Das mittelhochdeutsche Verb - Eine Untersuchung der Tempusformen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

20 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Einfache Formen
2.1. Präsens
2.1.1. Die zeitliche Gegenwart
2.1.2. Atemporales Präsens
2.1.3. Die Vergangenheit (historisches Präsens)
2.1.4. Zukünftiges Geschehen (futurisches Präsens)
2.2. Das Präteritum
2.2.1. Episches Präteritum
2.2.2. Präteritum mit Perfektbedeutung
2.2.3. Präteritum mit Plusquamperfektbedeutung
2.2.4. Gnomisches Präteritum
2.2.5. Präteritales Futur

3. Zusammengesetzte Formen
3.1. Die Umschreibung des Perfekts und Plusquamperfekts
3.1.1. Das umschriebene Perfekt
3.1.2. Das umschriebene Plusquamperfekt
3.2. Der Infinitiv Perfekt
3.3. Das umschriebene Futur
3.3.1. sol mit Infinitiv
3.3.2. muoz mit Infinitiv
3.3.3. wil mit Infinitiv
3.3.4. Umschreibungen mit werden

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Innerhalb der vorliegenden Hausarbeit soll das mittelhochdeutsche Verb eingehend hinsichtlich seiner Tempuslehre betrachtet sowie analysiert und anhand von ausgewählten Beispielen veranschaulicht werden. Die Analyse orientiert sich hauptsächlich an der aktuellen Mittelhochdeutschen Grammatik[1] von Hermann Paul.

Das Mittelhochdeutsche hat wie das Althochdeutsche zwei synthetisch gebildete Tempora: Präsens und Präteritum, welche durch morphologische Markierungen am Wortstamm gebildet werden[2]. Diese Tempora werden mit sogenannten einfachen Formen wiedergegeben und stellen mehrere Zeitbereiche dar. Des Weiteren bilden sich erst im späten Mittelalter drei zusammengesetzte Formen aus, die in dieser Arbeit unterschieden werden sollen[3]. Und zwar das Perfekt, Plusquamperfekt und Futur, welche ähnlich wie im Neuhochdeutschen nur durch periphrastische Bildungen umschrieben werden können. Hierbei wird das Hilfsverb konjugiert und mit infiniten Formen eines Verbs kombiniert. Während sich beispielsweise das mittelhochdeutsche Perfekt auf die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft beziehen kann, bezeichnet das Plusquamperfekt hingegen lediglich die Vorvergangenheit.

Auch der Infinitiv Perfekt, welcher sich erst seit der Mitte des 12. Jahrhunderts entwickelte[4], soll eine Darstellung erfahren. Wohingegen der Gebrauch des Infinitiv Präsens wesentlich älter ist, welcher mit Hilfe eines Beispiels veranschaulicht werden soll. Es folgt eine ausführliche Betrachtung des umschriebenen Futurs hinsichtlich seiner Kombinationen sol, muoz, und wil mit Infinitiv sowie der Umschreibung mit werden.

Alles in allem sollen in der Arbeit die verschiedenen Bedeutungsvarianten der Tempora Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt und Futur ausführlich vorgestellt werden. Im Verlaufe der Untersuchung werden ebenso einige Besonderheiten herauskristallisiert, wie beispielsweise die Bedeutungsvariante des Präsens, die als generelles (atemporales) Präsens bezeichnet wird, und somit eine Ausnahme bildet.[5]

2. Einfache Formen

Die mittelhochdeutschen Verben besitzen zwei einfache Verbformen: das Präsens und Präteritum. Einfach bedeutet, dass die Verben nicht mit anderen Verben zusammengesetzt sind. Sowohl das Präsens als auch das Präteritum können mehrere Zeitbereiche bezeichnen. Welche Bedeutung im Einzelfall vorliegt, ergibt sich aus dem jeweiligen Kontext.

2.1. Präsens

Die Präsensformen des Mittelhochdeutschen entsprechen hinsichtlich ihres Bedeutungsbereiches weitestgehend denen des Neuhochdeutschen. Hermann Paul bezeugt vier Bedeutungsvarianten des Präsens:[6]

2.1.1. Die zeitliche Gegenwart:

Bsp.: Mir behaget diu werlt niht sô wol. – Mir gefällt die Welt nicht so gut. (Hartmann von Aue, Der arme Heinrich, 708)

Hierbei nimmt das Präsens Bezug auf das Aktuelle und Ereigniszeit, Sprechzeit sowie Referenzzeit fallen zusammen.[7]

Im Unterschied zu anderen Bedeutungsvarianten enthielt das aktuelle Präsens keinen modalen Faktor. Jedoch wurde es häufig in Verbindung mit einem Temporaladverb gebraucht, dessen Verwendung aber genau wie im Gegenwartsdeutschen fakultativ ist.[8]

Bsp.: weiz ich daz wol vür wâr.Jetzt aber weiß ich das gewiss.

(Hartmann von Aue, Gregorius, 6)

In Verbindung mit einer Verbalform der Vergangenheit kann das Präsens die durchstehende Zeit bezeichnen. Diese Zeitspanne meint einen Vorgang, der so war und jetzt noch so ist.[9]

Bsp.: daz er der êren krône dô truoc und noch sîn name treit – Dass er die Krone der Ehre damals trug, wie er heute seinen Namen trägt.

(Hartmann von Aue, Iwein, 11)

2.1.2. Atemporales Präsens:

Bsp.: got gibet ze künege, swen er wil – Gott macht zum König, wen immer er will. (Walther von der Vogelweide 12,30)

Unter einem atemporalen Präsens ist die Fähigkeit des Tempus, allgemeingültige Sachverhalte in der Sprache auszudrücken, zu verstehen, da hierbei der zeitliche Vorgang unbestimmt ist. Das atemporale Präsens wird auch als „generelles Präsens“[10] bezeichnet.

Die Referenzzeit und die Ereigniszeit können entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegen. Darüber hinaus kann sich die Referenz- und die Ereigniszeit mit der Sprechzeit überlappen:[11]

Bsp.: Swer an rehte güete wendet sîn gemüete, dem volget soelde und êre. – Wer an das Gute seine Sinne wendet, der wird von Reichtum und Ehre begleitet. (Hartmann von Aue, Iwein, 1)

Des Weiteren ist das atemporale Präsens ebenso in der Einführung von Zitaten verstorbener Autoritäten vorzufinden:[12]

Bsp.: Kyôt in selbe nennet sus - Kyot persönlich nennt ihn so.

(Wolfram von Eschenbach, Parzival 416,20)

2.1.3. Die Vergangenheit (historisches Präsens):

Der Ausdruck vergangener Ereignisse fiel im Mittelhochdeutschen in den Geltungs­bereich des Präteritums. Doch zugleich zeichnete sich eine gewisse Tendenz zur Herausbildung der Bedeutungsvariante des Präsens mit Bezug auf das Vergan­gene ab. Johannes Singer weist darauf hin, dass das „Präsens zur Bezeichnung eines vergangenen Geschehens (historisches Präsens) […] nur vereinzelt belegt“[13] ist. In dieser Bedeutungsvariante liegen die Ereigniszeit und Referenzzeit vor der Sprechzeit.

Seidel und Schophaus vertreten eine andere Meinung, da sie sogar zwischen einem „ech­ten“ und „unechten“ Präsens mit Bezug auf das Vergangene unterscheiden. Das „unechte“ Präsens komme in Erzählerbemerkungen vor und trete nach der Meinung beider Wissenschaftler im Mittelhochdeutschen sehr häufig auf:[14]

Bsp.: Alsô schoene schein diu maget in swachen kleidern, sô man saget, daz sî in sô rîcher wât nu vil wol ze lobe stât. - So schön erschien das Mädchen bereits in armseligen Kleidern, wie man sagt, dass sie nun in so prächtiger Kleidung außerordentlich zu loben ist.

(Hartmann von Aue, Erec, 1586)

Ein „echtes“ historisches Präsens ist in der mittelhochdeutschen Literatur äußerst selten vorzufinden. Lediglich in den Grießhaberschen Predigten (13. Jahrhundert) häuft sich das Auftreten dieser Präsensform, welche, im Wechsel mit dem regulären Imperfekt, in seltenen Fällen in der Vergangenheit Geschehenes bezeichnet:

Bsp.: also swuor der kneht sinem herren ...und machet sich ûf. und nimt zuo im zehen kemeliu... - So schwur der Knecht seinem Herrn ... und machte sich auf und nahm zehn Kamele mit sich.

(I S. 132 (106a.))

Der Gebrauch des Präsens mit Bezug auf das Vergangene verfolgt das Ziel, „Vergangenes besonders lebendig zu gestalten und zu vergegenwärtigen“[15].

2.1.4. Zukünftiges Geschehen (futurisches Präsens):

Das Deutsche besitzt keine besondere morphologische Kennzeichnung des Futurs. Das Bedürfnis zukünftige Handlungen von gegenwärtigen zu unterscheiden, war weniger stark ausgeprägt als in anderen Sprachen, da die Präsensformen vom Althochdeutschen bis zum Neuhochdeutschen ebenfalls zur Bezeichnung von Zukünftigem dienten.[16] Jedoch macht sich seit der althochdeutschen Zeit der Wunsch nach einer Bezeichnung des Futurs bemerkbar, indem periphrastische Bildungen mit futurischer Bedeutungsnuance wie soln, müezen oder weln auftreten. Die Umschreibung mit wërden kommt erst langsam im Mittelhochdeutschen auf und dient besonders zur Bezeichnung des Eintritts einer Handlung oder eines Zustandes.[17]

Das futurische Präsens ist in den mittelhochdeutschen Texten sehr gut belegt. Dabei fallen die Referenzzeit und die Sprechzeit zusammen, wobei die Ereigniszeit nach der Referenz- und Sprechzeit liegt:[18]

Bsp.: Ich sage dir wie dir geschiht. - Ich sage dir, was mit dir geschieht.

(Hartmann von Aue, Der arme Heinrich, 1084)

[...]


[1] Paul, Hermann: Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Auflage. Tübingen: Niemeyer 2007.

[2] Vgl. Weddige, Hilkert: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung. 7. Auflage. München: Beck 2007. S. 43

[3] Vgl. Rüdig, Anja: Die Entwicklung des Tempussystems vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen. http://www.linse.uni-due.de/linse/esel/arbeiten/althochdeutsch_mittelhdeutsch.html (11.08.2010).

[4] Vgl. Paul, Hermann: Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Auflage. Tübingen: Niemeyer 2007. S. 293.

[5] Vgl. Singer, Johannes: Grundzüge einer rezeptiven Grammatik des Mittelhochdeutschen. Paderborn [u.a.]: Schöningh 1996. S. 81.

[6] Vgl. Paul, Hermann: Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Auflage. Tübingen: Niemeyer 2007. S. 287ff.

[7] Vgl. Burov, Aleksej: Zur semantischen Vielfalt von Präsens im Gegenwartsdeutschen und im Mittelhochdeutschen. http://www.leidykla.eu/fileadmin/Kalbotyra_3/60_3/7-13.pdf (11.08.2010) S. 9.

[8] Vgl. Ebd.

[9] Vgl. Paul, Hermann: Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Auflage. Tübingen: Niemeyer 2007.S. 287.

[10] Singer, Johannes: Grundzüge einer rezeptiven Grammatik des Mittelhochdeutschen. Paderborn [u.a.]: Schöningh 1996. S. 81.

[11] Vgl. Burov, Aleksej: Zur semantischen Vielfalt von Präsens im Gegenwartsdeutschen und im Mittelhochdeutschen. http://www.leidykla.eu/fileadmin/Kalbotyra_3/60_3/7-13.pdf (11.08.2010) S. 12.

[12] Vgl. Paul, Hermann: Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Auflage. Tübingen: Niemeyer 2007. S. 287.

[13] Singer, Johannes: Grundzüge einer rezeptiven Grammatik des Mittelhochdeutschen. Paderborn [u.a.]: Schöningh 1996. S. 81.

[14] Vgl. Seidel, K.O./Schophaus, R.: Einführung in das Mittelhochdeutsche. Wiesbaden: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion 1979. (= Studienbücher zu Linguistik und Literaturwissenschaft; Bd.8) S. 120.

[15] Helbig, G./Buscha, J.: Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Berlin/München: Langenscheidt 2005. S. 131.

[16] Vgl. Paul, Hermann: Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Auflage. Tübingen: Niemeyer 2007. S. 288.

[17] Vgl. Mettke, Heinz: Mittelhochdeutsche Grammatik. 8. Auflage. Tübingen: Niemeyer 2000. S. 175.

[18] Vgl. Burov, Aleksej: Zur semantischen Vielfalt von Präsens im Gegenwartsdeutschen und im Mittelhochdeutschen. http://www.leidykla.eu/fileadmin/Kalbotyra_3/60_3/7-13.pdf (11.08.2010) S. 9.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Das mittelhochdeutsche Verb - Eine Untersuchung der Tempusformen
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für germanistische Sprachwissenschaft)
Note
2,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
20
Katalognummer
V157729
ISBN (eBook)
9783640712588
ISBN (Buch)
9783640713431
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verb, mittelhochdeutsch, Tempusformen, Mittelhochdeutsche Grammatik
Arbeit zitieren
Rebecca Tille (Autor:in), 2010, Das mittelhochdeutsche Verb - Eine Untersuchung der Tempusformen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/157729

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