Die fortschreitende Entwicklung der Globalisierung und Digitalisierung ermöglicht es Unternehmen wie auch Privatpersonen zunehmend, global und standortunabhängig zu agieren. Zugleich steigen angesichts der Internationalisierung von expandierenden Unternehmen die Herausforderungen in einem globalen Wettbewerb und damit die Anforderungen an die Mobilität und räumliche Flexibilität vieler Unternehmer.
Der Wegzug eines steuerpflichtigen Gesellschafters mit Anteilen an Kapitalgesellschaften i. S. d. § 17 EStG führt infolge der Aufgabe des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts zur Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland. Dies ist aus fiskalischer Sicht dem Grunde nach unbedenklich, soweit das im Zusammenhang mit den Anteilen entstehende Einkommen der deutschen Besteuerung unterliegt. Werden die Anteile dagegen bis zum Zeitpunkt des Wegzugs nicht veräußert, verliert Deutschland als Steuerhoheitsgebiet aufgrund des Art. 13 Abs. 5 OECD-MA das Besteuerungsrecht an den stillen Reserven, die bei einer künftigen Veräußerung realisiert und besteuert würden. In letzter Konsequenz entgeht dem deutschen Fiskus damit das Besteuerungssubstrat, das ohne Wohnsitzverlagerung regulär der Besteuerung im Inland gem. § 17 EStG unterlegen hätte.
Mit dem zum 01.07.2021 in Kraft getretenen ATADUmsG wurde die sekundärrechtliche ATAD-Richtlinie in nationales Gesetz überführt. Neben verschiedenen europarechtlich gebotenen Regelungen enthielt das Gesetz eine fundamentale Reform der Wegzugsbesteuerung des § 6 AStG.
Anlässlich dessen setzt sich die vorliegende Arbeit zum Ziel, den Paradigmenwechsel in der Wegzugsbesteuerung zu untersuchen und dabei strittige Änderungen, konzeptionelle Mängel und gegebenenfalls überschießende Tendenzen differenziert zu analysieren. Dabei soll sich die Ausarbeitung im Kern mit der Forschungsfrage befassen, welche Änderungen die Reform der Wegzugsbesteuerung nach sich zog und ob bzw. inwiefern die Rechtsänderungen des § 6 AStG möglicherweise verfassungs- und unionsrechtlichen Bedenken entgegenstehen. Insgesamt gilt es zu prüfen, ob die Rechtsfolgen der neuen Wegzugsbesteuerung nach Art und Umfang und in Anbetracht ihrer ratio legis und damit ihrer gesetzgeberischen Legitimation – der Sicherstellung inländischen Steuersubstrats – angemessen und verhältnismäßig sind.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 1.1 Problemstellung und Zielsetzung
- 1.2 Gang der Arbeit und Eingrenzung des Forschungsgegenstands
- 2 Bisherige Regelungskonzeption der Wegzugsbesteuerung
- 2.1 Tatbestandsvoraussetzungen
- 2.1.1 Persönlicher Anwendungsbereich
- 2.1.2 Sachlicher Anwendungsbereich
- 2.1.2.1 Beteiligung im Privatvermögen
- 2.1.2.2 Grundtatbestand
- 2.1.2.3 Ersatztatbestände
- 2.2 Rechtsfolgen
- 2.2.1 Besteuerung eines fiktiven Veräußerungsgewinns
- 2.2.2 Anrechnung tatsächlicher Veräußerungsgewinne
- 2.3 Rückkehrregelung bei vorübergehender Abwesenheit
- 2.4 Stundung der Steuer
- 3 Reform der Wegzugsbesteuerung durch das ATADUmsG
- 3.1 Hintergrund und Anlass
- 3.2 Überblick zum Gesetzgebungsverfahren
- 3.3 Wesentliche Änderungen der Rechtslage
- 3.3.1 Konzeptionelle Anpassungen der Tatbestandsstruktur
- 3.3.2 Modifikation der zeitlichen Anwendungsvoraussetzungen
- 3.3.3 Anschaffungskostenfiktion zum gemeinen Wert
- 3.3.4 Ausweitung der Rückkehroptionsregelung
- 3.3.5 Neuausrichtung der Stundungsvorschriften
- 4 Ausgewählte Kritikfelder der reformierten Wegzugsbesteuerung
- 4.1 Fehlende unionsrechtliche Verpflichtung
- 4.2 Ultima-Ratio-Besteuerung trotz Besteuerungserhalt
- 4.3 Motivunabhängige Tatbestands- und Rechtsfolgekonzeption
- 4.4 Defizitäre Bestimmungen der neuen Rückkehrregelung
- 4.4.1 Offene Rechtsfragen zu den Ausschlussgründen
- 4.4.2 Überschießende Tendenzen der Verzinsungsregelung
- 4.4.3 Nichtberücksichtigung sog. „verunglückter Wegzüge“
- 5 Unionsrechtliche Analyse der Stundungsreform
- 5.1 Legislatorische Begründung der Neukonzeption
- 5.2 Judikatur des EuGH im Kontext der Entstrickungsbesteuerung
- 5.2.1 EuGH-Urteile Lasteyrie du Saillant und N
- 5.2.2 EuGH-Urteil National Grid Indus
- 5.2.3 EuGH-Urteile DMC und Verder LabTec
- 5.2.4 EuGH-Urteil Kommission Portugal
- 5.2.5 EuGH-Urteil Wächtler
- 5.3 Abschaffung der unbefristeten Stundung in EU-/EWR-Fällen
- 5.4 Sicherheitsleistung gegen ratierliche Stundung
- 5.5 Nichtberücksichtigung nachträglicher Wertminderungen
- 6 Zusammenfassende Feststellung und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Masterarbeit analysiert kritisch die Neuregelungen des § 6 AStG durch das ATADUmsG im Hinblick auf die deutsche Wegzugsbesteuerung. Ziel ist es, die Reform umfassend zu beleuchten und potenzielle Schwachstellen aufzuzeigen.
- Analyse der bisherigen Rechtslage zur Wegzugsbesteuerung
- Detaillierte Betrachtung der Änderungen durch das ATADUmsG
- Kritik der Reform an ausgewählten Punkten
- Unionsrechtliche Bewertung der Stundungsreform
- Zusammenfassende Bewertung und Ausblick
Zusammenfassung der Kapitel
1 Einleitung: Dieses Kapitel führt in die Thematik der deutschen Wegzugsbesteuerung ein und beschreibt die Problemstellung sowie die Zielsetzung der Arbeit. Es umreißt den Gang der Arbeit und grenzt den Forschungsgegenstand ein, indem es den Fokus auf die kritische Analyse der Neuregelungen des § 6 AStG durch das ATADUmsG legt. Der Leser erhält einen Überblick über die Struktur und den methodischen Ansatz der Arbeit.
2 Bisherige Regelungskonzeption der Wegzugsbesteuerung: Dieses Kapitel beschreibt die bestehende Rechtslage vor der Reform durch das ATADUmsG. Es analysiert detailliert die Tatbestandsvoraussetzungen, sowohl den persönlichen als auch den sachlichen Anwendungsbereich, einschließlich der verschiedenen Tatbestandsvarianten. Die Rechtsfolgen, insbesondere die Besteuerung fiktiver Veräußerungsgewinne und die Anrechnung tatsächlicher Gewinne werden ebenso beleuchtet, wie die Rückkehrregelung und die Stundungsregelungen. Dieses Kapitel bildet die Grundlage für den Vergleich mit der reformierten Regelung im darauffolgenden Kapitel.
3 Reform der Wegzugsbesteuerung durch das ATADUmsG: Dieses Kapitel widmet sich der Reform der Wegzugsbesteuerung durch das Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATADUmsG). Es beleuchtet den Hintergrund und den Anlass der Reform, beschreibt das Gesetzgebungsverfahren und analysiert die wesentlichen Änderungen in der Rechtslage. Die konzeptionellen Anpassungen der Tatbestandsstruktur, Modifikationen der zeitlichen Anwendungsvoraussetzungen, die Anschaffungskostenfiktion und die Ausweitung der Rückkehroption werden detailliert untersucht. Schließlich wird die Neuausrichtung der Stundungsvorschriften beleuchtet.
4 Ausgewählte Kritikfelder der reformierten Wegzugsbesteuerung: Dieses Kapitel präsentiert eine kritische Auseinandersetzung mit der reformierten Wegzugsbesteuerung. Es untersucht ausgewählte Kritikpunkte, die sich auf die fehlende unionsrechtliche Verpflichtung, die Ultima-Ratio-Besteuerung trotz Besteuerungserhalt, die motivunabhängige Tatbestands- und Rechtsfolgekonzeption sowie die defizitären Bestimmungen der neuen Rückkehrregelung beziehen. Die Kritikpunkte werden mit detaillierten Argumenten und Beispielen untermauert.
5 Unionsrechtliche Analyse der Stundungsreform: Dieses Kapitel analysiert die Stundungsreform unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten. Es untersucht die legislatorische Begründung der Neukonzeption und setzt diese in Beziehung zur einschlägigen Rechtsprechung des EuGH. Die relevanten EuGH-Urteile werden einzeln analysiert und im Kontext der Entstrickungsbesteuerung eingeordnet. Die Abschaffung der unbefristeten Stundung in EU-/EWR-Fällen, die Sicherheitsleistung gegen ratierliche Stundung und die Nichtberücksichtigung nachträglicher Wertminderungen werden kritisch geprüft.
Schlüsselwörter
Wegzugsbesteuerung, § 6 AStG, ATADUmsG, Steuervermeidung, Unionsrecht, EuGH-Rechtsprechung, Stundung, Rückkehroption, Kritik, Reform, fiktiver Veräußerungsgewinn.
Häufig gestellte Fragen
Was ist das Hauptthema der vorliegenden Arbeit zur Wegzugsbesteuerung?
Die Arbeit analysiert kritisch die Neuregelungen des § 6 AStG (Außensteuergesetz) durch das ATADUmsG (Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie) im Hinblick auf die deutsche Wegzugsbesteuerung. Ziel ist es, die Reform umfassend zu beleuchten und potenzielle Schwachstellen aufzuzeigen.
Welche Bereiche der Wegzugsbesteuerung werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Bereiche:
- Die bisherige Rechtslage zur Wegzugsbesteuerung.
- Die Änderungen durch das ATADUmsG im Detail.
- Kritik an der Reform an ausgewählten Punkten.
- Eine unionsrechtliche Bewertung der Stundungsreform.
- Eine zusammenfassende Bewertung und ein Ausblick.
Was beinhaltet die Analyse der bisherigen Rechtslage zur Wegzugsbesteuerung?
Die Analyse der bisherigen Rechtslage umfasst die detaillierte Betrachtung der Tatbestandsvoraussetzungen (persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich, Tatbestandsvarianten), der Rechtsfolgen (Besteuerung fiktiver Veräußerungsgewinne, Anrechnung tatsächlicher Gewinne), sowie der Rückkehrregelung und der Stundungsregelungen.
Welche wesentlichen Änderungen durch das ATADUmsG werden analysiert?
Die Arbeit analysiert die konzeptionellen Anpassungen der Tatbestandsstruktur, Modifikationen der zeitlichen Anwendungsvoraussetzungen, die Anschaffungskostenfiktion zum gemeinen Wert, die Ausweitung der Rückkehroption und die Neuausrichtung der Stundungsvorschriften.
Welche Kritikpunkte an der reformierten Wegzugsbesteuerung werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit untersucht Kritikpunkte, die sich auf die fehlende unionsrechtliche Verpflichtung, die Ultima-Ratio-Besteuerung trotz Besteuerungserhalt, die motivunabhängige Tatbestands- und Rechtsfolgekonzeption sowie die defizitären Bestimmungen der neuen Rückkehrregelung beziehen.
Wie wird die Stundungsreform unionsrechtlich bewertet?
Die Stundungsreform wird unter Berücksichtigung der legislatorischen Begründung der Neukonzeption und der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH (Europäischer Gerichtshof) analysiert. Die Abschaffung der unbefristeten Stundung in EU-/EWR-Fällen, die Sicherheitsleistung gegen ratierliche Stundung und die Nichtberücksichtigung nachträglicher Wertminderungen werden kritisch geprüft.
Welche Schlüsselwörter sind mit der Thematik der Wegzugsbesteuerung verbunden?
Schlüsselwörter sind: Wegzugsbesteuerung, § 6 AStG, ATADUmsG, Steuervermeidung, Unionsrecht, EuGH-Rechtsprechung, Stundung, Rückkehroption, Kritik, Reform, fiktiver Veräußerungsgewinn.
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- Marcel Seubert (Author), 2025, Die deutsche Wegzugsbesteuerung. Eine kritische Analyse der Neuregelungen des § 6 AStG durch das ATADUmsG, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1585259