„Welche Strafe ist größer als die Wunde des Gewissens?“ – Ambrosius von Mailand.
Diese Zulassungsarbeit beschäftigt sich mit den Orten der Strafe für die Sünden des Menschen im Spätmittelalter. Das leitende Thema ist die Angst des Einzelnen, von Gott in oder nach dem Leben für seine Sünden bestraft zu werden. Diese Angst entspringt dem christlichen Glauben, eine wichtige Rolle spielt dabei vor allem das Gewissen um die eigene Sündhaftigkeit. Das kann häufig zur Verzweiflung führen, da sich die Menschen von ihrem Schuldbewusstsein nicht zu befreien wissen.
Die Auseinandersetzung des sündigen Menschen mit seinem Gewissen findet in der ganzen Arbeit statt, in welcher folgendermaßen vorgegangen wird: Nach einleitenden Überlegungen zu der spätmittelalterlichen Stimmung wird die Sünde behandelt, da die Vorstellung, die Missstände des Spätmittelalter seien auf die Verfehlungen der Menschen zurückzuführen, diese Zeit beherrschte. Als Konse-quenz der Sünde erfolgt nach mittelalterlichen Vorstellungen die Strafe, weswegen dann auf die zeitlichen Strafen eingegangen wird, um dann auf die Jenseits-vorstellungen dieser Zeit zu sprechen zu kommen. Diese sind sowohl aus Visionen der Laien, als auch aus theologischen Überlegungen ersichtlich. Die Jenseits-vorstellungen beschreiben besonders die Straforte für die Gläubigen, die Hölle und das Fegefeuer. Auch diese finden einen Eingang in diese Arbeit. Schließlich sollen auch die Möglichkeiten dargestellt werden, wie der ewigen Strafe zu ent-kommen ist. Somit wird in diesen Ausführungen dem Weg des spätmittelalterli-chen Menschen von der Sünde zum Heil gefolgt: Ausgehend von seiner Lebens-wirklichkeit, seinen Vorstellungen über das Jenseits und sich seiner Sündhaftigkeit bewusst, fürchtet er sich vor göttlicher Bestrafung. Die verschiedenen Möglichkeiten der Strafen sind ihm bewusst, er hofft jedoch, durch die Buße zur ewigen Seligkeit zu gelangen. Mit dieser trostreichen Aussicht wird die Arbeit abgeschlossen, wie auch das christliche Leben im Hinblick auf die Worte Jesu voller Hoffnung bleibt: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt." (Joh 11,25)
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
VORAUSSETZUNGEN
1 Religiöse Stimmung im Mittelalter
1.1 Die Herausforderungen der Zeit
1.1.1 Erneuerung oder das „dunkle“ Mittelalter?
1.1.2 Der Tod
1.1.3 Die Pest
1.2 Religiöse Reflexion
1.2.1 Das Sündenbewusstsein und die Bemühungen um Aussöhnung
1.2.2 Die Präsenz des Todes im Spätmittelalter
1.2.3 Die Darstellung des Todes in der Kunst
1.2.4 Die Furcht vor dem Teufel
2 Die Sünde
2.1 Das Wesen der Sünde
2.2 Die Einteilung der Sünden
2.2.1 Cassian und Augustin
2.2.2 Hieronymus und Gregor der Große
2.2.3 Bernhard von Clairvaux
2.3 Die Willensfreiheit
2.4 Ungewollte und unbewusste Sünden
DIESSEITS
3 Diesseitige Strafen
3.1 Die Kirche und die Angst
3.2 Die Pestangst
3.3 Der Kampf gegen das Laster
JENSEITS
4 Jenseitsvorstellungen
4.1 Visionen
4.2 Tod und Seelenreise
4.4 Partikular- und Weltgericht
4.4.1 Das Weltgericht
4.4.2 Das Partikulargericht
5 Das Fegefeuer
5.1 Die Entstehung
5.2 Die Schriftzeugnisse
5.3 Der Verlauf der Reinigung
5.4 Die Hilfe für Jenseits
5.5 Die Kritik am Fegefeuer
6 Die Hölle
6.1 Die Bezeichnung und der Ort
6.3 Die Vorhöllen
6.3.1 Limbus patrum
6.3.2 Limbus puerorum
6.4 Die spätmittelalterlichen Vorstellungen von der Hölle
6.5 Die Qualen
FOLGE
7 Die Buße
7.1 Das Neue Testament
7.2 Alte Kirche
7.2.1 Die Entwicklung
7.3 Das frühe Mittelalter
7.3.1 Die Entwicklung
7.3.2 Der Verlauf der Buße
Sterbestun- de erreicht7.3.4 Die Rekonziliation
7.3.5 Die Scholastik und Thomas von Aquin
7.4 Die Ablasslehre
Zusammenfassung
Einleitung
„Welche Strafe ist größer als die Wunde des Gewissens?“ – Ambrosius von Mai- land Diese Zulassungsarbeit beschäftigt sich mit den Orten der Strafe für die Sünden des Menschen im Spätmittelalter. Das leitende Thema ist die Angst des Einzelnen, von Gott in oder nach dem Leben für seine Sünden bestraft zu werden. Diese Angst entspringt dem christlichen Glauben, eine wichtige Rolle spielt dabei vor allem das Gewissen um die eigene Sündhaftigkeit. Das kann häufig zur Verzweif- lung führen, da sich die Menschen von ihrem Schuldbewusstsein nicht zu befreien wissen.
Die Auseinandersetzung des sündigen Menschen mit seinem Gewissen findet in der ganzen Arbeit statt, in welcher folgendermaßen vorgegangen wird: Nach ein- leitenden Überlegungen zu der spätmittelalterlichen Stimmung wird die Sünde behandelt, da die Vorstellung, die Missstände des Spätmittelalter seien auf die Verfehlungen der Menschen zurückzuführen, diese Zeit beherrschte. Als Konse- quenz der Sünde erfolgt nach mittelalterlichen Vorstellungen die Strafe, weswe- gen dann auf die zeitlichen Strafen eingegangen wird, um dann auf die Jenseits- vorstellungen dieser Zeit zu sprechen zu kommen. Diese sind sowohl aus Visio- nen der Laien, als auch aus theologischen Überlegungen ersichtlich. Die Jenseits- vorstellungen beschreiben besonders die Straforte für die Gläubigen, die Hölle und das Fegefeuer. Auch diese finden einen Eingang in diese Arbeit. Schließlich sollen auch die Möglichkeiten dargestellt werden, wie der ewigen Strafe zu ent- kommen ist. Somit wird in diesen Ausführungen dem Weg des spätmittelalterli- chen Menschen von der Sünde zum Heil gefolgt: Ausgehend von seiner Lebens- wirklichkeit, seinen Vorstellungen über das Jenseits und sich seiner Sündhaftig- keit bewusst, fürchtet er sich vor göttlicher Bestrafung. Die verschiedenen Mög- lichkeiten der Strafen sind ihm bewusst, er hofft jedoch, durch die Buße zur ewi- gen Seligkeit zu gelangen. Mit dieser trostreichen Aussicht wird die Arbeit abge- schlossen, wie auch das christliche Leben im Hinblick auf die Worte Jesu voller Hoffnung bleibt: " Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt. " (Joh 11,25)
VORAUSSETZUNGEN
1 Religiöse Stimmung im Spätmittelalter
1.1 Die Herausforderungen der Zeit
Das Spätmittelalter hob sich von seiner vorhergehenden Epoche deutlich ab. Denn das Hochmittelalter brachte durch die Zurückdrängung der Gefahr, die durch die Sarazenen und Normannen bedingt war, und durch die Friedensbewegung eine neue Sicherheit mit sich1. Nun führten mehrere Krisen zu einem neuen religiösen Gefühl, das die 200 Jahre seit dem 13 Jh. bis zum Jahr 15172 prägte.
1.1.1 Erneuerung oder das „dunkle“ Mittelalter?
Die Bewertung des Spätmittelalters schwankt zwischen Herbst und Frühling, zwi- schen Untergang und Neuanfang. Die protestantische Geschichtsschreibung ten- dierte in der Vergangenheit dazu, diese Epoche negativ zu bewerten. Denn da- durch erschien der Glanz der Reformation umso stärker. In den letzten Jahren fing man in der Forschung jedoch an, das Spätmittelalter differenziert zu betrachten3. Denn es ist durchaus möglich, dass der Reichtum an Überlieferung, welcher uns zur Verfügung steht, unseren Blick verschob4.
Die Naturkatastrophen, die zu einer wirtschaftlichen Krise führten, die Pest von 1347/50, sowie die unzähligen Machtkämpfe, hatten Hungersnöte zur Folge5. Der Glaube an das baldige Ende dieser Welt und das Kommen des Reiches Gottes verbreitete sich. Die Frömmigkeit gewann an Kraft, was an den unzähligen Wall- fahrten und am sog. „großen Laufen“ zu sehen war. Plötzlich verspürten viele Menschen das Bedürfnis, an einer Wallfahrt teilzunehmen und verließen auf der Stelle ihre Familie und ihren Heimatort6.
Die Theologie versuchte - wie sie es sonst in keiner anderen Epoche tat - sich der Volksfrömmigkeit zu stellen und ihr zu dienen7. Das „Stichwort des 15. Jahrhun- derts“8 war die Reform. Der Impuls kam von unten. Das Volk bediente sich der religiösen Angebote der Kirche, verlangte bei ihren Priestern umfangreiche theo- logische Kenntnisse9. Doch die Kirche war nicht makellos. Als gutes Beispiel hierfür kann man die Ausnutzung der Pfründen10 heranziehen. Das im Frühmitte- lalter herausgebildete Sondervermögen, das zum Unterhalt des Geistlichen be- stimmt war, wurde im Spätmittelalter von diesen zur eigenen Bereicherung miss- braucht. Die Bedeutung der Amtspflicht trat in den Hintergrund und trotz kirchli- cher Verbote verwalteten viele Geistliche mehrere Pfründen. Oft überließ dann der Eigentümer die Ausübung der mit den Pfründen verbundenen Pflichten einem Vertreter.
Doch das war nur ein Beispiel. Es gab noch viele andere Missstände, die die Christenheit in Unsicherheit stürzten und den Ruf nach einer Reform verstärk- ten11. Das Papstschisma (1376-1417) spaltete die Christenheit in zwei, beziehung- sweise drei Parteien. Die spätmittelalterlichen Päpste hatten mit Affären, theolo- gisch problematischer Auflösung der Ehen und der Nichteinhaltung des Zölibats zu kämpfen. Auch die verschiedenen Orden lebten nicht immer nach Christi Vor- bild. Auch deshalb gab es Reformen des Ordenlebens, die von Papst Benedikt XII. angestoßen wurden12.
Eine neue Bewegung, die durch das Ideal vom brüderlichen Zusammenleben, oh- ne zwischen Laien und Klerikern zu trennen, und durch die Bemühung um ein strukturiertes geistliches Leben geprägt war, trat in die Geschichte als Devotio moderna. Es entstanden Häuser für Männer und Frauen, in denen sie ohne alle Privilegien lebten und sich der geistlichen Erbauung widmeten13. Diese Bewe- gung hatte einen überaus großen Erfolg, konnte sich jedoch nicht im ganzen Abendland verbreiten.
Der Wille nach einer Reform blieb also bestehen und bereitete der Reformation den Weg.
1.1.2 Der Tod
„Media vita in morte sumus ” kennzeichnet die Zeit des Spätmittelalters. Die Le- benserwartung betrug höchstens 35 Jahre, wobei das Mittelalter diesen Höchst- stand wahrscheinlich nur im 13. Jahrhundert erreichte14. Die Kindersterblichkeit lag bei 50 Prozent, viele Frauen starben bei der Geburt, die Männer arbeiteten sehr hart und mussten nicht selten in einem Kampf mit streiten15. Für die damalige Gesellschaft war ein Vierzigjähriger alt. Wenn man krank wurde, war man auf das baldige Ende gefasst. Das Zusammenleben Kranker und Gesunder, das zu weniger Todesangst führen sollte, erhöhte die Ansteckungsgefahr16. Das Leben war voller Schmerzen, wie auch der Tod voller Leiden verlief. Die damalige Medizin war nicht im Stande, die Sterbenden ausreichend zu versorgen, da sie auch keine wir- kungsvollen Schmerzmittel kannte17. Lediglich die Anwesenheit der Familie und der Freunde und die Hoffnung auf das ewige Leben war den Sterbenden ein Trost.
1.1.3 Die Pest
Die Pest18, die in mehreren Wellen immer wieder in Europa wütete, erreichte ih- ren Höhepunkt in den Jahren 1347/50. Heutzutage weiß man, dass sie vor allem durch die Flohbisse bei Hausratten übertragen wurde. Besonders nach dem Einge- hen dieser Wirtstiere setzten sich die Pestflöhe auf Menschen ab. Während Pferde, Schafe und andere Tiere selten erkrankten, war der Mensch eine der fast 400 po- tenziellen Wirtspezies. Die Flöhe waren deswegen gefährlich, weil sie dreißig Tage ohne Symbiose mit einem Wirtstier überleben konnten. Während dieser Zeit waren sie stets in der Lage, einen Menschen oder ein Haustier ausgehend von Kleidern oder Betten zu befallen.
Es können zwei Verlaufsformen von Pest unterschieden werden. Im ersten Falle, der so genannten Beulenpest, steckt sich der Mensch durch die Haut an. Nach der Inkubationszeit (1-6 Tage) entstehen schwarze Blattern. Nach zwei Tagen schwel- len die Lymphknoten an, die zum Aufbrechen neigen. Nach circa einer Woche erfolgt entweder eine langsame Besserung oder die Lymphen platzen und die Er- reger gelangt ins Blut, was unausweichlich zum Tode führt. Die wenigen, die die Beulenpest überlebten, erlangen eine relative, d.h. nicht andauernde Immunität. Der zweite Krankheitsverlauf tritt dann ein, wenn die Infektion über den Nasen- Rachen-Raum übertragen wurde. Dieser führt nach Herzrasen, Bluthusten und schließlich Ersticken fast ausschließlich zu Tode.
Die Pestwellen wurden im Laufe der Zeit seltener. Dies hängt wahrscheinlich mit der Verbreitung der Wanderratten zusammen, die die Hausratten verdrängten. Dadurch wurde die Ansteckungsgefahr geringer, denn während Hausratten eine längere Zeit an einem Ort verbringen, zieht die Wanderratte von Ort zu Ort und hält sich dort nur kurz auf.
Spätmittelalterlichen Ärzte19 wussten freilich von der Krankheit wenig. Sie orien- tierten sich an den antiken Autoren, wie etwa Hippokrates. Seiner Auffassung nach wurde die Pest durch eine Fehlmischung der vier Körpersäfte verursacht. Der schwüle Südwind und das feuchtschwüle Klima hätten die Körpersäfte in Ungleichgewicht gebracht, was zum Angriff auf die inneren Organe geführt habe. Die Ärzte versuchten deswegen, die Menge des schädlichen Blutes durch Ader- lass zu verringern oder die angeblich fauligen Speisereste, die das Ungleichge- wicht bewirkten, durch Brechmittel aus dem Körper zu scheiden.
1.2 Religiöse Reflexion
Die beklagenswerten Lebensumstände blieben auf der religiösen Seite nicht ohne Antwort. Die Menschen versuchten, ihre Ursachen herauszufinden, um sie zu ver- bessern. Im Vordergrund der Reflexionen stand aber vor allem die Vorbereitung auf den eigenen Tod, der oft schneller als gedacht kam. Im Folgenden werden einige Beispiele der religiösen Reflexion beschrieben.
1.2.1 Das Sündenbewusstsein und die Bemühungen um Aussöhnung
Das Glaubensbekenntnis des zweiten ökumenischen Konzils beschrieb das Ge- schehen nach dem Tod und legte damit den Grundbestand des christlichen Glau- bens fest. Demnach gibt es ein Leben nach dem Tod, in dem die Gerechten be- lohnt und die Bösen bestraft werden. Somit wurde eine göttliche Gerechtigkeit gesichert20. Das Problem, das das Spätmittelalter zur Verzweiflung brachte, war die Unsicherheit, zu welcher Gruppe man gehörte. Diese Angst wurde zusätzlich
durch das Modell von der zweifachen Ankunft Christi gestärkt; zu Lebenszeiten begegnete dem Menschen der barmherzige Christus, der ihm auf seinem Lebens- weg und im Sammeln der Verdienste für das Jenseits half, während er nach dem Tod dem Schrecken erregenden Christus, der in Gestalt eines Richters erschien, ausgeliefert war21.
Den entscheidenden Unterschied zwischen den Gerechten und den Bösen machte die Sünde aus. Sünde bedeutet, dass der Mensch „sein Ziel vor Gott verfehle, in der eigenmächtigen Selbstbestimmung verharre und das Böse in Taten realisie- re.“22 Der Mensch verfehlte also das, was er eigentlich leben und sein sollte. Der Versuch, dieses Vergehen wieder in Ordnung zu bringen, die Buße also, war nun das Ziel, das der Sünder vor Augen hatte. Denn die Vorstellung war, dass die Bu- ße die Kraft habe, den ungewünschten Zustand zu verbessern23. Die Bußmöglich- keiten waren sehr verschieden, sie reichten von der Beichte über das Fasten bis zu der Vorstellung eines Sündenbocks24. Die Buße25 ist als Selbstopfer eine Form der Sühne. Es handelt sich um die „Überwindung des Bösen und um Erlösung“ 26.
Dass diese Genugtuung nicht alleine durch den Glauben an Christus geschehen konnte, war für den spätmittelalterlichen Menschen unbestritten27. Die Sühne wurde als ein „Gott Genugtun“ verstanden, weil der Mensch eine Genugtuung oder Sühne an Gott leisten müsse.
Eine gewalttätige und fremdorientierte Schuldbeseitigung ging unter dem Begriff des Sündenbocks in die Geschichte ein. Es setzte sich nach der Theorie von R. Girard aus dem „ursprünglichen eliminatorischem Sühneritual [und] psychoana- lytisch beeinflußter Opfertheorie“28 zusammen. Unter der Opfertheorie ist der Glaube an die Möglichkeit zu verstehen, die eigene Schuld auf fremde Personen oder Dinge zu übertragen. Das Sühneritual identifizierte man mit verschiedenen Stellen im Alten Testament. So wurde das Sühneopfertier am Versöhnungstag als mit Schuld beladen gedeutet, was jedoch der Vorstellung der Sühne als Begüti- gung (Gen 32,21) widersprechen würde. Eine stellvertretende Sühne kann man lediglich in dem Opferritual in Num 27,18ff oder Dtn 34,9 sehen. Dabei deutet die Handauflegung bei der Amtsübergabe auf Schuldübertragung29 hin.
Dass Girards Theorie für das Spätmittelalter plausibel ist, zeigte er in seinem Buch „Sündenbock“30, indem er sich bei seiner Erklärung des Werkes „Le Juge- ment du Roy de Navarre“31 bediente. In ihm wird zunächst von himmlischen Zei- chen berichtet (Hagel, Blitze) und von einigen Todesfällen in der Stadt. Diese wurden den Juden und ihren Komplizen zugeschrieben, die das Wasser vergiftet haben sollten. Da aber der Urheber dieses Unglücks durch eine himmlische Kundgebung bekannt wurde, brachten die Stadtbewohner diese um. Das Sterben hörte jedoch erst viel später aus unbekannten Gründen wieder auf32. Dieser Be- richt basiert auf tatsächlichen Ereignissen, die jedoch stark umgedeutet wurden. In Wirklichkeit sah es wahrscheinlich folgendermaßen aus: Als die Stadtbewohner erfuhren, dass in anderen Städten viele Menschen an der Pest starben, gerieten sie in Panik. Da in der Heimatstadt bisher nur wenige Krankheitsfälle bekannt wur- den, war es möglich, das Auftreten der Pest mit dem Werk einzelner Widersacher zu erklären. Um weitere Fälle zu verhindern, sah man sich genötigt (und berech- tigt), die Juden einem Massaker zu unterziehen und glaubte, dadurch die Ausbrei- tung der Epidemie stoppen zu können. Auch andere Texte aus der Epoche belegen ein solches Vergehen an den Juden, die immer in der ersten Phase der Pestepide- mie auftraten. Denn wenn die Krankheit bereits überall Opfer forderte, hielt die Erklärung ihrer Ausbreitung durch einzelne Personen nicht mehr stand33.
Die kollektive Verfolgung wurde häufig durch äußere (Epidemien, Überschwem- mungen, Hungersnot) und innere Umstände (Unruhen, religiöse Konflikte) be- günstigt. In solchen Situationen traten die sozialen Regeln zurück, die die Gesell- schaft prägten, sodass ein gewisses „Durcheinander“ entstand. Die Institutionen waren nicht mehr funktionsfähig, es kam zu einer Entdifferenzierung, indem die Menschen dazu neigten, auf eine ähnliche Art und Weise gleich zu handeln. Die Kultur war im Begriff zu verschwinden, was zu Unsicherheit führte. Da die Krise durch die plötzliche Veränderung der Gesellschaft zustande kam, versuchte man, sie im Bezug auf die Gesellschaft zu erklären. Aber anstatt auf das eigene Verhal- ten zu schauen, betrachtete man den Anderen und suchte nach seinen Fehlern, vor allem nach den moralischen. Durch diese Eigendynamik kam es dann zu Verfol- gungen34, die die zornige Gottheit beruhigen sollten. Verfolgt wurden dennoch nicht alle, es handelte sich meistens um Menschen, die eine physische Auffällig- keit besaßen oder um die, die sich am stärksten von dem Durchschnitt der gesell- schaftlichen Norm unterschieden, wie etwa die Juden35.
1.2.2 Die Präsenz des Todes im Spätmittelalter
Da die Jenseitsangst seit dem 12. Jahrhundert ihren Höhepunkt in der Sterbestun- de erreichte, fürchteten sich die Menschen davor, eines plötzlichen Todes zu ster- ben, da sie dann ohne die Beichte vor ihrem Richter stünden36 und somit das Risi- ko des zweiten Todes, der Verdammnis der Seele, hoch war37. Diese Angst und die spätmittelalterliche Realität, in der sich niemand sicher sein konnte, ob er den nächsten Tag überlebt, zeigten sich auch an den zahlreichen Darstellungen des Todes, der einen jungen, gesunden Menschen zu sich führt38. Vor dem Tod konnte sich keiner sicher fühlen.
Die Jenseitsfurcht wurde durch mehrere Faktoren bekräftigt: Durch die große Pest in den Jahren 1347/50, die genutzt wurde, um das kirchliche Memento Mori wie- derzubeleben, durch die Türkengefahr und durch den langsamen Niedergang des Adels39.
Die Heilsgewissheit war dahin, die Menschen konnten sich nie sicher sein, ob sie verdammt oder gerettet werden. Als Folge der andauernden Gefahr des Sterbens entwickelte sich im Spätmittelalter auf der einen Seite „La nouvelle religion de la mort“40. Der Bezug zum Tod stand in einem Pathos „einer rhetorischen Beschwö- rung, in welcher der Tod als ein intimer Partner des Lebens gegenwärtig wird.“41
Auf der anderen Seite ermöglichte die Konzentration der Jenseitsfurcht auf die Todesstunde eine größere Fokussierung auf das diesseitige Leben. Denn wenn zum ewigen Leben echte Reue im Todesbett genügt, war es für einige verlockend, die Früchte des gegenwärtigen Lebens zu genießen. In diesen Fällen, die jedoch eine Ausnahme bildeten, kann man den Anfang des Weges zu der Säkularisierung in der Moderne sehen42.
Trotz der Grausamkeit und dem oft überraschenden Augenblick des Todes woll- ten sich die Menschen den Tod „täglich vor den Augen halten“43. Aus dem Be- dürfnis, sich darauf vorzubereiten, entwickelte sich die „Kunst des Sterbens“, die Ars moriendi44. Der Ursprung der Sterbebüchlein war rein pragmatisch. Es war unmöglich, dass alle Kranken von einem Priester besucht und auf den Tod vorbe- reitet werden konnten. Deswegen fingen sie mit der Vorbereitung bereits bei den Lebenden an, indem sie über den Tod in größerem Maße predigten. Sie verfertig- ten Anweisungen für den Umgang mit den Sterbenden, die in die Hände von Lai- en gelangten45.
Nun galt es, den Tod bewusst anzugehen, nicht auf ihn unvorbereitet zu warten, um das ewige Heil zu erlangen. Man stützte sich auf die Sterbebüchlein und ver- suchte, ihre Weisungen zu erfüllen. Eine wichtige Rolle spielte das „Büchlein der ewigen Wahrheit“ von Seuse, aber vor allem Gersons „De arte moriendi“46. Die- ses Buch bestand aus vier Teilen: Ermahnungen, den sechs Anselmischen Fragen, Gebeten und schließlich aus Vorschriften, die während des Sterbens von Bedeu- tung sind47. So sollte man sich etwa mit einem Sterbenden, der nicht mehr spre- chen konnte, mittels Zeichen verständigen. Man sollte ihm eine Wiedergenesung nicht vorspielen, denn dann könnte er die benötigte Buße verschieben und der ewigen Verdammnis anheim fallen. Der Sterbende musste sich nun auf sein See- lenheil konzentrieren, seine Umgebung sollte für seine Reue und Beichte sorgen48. Die Ars moriendi sollten das persönliche Heil sichern. Der Übergang in den Tod war der zentrale Moment des Lebens, auf den alles ankam49. Die Sterbebüchlein richteten den Blick der Sterbenden auf Gottes Heilswillen und versuchten damit, die Zuversicht der Menschen zu stärken und die Furcht vor der Hölle zu verrin- gern50.
1.2.3 Die Darstellung des Todes in der Kunst
Die „Religion des Todes“ spiegelte sich im Leben der Gläubigen und in der Kunst des Spätmittelalters wieder. So erschien der Tod in einem französischen Stunden- buch aus dem 15. Jahrhundert als der Herrscher: „gekrönt, mit einem Wurfpfeil als
Szepter, einem Schädel als Reichsapfel, einem Leichentuch als Königsmantel und einem Grab als Thron.“51 Der Tod wies auf das eigentliche Leben hin, denn das jenseitige Leben wurde als vergänglich, als ein Dasein in Furcht angesehen, wäh- rend das ewige Leben das Erstrebenswerte war.
Im Rahmen der Kunst wurde der Tod immer wieder zum Thema, wobei man hier drei Arten der Bearbeitung der Todesproblematik unterscheiden kann52:
- Die Allgegenwart der bedrohlichen Macht des Todes,
- die Erlösung vom Tode und das wahre Leben im Jenseits,
- die Anfechtung des irdischen Menschen durch seine Güter.
Im Gegensatz zu den vorherigen Epochen wandelte sich seit dem 12. Jahrhundert die Vorstellung des Todes. Der Tod – oder die „Tödin“ in den romanischen Spra- chen - wurde immer mehr als Gerippe dargestellt und somit als ein Toter. Im 14. Jahrhundert wurde er zu einem selbständig handelnden Subjekt53. Zu seiner Dar- stellung gehörten untrennbar Fernwaffen. Diese stellten die Tatsache dar, dass sich der sich in Gefahr befindliche Mensch der Gegenwart des Todes oft nicht gewahr wurde, bis es zu spät war54.
Die Darstellung des Todes als eines eigenständig handelnden Wesens ermöglichte eine neue Gattung, die im Spätmittelalter entstand: Den Totentanz. Hier tanzte ein Gerippe mit den Menschen in den Tod, wobei hier die gesellschaftliche Stellung der Person keine Rolle spielte. Es wurden gleichermaßen Fürsten, Könige, Kinder oder Greise im Streit mit einem Leichnam dargestellt55. Es handelte sich nicht um eine religiös gedeutete Situation, es war eine menschliche Tragödie, die unab- wendbar war56. Das Thema schöpfte seine Anziehungskraft einerseits aus der Tat- sache, dass alle vor dem Tod gleich waren57. Dieser Gleichheitsmoment wurde „Schonet keinerlei Person Einerlei, ob arm, ob reich,
nur selten zu einer Satire oder Sozialkritik herangezogen, so wie auch der poten- tielle Trost dieser Gleichheit aus der „Verallgemeinerung des Einzelschicksals“58 nicht angesprochen wurde. Andererseits bestand das Anziehende des Totentanz- themas auch aus dem Gegensatz Freude – Leid. Durch ihn kam es zu einem Schock, aufgrund dessen der Mensch sein bisheriges Leben relativieren und sich zu einem gerechten Leben bekehren sollte59. Dieser christliche Aspekt spielte je- doch eine geringere Rolle, im Vordergrund stand das Bild der Vergänglichkeit, die physische Vernichtung. Somit kann man beim Totentanz ein Stück Säkulari- sierung beobachten60. Alle genannten Faktoren des Interesses am Totentanz führ- ten dazu, dass er sich in ganz Europa verbreiten konnte61.
In der deutschen Literatur des Spätmittelalters wurde auf eine vielfältige Art und Weise der Spruch Memento Mori zur Sprache gebracht. Er sollte den Menschen vor den Folgen seiner Sünden warnen62. So war es auch bei „Ackermann von Böhmen“ von Johannes Tepl63. In diesem Text erhebt der Ackermann eine leiden- schaftliche Anklage gegen den Tod, da dieser ihm seine geliebte Frau Margaretha weggenommen hat. Für den Ankläger ist der Tod ein gefährlicher Verbrecher, der bestraft werden muss. Der Tod reagiert auf die Anklage kaltblütig mit Überlegun- gen über die Natürlichkeit des Todes. Nach und nach wird die Anklage des Ackermanns geschmälert, am Ende verlangt er nur noch einen Ausgleichs des Verlustes und einen Rat vom Tod, was er in seinem Leben tun soll. Schließlich macht Gott den Streitigkeiten ein Ende, indem er dem Menschen die Ehre, dem Tod aber den Sieg zuspricht: „Den twinget leit zu klagen, disen die anfechtung des klagers, die warheit zu sagen. Darvmb: klager, habe ere, Tot, habe sige, seit ieder
mensche das leben dem Tode, den leib der erden, die sele vns pflichtig ist zu ge- ben.“64 Somit ist der Streit zu Ende, es fehlt aber eine Begründung, warum der Tod notwendig und von Gott gewollt ist. Die Argumentation des Werkes trägt eher stoische als christliche Züge. Deswegen wird darin manchmal der Übergang zu Renaissance gesehen65. Die Vorstellung des Todes als Exekutivorganes Gottes schont nicht Mitra oder Kron, Fürst und Bischof gilt ihm gleich.“
findet sich bereits im Alten Testament. In Exodus 12,23 tötet der Totenengel auf Befehl Gottes hin alle Erstgeborene in Ägypten. Im Spätmittelalter wurde diese ausübende Macht von Gott abgetrennt und trug alle negativen Eigenschaften66.
Die bereits angesprochene ambivalente Beurteilung der spätmittelalterlichen Epo- che67 als Herbst oder Frühling lässt sich jeweils an verschiedenen Kunstdarstel- lungen nachweisen. Auf der einen Seite erweiterten sich die Gerichtsdarstellungen im 14. Jahrhundert um die Vorstellung, dass Gott der Vater oder Gott der Sohn selbst seine Geschöpfe vernichtet68. Nun war es Gott und nicht der Tod, der als die tötende Macht personifiziert wurde. Diese Vorstellung spiegelte sich in den Reflexionen des Pestwütens wieder, in denen Gott die Guten und Bösen umbrach- te, während die Mutter Gottes die Menschen zu schützen versuchte69. Dies führte dazu, dass sich die Frömmigkeit auf Maria oder Heilige konzentrierte und die Gnade des Schöpfers durch Jesus Christus außer Sicht ließ70. Somit wurde meiner Meinung nach die Furcht vor dem Jenseits gestärkt, da die gütige Seite Gottes und seine Barmherzigkeit, die sich im Kreuzgeschehen äußerte, liegen gelassen wurde, oder mit Luthers Worten: „Und ebenso steht es mit allen, die in Widerwärtigkeit hierhin und dahin laufen und überall Rat, Hilfe und Trost suchen, nur nicht bei Gott, bei dem danach zu suchen ihnen aufs höchste geboten ist.“71
Auf der anderen Seite gab es aber auch Gerichtsdarstellungen, bei denen Gott der Fürsprecher war. Diese Zeugnisse versuchten, die Angst der Menschen zu ver- mindern und ihre Heilsgewissheit zu unterstützen72. Dies sieht man zum Beispiel an dem um 1508 entstandenen Epitaph für Ulrich Schwarz von Hans Holbein73,
an dem die Gerichtsszene dargestellt wird74. Hier ist Gottvater der Richter, wäh- rend Christus und Maria die Rolle der Fürsprecher einnehmen, die für die Men- schen eintreten. Durch die Fürbitte der beiden wird die Haltung des Vaters geän- dert, denn während er vorher zornig war und sein Schwert bereits zog, lässt er nun seine Barmherzigkeit erscheinen.
1.2.4 Die Furcht vor dem Teufel
Der Glaube an die Existenz der Teufel lässt sich für das Spätmittelalter nicht pau- schal charakterisieren. Dies zeigt beispielhaft die Gegenüberstellung der Aussagen Richalms und Witelos75. Der Abt Richalm beschrieb in seinem Werk „Liber Reve- lationum de insidiis et versutiis daemonum adversus homines“ die verschiedenen Listen und Tücken der Dämonen den Menschen gegenüber. Sie befänden sich in der ganzen Welt und es seien so viele, dass es ein Wunder sei, dass es überhaupt noch einen Menschen gäbe. Sie verursachten etliche Schmerzen sowie Appetitlo- sigkeit, Schläfrigkeit oder Blähungen. Sie kommunizierten miteinander durch Gewitter, Lachen, Nießen, aber vor allem durch Husten. Sie ahmten den Aufbau der Kirche nach, indem jeder Teufel seinem Stand entsprechende Aufgaben zu erfüllen hätte. Die einzige Hilfe, die gegen sie wirksam sei, sei das Weihwasser und das Kreuzeszeichen.
Der Jurist und Philosoph Witelo verfasste eine Generation später das Traktat „De substantia et natura daemonum“. In diesem Werk argumentierte er, von seiner Vernunft geleitet, dass die Teufelserscheinungen durch Geisteskrankheiten verur- sacht seien. Durch den Aufstieg melancholischer Dämpfe ins Gehirn könne man Besessenheit erklären. Die Teufelsbilder, die manchen erschienen, kämen durch die überall präsenten Bilderdarstellungen in den Kirchen und durch die Fabeln, die man erzähle, zustande. Weiterhin argumentiert er gegen die Existenz der Teu- fel, dass sich die vom guten, unwandelbaren Gott stammenden Engel nicht zum Bösen gewandelt haben können. Sie müssten auch, wenn sie existierten, aus Leib und Seele bestehen und daher zeugungsfähig und sterblich sein. Witelo versicher- te schließlich, dass seine Überlegungen nur nach natürlichem Menschenverstand gälten und er mit ihnen keineswegs die Lehre der Kirche bestreiten möchte76. Sei- ne Position blieb jedoch eine Ausnahme.
Die Existenz der Teufel, die Unheil verursachten, begründete auch die Vorstel- lung, dass mit solchen gottesfeindlichen Mächten ein Pakt geschlossen werden konnte. Im Früh- und Hochmittelalter wurde ein solcher Pakt als eine Sünde ange- sehen, die Scholastiker sprachen von Häresie77. Diese fiel dann in die Hände der Inquisition. Im nächsten Schritt wurde der Pakt mit der Hexerei verbunden: Den Vertrag schloss man durch den Beischlaf mit dem Teufel und erlangte dadurch Kräfte, die es ermöglichten, andere Menschen Schaden zuzufügen78.
Es gab auch andere Möglichkeiten als den Teufelspakt, wie man angeblich einem Teufel begegnen konnte; diese waren im Unterschied dazu unfreiwillig. Die Be- gegnung mit den Höllenteufeln geschah vor allem in den Visionen79, in denen die Menschen im Traum in die Hölle entführt wurden, um die höllischen Qualen zu betrachten. Im Alltag wurden die Menschen von den Erdenteufeln heimgesucht80. Diese „Besuche“ konzentrierten sich auf den Beginn ihres spirituellen Lebens sowie auf die Sterbestunde.
Dabei komprimierten sich die Berichte über die Begegnung mit dem Teufel auf das, was er sagte und tat und nicht etwa auf sein Aussehen. Die typische Darstel- lung (langer Bart, am ganzen Körper beharrt, feurige Augen) kam vergleichsweise selten vor. Etwas häufiger war die Beschreibung des Teufels in einer anderen Form. So nahm er die Gestalt einer schönen Frau an, die versuchte, einen Heiligen zu verführen, aber vor allem die Verwandlung in ein Tier war nicht selten. Diese wurde im Zusammenhang mit den Hexenprozessen häufiger beschrieben. So schrieb Jacques du Clercq bei einem Hexenprozess 1459 über die Erscheinung des Teufels in „Bocks-, Hunde- und Affengestalt“81. Die heilige Franziska berichtete über ihre Heimsuchung durch Dämonen „in Gestalt zahmer Tiere, sich zu ihren Füßen schmiegend, oder als weiße Trauben sie umkreisend. Wenn sie auf ihr Thun nicht achtete, verwandelten sie sich plötzlich in reißende Ungethüme, Wölfe, Drachen…“82.
Uns bleibt nun die Frage zu beantworten, wie die Teufelserscheinungen erklärt werden können. Dinzelbacher benennt hier drei Modelle83:
- Der christliche Dualismus, der von der tatsächlichen Existenz einer Gegen- macht Gottes ausgeht.
- Die Vorstellung, dass es mehrere Zwischenwelten gibt, die für den Menschen nicht sichtbar sind, außer wenn von dort Geister in unsere Dimension greifen.
- Das profane Erklärungsmodell, nach dem hier mehrere Faktoren eine Rolle spielen (körperliche und geistige Erkrankungen, Halluzinationen), die zu einer falschen Interpretation des Erlebten führten.
2 Die Sünde
2.1 Das Wesen der Sünde
Die frühmittelalterliche Scholastik verstand die Sünde als eine „moralische Ver- fehlung, eine persönliche Schuld, wodurch man eine Verurteilung verdient oder vor Gott als schuldig“84 galt. Sie sei eine Respektlosigkeit Gott gegenüber, indem man das tut, was moralisch falsch ist oder davon ablässt, das Richtige zu tun85.
Es wurde neben den zahlreichen Traktaten und Abhandlungen über Sünden nach dem einheitlichen Wesen der Sünde gefragt. Einen großen Widerhall erfuhren die Gedanken Hugos von St. Viktor (12.Jh.), der drei Gattungen von Sünden unter- schied und diese Einteilung trinitarisch begründete86. Nach ihm gibt es Sünden aus Schwäche (gegen die Macht des Vaters), Sünden aus Unwissenheit (gegen den Logos) und Sünden gegen die Güte (gegen den Geist gerichtet), auch malitia genannt. Je mehr eine Sünde der malitia ähnelt, um so mehr zeigt sich das Wesen der Sünde.
Die Hochscholastik führte das Bemühen fort, das Wesen der Sünde in der Gestalt einzelnen Sünden zu erkennen. Thomas von Aquin (13.Jh.) charakterisierte den Götzendienst als „causa, initium et finis omnis peccati“ 87. Gleichzeitig konnten auch solche Einzelsünden wie unmäßiges Begehren oder Stolz als das initium al- ler Sünden gesehen werden88.
Vor allem die immer wieder vorkommende Frage nach der schwerwiegendsten Einzelsünde ließ das einheitliche Wesen der Sünde insgesamt deutlich werden89. Einen Bezugspunkt für die Beurteilung bot die biblische Rede in Mt 12,31f; Mk 3,28f oder Lk 12,10 von der nicht vergebbaren Sünde gegen den Heiligen Geist. Unklar war, ob diese Unvergebbarkeit auch im Sinne einer schweren, aber möglichen Reformierbarkeit verstanden werden kann, wie es z.B. Petrus Lombardus vertrat90.
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1 Vgl. Angenendt (2000) – Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 44.
2 Bei dieser Datierung orientiere ich mich an Angenendt (2000) – Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 68f.
3 Vgl. Angenendt (2000) – Ebd., S. 70.
4 Vgl. Angenendt (2000) – Ebd., S. 71.
5 Vgl. Vorgrimler (1993) – Geschichte der Hölle, S. 214.
6 Vgl. Angenendt (2000) – Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 72.
7 Vgl. Hamm (2005) – Frömmigkeit, S. 477.
8 Angenendt (2000) – Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 72.
9 Vgl. Angenendt (2000) – Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 73.
10 Vgl. Hippenmeyer (2010) – Pfründen; in: Historisches Lexikon der Schweiz (online Version).
11 Vgl. im Folgenden Angenendt (2000) – Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 79f.
12 Vgl. Angenendt (2000) – Ebd., S. 76.
13 Vgl. Angenendt (2000) – Ebd., S. 77f.
14 Vgl. Borst (1980) – Lebensformen im Mittelalter, S. 120.
15 Vgl. Angenendt (2000) – Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 661.
16 Vgl. Borst (1980) – Lebensformen im Mittelalter, S. 121.
17 Vgl. Angenendt (2000) – Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 661.
18 Zu den folgenden Ausführungen über die Symptome und den Krankheitsverlauf vgl. Bergdolt (1994) – Der schwarze Tod in Europa, S. 17-20.
19 In den folgenden Ausführungen orientiere ich mich an Bergdolt (1994) – Der schwarze Tod in Europa, S. 21-26.
20 Vgl. Ohler (1990) – Sterben und Tod im Mittelalter, S. 158f.
21 Vgl. Hamm (2008) – Gottes gnädiges Gericht, S. 18.
22 Karrer (2001): Art. Sünde IV. Neues Testament, in: TRE 32, S. 385.
23 Im Deutschen trägt das Wort „Buße“ die Bedeutung der „Besserung“ in sich. Sie kommt vom Verb „baß“, das als „bessern“ verstanden werden kann. Vgl. Dazu Art. Buße I. Religionsgeschich- tlich, in: Wißmann (1981): Art. Buße I. Religionsgeschichtlich, in: TRE 7, S. 431.
24 Vgl. Wißmann (1981): Art. Buße I. Religionsgeschichtlich, in: TRE 7, S. 432.
25 Mit der Buße beschäftige ich mich ausführlich im Abschnitt 7, S. 64-75.
26 Vgl. Sitzler-Osing (2001): Art. Sühne I. Religionsgeschichtlich, in: TRE 32, S. 333.
27 Vgl. Gestrich (2001): Art. Sühne V. Kirchengeschichtlich und dogmatisch, in: TRE 32, S. 350.
28 Vgl. Sitzler-Osing (2001): Art. Sühne I. Religionsgeschichtlich, in: TRE 32, S. 333.
29 Vgl. Schenker (2001): Art. Sühne II. Altes Testament, in: TRE 32, S. 337.
30 Vgl. Girard (1998) – Der Sündenbock.
31 Vgl. Guillaume, Palmer (1988) – The judgment of the king.
32 Vgl. Girard (1998) – Der Sündenbock, S. 7f.
33 Vgl. Girard (1998) – Ebd., S. 10-14.
34 Vgl. zu diesem Abschnitt Girard (1998) – Der Sündenbock, S. 23-27.
35 Vgl. Girard (1998) – Ebd., S. 31-35.
36 Vgl. Dinzelbacher (2007) – Das mittelalterliche Jenseits, S. 44.37 Vgl. Assion (1991) – Von den abgeschiedenen Seelen, S. 25.38 Vgl. dazu den Abschnitt 1.2.3 meiner Ausführungen, S. 13-15.39 Vgl. Dinzelbacher (2007) – Das mittelalterliche Jenseits, S. 44
40 Tenenti (1983) – La vie et la mort à travers l’art du XVe siècle, S. 1.
41 Vgl. Haas (1994) – Tod und Jenseits in der deutschen Literatur des Mittelalters, S. 69.
42 Vgl. Dinzelbacher (2007) – Die Präsenz des Todes in der spätmittelalterlichen Mentalität, S. 46.
43 Benedikt in Regula Benedicti IV, 46, S. 460.
44 Vgl. Angenendt (2000) – Die Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 663.
45 Vgl. Haas (1994) – Tod und Jenseits in der deutschen Literatur des Mittelalters, S. 74f.
46 Vgl. Haas (1994) – Ebd., S. 75.
47 Vgl. Haas (1994) – Ebd., S. 75.
48 Vgl. Haas (1994) – Ebd., S. 76.
49 Vgl. Haas (1994) – Ebd., S. 76.
50 Vgl. Haas (1994) – Ebd., S. 75.
51 Vgl. Haas (1994) – Tod und Jenseits in der deutschen Literatur des Mittelalters, S. 39.
52 Vgl. Haas (1994) – Ebd., S. 69.
53 Vgl. Dinzelbacher (2007) – Das mittelalterliche Jenseits, S. 46.
54 Vgl. Dinzelbacher (2007) – Ebd., S. 47.
55 Vgl. Angenendt (2000) – Die Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 662.
56 Vgl. Haas (1994) – Tod und Jenseits in der deutschen Literatur des Mittelalters, S. 77.
57 Vgl. Das Jedermann Motiv nach Haas (1994) – Tod und Jenseits in der deutschen Literatur des Mittelalters, S. 77:
58 Palmer (1993) – Ars moriendi und Totentanz, S. 317.
59 Vgl. Palmer (1993) – Ebd., S. 316.
60 Vgl. Haas (1994) – Tod und Jenseits in der deutschen Literatur des Mittelalters, S. 77.
61 Vgl. Haas (1994) – Ebd., S. 76.
62 Vgl. Haas (1994) – Ebd., S. 74.
63 Vgl. Der Ackermann von Böhmen in: Bibliotheca Augustana (online Fassung).
64 Der Ackermann von Böhmen in: Bibliotheca Augustana (online Fassung), Kapitel 33.
65 Vgl. Haas (1994) – Tod und Jenseits in der deutschen Literatur, S. 74.
66 Vgl. Dinzelbacher (1994) – Die Präsenz des Todes in der spätmittelalterlichen Mentalität, S. 52f.
67 Vgl. dazu meine Ausführungen im Abschnitt 1.1.1, S. 5f.
68 Vgl. den Altar der Karmeliterkirche in Göttingen. Hier lässt Gott auf seine Geschöpfe Hagel von Pfeilen herabregnen; lediglich Maria fängt einige Pfeile auf.; beschrieben in: Dinzelbacher (1994) – Die Präsenz des Todes in der spätmittelalterlichen Mentalität, S. 54.
69 Vgl. Dinzelbacher (1994) – Die Präsenz des Todes in der spätmittelalterlichen Mentalität, S. 54.
70 Vgl Dinzelbacher (1994) – Ebd., S. 56.
71 Martin Luther. Ausgewählte Schriften, Band 1: Aufbruch zur Reformation, S. 51.
72 Vgl. Hamm (2008) – Gottes gnädiges Gericht, S. 19.
73 Vgl. Hamm (2008) – Ebd., S. 20f.
74 Dieses Bild steht auf der Titelseite dieser Zulassungsarbeit.
75 Vgl. zu folgenden Ausführungen: Dinzelbacher (1996) – Angst im Mittelalter, S. 95-98.
76 Dabei berief er sich auf das Konzept der doppelten Wahrheit.
77 Vgl. Angenendt (2000) – Die Geschichte der Religiosität im Mittelalter, S. 624.
78 Die hier angesprochenen Hexenverfolgungen würden den Rahmen meiner Arbeit sprengen, deswegen nur die kurze Notiz.
79 Vgl. meine Ausführungen in den Abschnitten 4.1 und 4.2, S. 34-36.
80 Vgl. zu folgenden Ausführungen Dinzelbacher (1996) – Angst im Mittelalter, S. 104-112.
81 Dinzelbacher (1996) – Ebd., S. 107.
82 Görres (1879) – Die christliche Mysthik III, S. 462f; zitiert nach Dinzelbacher (1996) – Angst im Mittelalter, S. 110.
83 Vgl. Dinzelbacher (1996) – Angst im Mittelalter, S. 117.
84 Abael., Nosce te ipsum 3 (PhB 578, Steger, S. 7).
85 Vgl. Abael., Nosce te ipsum 3 (PhB 578, Steger, S. 7).
86 Vgl. Schenk (2001): Art. Sünde VI. Mittelalter, in: TRE 21, S. 395.
87 Vgl. Schenk (2001): Ebd., S. 396.
88 Vgl. Schenk (2001): Ebd., S. 396.
89 Vgl. Schenk (2001): Ebd., S. 397.
90 Vgl. Schenk (2001): Art. Sünde VI. Mittelalter, in: TRE 21, S. 397.
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