Beziehungen sind das, was uns durchs Leben trägt. Lebensläufe als Beschreibungen einer Mutter-Tochter-Beziehung enthalten auch Material zur Identitätsfindung in der Analyse von Machtverhältnissen und dem Kampf um Anerkennung und Vollständigkeit. Von Helene Deutsch über Nancy Friday und Sheila Mac Leod und weiteren Frauen werden in dem Text unterschiedliche Mutter-Tochter-Beziehungen anhand biographischer Aussagen dargestellt. Magersucht wird in diesem Zusammenhang als Prozess einer Identitätssuche gesehen. Eine Möglichkeit der Lösung des Konflikts und damit der Identitätsfindung besteht in der Möglichkeit, die Mutter-Tochter-Beziehung zeitlich einzuordnen, neben das Bild einer ewigen Jugend eine Imagination des tatsächlichen Verfalls und des fortwährenden Wandels von Töchtern zu Müttern zu stellen. Eine weitere Möglichkeit ist die Relativierung der Person der Mutter durch andere weibliche Personen, die ebenso zur Identitätsfindung beitragen.
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1. Die Darstellung der Mutter-Tochter-Beziehung in der Psychoanalyse
2. Die anderen Göttinnen - Von der Bedeutung der Frauen außerhalb der Mutter-Tochter-Beziehung
3. Was hat mir meine Mutter mit auf den Weg gegeben (was hat sie mir nicht mitgegeben) und was haben mir andere Frauen mit auf den Weg gegeben
4. Magersucht- Ein Kampf um Identität und Macht? Ein Kampf um den Status einer erwachsenen Frau
5. Das Märchen "Der süße Brei" - Beschreibung eines Statuswechsels zwischen Mutter und Tochter
6. Das unbewusste Programm - Vom Erlernen der Frauen-rolle durch das Vorbild der Mutter bis zur Macht-losigkeit gegenüber dem Zauberspruch einer "bösen Fee"
7. Frauenbeziehungen - die Beziehung zu Frauen – die Beziehung zu einer Frau - die Beziehung einer Frau zu sich selbst
8. Schlusswort
Literaturverzeichnis
Vorwort
Ein Jahr habe ich gebraucht , um mich zu diesem Thema
durchzuringen. Schon im letzten Jahr habe ich aufgeregt
Literatur zusammengesucht zu dem Thema
Frauenfreundschaften-Mütter-Töchter und konnte keinen
Weg finden, das Thema eigenständig zu bearbeiten.
Verzweifelt bin ich herumgeirrt von einem Thema zum
anderen :Magersucht, Depression, Selbstmord, Väter,
soziale Ungleichheit zwischen Mann und Frau .
Und immer wieder war dieses Thema " Frauenbeziehungen"
in meinem Kopf, ohne dass ich einen Weg sah, Fragen
zu stellen und Antworten zu suchen.
Nun, endlich kann ich anfangen, mich mit diesem Thema
Auseinanderzusetzen.
Bedanken möchte ich mich bei meinen Freundinnen, die
mir ihre Schwierigkeiten mitgeteilt haben in ihren
Frauenbeziehungen und in der Beziehung zu mir.
Bedanken möchte ich mich auch bei meiner Tochter,
an deren Leben ich Tag für Tag teilnehme, und die
mir mit ihrer Beharrlichkeit die Augen öffnen kann.
Bedanken möchte ich mich bei all den anderen Frauen,
die mich unterstützt und an mich geglaubt haben.
Bedanken möchte ich mich bei meinem Mann Kofi Darkwa,
der mich beeindruckt durch sein inniges in seinen
Männerbeziehungen leben.
Frauenbeziehungen - das Wort oder besser, der Begriff
schließt in sich ein die Begriffe Frauenfreundschaften
und Frauen -feindschaften, Macht und Konkurrenz.
Ein Teil meiner eigenen Geschichte
Beobachtungen meiner Mutter-Tochter oder Tochter-
Mutter-Beziehung
Heute morgen habe ich mir über folgendes Phänomen
Gedanken gemacht. Ich habe es zuerst gar nicht richtig
zur Kenntnis genommen, ich wollte es nicht wahrhaben,
Geschweige denn, dass ich darin einen tieferen Sinn
gesehen hätte.
In letzter Zeit hatte ich mich mit der Theorie des
Penisneids auseinandergesetzt. Denn Neid gibt es ja
unter Frauen, ja er ist doch ziemlich verbreitet und
aus intensiven Frauenbeziehungen gar nicht wegzudenken.
Der Penisneid als Grundlage der Konkurrenz unter
uns Frauen?
Nein, die Theorie vom Penisneid hat uns den Blick
verstellt für andere Ursachen von Neid.
Eine Antwort der Frauen auf die Theorie des Penisneids war,
den Gebärneid des Mannes heraus zustellen.
Mag ja sein, aber was ist denn nun mit den Frauen?
Wir Frauen sind neidisch.
Das mit dem Penis, das ist wohl mehr die Sache der
Männer und kleinen Jungen, warum sollten die Frauen
neidisch sein?
Letztendlich profitieren die Frauen doch von ihm
und brauchen ihn nicht ständig mit sich herumzuschleppen.
Und der Gebärneid der Männer?
Da haben die Frauen doch nichts mit zu tun, das kann
doch nicht ihr Neid sein, Oder?
Und doch, schaue ich mir meine Tochter an, dann ist
es auch der Neid der Frauen, wenn nicht noch mehr als
der der Männer.
Zuerst dachte ich, ich hätte sie einfach nicht richtig
verstanden, oder es sei eine kindliche Verwechslung
von Tatsachen.
Aber sie wiederholt es so oft und beharrlich, das
ich es letztendlich doch zur Kenntnis nehmen muss.
Meine Tochter behauptet, sie bekommt ein Baby, und
wenn sie eine Schwester oder einen Bruder bekommt,
dann bekommt sie das Baby. Alle Aufklärungsversuche
nutzen da nichts, sie rückt nicht davon ab, wenn einer
ein Baby bekommt, dann ist sie das.
Sie ist fünf Jahre alt, und sowie sie jetzt meine
Monatsbinden mopst und ihrer Puppe umbindet,
so klebte sie sich als Drei-jährige meine Binden in den
Schlüpfer, bevor sie auf den Spielplatz ging.
Und nicht nur das,als ich meiner Freundin das erzählte,
schmunzelte sie und meinte, ihre Tochter wäre kaum
davon abzuhalten, ihre Tampons auszuprobieren.
Das könnte ja auch einfach so eine Episode sein,wie
Kinder eben alles ausprobieren und alles wissen wollen
Aber wenn meine Tochter es nur einfach wissen wollte,
ich meine die Tatsachen von Geburt und Geschlecht,
bestände doch keine Notwendigkeit,weiterhin so
hartnäckig darauf zu bestehen, dass sie das Baby bekommt ,
das ihre Schwester ist,und nicht ich.
"Mama, warum blutest du?....Ich will auch bluten. "
Dazu ist anzumerken, dass die Tatsache des Blutens
für Kinder eine ungeheure Sensation darstellt.
Und was mopst sich meine Tochter von mir?
Ab und zu ein Stück Papier zum Malen, meine Kugelschreiber,
meinen Federhalter, meine Zirkel, meine Streichhölzer,
meine Schlüssel und ständig meine Binden, die
von ihrer Substanz her eigentlich doch recht langweilig sind.
So ist es, zumindest hat sie die Möglichkeit, sie sich
anzueignen, was mir als Kind gar nicht in den Sinn
kommen konnte ,da ich noch nicht einmal von ihrer
Existenz etwas wusste.
Wenn ich sie ernst nehme und mich in meine Tochter
hineinversetze , empfinde ich wirkliche Trauer über
die Beschränktheit und Unvollkommenheit ihres jetzigen
Zustandes.
Bis jetzt hatte ich das nie so deutlich gesehen.
Ich habe ein echtes Bedürfnis, ihr da eine Brücke
zu bauen.
Nächstes Mal,wenn sie mir wieder sagt, sie will auch
bluten, werde ich ihr sagen, wenn sie eines Tages auch
blutet, werden wir ein Fest feiern, so wie ihren Geburtstag.
Wer sich die kindliche Freude auf die Geburtstage
vergegenwärtigen kann, kann sich sicher auch Vorstellen,
dass diese Vorfreude auf das Ereignis ihrer ersten
Menstruation eine Brücke schlagen kann zwischen dem
Empfinden ihrer jetzigen Unvollständigkeit bezogen
auf das Frau-sein und dem Empfinden meiner Vollständigkeit
als Frau von 33 Jahren.
Ich denke an die Versuche von Feministinnen,
die Sensation der Menstruation aufzuwerten: Eine Zeit des
Zurückziehens auf sich selbst, eine Rück- oder
Besinnung auf den Körper, eine Zeit der Veränderung,
selten wird sie beschrieben als eine Zeit mit der
Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit.
Ich kann mich nicht erinnern, den Ansatz gefunden zu
haben, die Tatsache des Einsetzens der Menstruation
aus dem Grund zu feiern, um der Tochter, beziehungsweise
unseren Töchtern in Sinne der nachfolgenden Generation
die Situation der momentanen Unzulänglichkeit zu
erleichtern und ihnen das Bewusstsein zu geben, sie
sind unsere Zukunft.
Bevor ich in den nächsten Kapiteln die psychologischen
Komponenten der Mutter-Tochter-Beziehung erörtere,
möchte ich an das Ende dieses Kapitels eine Betrachtung
der gesellschaftlichen Situation der Frau stellen.
Selbst der Satz " Die Zukunft ist weiblich" bezieht
sich in der Vorstellung von Frauen eher auf die eigene
Zukunft als auf die Zukunft der Töchter.
Was beschränkt uns Frauen so, dass wir unser Denken
so beschränken?
Warum hat mir meine Mutter die Vorfreude auf den
Beginn der Menstruation vorenthalten?
Welches Bewusstsein hat meine Mutter mir von meiner.
Zukunft vermittelt?
Ja, meine Zukunft, das wäre gewesen,verheiratet ,Kinder
großziehen nach dem Vorbild meiner Mutter.
Interessant ist, dass die Anerkennung und positive
Besetzung von Menstruation und Gebärfähigkeit der
Tochter direkt damit zu tun hat ,inwieweit ich mir
als Frau und Mutter Möglichkeiten der Bestätigung
außerhalb dieser biologischen Tatsachen aufgebaut
habe.
Beziehe ich auch Anerkennung durch meinen Beruf, durch
das Tragen gesellschaftlicher Verantwortung, kann
die sexuelle Potenz anderer Frauen, (ob von Töchtern
oder von jüngeren Frauen),mich nicht in dem Maße
bedrohen, als wenn ich die einzige Anerkennung über
die Funktion als Ehefrau und Mutter beziehe.
Die Aufwertung der Menstruation als wirkliche
Sensation im Leben ein er Frau hat also nichts mit dem
Verweilen auf einer biologistischen Ebene zu tun,
sondern steht in direktem Zusammenhang mit der
Gesellschaftlichen Rolle der Frau, mit der Bereitschaft,
bewusste Verantwortung für gesellschaftliche und
politische Entscheidungen zu übernehmen.
In dem Maße, wie ich Anerkennung von Funktionen
beziehe, die weitgehend unabhängig sind von meiner
biologischen, vergänglichen Ausstattung, bin ich auch
bereit, anderen Anerkennung zu geben, insbesondere
anderen Frauen meine Anerkennung ihrer sexuellen
Potenz zu zeigen.
1. Die Darstellung der Mutter-Tochter-Beziehung in der Psychoanalyse
a) S. Freuds Darstellung der frühen Mutter-Tochter-Beziehung ( Die psychische Ausgestaltung des Sexuallebens beim Mädchen )
In seinem Kapitel "Über die weibliche Sexualität
bringt S. Freud unter anderem seine Unsicherheit
hinsichtlich des Erkennens und Deutens weiblicher
Entwicklungszusammenhänge zum Ausdruck:
“Die Einsicht in die präödipale Vorzeit des Mädchens
wirkt als Überraschung, ähnlich wie auf anderem Gebiet
die Aufdeckung der minoisch-mykenischen Kultur hinter
der griechischen.
Alles auf dem Gebiet dieser ersten Mutterbindung
erschien mir so schwer zu erlassen , so altersgrau,
schattenhaft, kaum wiederbelebbar, als ob es einer
besonders unerbittlichen Verdrängung erlegen wäre.
Vielleicht kam der Eindruck aber davon, dass die Frauen
in der Analyse bei mir an der nämlichen Vaterbindung
festhalten konnten, zu der sie sich aus der in Rede
stehenden Vorzeit geflüchtet hatten.
Es scheint wirklich, dass weibliche Analytike, wie
Jeanne Lempl-de Groot und Helene Deutsch, diese Tat-
bestände leichter und deutlicher wahrnehmen konnten,
weil bei ihren Gewährspersonen die Übertragung auf
einen geeigneten Mutterersatz zu Hilfe kam. Ich habe
es auch nicht dahin gebracht, einen Fall vollkommen
zu durchschauen, beschränke mich daher auf die Mit-
teilung der allgemeinsten Ergebnisse und führe nur
wenige Proben aus meinen neuen Einsichten an.“
( S. Freud - Gesammelte Werke Band 14 Seite 519)
Allerdings erkennt er auch :
"Es wäre unnötig gewesen, diese Arbeit zu veröffent-
lichen, wenn nicht auf einem so schwer zugänglichen
Gebiet jeder Bericht über eigene Erfahrungen und
persönliche Auffassungen wertvoll sein könnte.“
ebenda Seite 534)
Während ich Freud an dieser Stelle zustimme,teile
ich nicht seine Meinung über das Entstehen der Eifer-
sucht beim kleinen Mädchen.
Freuds Auffassung ist:
"Vom Ödipus-Komplex war bisher nicht die Rede, er
hatte auch soweit keine Rolle gespielt. Nun aber gleitet
die Libido des Mädchens - man kann nur sagen: längs
der vorgezeichneten symbolischen Gleichung Penis =Kind
- in eine neue Position. Es gibt den Wunsch nach einem
Penis auf, um den Wunsch nach einem Kindes an die Stelle
zu setzen, und nimmt in dieser Absicht den Vater zum
Liebesobjekt. Die Mutter wird zum Objekt der Eifer-
sucht, aus dem Mädchen ist ein kleines Weib geworden."
( ebenda Seite 27 - 28)
Möglich, dass die Tochter auch eifersüchtig auf die
Mutter ist, weil sie das Liebessubjekt/Objekt des
Vaters ist, aber wie ich schon eingangs erwähnte, ist
der Umweg über den "Penisneid" und die Gleichung
Penis-Kind unnötig und überflüssig und verstellt den
Blick auf die tatsächliche Dynamik der Tochter-Mutter-
Beziehung, in der so wichtige Gefühle wie Neid und
Eifersucht auch ohne den Blick auf die väterliche
Figur bestehen.
Dennoch bietet Freud dem Leser Einblicke in die
möglichen Hintergründe von Neid und Eifersucht zwischen
Mutter und Tochter in folgender Beobachtung:
"In der phallischen Phase kommen endlich auch inten-
sive aktive Wunschregungen gegen die Mutter zustande.
Die Sexualbetätigung gipfelt in der Masturbation
an der Klitoris, . ..aber ob es das Kind zur Vorstellung
eines Sexualziels bringt und welches dies Ziel ist,
ist aus meiner Erfahrung nicht zu erraten. Erst wenn
alle Interessen des Kindes durch die Ankunft eines
Geschwisterchens einen neuen Antrieb erhalten haben,
lässt sich ein solches Ziel klar erkennen. Das kleine
Mädchen will der Mutter dies neue Kind gemacht haben,
ganz so wie der Knabe, und auch seine Reaktion auf
dies Ereignis und sein Benehmen gegen das Kind ist
dasselbe. Das klingt ja absurd genug, aber vielleicht
nur darum, weil es uns so ungewohnt klingt.“
(ebenda Seite 532)
Schade, dass S. Freud diese Erfahrungen nicht weiter
ausgeführt hat, ebensowenig wie er erwähnt hat, in
welchem konkreten Zusammenhang er diese Beobachtung
gemacht hat.
Seiner Beschreibung zufolge will das Mädchen der
Mutter das neue Kind gemacht haben. Möglicherweise,
in einem anderen Zusammenhang, zu einem anderen Zeit-
punkt, hätte auch er die Erfahrung gemacht, dass das
Mädchen vor der Geburt eines Geschwister meint, sie
gebäre das Kind und nicht die Mutter, so ungewohnt
das klingen mag.
Das sind Spekulationen.
Allerdings beinhaltet die Aussage, dass das Mädchen
der Mutter das Kind gemacht haben will, den Gedanken,
dass das Mädchen als aktives, konkurrenzfähiges Wesen
sich im Rahmen der von S. Freud angeführten Beobachtung
nur mit dem Vater beziehungsweise dem Mann identi-
fizieren konnte.
Dies kann ein Hinweis sein auf die Identifikations-
möglichkeiten für Mädchen zur Zeit Freuds (in Mittel-
europa) oder lässt die Vermutung aufkommen, daß die
Mutter/Frau als Identifikationsmodell kaum bewusst
wahrgenommen wurde; auf der anderen Seite gäbe es die
Möglichkeit, dass das Äußern von Konkurrenz seitens
des Mädchens gegenüber der Mutter so tabuisiert war,
dass das Mädchen den Umweg über den Vater wählte.
Oder, was naheliegend wäre, das Mädchen hat den Wunsch,
sie gebäre das Kind, nur der Mutter gegenüber geäußert
und Freud hatte einfach nicht Teil an dieser Kommu-
nikation.
Wie schon erwähnt, sind dies Vermutungen; aber bedeutet
die Tatsache, dass S. Freud den Wunsch der Tochter gegen-
über der Mutter, sie gebäre das Kind, nicht erwähnt
hat, dass diese Interaktion tat sächlich nicht stattgefunden hat?
b) Die Darstellung der Mutter-Tochter-Beziehung bei Christiane 0livier - Der Versuch, die Macht der Mutter zu brechen mit Hilfe des ödipalen Modells
Ob es sich um Autorinnen wie Edith Jacobson, Karen
Horney, Melanie Klein oder anderer handelt, die in
der Tradition Freud'scher Psychoanalyse stehen, die
Darstellung und Aufarbeitung der Mutter-Tochter-Be-
ziehung an sich spielt in der Regel eher eine unter-
geordnete Rolle, wenn sie überhaupt ausdrücklich er-
wähnt wird.
Entsprechend dem Freud'schen Konzept, das die Wichtig-
keit des Ödipus-Komplexes betont , steht die Beschäf-
tigung mit der Vater-Tochter oder Mutter-Sohn-Beziehung
im Vordergrund.
Auch Christiane 0livier orientiert sich sehr stark
am ödipalen Modell.
Allerdings gibt sie eine sehr anschauliche Darstellung
ihrer Tochter-Mutter-Beziehung und tiefe Einsichten
in die Dynamik der Mutter-Tochter-Beziehung aus der
Sicht der Tochter .
Deshalb ist es mir wichtig, mich in diesem Kapitel
mit ihren Gedanken zu beschäftigen, ganz besonders
mit ihren Kindheitserinnerungen.
Christiane Olivier schreibt :
"Kindheitserinnerung
Und ich lache, wenn ich an das Fieber denke , das mich
ergriff, sobald meine Eltern das Haus verlassen hatten...
Es war das Plündern, oder eher nein, die systematische
Untersuchung der Schublade "ihrer" Kommode,
beileibe nicht irgendeiner. ..,die (Schublade),die mich inter-
essierte, war die zweite, diejenige, in der "sie" ihre
persönliche Wäsche aufbewahrte. Angesichts ihrer Büs-
tenhalter, Schlüpfer, Monatsgürtel überließ ich mich
allen möglichen Phantasien...
Was das kleine Mädchen sucht, wenn man ihm nichts
in Bezug auf sein Geschlecht gesagt hat, ist der Unter-
schied zwischen ihm und seiner Mutter, wobei es nicht
weiß, woran es diesen Unterschied festmachen soll,
aber es glaubt, daß er sich sicher im Körperlichen
findet.
….Ich hatte nicht nur das Interesse meines Vaters
für meine Mutter beobachtet, sondern als ich etwa
sechs Jahre alt war, "überraschte" sie mich damit, daß
sie mir das Kommen einer kleinen Schwester oder eines
kleinen Bruders ankündigte. Unmöglich, deren Ursprung
zu erfahren; ich glaube, dass ich wohl seit diesem Zeit-
punkt versucht habe, das "Geheimnis" meiner Mutter
zu ergründen.
Ich glaube, dass heute keine Mutter mehr ihr Kind in
Unwissenheit halten möchte, aber die Antworten sind
ebenso unterschiedlich wie die Zugehörigkeit zu einer
Partei,...von dem Baby, das unter dem Herzen schläft
...bis zu der ziemlich erschreckenden Erklärung, daß
der Arzt den Bauch aufmacht, um das Baby zu holen,
werden alle Variationen angeboten.
Man fragt sich, warum so wenige Frauen den Mut haben,
die einfache Wahrheit zu sagen: Der einzige Grund
dafür ist die Bewahrung des "Geheimnisses",
da dieses Geheimnis offensichtlich vor der Kenntnis der Vagina
schützt und vielleicht das kleine Mädchen von der
Entdeckung der Selbstbefriedigung abhält..... um es
im Engel-Stadium zu halten." (C. 0livier Jokastes Kinder S. 80)
Obwohl Christiane 0livier in ihren Ausführungen immer
wieder Wert darauf legt, eine Gegenposition zu Freud
zu schaffen, hat sie sich an dieser Stelle nicht weit
von seinen Gedanken entfernt, denn Freud schreibt
um Beispiel:
"Der Groll wegen der Behinderung in der freien Betä-
tigung spielt eine große Rolle in der Ablösung von
der Mutter. Dasselbe Motiv wird auch nach der Puber-
tät wieder zur Wirkung kommen, wenn die Mutter ihre
Pflicht erkennt, die Keuschheit der Tochter zu be-
hüten.“
(S. Freud Gesammelte Werke Band 14 Seite 526)
Die Keuschheit der Tochter zu behüten!
Angenommen, dies trifft zu, weder bei Freud noch
bei Christiane Olivier taucht die Frage auf nach den
Gründen für dieses Verhalten. Zudem komme ich aus einer
Generation, in der es beinahe üblich war, dass Mütter
mit ihren Töchtern zum Frauenarzt gingen, um ihnen
die "Pille" verschreiben zu lassen.
Ich kann mich auch nicht erinnern, dass meine Mutter
mich davon abgehalten hat, mich selbst zu befriedigen,
das war wohl eher die Sache des Dorfpfarrers, dessen
größte Sorge es war, uns vor diesen unkeuschen Tat-
sachen zu bewahren.
Es erscheint mir ungenau oder zumindest unvoll-
ständig, den Grund für die "Bewahrung des Geheimnisses"
darin zu sehen, dass das Mädchen durch das Nichtwissen
von seiner Vagina davon abgehalten wird, sich selbst
zu befriedigen, wenn C. Olivier an dieser Stelle die
Klitoris gar nicht erwähnt. Schließlich war es sogar
zu Freuds Zeit eine bekannte Tatsache, dass es die
Klitoris ist, die bei der Befriedigung des Mädchens
die wichtige Rolle spielt.
Dennoch gewinnt Christiane Olivier tiefe Einblicke
in die Psyche des kleinen Mädchens.
“Das Drama des kleinen Mädchens ist, dass sein Körper
Wie niemandes Körper ist. Es hat weder das Geschlecht
des Vaters noch die Formen der Mutter (keine Brüste,
keine schlanke Taille, keine Hüften und Schamhaare). Nackt
sieht sich das kleine Mädchen flach und geschlitzt, den
asexuellen Puppen gleichend, die in den Geschäften verkauft werden.
Etwas, das "wie" ist, existiert gleichwohl beim kleinen
Mädchen, aber es ist ganz tief in seinem Schlitz
vor seinem Blick verborgen." (Das kann doch anatomisch
nicht ganz richtig sein "tief in seinem Schlitz")
"Und nie spricht jemand mit ihm darüber, über das
einzige sexuelle Organ, dass mit dem der Mutter ver-
gleichbar ist.
Die Klitoris, von den Feministinnen geltend gemacht,
von den Machos verunglimpft, könnte sehr wohl eines
der ersten Glieder einer bruchfesten Kette sein,
wenn man die weibliche Sexualität aus der Dunkel-
heit hervorholen will. In der Tat spricht man zum
kleinen Mädchen nie von diesem Teil seiner Sexuali-
tät, man lehnt es ab, ihm zu sagen, was es hat, und
spricht lieber allgemein über den restlichen Genital-
apparat, der noch gar nicht in Funktion ist: Man
erzählt ihm also von dem, was es nicht hat (Fortpflan-
zung, Regel), was die Mutter aber besitzt.
Die "Mutter'" kann aus diesem Grunde kein Identifi-
kationsmodell für ihre Tochter sein, und ein Gefühl
gleichgeschlechtlicher Liebe zwischen ihnen erweist
sich als unmöglich....
Gegenüber dieser ungleichen und besser ausgestatteten
"Mutter" entwickelt das Mädchen Neid und Eifersucht,
die, im Gegensatz zu dem, was Freud glaubte, sich
nicht auf den Körper des Mannes richten, sondern
durch den niederschmetternden Vergleich mit der
Mutter-Frau entstehen (Christiane Olivier, Jokastes
Kinder S.82)
Verständlich und sinnvoll ist die Suche der Tochter/
Christiane Olivier nach einem Bindeglied (Bindeglied
ist in diesem Zusammenhang ein recht harmloses Wort,
wo es doch eigentlich darum geht, die Ohnmacht der
Tochter aufzubrechen), aber ist die Klitoris tatsäch-
lich das Bindeglied?
Christiane Olivier´s Suche nach einem Bindeglied
hat sich damit erschöpft , sie stellt allerdings noch
Fragen nach den Gründen für das Ungleichgewicht
in der Mutter-Tochter-Beziehung.
"Wenn es mit den Frauen soweit gekommen ist und die
Eifersucht die gleichgeschlechtliche Solidarität
verdrängt hat, dann auf jeden Fall deshalb, weil es
die "Mutter" als die Frau,die ihr zuerst begegnet,
nicht gewagt hat, am Körper ihrer Tochter anzuer-
kennen oder zu benennen, was diese mit ihr gemeinsam
hat. Hat sie sich geschämt? Hat sie Angst gehabt?“
(ebenda S.86)
Christiane Olivier stellt zwar diese Fragen und
spricht von Neid und Eifersucht, aber ehe sie sich
darauf einlässt, weiter nach Gründen und Antworten
zu suchen, wendet sie sich anderen Themen zu.
Bietet nicht gerade die Auseinandersetzung mit so
handfesten Gefühlen wie Neid und Eifersucht die
Möglichkeit einer intensiven Beziehung zwischen
Mutter und Tochter?
Liegt nicht gerade im Erleben von Macht und Ohnmacht
eine Chance zum beiderseitigen Wachsen von Mutter
und Tochter?
Es ist auffällig, wie schnell Christiane Olivier
nach ihrer intensiven, emotionalen Darstellung der
Ohnmacht der Tochter gegenüber der Macht der Mutter
(im übrigen fehlen die Begriffe Macht und Ohnmacht
in ihrer Beschreibung) den gedanklichen Schritt
zur Bestätigung der Tochter durch den Vater/Mann
macht.
Sie schreibt:
"Frauen vertrauen anderen Frauen nicht, wenn es um
ihre Anerkennung geht; sie fürchten, unter Frauen
die Rivalität wieder anzutreffen, die sie schon mit
der ersten aller Frauen erfahren haben, mit Ihrer
Mutter." (ebenda S.86)
Ihre Lösung des Konflikts sucht sie darin, dass die
Väter/Männer den Töchtern/Frauen Anerkennung geben,
indem sich beispielsweise Väter mehr in der Kinder-
erziehung engagieren und die kleinen Mädchen begeh-
renswert finden, was wie sie glaubt, in der Mutter-
Tochter-Beziehung fehlt.
"Wenn doch der Mann teilhätte an der psychischen
Erziehung seines Kindes, wie er teilhätte am Moment
seiner Zeugung! Sein Sohn könnte von Anfang an
eine Beziehung der Gemeinsamkeit entwickeln,...Seine
Tochter könnte sich vielleicht endlich von Anbeginn
in einem Spiegel sehen, der ihr vom anderen Geschlecht
hingehalten wird und in dem sie ihren Körper als
begehrenswert erkennen kann, "(ebenda S.221)
Dagegen, dass Väter sich mehr in der Kindererziehung
betätigen, dagegen habe ich nichts einzuwenden.
Aber warum sollten Väter den "unvollkommenen" Mädchen-
körper mehr begehren als die Mütter?
Wegen einer allgegenwärtigen Heterosexualität oder
wegen dem Fehlen von Neid und Eifersucht?
Etwa wegen dem Fehlen von Macht?
Der tatsächliche Spiegel für eine Frau/Frauen ist
mehr noch als für die Männer eine andere Frau, ange-
fangen bei der Mutter, die die kleine Tochter spiegelt,
während sie ihr die Brust gibt oder erste Blicke
mit ihr tauscht bis hin zu der Tochter, die als die
Fortsetzung der Vitalität und Fruchtbarkeit der
Mutter verstanden werden kann.
Denn bei allem Neid und aller Eifersucht und allen
Gefühlen von Macht und Ohnmacht ist es eine logische
Konsequenz, dass die Anerkennung/Macht, die eine Frau
einer anderen Frau verweigert, letztlich doch nur
in der Anerkennung durch eine (andere) Frau gefunden
werden kann und nicht durch einen Mann. Nur ich selber
kann mir Macht gehen/nehmen als Frau.
Obwohl diese Ahnung der Anerkennung durch eine andere
Frau in Christiane Oliviers Texten vorhanden ist,
hat sie ihren Blick doch ständig auf die Anerkennung
durch den Mann gerichtet und verpasst demzufolge
die Chance, sich mit der Dynamik von Macht und Ohnmacht
in der Mutter-Tochter-Beziehung zu beschäftigen.
Ihre Beschäftigung mit dem ödipalen Modell sowie
die Auseinandersetzung anderer Psychoanalytikerinnen
wie zum Beispiel Melanie Klein mit dem "Komplex
des Ödipus" oder dem "Penisneid" lassen erkennen,
welche Chancen Frauen darin sehen, diesen Themen vor-
rangig Beachtung zu schenken.
Der Untertitel dieses Buches von Christiane Olivier
"Die Psyche der Frau im Schatten der Mutter" gibt
allerdings auch Einsichten in die Versäumnisse,
die dadurch entstehen, dass der Kampf zwischen Tochter
und Mutter nicht ausgetragen wird und somit auch
keine echte Chance für die Tochter besteht, ebenbürtig
neben ihrer Mutter ihren Platz einzunehmen.
Auch wenn ich keinen Hinweis auf den Untertitel in
der französischen Originalfassung finden konnte,
denke ich, daß es kein Zufall sein kann, dass der
Untertitel dieses Buches lautet :"Die Psyche der
Frau im Schatten der Mutter."
c) Die Darstellung der Mutter-Tochter-Beziehung bei Helene Deutsch und die Beschreibung anderer Frauen-beziehungen vor dem Hintergrund der Mutter-Tochter-Beziehung
Wenn Freud meint, Helene Deutsch versteht es besser,
das Mutter-Tochter-Verhältnis ,was hindert mich daran,
Ihre Schriften zu lesen und zu verstehen?
Um es gleich am Anfang zu sagen, ich habe mich auf
die Bücher Helene Deutschs gestürzt und vor allem
aus dem Lesen ihrer Autobiographie großen Gewinn
gezogen, ganz besonders für meine Identität als Psy-
chologin.
An dieser Stelle möchte ich einmal auf meine Art und
Weise, dieses Thema "Frauenbeziehungen vor dem Hinter-
grund der Mutter-Tochter-Beziehung" zu bearbeiten,
- Quote paper
- Claudia Heufers-Darkwa (Author), 1990, Frauenbeziehungen vor dem Hintergrund der Mutter-Tochter-Beziehung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1592082