Es „müssen Zweifel aufkommen bei der Verteilung von Recht und Unrecht, Tugend und Laster und Gut und Böse“ schreibt Jürgen Schröder in seinem bahnbrechenden „Plädoyer für Nicolo“ über die Novellen-Welt im „Findling“. Denn „alles Sein ist zum Schein geworden.“ Wie sind diese Aussagen Schröders aufzufassen? Ist Nicolo doch nicht „ein das menschliche Maß überschreitendes absolut Böses“? Und wie steht es mit seinen gütigen Adoptiveltern? Gibt es etwa Umstände und Verhaltensweisen, welche die Figuren in ein anderes Licht rücken? Um Antworten auf diese Fragestellungen zu finden, widmet sich die vorliegende Seminararbeit der Familie Piachi in Heinrich von Kleists „Der Findling“ und nimmt dabei die drei Hauptfiguren Antonio, Elvire und Nicolo sowie deren Beziehungen untereinander in den Blick.
Ziel ist es, anhand ausgewählter Textstellen die komplexe, von Projektionen und Polaritäten geprägte Familienstruktur der Piachis zu beleuchten, da in der Erzählung nichts so ist, wie es anfangs erscheint. Indem zunächst die Eheleute und damit die familiären Verhältnisse, in denen der Findling aufwächst, erarbeitet werden, kann sodann eine vollumfängliche Darstellung Nicolos erfolgen, um abschließend die Schuldfrage in Kleists Erzählung aufzugreifen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Piachi'sche Familienstruktur: Projektionen und Polaritäten
- Antonio Piachi
- Der 'gute Alte'
- Projektionen mit Ersatzfunktion
- Doppelmoral und Blindheit
- Elvire Piachi
- Nicolo
- Antonio Piachi
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit untersucht die komplexe Familienstruktur der Piachis in Heinrich von Kleists „Der Findling“. Ziel ist die Beleuchtung der durch Projektionen und Polaritäten geprägten Familienverhältnisse, die hinter der Fassade einer bürgerlichen Musterfamilie verborgen liegen. Die Analyse konzentriert sich auf die Hauptfiguren Antonio, Elvire und Nicolo und ihre Beziehungen zueinander.
- Die Rolle von Projektionen in der Gestaltung der Familienbeziehungen
- Die Konstruktion von Identität und Schein innerhalb der Familie
- Das Thema der Ersatzfunktion und Kompensation
- Die Darstellung von Moral und Doppelmoral bei den Figuren
- Die Frage nach Schuld und Verantwortung in Kleists Erzählung
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung stellt die zentrale Forschungsfrage nach der Verteilung von Recht und Unrecht, Tugend und Laster in Kleists „Der Findling“ vor, insbesondere im Hinblick auf die Figuren Nicolo und seine Adoptiveltern. Sie skizziert den Ansatz der Arbeit, der die komplexe, von Projektionen und Polaritäten geprägte Familienstruktur der Piachis anhand ausgewählter Textstellen beleuchten will. Der Fokus liegt auf Antonio, Elvire und Nicolo und ihren Beziehungen, um die Frage nach Schuld in der Erzählung zu ergründen. Die scheinbare Ordnung der Familie wird als Fassade entlarvt, hinter der sich Geheimnisse und Pathologien verbergen.
Die Piachi'sche Familienstruktur: Projektionen und Polaritäten: Dieses Kapitel analysiert die Familienstruktur der Piachis als eine von Projektionen und Polaritäten geprägte Konstruktion. Es wird argumentiert, dass die Familienmitglieder einander Identitäten zuschreiben, die Projektionen eigener Bedürfnisse und Befindlichkeiten darstellen. Dieses Ungleichgewicht zwischen Projektion und Wirklichkeit erzeugt Spannungen, denen die Figuren ohnmächtig gegenüberstehen. Der Kapitel analysiert die individuellen Projektionen und konträren Verhaltensweisen von Antonio, Elvire und Nicolo.
2.1 Antonio Piachi: Dieser Abschnitt betrachtet Antonio Piachi, den Adoptivvater Nicolos. Zunächst wird das Bild des "guten Alten" dargestellt, das durch den auktorialen Erzähler vermittelt wird. Die Analyse deckt jedoch auf, dass Antonios Handlungen von einer Doppelmoral und einer Ersatzfunktion geprägt sind. Seine zweite Ehe, Elvire, ersetzt seine verstorbene Frau, und Nicolo ersetzt seinen verstorbenen Sohn Paolo, sowohl emotional als auch in Bezug auf die Erbfolge und Geschäftsführung. Antonios strenge Erziehung Nicolos und seine Ablehnung von dessen Beziehungen zu den Mönchen und Xaviera Tartini dienen dem Erhalt des Scheins einer intakten Familie.
Schlüsselwörter
Heinrich von Kleist, Der Findling, Familienstruktur, Projektion, Polarität, Identität, Schein, Doppelmoral, Ersatzfunktion, Schuldfrage, Nicolo, Antonio Piachi, Elvire Piachi.
Häufig gestellte Fragen zu Heinrich von Kleist, Der Findling
Worum geht es in der Seminararbeit über „Der Findling“?
Die Seminararbeit untersucht die komplexe Familienstruktur der Piachis in Heinrich von Kleists „Der Findling“. Ziel ist die Beleuchtung der durch Projektionen und Polaritäten geprägten Familienverhältnisse, die hinter der Fassade einer bürgerlichen Musterfamilie verborgen liegen. Die Analyse konzentriert sich auf die Hauptfiguren Antonio, Elvire und Nicolo und ihre Beziehungen zueinander.
Welche Themenschwerpunkte werden in der Seminararbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Schwerpunkte:
- Die Rolle von Projektionen in der Gestaltung der Familienbeziehungen
- Die Konstruktion von Identität und Schein innerhalb der Familie
- Das Thema der Ersatzfunktion und Kompensation
- Die Darstellung von Moral und Doppelmoral bei den Figuren
- Die Frage nach Schuld und Verantwortung in Kleists Erzählung
Was ist das Ziel der Einleitung?
Die Einleitung stellt die zentrale Forschungsfrage nach der Verteilung von Recht und Unrecht, Tugend und Laster in Kleists „Der Findling“ vor, insbesondere im Hinblick auf die Figuren Nicolo und seine Adoptiveltern. Sie skizziert den Ansatz der Arbeit, der die komplexe, von Projektionen und Polaritäten geprägte Familienstruktur der Piachis anhand ausgewählter Textstellen beleuchten will.
Was wird im Kapitel "Die Piachi'sche Familienstruktur: Projektionen und Polaritäten" analysiert?
Dieses Kapitel analysiert die Familienstruktur der Piachis als eine von Projektionen und Polaritäten geprägte Konstruktion. Es wird argumentiert, dass die Familienmitglieder einander Identitäten zuschreiben, die Projektionen eigener Bedürfnisse und Befindlichkeiten darstellen.
Wie wird Antonio Piachi in der Arbeit charakterisiert?
Antonio Piachi wird zunächst als der "gute Alte" dargestellt. Die Analyse deckt jedoch auf, dass Antonios Handlungen von einer Doppelmoral und einer Ersatzfunktion geprägt sind. Seine zweite Ehe und die Adoption Nicolos dienen dem Erhalt des Scheins einer intakten Familie.
Welche Schlüsselwörter sind relevant für diese Seminararbeit?
Relevante Schlüsselwörter sind: Heinrich von Kleist, Der Findling, Familienstruktur, Projektion, Polarität, Identität, Schein, Doppelmoral, Ersatzfunktion, Schuldfrage, Nicolo, Antonio Piachi, Elvire Piachi.
- Quote paper
- Anonym (Author), 2022, Mehr Schein als Sein. Die Familie Piachi in Heinrich von Kleists "Der Findling", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1585203