Babyklappe und anonyme Geburt: ein Beitrag zum Schutz des (ungeborenen) Lebens?


Seminararbeit, 2003

68 Seiten, Note: 11 Pkt.


Leseprobe


Gliederung

I. Was ist „Babyklappe“ und „Anonymen Geburt“?
1.) Begriff
2.) Funktionsweise
3.) Zweck und Bedeutung
4.) Betroffene und Ursachen von Kindstötungen und -aussetzungen

II. Die Thematik in der Rechtsgeschichte
1.) Aussetzungen von der Antike bis zum ausgehenden Mittelalter
2.) Mittelalter und Neuzeit: Historische Vorbilder der „Babyklappe“ und der „Anonymen Geburt“

III. Stand der gesetzlichen Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland

IV. Strafrechtliche Aspekte
1.) Aussetzung gem. § 211 Abs. 1 und 2 StGB
2.) Fürsorge- und Erziehungspflichtverletzung gem. § 171 StGB
3.) Unterhaltspflichtverletzung gem. § 170 Abs. 1 StGB
4.) Entziehung des Kindes gem. § 235 Abs. 1 StGB
5.) Personenstandsrecht und Personenstandsfälschung gem. § 169 [§ 13] StGB, 16, 17 Abs. 1 Nr. [1-] 5 PStG

V. Verfassungsrechtliche Probleme
1.) Pro- Argumente (Befürworter)
a) Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit des Kindes aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
(1) Bedeutung und sachlicher Schutzbereich
(2) Personaler Schutzbereich
(3) Eingriff und Folgen des Eingriffs
(4) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung und Bewertung
b) Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Mutter aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art 1 Abs. 1 GG
(1) Sachlicher und personaler Schutzbereich
(2) Eingriff und Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
2.) Contra- Argumente (Gegner)
a) Recht auf Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 GG (in Bezug auf seelische Gesundheit und negativen Langzeitwirkungen)
(1) Sachlicher und personaler Schutzbereich
(2) Eingriff und Folgen des Eingriffs
(3) Abwägung mit kollidierenden Grundrechten
b) Recht auf (Ehe und) Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG
c) Recht auf Fürsorge des Kindes aus Art. 6 Abs. 2, 3 GG
(1) Bedeutung und sachlicher Schutzbereich
(2) Personaler Schutzbereich
(3) Eingriff und Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
d) Recht auf Kenntnis der Abstammung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art 1 Abs. 1 GG
(1) Bedeutung und sachlicher Schutzbereich
(2) Europa- und völkerrechtliche Vorgaben
(3) Personaler Schutzbereich
(4) Eingriff und Folgen des Eingriffs
(5) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
(6) Abwägung der Grundrechtskollisionen
A. …mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Mutter
B. …mit dem Recht auf Leben des Kindes

VI. Bewertung, Alternativen und Lösungsansätze

VII. Anhang

Literaturverzeichnis

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Presse * *

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I. Was ist „Babyklappe“ und „Anonyme Geburt“?

1. Begriff

Der Begriff „Babyklappe“[1] wurde im Jahr 2000 auf den dritten Platz zum Unwort des Jahres gewählt: Die Verknüpfung von „Klappe“ mit „Baby“ sei technokratisch- unmenschlich und suggeriere, dass das Abgeben des Kindes eine leichte „Entsorgung“ ähnlich der des Hausmülls sei.[2] Somit erhält die vermeintlich lebensrettende anonyme Abgabestelle ein negatives Renommee.

Weiland im Juli 1999 in Amberg nach einer Kindesaussetzung und einer Kindstötung durch den Sozialdienst katholischer Frauen erstmals als das sog. „Moses- Projekt“ bekannt und nach dem Fund eines toten Babys in einer Müllsortierungsanlage von der Organisation „SterniPark e.V.“ im April und Juli 2000 in Hamburg ins Leben gerufen, bestehen inzwischen etwa 60 Babyklappen in Deutschland.[3]

Bei der so genannten „Anonymen Geburt“ handelt es sich ebenfalls um die Möglichkeit der anonymen Abgabe eines Kindes, nur wird dabei der Geburtsvorgang mit inbegriffen, was zur positiven Folge hat, dass eine medizinische und psychologische Betreuung von Mutter und Kind währenddessen gewährleistet ist. Das schließt ebenso eine Gefährdung des Neugeborenen vor, während und nach dem Geburtsvorgang, wie die der Mutter selbst aus.[4] Sie selbst bleibt dabei unbekannt, bzw. ihre Identität und der gesamte für sie kostenfreie Geburtsvorgang werden vor jedermann[5] geheim gehalten[6], was der wesentliche Unterschied zu einer „herkömmlichen“ Geburt ist.

2. Funktionsweise

Hat die Mutter ohne ärztliche Hilfe entbunden, so hat sie die Möglichkeit, das Kind unerkannt in ein sich meist an öffentlichen Gebäuden oder Krankenhäusern befindliches Fenster (bzw. Klappvorrichtung) zu legen, hinter dem sich ein Wärmebettchen befindet mit einer Gel- Matratze, die ständig auf 37° C geheizt ist.[7] Durch einen Sensor im Bett oder durch das Schließen des Fensters nach dem Einlegen, wonach zunächst bis zur Entnahme des Kindes auf der anderen Seite durch eine Helfer kein erneutes Öffnen möglich ist, wird zeitverzögert ein Alarm ausgelöst, der einen rund um die Uhr bereitstehenden Helfer herbeikommen lässt, sodass die Versorgung des Kindes gesichert ist.[8] Oft befindet sich in dem Fenster ein mehrsprachiges Informationsblatt, auf dem sich auch Rufnummern und zunehmend ein Registrations- Code befindet, was zur späteren Kontaktaufnahme und Identifizierung dienlich sein kann, sowie der Möglichkeit einen Stempelabdruck mit dem bereitgestellten Stempelkissen des Kinderfußes zu nehmen.[9] Letzteres dient wohl weniger der Identifizierung und muss im Zeitalter der DNS- Analyse wohl in den Folklorebereich verwiesen werden.

Bei der anonymen Geburt wird eine „übliche“ Geburt mit medizinischer und psychologischer Begleitung durch einen Arzt bzw. Hebamme, Kinderkrankenschwester, ggf. Sozialpädagogisches Betreuungspersonal usw. in einem Krankenhaus/ Entbindungshaus stattfinden. Die Mutter braucht dabei nicht ihre Krankenversicherten- bzw. Personendaten offen legen und kann das Krankenhaus mit oder ohne das Kind verlassen, aber auch weiter dort verweilen bis sie sich entschieden hat das Kind anzunehmen oder zurückzulassen.[10]

Oft ist die anonyme Inobhutnahme die erste Komponente eines dreistufigen Beratungskonzeptes. Ihr folgt zunächst in der Einrichtung selbst oder in einer mit ihr kooperierender Einrichtungen die Pflege- und Adoptionskomponente für das Neugeborene, in der das Zurückholen des Kindes durch die Mutter in der Regel in einer Frist von acht Wochen möglich ist, sonst wird es betreut und an Adoptionsbewerber vermittelt. Außerdem schließt sich eine Beratungskomponente für die Mutter an, in der ihr die Möglichkeit gegeben wird, ihre Entscheidung zu bedenken.[11] Wer bei der „Rückgabe“ prüft, ob es die wahre Mutter ist und ob diese in der Lage sei, das Kind zu versorgen, das sie kurz zuvor vermutlich noch aussetzen oder töten wollte ist dabei unklar.[12]

3. Zweck und Bedeutung

Jährlich werden in Deutschland etwa 50 Kinder ausgesetzt, wobei 20- 24 tot aufgefunden werden.[13] Die Dunkelziffer liegt nach nicht bestätigten Aussagen um das 40fache höher.[14] Erklärtes Ziel ist es Kinder in extremen Belastungssituationen vor Risiken während und nach dem Geburtsvorgang oder dem befürchteten „sicheren Tode“ durch Aussetzung zum Sterben oder eine aktive Tötung retten, Frauenleben retten und Abtreibungsquote verringern.[15]

4. Betroffene und Ursachen von Kindstötungen und -aussetzungen

Für verschiedenste Personengruppen kommen diese Angebote in Betracht. So etwa Mütter, die sich in einer subjektiv als Notlage empfundenen Situation befinden und in dieser belastenden Situation, die Panik während und nach dem Geburtsvorganges auslösen kann, eine Aussetzung oder Tötung in Erwägung ziehen.[16] So etwa, wenn eine Schwangerschaft nach Vergewaltigung besteht, Prostituierte betroffen sind, Schwangerschaften außerehelich und/ oder aus Fremdgehen resultieren oder es religiöse Begründungen gibt, wie die häufig herangezogene Fallgruppe der strenggläubig islamischen (türkischen) Familie.[17] Ebenso können Minderjährige, Frauen ohne Wohnsitz, ohne Aufenthaltsgenehmigung, ohne Partner und/ oder in materiellen Nöten betroffen sein. Wohlmöglich kommen auch solche Personen in Betracht, die sich der Aufgabe nicht gewachsen sehen oder diese nicht mit den für sich definierten Lebenszielen vereinbaren können[18]. Denkbar sind jedoch auch Kindstötungen aus Scham, Entehrung, die Angst vor der Familie und der möglichen Stigmatisierung einer unehelichen Mutterschaft - kurzum, was man früher als „Schande“ bezeichnete.[19] Überschneidungen der verschiedenen typisierten Fallgruppen[20] sind möglich. Meist sollen die Kindesmütter zwischen 20 und 30 Jahre[21] alt sein.

Es gibt dessen ungeachtet keine allgemeingültigen sozialwissenschaftlichen Erhebungen darüber, welche Personen konkret betroffen sind und auch Ursachen lassen sich nicht auf ein bestimmtes Kennzeichen zu reduzieren. Um nicht gänzlich Spekulationen zur Statistik zu erheben, muss man hier Einzelfallbetrachtung anstellen oder sich weitgehend am Beispiel Frankreich orientieren, wo seit der Besatzung durch die Deutschen entsprechende Verhältnisse bestehen[22].

II. Die Thematik in der Rechtsgeschichte

1. Aussetzungen von der Antike bis zum ausgehenden Mittelalter

Es gibt und gab immer verschiedene Formen der Aussetzung. Bei Aussetzungen zum Leben wird das neugeborne Kind versorgt, bekleidet und so abgelegt, dass es gefunden werden kann und eine Betreuung und weitere Versorgung zum Leben gesichert scheint. Bei solchen zum Sterben wird das Kind an unzugänglichen Stellen, zumeist unbekleidet gebracht, sodass ein Überleben kaum möglich schien und in vielen Fällen ging dem sogar eine Tötung voraus.[23]

In der griechischen und römischen Gesellschaft der Antike waren die Aussetzung, der Verkauf und sogar die Tötung von Kindern kein Unrecht. Gemäß der patria potestas oblag es dem Hausvater, ob ein Kind leben sollte oder nicht.[24] Die Aussetzung missgebildeter Kinder war schon wegen des „Rassenerhalts“ durch die patria potestas vorgeschrieben. Derjenige, der ein ausgesetztes Kind fand, ernährte und aufzog, erlangte dadurch Eigentum an diesem Kind und konnte mit ihm nach Belieben verfahren.[25]

Das Christentum bekämpfte die Kindstötung und Aussetzung energisch. Im Jahre 374 n. Chr. wurde die Kindstötung vor dem Gesetz zu einer illegalen Tat erklärt: „Denn Gott haucht ihnen Seelen ein um ihres Lebens, nicht um ihres Todes willen. Die Aussetzung ist ebenso sündhaft wie die Tötung“.[26]

Seit dem fünften Jahrhundert wurden in den größeren Städten des Frankenreiches Marmorbecken an den Eingangstüren von Kirchen installiert, in die das unerwünschte Kind gelegt werden konnte.[27] Dadurch sollte Mitgefühl geweckt und irgendjemand aufgerufen werden, das Kind mitzunehmen und es zu ernähren. Als die erste Institution, die sich ungewollter und ausgesetzter Kinder annahm wird 787 n. Chr. in Mailand das Asyl für ausgesetzte Kinder, das sog. Xenodochium erwähnt.[28] Die Kirche kümmerte sich um die Findelkinder und begründete somit die institutionelle Findelkinderfürsorge im beginnenden Mittelalter. Subjekt der Aussetzungen waren oft unehelich gezeugte Kinder - sog. „Bastarde“. Im Zuge der strengeren Konsolidierung der Monogamie durch das Christentum galt es als Schande ein solches Kind in die Familiengemeinschaft aufzunehmen. Institutionen wie die Drehlade fungierten demnach auch als Sicherer der legitimen Familie[29], die sich solchen illegitimen Störungen nicht ergeben sollte. Im ausgehenden Mittelalter wurden in den Gebieten des heutigen Deutschlands vermehrt Findelhäuser durch die Städte gegründet und durch private Stiftungen unterstützt.[30]

2. Mittelalter und Neuzeit: Historische Vorbilder der „Babyklappe“ und der „Anonymen Geburt“

Der historische Vorläufer der Babyklappen ist die Drehlade, die vereinzelt an mittelalterlichen Klöstern vorzufinden waren.[31] Um dem Kindsmord entgegen zu wirken wurden 1200 in Rom Findlingshospitäler eingerichtet, an denen sich Drehladen (torna ruota) befanden. Es handelte sich dabei um Drehteller mit einer tiefen Mulde, in die das Kind hineingelegt werden konnte. Die aussetzende Person läutete an einer Glocke wodurch die Schale von Innen herumgedreht und das darin liegende Kind von einer Pflegeperson herausgenommen wurde. Die Aussetzung des Kindes erfolgte so erstmals kontrolliert und anonym.[32] Das eher römisch- katholische System der Drehlade konnte im protestantischen Deutschland jedoch nicht gleichermaßen Fuß fassen, wie in Frankreich.[33] Nach einer Blütezeit im 14. Jahrhundert schwand die Bedeutung wieder und so klagte 1527 ein Priester in Rom, dass „die Latrinen von den Schreien der Kinder widerhallten, die man hineinwarf“.[34]

Aus der „constitutio criminalis carolina“ ab 1532 geht hervor, dass man sich wegen Kindstötung strafbar machte. Art. 35 und 36 der „Carolina“ nannten dazu Verfahren zur prä- und postnatalen Feststellung einer Schwangerschaft.[35] Als Strafe war Todesstrafe durch lebendiges Begraben oder Pfählen vorgesehen.

Nachdem 1811 ein napoleonisches Gesetz zur Einrichtung von „Waisentürmen“ verpflichtete, erlebte die Drehlade den Höhepunkt ihrer Verbreitung - im Jahr 1780 gab es etwa 250 Drehladen; jedoch stieg die Zahl der ausgesetzten Kinder dramatisch an: 1809 verzeichnete man noch 67.000 und 1830 wurden bereits 130.000 derartig bedingte Aussetzungen registriert.[36] Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden deshalb viele „Waisentürme“ wieder geschlossen, da man einsah, dass die Drehladen erst den Anreiz für die Eltern schuf, sich besonders in wirtschaftlich abträglichen Zeiten, ihrer Kinder zu entledigen.[37]

Die Anonyme Geburt wurde durch das Vichy- Regime in Frankreich im Kriegsjahr 1941 eingeführt. Danach konnte eine Frau, die einen im Felde stehenden Mann hatte und von einem Besatzungssoldaten vergewaltigt wurde anonym gebären, um vor der Schande eines Besatzerkindes verschont zu bleiben.[38] Bereits 400.000 Menschen sind unter dem „Aktenzeichen X“[39] geboren, und jährlich kommen 600 dazu.[40] Das Recht wurde 1993 in den Code Civil aufgenommen ist jedoch heute in Frankreich sehr umstritten. Kürzlich verlor eine 37- jährige Französin vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen Prozess in dem sie gefordert hatte, Auskunft über ihre leibliche Mutter zu erhalten. Nach Ansicht des Gerichts gäbe es kein Grundrecht auf Auskunft über die leiblichen Eltern und billigte somit grundsätzlich die anonyme Geburt.[41]

III. Stand der gesetzlichen Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland

Welche Auswirkungen dies auf Deutschland haben wird, wo sich derartige Einrichtungen noch immer in rechtlichen Grauzonen befinden, bleibt abzuwarten. Drei entsprechende Gesetzesentwürfe vorrangig zur Reglung der anonymen Geburt wurden eingebracht.[42] Ein Entwurf zur Änderung des PStG vom 12.10. 2000 durch CDU/ CSU- Fraktion des Bundestages wurde als ungeeignet erachtet und nicht mehr weiter verfolgt, da keine attraktive Alternative geboten wird und lediglich eine vorläufige Anonymität erreicht wird, um die Mutter zu überreden (mit Hilfe der sog. Schwangerschaftsberatung), das Kind doch zu behalten.[43]

Eine parteiübergreifende Initiative zur Reglung anonymer Geburten wurde 23.04.2002 eingebracht. Ein Verfahren, das Gesetz ohne Diskussion in den Ausschüssen und ohne öffentliche Anhörung zu Wege zubringen ist an erheblichen Widerstand gescheitert. Der Entwurf wurde nach vorgetragenen Bedenken[44] nicht mehr weiterverfolgt und hatte sich mit Ablauf der 14. Legislaturperiode erledigt.[45] Er bezog sich auf die Änderung des PStG, wonach eine Anzeigepflicht der Mutter gem. §17 Abs. 1 S. 3 E-PStG entfällt und jeder (!) Mutter ein Recht auf Anonymität gem. §21c E-PStG eingeräumt wird.[46]

Zuletzt wurde eine Bundesratsinitiative des Landes Baden- Württemberg eingebracht, die im Wesentlichen dem Entwurf aus der Mitte des Bundestages entsprach und vertagt wurde.[47]

IV. Strafrechtliche Aspekte

1. Aussetzung gem. §221 Abs. 1 und 2 StGB

Fraglich ist, ob sich die Person des Aussetzenden (Mutter, Vater oder Dritter) wegen Aussetzung strafbar machen könnte, indem das Kind in eine Klappvorrichtung gegeben wird. Das könnte der Fall sein, wenn das Kind in eine „hilflose Lage“ versetzt werden würde (§211 Abs. 1 Nr. 1) oder in dieser, sofern sie schon besteht belassen wird („Im- Stich- lassen“), obwohl eine Obhutspflicht anzunehmen ist (§211 Abs. 1 Nr. 2). Unter einer hilflosen Lage ist ein Zustand zu verstehen, in welchem sich das Opfer in der konkreten Lage gegenüber potentiellen Gefahren für Leben und Gesundheit nicht behaupten kann.[48] Die Babyklappe dagegen bringt Schutz und Hilfe; außerdem dient sie gerade der Verhinderung dieses Zustandes. Die Versorgung des Kindes ist jederzeit gewährleistet.[49] Es fehlt somit schon an der im Tatbestand geforderten „hilflosen Lage“ in die das Kind versetzt werden müsste und an dem tatbestandlichen Erfolg, das Kind der Gefahr des Todes oder einer schweren gesundheitlichen Schädigung auszusetzen. Ebenso fehlt es an jeglichem Vorsatz, denn die Mutter will ja gerade mit der Abgabe in die Babyklappe erreichen, dass eine Gefährdung und Tod ausgeschlossen wird. Nach überwiegender Auffassung ist so der Tatbestand des §221 Abs. 1 und 2 StGB nicht erfüllt.[50]

Für die Anonyme Geburt kommt eine Aussetzung schon gar nicht in Frage.

Zudem wurde die Behauptung aufgeworfen, dass Anstiftung zur Kindesaussetzung gem. §221 Abs. 1, 2 Nr. 1, i.V.m. §26 StGB durch die Verantwortlichen Betreiber von Babyklappen vorliegen könnte. Das ist schon deshalb zu verneinen, da es bereits an einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat fehle.[51]

2. Fürsorge- und Erziehungspflichtverletzung gem. §171 StGB

Gem. §171 StGB macht sich strafbar, wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden.

Hierbei ist die äußerliche körperliche Entwicklung durch die Abgabe an eine Fürsorgestelle und die körperlich- seelische Entwicklung im Sinne der Erziehung durch die Pflegefamilie gesichert. Auch deshalb fehlt es bei der Abgabe wohl an einer „gröblichen Verletzung“ der obliegenden Pflicht.[52] Zumal nicht sicher ist, ob das Kind nicht einer gröberen Gefahr bei der „unwilligen“ Mutter oder Familie ausgesetzt wäre.

In Betracht kommt jedoch eine Strafbarkeit, da die psychische Entwicklung des Kindes beeinträchtigt sein könnte. Vielfach wird von erheblichen psychischen Beeinträchtigungen berichtet (insbes. in Anlehnung an die Adoptionsthematik)[53]. Dabei ist wiederum fraglich, wie diese objektiv festgestellt werden soll, denn es kann sich hierbei nur um Vermutungen bzgl. der künftigen Entwicklungen des Kindes handeln, die jedoch für jeden Fall einzeln betrachtet werden müssten.

Eine Strafbarkeit kann deshalb nur unter erschwerten Bedingungen angenommen werden.

3. Unterhaltspflichtverletzung gem. §170 Abs. 1 StGB

Der Tatbestand fordert, dass sich der Täter vorsätzlich der gesetzlichen Unterhaltspflicht entzieht, sodass der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist oder ohne Hilfe anderer gefährdet wäre. Die Vorschrift soll auch vor Missbrauch gegenüber staatlichen Behörden in Form der ungerechtfertigten Beanspruchung schützen.[54] Die Unterhaltspflicht der Mutter erlischt erst mit der Adoption, also frühestens acht Wochen nach der Geburt und somit entzieht sich vorliegend die Mutter unzweifelhaft der Unterhaltszahlungspflicht, indem sie ihr Kind in die Babyklappe legt.[55]

Wegen der gefahrenbeseitigenden Hilfen des Krankenhauses ist an einer Gefährdung des Lebensbedarfs des Kindes (§170 Abs. 1 Var. 1) objektiv nicht zu denken, da die Einrichtung die notwendigen materiellen Leistungen gewährt, um die Mutter zu entlasten, also als Hilfe und nicht Ersatz für den Unterhalt. Der Lebensbedarf ist ohne Zutun Dritter nicht gewährt (§170 Abs. 1 Var. 2).[56] Hier müsste also ein beidseitiges Einvernehmen zur Hilfe mit einem Dritten (hier in Gestalt der Fürsorgeeinrichtung) bestehen. Die Mutter weiß das auch und gibt ja gerade deswegen ihr Kind in diese Einrichtung.

[...]


* so gekennzeichnete Aufsätze sind mir nur in einer Online- Version zugänglich gewesen und somit weichen die Seitenzahlen von den tatsächlichen im entsprechenden Printmedium ab und werden daher an dieser und jeder Stelle nicht aufgeführt, stattdessen wird zur Eingrenzung eine Teilüberschrift bzw. eine Nummerierung genannt.

* * Sofern nicht anders angegeben im Folgenden jeweils zitiert: Organ, (-Medium,) Ausgabe/ Jahr bzw. Datum

[1] auch Babynest, Babyfenster, Babywiege, Babykörbchen, Projekt Moses, Projekt Findelbaby oder Lebensforte; vgl. Bockenheimer- Lucius, EthikMed 2002, 20, 20.

[2] PONS- Unwort des Jahres: www.pons.de.

[3] Benöhr/ Muth, KJ 2001, 405, 405; Bockenheimer- Lucius, EthikMed 2002, 20, 20; Müller- Magdeburg, FPR 2003, 109, 109; Neuheuser, NStZ 2001, 175, 175; Wolf, FPR 2003, 112, 112; Homepage SterniPark e.V. Stand: 15. Februar 2003.

[4] Frank/ Helms, FamRZ 2001, 1340, 1341; Hepting, FamRZ 2001, 1573, 1573; Müller- Magdeburg, FPR 2003, 109, 110; Scheiwe, ZRP 2001, 368, 370; Wolf FPR 2001, I. 1..

[5] Behörden, Verwandten, Angehörigen, Bekannten und später vor den Kindern selbst.

[6] Hepting, FamRZ 2001, 1573, 1573; Müller- Magdeburg, FPR 2003, 109, 109; Swientek, FPR 2001, Wolf FPR 2001, I. 1., ders. FPR 2003, 112, 112 mit Fn. 5.

[7] Bärlein/ Rixen, Kriminalistik 2001, „Sachverhalt“; Benöhr/ Muth KJ 2001, 405, 407;Mittenzwei, ZfL 02/ 2002, III., 1.; Neuheuser, ZfL 01/ 2002, 1.; ders., NStZ 2001, 175, 175.

[8] Bärlein/ Rixen, Kriminalistik 2001, „Sachverhalt“; Bockenheimer- Lucius, EthikMed 2002, 20, 20f.; Mittenzwei, ZfL 02/ 2002, III., 1.; Neuheuser, NStZ 2001, 175, 175.

[9] Bockenheimer- Lucius, EthikMed 2002, 20, 20 f..

[10] Benöhr/ Muth, KJ 2001, 405, 414; Hepting, FamRZ 2001, 1573, 1573; Wolf, FPR 2001, I.1.; ders. FPR 2003, 112, 112.

[11] Neuheuser, ZfL 01/2002, 2.; Wolf, FPR 2001, I.1.

[12] Wolf, FPR 2003, 112,112 mit Fn. 6.

[13] BT- Drucks. 14/ 8856; Benöhr/ Muth, KJ 2001, 405, 407; Frank/ Helms, FamRZ 2001, 1340, 1341, mit Berufung auf die polizeiliche Kriminalstatistik; Mittenzwei, ZfL 02/ 2000, I.; Müller- Magdeburg, FPR 2003, 109, 109; Moysich, Anhörung BT- Innenausschuss vom 30.05. 2001.

[14] BT- Drucks. 14/ 8856; Frank/ Helms FamRZ 2001, 1340, 1341, mit Fn. 9., Wagner, ZRP 2002, 529; kritisch dazu: in FR 13.05.2002.

[15] Bockenheimer- Lucius, EthikMed 2002, 20, 20; Scheiwe, ZRP 2001, 368, 370; Swientek, FPR 2001, 353, 353; Wolf, FPR 2001, I.1..

[16] Mittenzwei, ZfL 02/ 2000, I.; Neuheuser, ZfL 01/ 2002, 1.; ders., NStZ 2001, 175, 175; Swientek, FPR 2001, „Babyklappen“.

[17] Frank/ Helms, FamRZ 2001, 1340, 1341; Swientek, FPR 2001, „Babyklappen“.

[18] Müller- Magdeburg, FPR 2003, 109, 109; Scheiwe, ZRP 2001, 368, 370 über die vielfältigen Fallgruppen siehe: Swientek, FPR 2001, „Babyklappen“; Bockenheimer- Lucius, EthikMed 2002, 20, 21 f..

[19] Müller- Magdeburg, FPR 2003, 109, 109.

[20] ausführlich: Bockenheimer- Lucius, EthikMed 2002, 20, 20 f.; Swientek, FPR 2001, „Babyklappen“.

[21] Swientek, FPR 2001, „Babyklappen“.

[22] ausführlich: Scheiwe, ZRP 2001, 368, 369 f., dort bestätigen sich in etwa die Fallgruppen und Ursachen anhand der französischen Erhebungen.

[23] Swientek, FPR 2001, „Babyklappen“.

[24] deMause, S. 46 f.; Niederberger, S. 22.

[25] Kaser, S. 278, weiteres dazu: Kaser: Römisches Privatrecht X. 3.3.1. (1971) u. S. 341 f. und X. 3.3.3. (1959) S. 143 f..

[26] deMause, S. 132; Niederberger, S. 24.

[27] Niederberger, S. 36; Röper, S. 25.

[28] Niederberger, S. 36; Röper, S. 25 f..

[29] Frank/ Helms, FamRZ 2001, 1340, 1343; Scheiwe, ZRP 2001, 368, 369.

[30] Röper, S. 62.

[31] Frank/ Helms, FamRZ 2001, 1340, 1343; Müller- Magdeburg, FPR 2003, 109, 109; Scheiwe, ZRP 2001, 368, 369; Wolf FPR 2001, I..

[32] Niederberger, S. 36 f., Fn. 59 m.w.N..

[33] kurzzeitig in Deutschland befindliche Drehladen: Hamburg (1709- 1714) und Mainz (1811- 1815) vgl. Frank/ Helms, FamRZ 2001, 1340, 1343;

[34] deMause, S. 51; Röper, S. 42

[35] Carolina, Art. 35, 36.

[36] Frank/ Helms, FamRZ 2001, 1340, 1343; Scheiwe, ZRP 2001, 368, 369.

[37] Frank/ Helms, FamRZ 2001, 1340, 1344.

[38] Frank/ Helms, FamRZ 2001, 1340, 1344; Hepting, FamRZ 2001, 1573, 1579; DER SPIEGEL 23/ 2002.

[39] unter diesem werden die anonym Geborenen im Personenregister geführt; vgl. DER SPIEGEL 23/ 2002, S.167; Frank/ Helms, FamRZ 2001, 1340, 1344.

[40] DER SPIEGEL 23/ 2002.

[41] ein Artikel der Print- Ausgabe der FR 2003 14.02.2003, Urteil: 13.02.2003.

[42] BT- Drucks. 14/ 4425, 14/ 8856; BR- Drucks. 506/ 02; ZEIT 24/ 2002; 25/ 2002; SPIEGEL- Online 14. Mai 2002; FR vom 12. Mai 2002; Pressemitteilung des Bundestages vom 21. Mai 2002; SPIEGEL 23/ 2002; 48/ 2002.

[43] BT- Drucks. 14/ 4425 (neu); ausführlich: Frank/ Helms, FamRZ 2001, 1340, 1342; Hepting, FamRZ 2001, 1573, 1573 u.1581; Wolf, FPR 2003, 112, 114; Protokoll der Anhörung BT- Innenausschuss vom 30.05. 2001.

[44] FR, 13.05.2002; zu den einfachrechtlichen Bedenken: Wolf FPR 2003, 112, 114 ff.; Wolf, HU- Pressekonferenz, 14.05.2002.

[45] BT- Drucks. 14/ 8856; SPIEGEL 20/ 2002 (Interwiev mit Margot von Renesse) S.180;Wolf FPR 2003, 112, 114.

[46] Vgl. BT-Drucks. 14/ 8856; Heyers, JR 2003, 45, 49; und ausführlich und kritisch: Wolf, FPR 2003, S. 112, 114ff..

[47] BR- Drucks. 506/ 02; ausführlich und kritisch: Wolf FPR 2003, 112, 117 f. mit. Fn. 52.

[48] Schmidt, StrR BT 1, S. 60; Lackner/ Kühl §221, Rn. 2; SK- Horn/ Wolters, §221, Rn 1 f.., Wessels/ Hettinger, StrR BT I, Rn. 198 f. u. 202 ff..

[49] Mittenzwei, ZfL 02/ 2000, IV., 1.

[50] Bärlein/ Rixen Kriminalistik 2001, „Straf- und bußgeldliche Würdigung“; Benöhr/ Muth, KJ 2001, 405, 409; Mittenzwei, ZfL 02/ 2000, IV., 1.; Neuheuser, NStZ 2001, 175, 177; Scheiwe, ZRP 2001, 368, 370.

[51] Mittenzwei, ZfL 02/ 2000, V., 1..

[52] Bärlein/ Rixen, Kriminalistik 2001, „Straf- und bußgeldliche Würdigung“.

[53] Mittenzwei, ZfL 02/ 2000, IV., 2.; Wolf, FPR 2001, IV., 3., c); vgl. Swientek FPR 2001, „Die Folgen für die von Adoption Betroffenen“ ff..

[54] Lackner/ Kühl, §170, Rn. 1 f.; SK-Günther, §170 m. Verw. auf §170b, Rn.1 f. u. 11.; Tröndle- Fischer, §170, Rn.1.

[55] §§1601, 1602 und 1755 Abs. 1 i.V.m. 1747 Abs. 3 BGB; ausführlich: Benöhr/ Muth, KJ 2001, 405, 409; Neuheuser, NStZ 2001, 175, 176; Wolf, FPR 2001, II., 7. FPR 2001, 112, 120.

[56] Bärlein/ Rixen, Kriminalistik 2001, „Straf- und bußgeldliche Würdigung“; a.A: Benöhr/ Muth, KJ 2001, 405, 410; Neuheuser, NStZ, 175, 176; Wolf, FPR 2001, II., 3..

Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Babyklappe und anonyme Geburt: ein Beitrag zum Schutz des (ungeborenen) Lebens?
Hochschule
Universität Bielefeld  (Rechtswissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Öffentliches Gesundheits- und Medizinrecht
Note
11 Pkt.
Autor
Jahr
2003
Seiten
68
Katalognummer
V15873
ISBN (eBook)
9783638208680
ISBN (Buch)
9783638699396
Dateigröße
880 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Downloaddatei enthält zusätzlich 28 Seiten Referatsunterlagen.
Schlagworte
Babyklappe, Geburt, Beitrag, Schutz, Lebens, Gesundheits-, Medizinrecht
Arbeit zitieren
Carsten Dochow (Autor:in), 2003, Babyklappe und anonyme Geburt: ein Beitrag zum Schutz des (ungeborenen) Lebens?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15873

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