

Einen großen Bereich der freiberuflich Arbeitenden stellen die „Knowledge Worker“ (Bologna 2006) dar, die sogenannten „WissensarbeiterInnen“. Aber man kann dennoch nicht von einer Wissensgesellschaft sprechen, weil WissensarbeiterInnen nicht nur über eine formale Bildung verfügen, sondern eine höhere Ausbildung absolviert haben. Da aber auch im Bildungssystem Selektionsmechanismen greifen und der Zugang zu höheren Ausbildungsstätten für nur einen kleinen Teil der Bevölkerung möglich ist, kann man zusätzlich nicht von einer Wissensgesellschaft sprechen. Die Zeit und das Geld, die in die Ausbildung investiert werden sind nicht gleichgewichtig mit den Arbeitsmöglichkeiten, die der Markt bietet. Bologna zieht als Rechtfertigung für diese These den Kohärenzindex heran und erklärt damit, dass „wenn es die finanzielle Situation der Familie erlaubt, sammeln junge Leute weiter Abschlüsse und Zeugnisse, um als unangemessen empfundene Arbeitsbedingungen nicht hinnehmen zu müssen.“ (ebd.: 108) Das Angebot an WissensarbeiterInnen und die Nachfrage am Arbeitsplatz klafft immer mehr auseinander. WissensarbeiterInnen sind vor allem Freiberufler, die ihre Kreativität einsetzen, um ihren Bildungsabschluss doch noch verwerten zu können.

Dabei haben die Lebensstile in den Mittelschichten gemeinsame Identitätszeichen inne, die sich aber für einen großen Teil ändern werden. Das postfordistische System im Bereich der Produktion, als auch der Dienstleistungen, wird weiter bestehen. Das Problem ist die Schwäche des finanziellen Systems. Als Gegenwirkung können die unbedingte Teilhabe an sozialen Rechten für Selbstständige und die Minderung der Übermacht von Privatmonopolen, vor allem der Telekommunikationsbranche, die negative Effekte auf die Qualität und die Kosten hat, fungieren. Eine weitere Maßnahme ist die Gründung von Zusammenschlüssen und der Aufbau von Netzwerken, sowie die Filterung und Organisation von Informationen und ihre aktive Produktion, damit neue Grundsätze beruflicher Handlungspraxis hergestellt werden können. „Das von Marx analysierte Verhältnis von Arbeitszeit und Entlohnung hebt sich für Freiberufler auf.“ (Scheyerer 2006: 49) Auch sind für diese Gruppe der Mittelschichten gewerkschaftliche hierarchische Strukturen nicht passend, sondern es müssen für sie neue Organisationsformen geboten werden, sowie Hilfen aus der Politik kommen.

Da sich auch StudentInnen nach Abschluss ihres Studiums in solchen, über Werkverträge organisierten Arbeitsverhältnisse finden lassen, sind die genannten Thesen aktuell und beschreiben in diesem gegenwärtigen Diskurs, zum Wandel des Erwerbssystems, sehr solide, wie sich das Leben für Neue Selbstständige, WissensarbeiterInnen und Freiberuflern, sowohl in beruflicher, als auch in privater Hinsicht, organisiert. Ausschlaggebend ist auch die Vermischung von Privat- und Arbeitssphäre in diesen Beschäftigungsverhältnissen. Außerdem sind Neue Selbstständige insofern emanzipiert, da sie flexibel mit beruflichen Anforderungen umgehen. sowie lernen, auf die Unsicherheiten zu reagieren. Anders als Angestellte, die plötzlich entlassen werden und nicht geübt sind, mit den daraus entstandenen Veränderungen und neuen Ansprüchen, umzugehen. Dennoch stellt die Selbstständigkeit eine Art Alternative dar, die oft erst als letzte Möglichkeit gesehen wird, aber im Wandel des Erwerbssystems immer mehr zunehmen wird.

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wurde auf die Theorien gegenwärtiger Ungleichheitsforscher und Arbeitswissenschaftler zu dem Thema des Wandels der Erwerbsarbeit, eingegangen. So unterschiedlich diese Konzepte zuerst erscheinen mögen, es zieht sich durch alle Auseinandersetzungen eine ähnliche Struktur. Auf die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten wird nun zusammenfassend analytisch eingegangen.

Martin Kronauer (2002) versucht, durch den Exklusionsbegriff, dem Phänomen des Drinnen und Draußen, einen Namen zu geben. Er hält sich dabei an Georg Simmel und beschreibt, dass es um die Gleichzeitigkeit von Drinnen und Draußen geht. Mit diesem Konzept ist Kronauer nicht so leicht angreifbar wie jene, die das Drinnen und Draußen abgrenzen, denn er behandelt das Problem damit wesentlich vielschichtiger und multidimensionaler. Denn er beschreibt damit, dass es sich um eine Nicht-Teilhabe an verschiedenen Teilsystemen der Gesellschaft handelt, die durch den raschen gesellschaftlichen Wandel in vielen Bereichen begründet ist. Eine ähnliche Herangehensweise findet sich hier bei Klaus Dörre (2005), der vor allem die subjektiven Verarbeitungsmechanismen prekärer Beschäftigung untersucht hat. Dörre spricht aber nicht so wie Kronauer von Exklusion oder Ausgliederung, sondern von Desintegrationspotentialen. Da er sich speziell mit den Problemen prekär Beschäftigter auseinandersetzt, weist die Einteilung von Klaus Dörre eine genauere Dimensionalisierung in Bezug auf mögliche Desintegrationspotentiale, auf. Für Kronauer hat der Begriff der Exklusion viele, auf das gesamte Leben sich auswirkende, Dimensionen. Dennoch sind diese beiden Ansätze ähnlich, auch wenn sie mit anderen Begriffen, nämlich hier Exklusion versus Prekarisierung, arbeiten.

Eine, bei fast allen TheoretikerInnen gemeinsame Ausführung, findet sich bei der makrosoziologischen und systemischen Beschreibung des Wandels des Erwerbssystems. Auf diese Perspektive gehen sowohl Kronauer (2002), Castel (2000, 2005), Beck (1986), und Bourdieu (1998) ein, in Ansätzen auch Bologna (2006). Sie beschreiben, wie es gesamtgesellschaftlich zum Wandel des Erwerbssystems gekommen ist. Hier sind vor allem die Veränderungen aufgrund des technologischen Wandels, der Die-Industrialisierung, der Globalisierung, der Auslagerung von Produktionsstätten in Billiglohnländer, die die Einkommensunterschiede forcieren und die Ungleichheit verstärken, zu erwähnen.

Es stellt sich also heraus, dass mit verschiedenen Begrifflichkeiten und Konzepten argumentiert wird, dass diese jedoch ähnliche Thesen gemein haben. Ob also von Exklusion (Kronauer), Ausgliederung (Castel), Entstandardisierung der Erwerbsarbeit (Beck), Prekarisierung (Bourdieu, Dörre) oder gar der Zerstörung der Mittelschichten (Bologna), gesprochen wird, es geht bei all diesen Konzepten um multidimensionale Auswirkungen auf das gesamte Leben, und speziell dem Erwerbsleben der Individuen, bedingt durch einen weit reichenden Wandel, der wiederum auf verschiedene Faktoren beruht.

Für die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist es also wichtig, sich einen Überblick über die gegenwärtige Forschungslandschaft zu verschaffen und sich der vielschichtigen Auswirkungen bewusst zu werden. Auch wenn einzelne Theoretiker wie z.B. Bologna sehr umstritten sind, ist es wichtig, alle diesbezüglichen Theorien in den Blick zu nehmen und sie auch einer Prüfung zu unterziehen. Dabei ist Bologna deswegen umstritten, weil er die gewagteste These aufstellt. Er beschreibt den Wandel des Erwerbssystems anhand der Gruppe der „Neuen Selbstständigen“ und untersucht diese auf mehreren Ebenen. Er gibt sehr solide Beschreibungen, z.B. in Bezug auf Zeit- und Raumwahrnehmung selbstständig Arbeitender, oder in Bezug auf Vermischung von

Arbeits- und Privatsphäre, sowie zum Risikobewusstsein. Flexible

Beschäftigungsverhältnisse nehmen zu und können auch ein großes Problem, in Bezug auf soziale Absicherungen und fehlendem Zusammenschluss in gewerkschaftsartigen Verbindungen, darstellen. Allerdings wird es trotzdem immer einen Pool von Personen geben, die ein Normalarbeitsverhältnis innehaben. Das Problem also so zu sehen, dass eine ganze Schicht davon betroffen ist und diese dadurch im Auflösen begriffen ist, ist zu spekulativ.

Außerdem geht es hier, wenn wir uns noch einmal dem Exklusions- und Prekarisierungsbegriff zuwenden, nicht um eine bestimmte Schicht, sondern gerade das macht diese Logik aus, dass jeder von Arbeitslosigkeit oder Zeiten von Unterbeschäftigung betroffen sein kann, aber deswegen nicht gleich gänzlich von gesellschaftlichen Teilsystemen ausgeschlossen sein muss.

Zusammenfassend ist also an dieser Stelle zu sagen, dass alle, hier vorgestellten Theoretiker, ein Bild zeichnen, das die Veränderung der Erwerbsarbeit als einen multifaktoriellen Wandel darstellt, der wiederum zu multidimensionalen Auswirkungen führt, die keinen Innen- oder Außenbezug aufweisen, sondern Mischformen zwischen gesellschaftlicher Teilhabe, z.B. bedingt durch ein Normalarbeitsverhältnis oder Halbteilhabe durch Selbstständigkeit ohne sozialer Absicherung, oder teilweiser Armut, etwa durch Langzeitarbeitslosigkeit, darstellen können. Diese verschiedenen Dimensionen machen aber deutlich, dass diese Veränderungen im Erwerbssystem soziale Ungleichheit verstärken, sich diese Ungleichheit aber wesentlich schwieriger veranschaulichen lässt, weil sie auf Auswirkungen unterschiedlicher Dimensionen fußt.

Die Relevanz der Theorien über Transformationen im Erwerbssystem ist in dieser Studie als hoch einzustufen, da es um den Berufseinstieg von SozialwissenschaftlerInnen geht, und dabei strukturelle Elemente ihrer Beschäftigungsbeschaffenheit zutage treten. Der Prozess des Übergangs vom Studium in den Beruf kann eine Unsicherheitsproblematik darstellen und muss nicht linear erfolgen. Atypische Arbeitsverhältnisse sind gerade zu Beginn der Arbeitstätigkeit keine Ausnahme und prägen möglicherweise Einstellungen zur weiteren Lebensgestaltung, in Bezug auf allgemeine Zukunftsplanung oder Wünsche, die in Richtung Familienplanung gehen. Auf der individuellen Ebene kann die berufliche Eingliederung also mehrere Auswirkungen auf die Lebenswelt der Befragten haben. Anhand des theoretischen Modells von Dörre (2005) und Brinkmann et al. (2006) in diesem Kapitel, konnte gezeigt werden, wie vielfältig die subjektiven Verarbeitungsmechanismen in Zusammenhang mit Unsicherheitsfaktoren in Bezug auf die Arbeit sein können.

2. Von der universitären Sozialisation zur professionellen Identität

2.1. Bildung als multidimensionaler Faktor des Wissenserwerbs

Der Bildungsbegriff hat soziologisch gesehen eine lange Geschichte. Im Rahmen dieser Arbeit liegt der Fokus nicht auf einer genauen Darstellung der Begriffsgeschichte sondern hier wird Bildung als ein Prozess gesehen, der sozialisationstheoretisch sowohl als persönlichkeitsbildend einzustufen ist als auch den Erwerb von Qualifikationen bezeichnet, der entscheidend für den Übergang vom Studium in den Beruf ist. Sozialisation ist dabei die „grundlegende und allseitige Einführung des Individuums in die objektive Welt einer Gesellschaft oder eines Teiles einer Gesellschaft.“ (Berger und Luckmann 2004: 140-141) Dabei definiert sich Bildung institutionell gesehen durch den Erwerb von Abschlüssen. Sie fungiert als Ressource und Kapital und macht damit die Inklusion in bestimmte Arbeitsbereiche möglich indem sie Qualifikationen vermittelt, die dafür wichtig sind. Aber der Wissenserwerb misst sich nicht nur an objektiven Kriterien, sondern stellt auch eine Persönlichkeitsentwicklung und Selbstverwirklichung dar. Außerdem muss in Bezug auf Bildung auch daran gedacht werden, dass sie Ungleichheiten schafft. Der Zugang zur Bildung ist nicht egalitär sondern ermöglicht denen eine Chance, die genug finanzielle Ressourcen besitzen und gleichzeitig verfügen die Gebildeten über die Partizipation an Geld und Macht. „Bildung verweist […] auf Selbstreflexivität und ökonomische Funktionalität, auf Urteilsfähigkeit und staatliche Beeinflussung, auf Gleichheit und auf Hierarchie.“ (Löw 2006: 21)

Bildungstheoretische Betrachtungen finden sich sowohl auf der Makro-, Meso- und Mikroebene. Dabei stehen diese drei Ebenen in einem

Verschränkungszusammenhang. Zu der Makroebene sind die Institutionen von Bildung zu sehen, in denen der Staat Bildungsoptionen ausformt und somit die Grundlagen dafür schafft. Wie sich nun diese Kräfte auf den individuellen Zugang zur Bildung auswirken, wird in der theoretischen Literatur hinreichend diskutiert. „Handlungsformierende Mechanismen“ auf der Mikroebene im Gegensatz zu „transformierenden Mechanismen“ auf der Mesoebene nehmen die Schichtzugehörigkeit der Eltern in den Blick und beschreiben wie individuelle Wünsche nach spezifischer Bildung mit Entscheidungen zusammenhängen. (Becker und Lauterbach 2006: 23)

Die Bildungspolitik hat wesentlichen Einfluss auf die Möglichkeiten, die sich für die Individuen ergeben und gestaltet durch programmatische Gegebenheiten die Inklusion in Bildungsinstitutionen. Dabei manifestiert sich das Bildungssystem durch ein drei-stufiges Schulsystem, das insofern dafür gedacht ist, „dass seine Abschlüsse auf Qualifikationsanforderungen verschiedener Arbeits- und Beschäftigungsmärkte abgestellt sind.“ (Brüsemeister 2008: 203)

Ralf Dahrendorf (1965) sieht Bildung als Bürgerrecht an und stellt hohe Anforderungen an die Politik, damit traditionelle Muster aufgelöst werden und Entscheidungen der Eltern und Kinder zu Bildungsaspirationen entsprechend umgesetzt werden können.

Diesem Grundgedanken wurde Rechnung gezollt, in dem in verschiedenen empirischen Studien die Funktion der Selektion sowie der Allokation, definiert durch die Möglichkeiten von Bildungsoptionen, genauer ins Blickfeld geraten ist. (Krais 1996) Schichtungs- und Bildungstheorien liegen in engem Zusammenhang. Die Verteilung (Allokation) sowie die Selektion (also Auslese) werden etwa nach Parsons über die „Identifikation als Prozess und über die Beurteilung von Leistung organisiert.“ (Löw 2006: 36) Grundlegend für diese Prozesse sind die Entscheidungen der Politik, wie sie Bildungsungleichheiten begegnen und Bildungsprogramme schaffen, die entsprechende Strukturen bieten, damit den Bildungsaspirationen und Entscheidungen der Individuen entsprechend Rechnung getragen wird.

Theorien zur Meso-Ebene in Bezug auf Bildungsoptionen sind vielfältig, denn es finden sich zahlreiche Verschränkungen zwischen handelnden Individuen sowohl auf der Meso- als auch auf der Mikro-Ebene. Dabei bietet das Konzept des Mehrebenensystems einen möglichen Zugang. Es zeichnet sich etwa durch „Verfügungsrechte zum Treffen von Entscheidungen“ aus. (Braun 2001: 247) Verfügungsrechte beziehen sich auf Entscheidungen von Individuen mit denen sie Partizpationsmöglichkeiten und Einfluss auf bestimmten Ebenen erlangen können. Dabei werden ihre Optionen gegenüber anderen Handelnden gestärkt oder erweitert. Verfügungsrechte können als Normen verstanden werden, die entweder über formelle Rechte, aber auch informelle Rechte definiert sind, und im Lebensverlauf zugeschrieben werden können. Ressourcen hingegen differieren mit den Möglichkeiten, die allein durch den Staat gegeben sind. Denn fehlen etwa bestimmte Anforderungen, weil sie etwa der Staat im Beziehungssystem nicht bietet, dann können durch die Individuen diese Erfordernisse durch eigene Lernbereitschaft ausgemerzt werden. (Brüsemeister 2008: 196-197) Diese Wissensbestände, die durch Weiterbildung zustande kommen, leiten sich durch die Verfügbarkeit ab, die durch das System gegeben ist. „Solche sozial abgeleiteten Wissenselemente [werden] in mehr oder minder eigenständigen Auslegungsvorgängen modifiziert [oder verbessert] bevor sie in den gesellschaftlichen Wissensvorrat [übergehen].“ (Schütz und Luckmann 2003: 176)

Ungeachtet der Verfügbarkeit von Bildung wollen die handelnden Individuen aufgrund ihrer Wünsche und Interessen eine Ausbildung absolvieren. Dabei sind ihre Entscheidungen das wesentliche Element und dadurch, dass sich die Akteure in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt wiederfinden, sind ihre Einstellungen bereits sozial konstruiert. (Berger und Luckmann 2004) Dabei werden Bildungsentscheidungen auf eine zukünftige Realität gerichtet und somit gestalten sie die weitere Biographie. Beim Übergang vom Studium in den Beruf müssen die Akteure ihre Wirklichkeitswahrnehmung überdenken da sie von einem geschlossenen Sinnbezirk zum anderen hinüberwechseln. (ebd.) Dabei kann es als eine Horizonterweiterung angesehen werden, denn die Individuen werden an dieser Statuspassage dazu motiviert, aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen eine Neuausrichtung zu schaffen. (ebd.)

Die Rational-Choice Theorie bietet hingegen einen anderen Zugang. Dabei liegt zu Beginn der Bildungssozialisation die Entscheidung der Eltern im Vordergrund und diese können durch ihr Ermessen mithilfe der Bildung ihrer Kinder ihren sozialen Status aufrechterhalten. Ein weiteres Element ist die Einschätzung von Bildungskosten. Dabei sind laut Esser „Sinn- und Kulturelemente aus der jeweils eigenen Milieuwelt, Klasse oder Schicht […] die ausschlaggebenden Faktoren, die die Situationswahrnehmung der Akteure und damit das Eingreifen von Bildungschancen respektive das Einschätzen von Bildungskosten bestimmen.“ (Esser 2000 zit. in Brüsemeister 2008: 148) Auch die Einschätzung der Bildungsrenditen lässt sich nicht unabhängig von Schicht gedacht werden. So wird reflektiert, ob in der Familie Familienmitglieder bereits einen Aufstieg geschafft haben und aufgrund dessen entschieden, ob eine Investition in höhere Bildung Sinn macht. (Brüsemeister 2008: 149) Dieses idealtypische Konzept konzentriert sich daher dementsprechend auf den Einfluss von Familie was Bildungsentscheidungen betrifft. Vester hingegen verfolgt einen Milieuansatz, der Bildungsentscheidungen in verschiedenen Milieus untersucht. „Bei den Milieus, die an Macht und Besitz orientiert sind, sei das Ziel von Bildung die exklusive Statussicherung und -vererbung, während in linken Milieus eine asketische Leistungs- und Bildungsethik Autonomiegewinne einbringen sollte.“ (ebd.: 150) Dieses Konzept geht also weg von einer rein vertikalen Erklärung hin zu einem Zweiachsensystem, das sowohl vertikale als auch horizontale Faktoren ins Blickfeld nimmt. Außerdem „stellt das Bildungskapital das verbürgte Resultat der einerseits durch die Familie, andererseits durch die Schule gewährleisteten kulturellen Vermittlung und deren sich kumulierenden Einflüsse dar.“ (Bourdieu 1982: 47) Es ist daher als kulturelles Kapital zu sehen. Die Ansammlung von kulturellem Kapital muss einhergehen mit einem Abschnitt von ökonomischer Sicherheit und steht dadurch in Zusammenhang von Bildungsinvestitionen und ökonomischem Kapital. Dabei können diese Investitionen in je spezifischen Schichten unterschiedliche Bedeutungen besitzen. (ebd.)

Bildung als vielschichtiger Begriff, der in der Bildungssoziologie als auch in anderen relevanten Disziplinen auf eine breite Theoriebasis zurückgreift, ist eine Möglichkeit von einem Status in einen anderen zu wechseln und geschieht sozialisationsbedingt in unterschiedlichen Phasen der individuellen Entwicklung. Dabei werden die Chancen auf Bildung auf der politischen Ebene determiniert und können sowohl auf der Mesoebene als auch auf der Mikroebene zu unterschiedlichen Interaktionen führen. In dieser Arbeit fällt der individuellen Ebene die meiste Bedeutung zu, allerdings wird sich zeigen, wie Gegebenheiten auf der Makro- und Mesoebene die Entscheidungen der handelnden Akteure beeinflussen.

2.2. Die Studienwahlmotivation als rationale und subjektive Entscheidung

Bildung als Möglichkeit in einen Status zu wechseln, der gewisse Positionen bereitstellt, kann vor allem durch ein Hochschulstudium zum Erfolg führen. Da die Motivation für ein Studium ein entscheidendes Moment für die weitere fachliche und persönliche Orientierung der Individuen darstellt, ist es wichtig zu ergründen, wie sich Motivation theoretisch darstellen lässt.

Die Motivation für ein Studium kann unterschiedlich ausfallen. Zu Beginn des Studienwahlprozesses stehen die Informationsbeschaffung und das Wissen über das Fach, das bisher bestand. „Das Individuum [erwirbt] durch interessierte Handlungen deklaratives Wissen über den Gegenstand sowie Handlungskompetenzen.“ (Müller 2001: 39) Für die Wahl des Studiums bleibt nach Abschluss einer höher bildenden Schule kaum Zeit, daher ist der Zeithorizont als kurz einzuschätzen. Die Entscheidung selbst muss in einer bestimmten Zeit gefällt werden, damit mit dem Handlungsvollzug begonnen werden kann. Der Beruf wird aufgrund des persönlichen Interesses gewählt und „es wird davon ausgegangen, dass Personen sich ihre Informationen nicht nur systematisch erschließen, sondern diese auch noch in einem zeitlich limitierten, rationalen und intersubjektiv begehbaren Entscheidungsrahmen verarbeiten.“ (Kirsten 2007: 71) Interesse als Studienwahlmotivation kann hier vor allem im Vordergrund stehen. Dabei ist das Interesse definiert als Beziehung zwischen Subjekt und Objekt. Unteranderem in Zusammenhang mit Lernen und Berufswahlinteressen steht die Theorie von Krapp, dass das Objekt etwa auch ein Studium sein kann: „However the object area of interest can also be defined, by the whole spectrum of contents and actions that make up the curriculum of an entire educational program.” (Krapp 2005: 382) Dabei steht das Interesse in engem Zusammenhang mit der intrinsischen Motivation. Denn die Motivation zu haben etwas zu studieren ist eng verknüpft mit dem Wissen und der Fähigkeit das bereits erworbene individuelle Interesse zu definieren. (Krapp 2005, Schiefele 1996)

Wenn die Auseinandersetzung dann mit dem Studium aufgrund von kognitiv- rationalen Überlegungen und dem positiven Feedback gut verläuft, dann wird die Handlungsausführung als erfolgreich definiert. Diese „kognitive-affektive Synthese“ ist eine zentrale Bedingung für die Emergenz eines langanhaltenden und beständigen Interesses. (Krapp 2005, Dewey 1913, Rathunde und Csikszentmihalyi 1993)

Dabei muss das Interesse erworben werden und rational durchdacht werden um für die motivierte Handlungsumsetzung von entscheidender Bedeutung zu werden. (Kirsten 2007, Lewalter und Krapp 2004) Das Interesse wiederum kann als intrinsische Motivation aufgefasst werden. Dabei kann das Absolvieren des Studiums bereits als vollzogene Handlung gedacht werden, die mit Anreizen einhergeht und deshalb ist sie auch als extrinsische Motivation im Sinne einer gegenstandsimmanenten Instrumentalität (Dewey 1913) zu werten. Die Hauptmerkmale der intrinsischen Motivation sind die Selbstbestimmung und die Selbstverwirklichung. (Deci & Ryan 1993) Es wird schließlich von intrinsischer Motivation „dann gesprochen, wenn Selbstbestimmung […] vorliegt und der persönliche Handlungswunsch, Erwartungen, Einstellungen und Kompetenzeinschätzungen mit den Anforderungen und Zielen einer Handlung übereinstimmen.“ (Müller 2001) Wie bereits festzustellen war können intrinsische und extrinsische Motivation nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Ist dies der Fall, dann kann nach Dewey von „gegenstandsimmanenter Instrumentalität bzw. indirect interest“ gesprochen werden. (Dewey 1913 zitiert in Müller 2001: 43) Nach welchen Gesichtspunkten die ProbandInnen ihr Studium auswählen und welchen Logiken sie sich bei der Auswahl bedienen bzw. welche Motivation sie hinter einem Studium sehen, wird im empirischen Teil zu klären sein.

2.3. Das universitäre System zwischen Ökonomisierung und Reproduktion

Da in der Arbeit der Übergang von der Hochschule in die Arbeitswelt thematisiert wird, gilt es nun das universitäre System näher zu betrachten. Im momentanen, auf das Universitätssystem bezogenen Diskurs, ist von der Gefahr einer Ökonomisierung der Universitäten unter anderem die Rede. Darunter ist zu verstehen, dass Studiengänge so konzipiert sind, dass sie auf wirtschaftliche Anforderungen des Arbeitsmarktes ausbilden und somit kann auch von einer „Rückbildung der Universität zu einer Einrichtung der Berufsausbildung“ (Nida-Rümelin 2005: 21) gesprochen werden. Nach neuen strukturellen Vorgaben für die Universitäten wie das New Public Management sollen die Universitäten eine Art Dienstleistungsunternehmen werden, die entsprechend ihrer Angebote Leistungsfähigkeit ermitteln. Dabei werden sie nicht mehr ausschließlich vom Staat geleitet, sondern erlangen auch finanziell gesehen eine gewisse Autonomie. Dabei wird die Leistungsfähigkeit transparent gemacht und somit die fachinterne Reputation von ihr abgelöst. „Eine rein fachinterne und auf akademischer Reputation beruhende Leistungsmessung wird vielfach als nicht (mehr) angemessen eingeschätzt. Im Leitbild der Marktvergesellschaftung von Hochschulen werden dagegen Transparenz und Rechenschaft besonders betont.“ (Pohlenz 2008: 66) Im Ansatz des New Public Management wird die Universität nicht mehr als Institution betrachtet, die nur auf die Absicherung der Freiheit von einzelnen WissenschaftlerInnen abzielt, sondern diese können auch in den organisationsstrukturellen Apparat der Universität eingebunden werden. Dabei liegen die Bestrebungen darin, die staatlichen Anforderungen, wie etwa der Erhöhung der AkademikerInnenquote zu genügen und auch die Universität nach außen hin als wettbewerbsfähig, im Sinne einer akademischen Exzellenzfunktion, zu definieren.

2.4. Die universitäre Sozialisation: Vom Fachhabitus zum Homo Academicus

Die Sozialisation in der Hochschule ist durch zwei theoretische Paradigma gekennzeichnet. Einerseits wird Sozialisation im Sinne einer strukturfunktionalistischen Herangehensweise (Merton et al. 1957) verstanden, die sich auf den Zusammenhang zwischen Normen und Werten beruft deren Übernahme und Ausprägung als Zweck verstanden wird. Die interaktionistische Schule (Becker u.a. 1961) hingegen konzentriert sich auf die Aspirationen, Motive und Perspektiven von StudentInnen. Dabei wird die studentische Subkultur als die vorrangige Sozialisationsinstanz verstanden.

Die Studierenden werden nicht nur hinsichtlich ihrer Fachkompetenz ausgebildet, sondern die Universität fungiert auch als Sozialisationsinstanz. Im Wechselspiel mit dem spezifischen Fachmilieu, der Lernkultur und des Umfeldes sowie des Lebensstils findet eine Persönlichkeitsentwicklung statt. Diese Mechanismen führen nicht nur dazu für einen bestimmten Beruf Kompetenzen zu erwerben, sondern prägen auch die individuelle Persönlichkeit der Individuen. Nach Smelser (1990) ist die studentische Sozialisation ein erweiterter Sozialisationsprozess, in dem die Persönlichkeit des Individuums gestärkt wird, weil es lernt, mit der stetigen Rationalisierung und Differenzierung der im Wandel befindlichen Gesellschaft, zurecht zu kommen. Eigenschaften dieser erweiterten Sozialisation sind demnach Autonomie, Intelligenz, Flexibilität und universalistische Bewertungsmaßstäbe sowie rational geprägte Leistungen.

Jedoch entscheiden sich Studierende schon vorher für ein Studium bevor sie über die spezifische universitäre Sozialisation geprägt werden. Aufgrund ihrer bereits internalisierten Weltanschauungen, Interessen und kulturellen Eigenschaften richten sich ihre Motive in Richtung einer speziellen Studienrichtung aus. Studienwechsel etwa, können sich dann dadurch ergeben, dass die vorherigen kulturabhängigen Interessen nicht befriedigt werden und die Studierenden sich somit nicht zu der je spezifischen Fachkultur zugehörig fühlen. „Die bereits vorhandene „Denkkultur“ der Studierenden ist in einen Fall ein institutionalisiertes bewusstes Wertesystem (nach Parsons), im anderen ein sozialisiertes unbewusstes Dispositionssystem (nach Bourdieu).“ (Multrus 2004: 196) Im ersteren Fall begründet sich die Wahl des Studiums daher aufgrund von

Annahmen und Erwartungshaltungen und ist somit eine Integration während es im zweiten Fall eine beabsichtigte Handlung darstellt, die als Sozialisation fortdauert. Dabei versteht man etwa unter Habitus „die geistigen und körperlichen Denk-Wahrnehmungs- und Handlungsschemata. Es ist eine Matrix, die immer wieder gleiche Gefühle, Handlungen, Wahrnehmungen, Gedanken, Geschmackspräferenzen nach Klasse, Milieu oder Geschlecht reproduziert.“ (Löw 2006: 45) Umgelegt etwa auf universitäre Ausbildung, wo sich Angehörige niederer sozialen Schichten für eine Lehre entscheiden und Personen aus der gehobenen Mittelschicht ein Studium wählen, wird deren soziale Position und somit auch die Divergenz zwischen den sozialen Klassen reproduziert.

Habitualisierungen definieren Gesellschaft als ein Produkt, das sich ständig neu reproduziert. Universitäre Ausbildung und Berufe gelten als Institutionen, die als Produkt von Habitualisierungen angesehen werden, weil sie eine Sicherheit dadurch erlangen, dass nicht ständig neue Handlungsroutinen entworfen werden müssen. „Wenn habitualisierte Handlungen Institutionen begründen, so sind die entsprechenden Typisierungen Allgemeingut. Sie sind für alle Mitglieder der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe erreichbar.“ (Berger und Luckmann 2004: 58) Das bedeutet, dass Studierende bereits in der Universität eine Institution wiederfinden, die durch spezifische Habitualisierungen, wie etwa der Verfügbarkeit von Wissen und dessen Reproduktionsmechanismen, gekennzeichnet sind. Durch die Zugehörigkeit zu dieser Institution eignen sie sich nun einen Habitus an, der durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet ist. Habituelles Handeln zeichnet sich auch dadurch aus, dass „der Einzelne gezwungen ist, dem Außenstehenden etwas zu erklären [und dadurch können] das habituelle Handeln und das atheoretische Wissen theoretisch gefasst werden.“ (Ruppin 2008: 91)

Auch durch die Zuordnung zu spezifischen Studienfächern lässt sich ein für ein bestimmtes Fach typischer Habitus erkennen. Es ist in diversen Studien belegt, dass sich etwa WirtschaftstudentInnen anders kleiden als PädagogInnen. Auch die Wohnungssituation kann zwischen den Fachkulturen variieren. Durch die räumliche Darbietung eines Seminarraumes, der etwa an den Wänden auffallend bemalt ist, werden so bereits Elemente einer „Oppositionskultur“ vermittelt. Die Einführung von KommilitonInnen in das Fach gestaltet sich durch verschiedene Rituale, wie z.B. durch ein Treffen in einem eigenen Studierendenzimmer mit gemeinsamen Diskussionsmöglichkeiten oder Lesezirkeln. Dabei vermitteln die KollegInnen auch „Abgrenzungsstrategien“ zu anderen Disziplinen. (Löw 2006: 100) Fachkulturen können auch einen gemeinsamen Fachhabitus ausweisen, der nicht nur durch eine gemeinsame Sozialisation die Aneignung von Fachwissen und Kompetenzen geprägt ist, sondern sich auch „tendenziell auf die Gesamtheit der Dispositionen des Subjekts erstreckt und damit seine Art und Weise der Wirklichkeitskonstruktion fundamental beeinflusst.“ (Multrus 2004: 80)

In der Grazer Studie über das Soziologie-Studium (2006) wurden Personen im Rahmen einer Fragebogenuntersuchung vier Bilder von Studierenden gezeigt. Dabei ist festzuhalten, dass das Bild von Studierenden der Soziologie durchaus „bewusstseins- stiftend“ ist und die Zughörigkeit zu einem Kollektiv bestimmt wobei dies wiederum eine Abgrenzung zu anderen Studienrichtungen bedeutet. Soziologische Eigenschaften werden anhand der Bilder definiert. Tolerant, alternativ, gesellschaftskritisch, sympathisch und kollegial gelten als typische Eigenschaften von Soziologie- Studierenden. Dabei spielt die soziale Kompetenz eine entscheidendere Rolle als die Karriere. (ebd. 42-43)

In Zusammenhang mit dem Fachhabitus kann theoretisch etwa das Modell der Bezugskulturen (Huber et al. 1983) erwähnt werden. Dabei nehmen die Studierenden an vier Kulturkreisen teil: der Herkunftskultur, der studentischen Kultur, der Fachkultur und der antizipierten Berufskultur. Liebau und Huber (1985: 315) sehen die Welten der Fächer als Kulturen „unterscheidbare, in sich systematisch verbundene Zusammenhänge von Wahrnehmungs-, Denk-, Wertungs- und Handlungsmustern”. Die Reproduktion dieser wissenschaftlichen Fächer ist dann dadurch gegeben, dass diese spezifischen Kulturen und Eigenschaften der StudentInnen zu einer fortwährenden Entwicklung dieser Prozesse führen. Dabei werden die Fachkulturen gesamtgesellschaftlich in einen Kontext gebracht, wobei auch die Wichtigkeit zu den fächerübergreifenden Faktoren eine Rolle spielt.

Die Hochschulausbildung sollte keine Sozialisierung für einen bestimmten Fachhabitus darstellen, sondern auf diesen aufmerksam machen und versuchen ihn zu überwinden. „Dagegen stehen aber Legitimationsstrategien der Paradigmengemeinschaften, die deshalb auch als soziale Reproduktionsmechanismen verstanden werden können.“ (Multrus 2004: 402) Damit ist auch eine Sicherung des Nachwuchses gewährleistet. Interdisziplinarität schließlich, könnte diese Mechanismen abschwächen. Daher haben die Theorien in Zusammenhang mit Fachkulturen ein entscheidendes Problem: Sie blenden die Eigenschaften der Interdisziplinarität aus. So können Studierende mehrere Studienrichtungen belegen oder fächerübergreifende Lehrveranstaltungen wählen. Dabei kommen sie mit anderen Fachkulturen in Kontakt und grenzen sich entweder zu diesen ab oder erfahren eine Enkulturation, genauso wie sie es in ihrer eigenen Fachkultur erfahren haben. „Moderne Wissenschaft […] beobachtet unablässig das, was in anderen Disziplinen und Subdisziplinen geschieht, und sie verhält sich dazu entweder in der Form der Differenzbildung oder der selektiven Übernahme, sofern diese in dem eigenen Kommunikationszusammenhang Innovationschancen verspricht.“ Interdisziplinarität ist schließlich auch im beruflichen Leben gefordert. So gehört es zur wissenschaftlichen Kompetenz mit KollegInnen aus anderen Disziplinen zusammen arbeiten zu können.

Als RepräsentantInnen des universitären Systems gelten die ProfessorInnen, die einen eigenen Stand ausmachen und aufgrund ihrer Reputation Macht besitzen, aufgrund ihres Werkzeugs der Benotung und der Verwendung einer Wissenschaftssprache. (Daxner 1999) Das akademische Feld folgt dabei einer eigenen Logik und zeichnet sich dadurch aus, dass sich durch bestimmte institutionelle Gegebenheiten, wie etwa der Versammlung von Gremien, das universitäre Kapital gefördert wird. Diese Felder sind als Kräftefelder zu interpretieren, denn „in ihnen entsteht im sozialen Handeln unterschiedlich kapitalstarker und sozial positionierter Akteure eine Dynamik, welche das Feld in einen mehr oder minder autonomen Mikrokosmos verwandelt.“ (Löw 2006: 44)

In einem seiner bildungssoziologischen Werke widmet sich Pierre Bourdieu dem „Homo Academicus“ (Bourdieu 1998). Der akademische Titel ist nicht nur ein Zeugnis des formalisierten Abschlusses von Bildung und von Statusattributen, sondern er garantiert auch den Zutritt zu sozialen Positionen (Bourdieu 1987). Er bietet aber auch Aussichten auf höhere Löhne und den Zugang zu höheren Arbeitsstellen. Durch Reproduktion erhält sich dieses System der Hochschule. Dabei werden von den Machthabern der Institution Menschen rekrutiert, die den Regeln des Feldes folgen und auch die ihm bestimmenden Rituale, wie etwa in Form der Promotion. (Bourdieu 1998: 155) Hier spielen auch die Konkurrenz und der Wettbewerb eine Rolle. Denn die WissenschaftlerInnen möchten hervorragende Leistung erbringen. „Im Feld der Wissenschaft mischen sich reines wissenschaftliches Kapital, das durch anerkannte Beiträge zur Wissenschaft angehäuft wird, und institutionelles wissenschaftliches Kapital, welches auf spezifischen politischen Strategien basiert.“ (Löw 2006: 49) Engler (2001) beschreibt die Wissenschaft als ein Konglomerat von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen. Angehende WissenschaftlerInnen definieren Leistung zwar als wichtig, aber erklären auch, dass die Anerkennung ein entscheidendes Moment beruflichem Fortkommens ist. „Nicht die eigentliche Arbeit und Leistung führt zum Erfolg, sondern die in sozialen Prozessen anerkannte und zugeschriebene Leistung durch andere WissenschaftlerInnen.“ (Engler 2001: 447) Nach Becker (1987 zit. in Multrus 2004: 109) haben sich neue Ordnungsprinzipien von Wissenschaft herausgebildet. Sie stellt sich demnach als eine Produktion, Reproduktion, Bewertung, Kritik, Kontrolle, Verteilung und Erneuerung des bereits theoretisch geordneten Wissens dar. Dabei ist die Steigerung des Erkenntnisvermögens bereits institutionalisiert.

2.5. Akademischer Wissenserwerb und Kompetenzentwicklung

Wissen ist keine statische Gegebenheit sondern wird im Laufe des Lebens akkumuliert. Dabei spielen sowohl Erfahrungen eine Rolle, als auch Wissen, das durch formale Kriterien erlangt wird. Es folgt außerdem der subjektiven Strukturen von Zeit. Wissenserwerb ist schließlich „die Sedimentierung aktueller Erfahrungen nach Relevanz und Typik in Sinnstrukturen, die ihrerseits in die Bestimmung aktueller Situationen und die Auslegung aktueller Erfahrungen eingehen.“ (Schütz und Luckmann 2003: 173) Wissen steht im Zusammenhang mit dem Kontext und verbreitert sich durch die soziale Interaktion.

Wissen und Können sind zwei Kategorien, die in enger Beziehung stehen. Die Universität ist ein Ort, welcher Allgemeinbildung und fachspezifisches Wissen vermittelt. Aber „Wissen um das Allgemeine […] hat im Kontext der Könnerschaft nur den Status eines Inbegriffs von Vorkenntnissen, weil Können […] die Kunst der Kontextualisierung dieses Wissens auf besondere Fälle einschließt.“ (Neuweg 2005: 206) Aufgrund dessen kann die universitäre Bildung als Bildung verstanden werden aber nicht als Ausbildung. Denn Wissen muss, um es zu verinnerlichen, in Praxis umgewandelt werden. Dabei wird implizites Wissen über eine Lehrperson vermittelt und in der Imitation erwerben die Studierenden das Wissen, das etwa der Professor selbst nicht explizit kennt. (Polanyi 1964 zit. in ebd. 210) Implizites Wissen basiert außerdem aus einem Refugium von subjektiven Erfahrungen, Erinnerungen und Auslegungen. Explizites Wissen hingegen ist formal strukturiert und kann entsprechend gelernt und artikuliert werden. Universitäre Bildung soll „Hintergrund-, Bildungs- und Reflexionswissen“ garantieren. Dabei gilt es den universitären Denkstil zu antizipieren und das Gelernte mit einer Distanz zu reflektieren. Dazu kann universitäre Bildung zwar das theoretische Rüstzeug für einen Beruf vermitteln, aber aufgrund der „doppelten Distanzierung“ ist sie keine Berufsausbildung, denn es muss gleichermaßen eine Distanz zur „Praxis“ als auch eine zu „theoretischen Deutungsangeboten“ geschaffen werden. (ebd. 219) Zum Wissen und zum Können kommt schließlich noch die reflexive Auseinandersetzung mit Erfahrungen hinzu. Erst dadurch zeichnet sich akademisches Wissen aus und die Anwendbarkeit in beruflichen Feldern kann dadurch garantiert sein.

Über die Sprache wird akademisches Wissen genauso tradiert, wie die in je spezifischen Fächern vermittelnden Denkstile. Dabei spielt das Kollektiv eine Rolle, denn dieses zeichnet sich durch den Erwerb von Wissen aus, das für jedes Individuum insofern Bedeutung erlangt, da es damit in ein Denkkollektiv eingebettet wird. „Das Kollektiv ist es, das den Denkstil tradiert und ihn kollektiv umwandelt, und nur über einen sozialisationsähnlichen Prozess im Kollektiv ist der Denkstil überhaupt zu erwerben.“ (Neuweg 2001: 330) Das heißt also, dass Wissen nicht nur als Horizonterweiterung und Begreifen der Welt gedacht werden kann, sondern dass es über universitäre Bildung Denkstile vermittelt, die eine Inklusion in bestimmte Gruppen, hier also in das universitäre System ermöglicht.

Ein weiterer Auftrag universitärer Bildung ist die Schaffung von Kompetenz. Auch wenn es nicht Aufgabe der Universität ist für einen bestimmten Beruf auszubilden bzw. durch die Ökonomisierung von Bildung teilweise dennoch dieser Anspruch der Universität besteht, so vermittelt sie auch ohne Verschulungsmechanismen nicht nur für WissenschaftlerInnen, sondern auch für AbsolventInnen, die in der Privatwirtschaft arbeiten möchten, Qualifikationen wie „eigenständiges Denkvermögen, Artikulationsfähigkeit, rasche Auffassungsgabe, kurz: Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit.“ (Nida-Rümelin 2005: 21) Hinzu kommt noch die Anforderung eigenmotiviert Lerninhalte zu verinnerlichen und praxisorientiert anzuwenden, gewisse Kompetenzen, die für den späteren Beruf von Bedeutung sind und auch in Führungspositionen verlangt werden. Kompetenz ist als „Handlungskompetenz konzipiert, die drei Aspekte Fach- und Methodenkompetenz, sozial-kommunikative Kompetenz und personale Kompetenz“ miteinschließt (Kraus 2006: 103) und somit ein greifbareres Konzept bietet als die Analyse von bestimmten Wissenskonzepten. Im Laufe der Biographie wird Kompetenz weiterentwickelt und liegt im Individuum verankert. Es ist daher selbst verantwortlich inwiefern es seine Kenntnisse so erweitern möchte, damit es den wechselnden Anforderungen im Laufe des Arbeitslebens gerecht werden kann.

Im Zuge der sozialwissenschaftlichen Bildung wird aber nicht nur theoretisches Wissen vermittelt, sondern es werden auch soziale Kompetenzen, etwa durch gemeinsames Arbeiten in Gruppen, gefördert. Dabei soll diese Arbeitsform soziale Kompetenzen fördern, die dann entsprechend für das Arbeiten in Teams im Beruf nützlich sind. Somit sind Fähigkeiten, die für ein gutes Funktionieren einer Gruppe Voraussetzung sind, soziale Kompetenzen, die durch folgende Teilfähigkeiten definiert sind. Sie umfassen „eine differenzierte soziale Wahrnehmung, eine komplexe soziale Urteilsfähigkeit und ein umfassendes Repertoire an sozialen Handlungsweisen.“ (Jugert 2006: 9)

Des Weiteren lassen sich unter sozialen Kompetenzen folgende Eigenschaften subsumieren: die „Fähigkeit zur Perspektivenübernahme“, das „Erkennen“ und Verstehen von Freundschaften, „Problemlösungsstrategien für soziale Interaktionen“ sowie „entwickeln von moralischen Wertvorstellungen“ und „kommunikative Fertigkeiten.“ (ebd. 11) Soziale Kompetenz wird sozialisationsbedingt entwickelt und kann sich ebenso wie fachliche Kompetenzen weiterformen, allerdings wird der Grundstein für soziales Verhalten bereits in frühen Kinderjahren gelegt. Sie ist ein Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung und wird aufgrund sozialer Aushandlungsprozesse weiterentwickelt und gestärkt. „Empathische Fähigkeiten, Akzeptanz, Verstehen und Verantwortungsbewusstsein anderen gegenüber lassen sich letztlich nicht von Selbstempathie, Akzeptanz der eigenen Person und verständigem, verantwortungsvollem Umgang mit sich selbst trennen.“ (Ötsch 2006: 6) Soziale Kompetenz und Fachwissen bilden dann diese Fähigkeiten, die für einen erfolgreichen Berufseintritt ausschlaggebend sind.

Zusammenfassend kann eine Konzeption über die Schlüsselqualifikationen erwähnt werden, die insgesamt festhält, welche Anforderungen im Berufsleben gefragt sind. Und zwar sind das: „Materiale Lerninhalte (berufsfachliche Kenntnisse und Fertigkeiten), Formale Lerninhalte (denk- und methodenbezogene Fähigkeiten) und personale Lerninhalte (individuelle und soziale Verhaltensweisen).“ (Bunk, Kaiser, Zedler 1991 zit. in Heinz 1995: 114) Es wird zu zeigen sein, inwiefern welche Qualifikationen der AkademikerInnen für den Berufseinstieg relevant sind und wie diese sich im Vergleich darstellen werden.

[...]


1 Das Forschungsteam bestand in den letzten Phasen des Projektes aus W. R. Heinz (Leiter), Helling, V.; Kelle U.; Kühn, T.; Mierendorff, J.; Mönnich, I.; Mowitz-Lambert, J.; Schaeper, H.; Witzel, A., Zinn, J.

2 Dazu zählen freie Arbeitsverträge, Werksverträge, Teilzeitbeschäftigungen und geringfügig Beschäftigte, Leiharbeiter und befristete Dienstverträge. (ORF Steiermark)

3 http://de.wiktionary.org/wiki/prek%C3%A4r

4 http://www.arte.tv/de/20050203/954438,CmC=954774.html

Ende der Leseprobe aus 318 Seiten

Details

Titel
Der Berufseinstieg und die Lebenswelt von SozialwissenschaftlerInnen im Kontext der Transformationen des Erwerbssystems
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Soziologie)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2010
Seiten
318
Katalognummer
V157727
ISBN (eBook)
9783640707683
ISBN (Buch)
9783640707874
Dateigröße
4446 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bildung, sozialwissenschaftler, familie, biographieforschung, grounded theory, narrative interviews, netzwerkanalyse, berufseinstieg, prekäre Arbeitsverhältnisse
Arbeit zitieren
Dr. Priska Flandorfer (Autor:in), 2010, Der Berufseinstieg und die Lebenswelt von SozialwissenschaftlerInnen im Kontext der Transformationen des Erwerbssystems, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/157727

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