Deutsche Strophen in den Carmina Burana


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

23 Seiten, Note: befriedigend


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Lieder mit deutschen Strophen
2.1 Stellung innerhalb der Sammlung
2.2 Herkunft der deutschen Strophen

3 Bezüge zwischen deutschen und lateinischen Strophen
3.1 Allgemeiner Überblick
3.2 Verschiedene Arten von Bezügen
3.2.1 Inhaltlicher Bezug
3.2.2 Rein Thematischer Bezug
3.2.3 Formaler Bezug

4 Genese der Lieder

5 Resümee

Bibliographie

1 Einleitung

der zweck, warum man diese altdeutschen verslein jenen zech- und liebesliedern beisetzte, bestand wol darin, dass man in den munteren kreisen, in denen von den lateinischen gesängen gebrauch gemacht wurde, zur abwechslung einiges in der muttersprache in der nämlichen melodie vor sich hatte.[1]

Die Schlüsselstellung, „die dem Codex Buranus für die Beurteilung der lateinisch-deutschen Literaturbeziehung im 13. Jahrhundert zukommt“[2], rührt von der Tatsache, dass sich hier eine große Anzahl an Liedern findet, die zwar in mittellateinischer Sprache verfasst sind, bei denen jedoch den lateinischen Strophen noch eine Strophe in mittelhochdeutscher Sprache hinzugefügt ist.

Dabei handelt es sich um eine außergewöhnliche Kombination. So schreibt etwa Udo Kühne:

Eine derartige offensichtlich planvolle Kombination lateinischer und deutscher Verseinheiten steht innerhalb der mittelalterlichen Lyriküberlieferung gänzlich für sich, besitzt auch keine Parallele in der europäischen Literatur.[3]

Erstmals wurden in den Carmina Burana – die früheste fassbare Textsammlung des deutschen Minnesangs[4] – mittelhochdeutscher Minnesang und lateinische Liebesdichtung in einem absichtsvoll geschaffenen Zusammenhang präsentiert.[5]

Die Funktion der deutschen Strophen wurde in der Forschung unterschiedlich beurteilt. Die ältere Forschung sah in ihnen zumeist reine Melodieindikatoren, die keinen Zweck erfüllten, als dem Publikum zu signalisieren, auf welche Melodie die vorausgehenden lateinischen Strophen zu singen waren.[6] Dass dies möglich war, so wird vermutet, wurde durch den angenommenen Bekanntheitsgrad des jeweiligen deutschen mehrstrophigen Liedes gewährleistet, dem sie entnommen waren.

Somit wurden die deutschen Strophen einzig und allein als Ausdruck einer musikalischen Praxis gedeutet, auf der Ebene des Inhalt wurde ihnen keinerlei Bedeutung zuerkannt. War zwar nicht zu leugnen, dass sie thematisch zumeist passend gewählt waren, so beschränkte sich die Analyse darauf, diesen thematischen Bezug festzustellen und fragte nicht weiter nach etwaigen (dramaturgischen) Funktionen dieser Strophen.

In dieser Arbeit soll nun versucht werden, nachzuweisen, dass die fraglichen Strophen der Carmina Burana über ihren möglichen Status als Melodiemuster hinaus auch auf der inhaltlichen Ebene eine wichtige Rolle spielten. Dabei soll nicht verleugnet werden, dass sie für formale, musikalische Aspekte wichtig waren.

Statt einer Orientierung an einem Erklärungsmuster nach dem Prinzip Entweder-Oder soll vielmehr versucht werden zu zeigen, dass es lohnender scheint, das Geflecht aus lateinischen und deutschen Strophen als Gesamtphänomen zu betrachten, bei dem sowohl formale als auch inhaltliche Fragen eine wichtige Rolle spielen.

Somit zielt die Arbeit darauf ab, die Arbeit der Redaktoren als solche zu zeigen, die bei der Auswahl deutscher Strophen Inhaltliches wie Formales von Fall zu Fall mehr oder weniger gleichberechtigt nebeneinander berücksichtigte und die deutschen Zeilen dazu benutzte, einem lateinischen Lied wichtige, bedeutungsrelevante Akzente zu verleihen.

2 Lieder mit deutschen Strophen

Unter den Carmina Burana finden sich 49, die entweder zweisprachig lateinisch-deutsch gebaut[7] oder – wie in den meisten Fällen – an deren lateinischen Teil eine deutsche Strophe angehängt worden ist.[8]

Über die genaue Funktion der deutschen Strophen besteht in der Forschung seit langem Uneinigkeit; immer wieder gab sie Anlass zur Diskussion. So stellt Ulrich Müller fest:

Das zeitliche Verhältnis der lateinischen und deutschen Strophen sowie die Funktion der deutschen Strophen sind mehrmals untersucht worden, ohne daß es hierüber eine einheitliche Auffassung gäbe.[9]

Grund dafür mag sein, dass zu oft nach einem einheitlichen Erklärungsmuster gesucht wurde, das ausnahmslos auf alle lateinisch-deutschen Lieder der Sammlung angewendet werden kann. Dieser Anspruch ist nicht zu erfüllen.

Man kann sich einer zufrieden stellenden Antwort auf die Frage nach der Funktion der deutschen Strophen vielleicht nur nähern, wenn man bereit ist, individuell unterschiedliche Erklärungen und Funktionen der deutschen Strophen und Zeilen zu akzeptieren. Kommt man etwa bei einem Lied zu dem Schluss, dass außer seiner Funktion als Melodieanzeiger nichts festzustellen oder zu vermuten ist, so muss man deswegen nicht auf diese generelle Funktion aller deutschen Strophen für die lateinischen Zeilen schließen.

2.1 Stellung innerhalb der Sammlung

Der größte Teil der lateinisch-deutschen Lieder findet sich in der Abteilung der Liebeslieder[10], über die sie sich jedoch nicht gleichmäßig verteilen, sondern in dem Textensemble von CB 132 – 186 sammeln. Innerhalb der Liebeslieder-Abteilung entwickeln sie ein Eigenprofil aufgrund von inhaltlichen Zügen, formaler Gestaltung und erkennbaren Provenienzen.[11]

2.2 Herkunft der deutschen Strophen

Bei den deutschen Strophen, die nicht nur in den Carmina Burana überliefert sind, handelt es sich in den meisten Fällen um die Eröffnungsstrophen anderer, deutscher Gedichte. So schreibt etwa Kühne:

Die deutschen Strophen, die sich im Codex Buranus lateinischen Liedern anschließen, sind, soweit erkennbar, wenn sie nämlich auch andernorts tradiert werden, in aller Regel Eröffnungsstrophen längerer, mehrstrophiger Gedichte.[12]

Manche deutschen Strophen sind außer in den Carmina Burana an keiner anderen Stelle tradiert. In diesen Fällen lässt sich keine sichere Aussage treffen, jedoch spricht nichts gegen die Annahme, dass es sich auch bei ihnen – wenn vielleicht auch nicht immer – um Eröffnungsstrophen anderer, deutscher Gedichte handelt. Unwahrscheinlich ist diese Annahme nur für diejenigen Lieder, bei denen die Vermutung nahe liegt, dass nicht die lateinischen Strophen nach einer deutschen, sondern umgekehrt die deutsche Strophe nach der lateinischen kontrafaziert wurde. Darauf soll an späterer Stelle noch kurz eingegangen werden.

Unter den Dichtern, von deren Vorlagen Strophen übernommen wurden, finden sich viele bekannte Namen wie Walther von der Vogelweide (CB 135a, 151a, 169a, 211a), Dietmar von Eist (CB 113a), Reinmar der Alte (CB 147a), Heinrich von Morungen (CB 150a) und Neidhart von Reuenthal (CB 168a).

3 Bezüge zwischen deutschen und lateinischen Strophen

3.1 Allgemeiner Überblick

Die ältere Forschung sah in den deutschen Strophen zumeist lediglich Tonindikatoren für die vorausgehenden lateinischen Verse, ohne dabei näher nach inhaltlichen Bezügen zu fragen. Es zeigt sich darin der Versuch, das Phänomen einzig und allein als Ausdruck musikalischer Praxis zu deuten.

Die inhaltlichen Bezüge wurden dabei stets als schwach ausgeprägt oder sogar als scharfer Einschnitt empfunden, was etwa die Sprecherrolle oder die Thematik angeht. Die Funktion der deutschen Strophen erschöpfte sich demnach im bloßen Aufweis von Strukturparallelen, wobei die genaue Intention der Schreiber stets Spekulation geblieben ist. Diese Ansicht wird auch in der jüngeren Forschung teilweise noch vertreten, wie etwa von Olive Sayce.

Sayce sieht zwischen den angehängten deutschen Strophen und den lateinischen keinen inhaltlichen Zusammenhang und begründet dies auf nicht einleuchtende Weise:

... there is strong evidence that the scribes were adopting the principle of choosing opening stanzas of existing German poems. This of itself suggests that these stanzas are unlikely to have any inherent thematic connection with the Latin poems to the end of which they are appended.

Aus welchem Grunde es unwahrscheinlich sein sollte, dass die „scribes“ ganz einfach passende deutsche Eröffnungsstrophen ausgewählt haben und dabei redaktionell eingreifend durchaus ganz eindeutige thematische und auch inhaltliche Bezüge herzustellen vermochten, erläutert Sayce nicht.

Ein neuer Ansatz in der Deutung der deutschen Strophen findet sich beispielsweise bei Müller. Er geht von einer sinnvollen inhaltlichen Abrundung durch die deutschen Strophen aus, und zwar „entweder im ursprünglichen thematischen Kontext oder in einem neuen thematischen Kontext (also mit parodistischem Effekt)“.[13]

Müller beschreitet einen neuen Weg, indem er die mehrsprachigen Lieder als sprachmischende Lieder auffasst, wobei er auf den Begriff der „Barbarolexis“ rekurriert, was im Zusammenhang mit der Genese der Carmina Burana noch kurz behandelt werden soll. Müller beschreibt als traditionell wichtigste Funktionen der Barbarolexis das bloße Zitat, die Kommentierung und Glossierung, emotionelle Steigerung, Charakterisierung von Personen und Orten, Satire und Parodie.[14]

[...]


[1] Docen: Miscellaneen zur geschichte der deutschen literatur, Bd. II, S. 190, 1807. Zitiert nach: Lundius: Deutsche Vagantenlieder in den Carmina Burana, S. 331.

[2] Fischer: Deutsche Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 13.

[3] Kühne: Deutsch und Latein als Sprachen der Lyrik in den Carmina Burana, S. 61.

[4] Ebd., S. 57.

[5] Ebd., S. 68.

[6] Vgl. beispielsweise das Eingangszitat.

[7] Z.B. CB 42, 184, 225, Vgl. Müller: Mehrsprachigkeit in den Carmina Burana, S. 92.

[8] Neben Liedern mit lateinisch-deutscher Sprachmischung finden sich auch manche mit lateinisch-(alt)französischer oder lateinisch-griechischer Sprachmischung. Eine genaue Auflistung findet sich bei Müller: Mehrsprachigkeit, S. 88 – 91.

[9] Müller: Beobachtungen zu den Carmina Burana, S. 109.

[10] Ausnahmen sind beispielsweise: CB 203, 203, 211 und 218.

[11] Vgl. Kühne S. 57-58.

[12] Kühne, S. 61.

[13] Müller: Mehrsprachigkeit, S. 103.

[14] Vgl. ebd., S. 93.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Deutsche Strophen in den Carmina Burana
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Hauptseminar: Carmina Burana
Note
befriedigend
Autor
Jahr
2002
Seiten
23
Katalognummer
V15910
ISBN (eBook)
9783638208987
ISBN (Buch)
9783638641111
Dateigröße
694 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutsche, Strophen, Carmina, Burana, Hauptseminar, Carmina, Burana
Arbeit zitieren
Florian Görner (Autor:in), 2002, Deutsche Strophen in den Carmina Burana, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15910

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