Junge Muslime in Deutschland - Zwischen Integration und Radikalisierung


Seminararbeit, 2010

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2. Muslime in Westeuropa
2.1. Ausschnitt der muslimischen Bevölkerungsstruktur in Westeuropa
2.2. Überblick - Muslime in Deutschland

3. Gründe für die Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen in Deutschland
3.1. Die Wahrnehmung der Muslime durch die Mehrheitsgesellschaft
3.2. Fremd im eigenen Land - Die Identitätsfrage junger Muslime
3.3. Rekrutierungsstrategien radikalislamischer Gruppierungen

4. Fazit - Der Islam gehört zu Deutschland

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Spätestens seit den Anschlägen von Madrid im März 2004 hat sich die öffentlich viel diskutierte Ansicht, Europa sei einigermaßen sicher vor islamistisch motiviertem Terror, als falsch herausgestellt. Die Annahme, die EU werde lediglich als Rückzugspunkt und für die Planung und Organisation von Anschlägen genutzt, wie z.B. Hamburg von den Attentätern des 11. Septembers, verlor ihre Grundlage. Noch im selben Jahr machten der Mord an dem Islamkritiker Theo van Gogh in den Niederlanden und im Sommer 2005 die Anschläge in London deutlich, dass islamistische Fundamentalisten nicht nur in ihren muslimischen Heimatländern sozialisiert und radikalisiert wurden, bevor sie nach Europa kamen, sondern dass auch von in Europa geborenen und aufgewachsenen Muslimen eine Gefahr ausgehen kann. Natürlich handelt es sich bei diesen um eine extrem kleine Minderheit unter den circa 8-12 Millionen westeuropäischen Muslimen. Doch ist es wichtig, diese Gruppe der so genannten „Homegrown Terrorists“ näher zu betrachten, um zukünftige Anschläge nicht nur durch gute nachrichtendienstliche Arbeit, wie im Fall der so genannten Sauerlandgruppe, verhindern zu können. Deshalb werde ich in meiner Arbeit erst die Bevölkerungsstruktur der Muslime in ausgewählten europäischen Ländern erörtern, um im Weiteren Gründe für die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher in Deutschland sowie die Art ihrer Rekrutierung für den bewaffneten Djihad zu diskutieren. Abschließend werde ich im Fazit versuchen, Vorschläge für eine bessere gesellschaftliche Einbindung von Muslimen in Deutschland zu diskutieren.

2. Muslime in Westeuropa

2.1. Ausschnitt der muslimischen Bevölkerungsstruktur in Westeuropa:

Die genaue Zahl der in Westeuropa lebenden Muslime ist nicht bekannt. Schätzungen sprechen von 8-12 Millionen1 Menschen, die aus ihren Heimatländern seit Ende der 50er bis Mitte der 70er Jahre vorwiegend als „Gastarbeiter“ in den Westen Europas kamen, um einige Jahre dort Geld zu verdienen und dann wieder nach Hause zurückzukehren2. 1973 jedoch sollte mit der „Ölkrise“ diese meist von staatlicher Seite geförderte Masseneinwanderung ihr offizielles Ende finden. Ein Ende fand damit aber auch die beiderseitige Illusion3 von einer Rückkehr der „Gastarbeiter“ in ihre Heimatländer, wie hier von Olivier Roy beschrieben:

„Da sie [die Einwanderer] fürchteten, auf Dauer aus Europa verbannt zu werden, wenn sie einmal in ihre Ursprungsländer zurückgekehrt waren, entschlossen sich die meisten dieser Arbeitskräfte, zu bleiben und ihre Familien nachzuholen, wobei sie von der Politik der »Familienzusammenführung« profitieren konnten, die die menschlichen Folgen des Einwanderungsstopps lindern sollte.“ [Roy, Olivier, 2006, S.102]

So blieben nicht nur die meist männlichen4 Gastarbeiter, sondern sie sorgten auch für eine weitere Einwanderungswelle ihrer Frauen und Kinder.

Die Herkunftsländer der Zuwanderer, die neben dem jeweiligen staatlichen Umgang mit den Migranten einen wichtigen Faktor in der späteren Entwicklung der religiösen Gemeinschaften sowie der Integration dieser neuen Bevölkerungsgruppen darstellen sollten5, hingen unter anderem von der kolonialen Vergangenheit der aufnehmenden Staaten ab6. Nordafrikaner zog es vor allem nach Frankreich und Belgien, Südasiaten nach Großbritannien, und Türken immigrierten in der Regel nach Deutschland und in die Niederlande7. Während Spanien und Italien erst seit den 90er Jahren eine zahlenmäßig erwähnenswerte Zuwanderung aus muslimischen Ländern zu verzeichnen hat, wächst in den oben genannten Ländern heute bereits die 2. und 3. Generation mit Migrationshintergrund heran8. Wie wir sehen werden, ist aber nicht nur die Herkunft und Dauer der Einwanderung ein Faktor in der Einstellung der muslimischen Migranten gegenüber dem Islam und der staatlichen Autorität, sondern auch der schon genannte „Umgang“9 der jeweiligen Staaten mit ihren muslimischen Minderheiten. Im stark laizistischen Frankreich etwa, wo die zahlenmäßig und prozentual größte muslimische Bevölkerungsgruppe der EU lebt10, sehen sich einer Umfrage von 2006 zufolge 42% der Muslime erst als Franzosen und dann als Muslime, in Großbritannien hingegen bezeichnen sich lediglich 7% der Befragten zuerst als Briten11. Dieses Ergebnis ist unterschiedlich interpretierbar. Zum Einen könnte man die stärkere Identifizierung muslimischer Franzosen mit ihrem Land, auf die geographische Nähe zu ihren Heimatländern und durch den langanhaltend starken Einfluss Frankreichs auf Nordafrika begründen, zum Anderen spielt vielleicht auch das Heraushalten Frankreichs aus Konfliktherden wie dem Irak oder Afghanistan eine Rolle. Die im Gegensatz zu Großbritannien restriktivere Gesetzgebung der Franzosen gegenüber Religion allgemein und Muslimen im Besonderen scheint sich allerdings nicht unbedingt negativ auf die Einstellung der französischen Muslime zum Staat auszuwirken, wie Peter R. Neumann schreibt:

„However, the link between government policies and radicalisation may be counterintuitive. The European country that has been the most accommodating in relation to Muslim faith practices -Britain- ist also the one with the largest extremist population. French Muslims, on the other hand, who are banned from wearing religious Symbols[…], seem to be far less succeptible to the ideology of Islamist militant movement.“ [ Neumann, Peter R., 2008, S. 15]

Natürlich soll die Zahl extremistischer Muslime in Frankreich und Großbritannien kein Gradmesser für die dortige Integration der Muslime insgesamt sein, es soll lediglich auf die unterschiedlichen Entwicklungen hingewiesen werden. Unterschiede gibt es auch in der sprachlichen Anpassung. In Frankreich und Großbritannien sind die jeweiligen Landessprachen auch die von der 2. und 3. Einwanderergeneration im Alltag mehrheitlich gebrauchten, während z.B. in Deutschland das Türkische sehr präsent ist12. Weiterhin ist die Zahl islamischer Bildungsstätten und deren Frequentierung unterschiedlich hoch. In Großbritannien, das traditionell über viele christliche Privatschulen verfügt, ist auch die Zahl entsprechender islamischer Schulen hoch. In Frankreich, das aufgrund der strengen Trennung von Staat und Religion weniger solcher Einrichtungen kennt, schickt auch die muslimische Bevölkerung ihre Kinder mehrheitlich auf staatliche, also nicht- konfessionelle Schulen13. In Deutschland wiederum gibt es eher die Tendenz zur Gründung türkischer Gymnasien, welche sich aber weniger an die Religion als auf eine gemeinsame nationale und kulturelle Herkunft mit der durchaus begründeten Annahme anlehnen, türkischstämmige Schüler würden an den staatlichen Schulen benachteiligt14. Der Grad der Integration muslimischer Bevölkerungsgruppen in Europa ist also von Land zu Land sehr unterschiedlich, und auch die äußeren gesellschaftlichen Umstände für deren Integration sowie die kulturellen Hintergründe der Immigranten variieren stark.

Bevor ich mich genauer mit der muslimischen Bevölkerung in Deutschland befasse, möchte ich vorwegnehmen, dass ich im Weiteren von europäischen Muslimen bzw. deutschen Muslimen spreche, da diese Gruppen nicht mehr als „Ausländer“ bezeichnet werden können. Es haben sich unter ihnen neue religiöse Muster und Ansprüche in der Diaspora herausgebildet, die von dem ursprünglich traditionell gelebten Islam abweichen und ein Ergebnis der Konfrontation mit dem westlichen Lebensstil und einer Sozialisation der 2. und 3. Generation von Migranten im Westen sind15.

2.2. Überblick - Muslime in Deutschland

Der neuesten Studie zufolge leben in Deutschland zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime aus 49 berücksichtigten Herkunftsländern, von denen der überwiegende Teil von 63,2% aus der Türkei stammt. Von ihnen besitzen nur 45% die deutsche Staatsangehörigkeit16. Dies ist der große Unterschied zu Frankreich, da dort jeder auf französischem Boden geborene Mensch automatisch ein Anrecht auf die französische Staatsbürgerschaft hat.

Die meisten Muslime in Deutschland, in der Mehrheit Türken, wurden aus wirtschaftlichen Gründen angeworben. Die zahlreichen Iraner, Afghanen und Menschen aus dem Nahen Osten und vom Balkan kamen meist als Studenten oder als politische oder Kriegsflüchtlinge17. Die drei großen Strömungen innerhalb des Islam sind in Deutschland vorherrschend: Sunniten machen 74%, Aleviten 13% und Schiiten 7% der Muslime aus. Die restlichen 6% ordnen sich anderen kleinen Glaubensgemeinschaften zu18. Die Mehrheit der Muslime in Deutschland bezeichnet sich als religiös, besonders türkischstämmige besuchen häufig religiöse Veranstal- tungen und engagieren sich in türkischen Vereinen. Iraner dagegen betrachten sich zu 1/3 als nicht religiös19. Dies mag einerseits an den unterschiedlichen muslimischen Ausrichtungen, Sunniten- bzw. Schiitentum, denen diese Gruppen angehören, liegen. Andererseits ist dies wohl der Tatsache geschuldet, dass viele Türken gerade fernab der Heimat ihre Gemeinschaft stärker über Religion definieren als es wahrscheinlich in der laizistischen Türkei der Fall wäre, während viele Iraner gerade aufgrund der „islamischen Revolution“ aus dem Iran flohen 20

[...]


1 Da Informationen über die Religionszugehörigkeit in den verschiedenen Ländern unterschiedlich, oder gar nicht erfasst wird, sind diese Zahlen statistisch schwer festzustellen.

2 vgl. Roy, Olivier: Der islamische Weg nach Westen, Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung, 2006(Band 590), S.101ff. S.2

3 Auch die jeweiligen Staaten gingen, jedenfalls Offiziell, von einer Rückkehr der Wirtschaftsflüchtlinge in ihre Heimatländer aus.

4 s. Roy, Olivier, 2006, S.101

5 vgl. Neumann, Peter R.: Joining al-Quaida: Jihadist Recruitment in Europe, London u.a.: Routledged, 2008(Adelphi Paper Band 299), S.11-15.

6 s. Roy, Olivier, 2006, S.101

7 vgl. ebd.

8 vgl. Roy, Olivier, 2006, S.102

9 Welcher wiederum von der Staatsräson und der Mehrheitskultur etc. abhängig ist.

10 vgl. Roy, Olivier, 2006, S.103

11 Vgl. Neumann, Peter R., 2008, S. 15

12 vgl. Roy, Olivier, 2006, S.9

13 vgl. Roy, Olivier, 2006, S.101-109

14 vgl. Rasche, Uta: „Muslime mit calvinistischem Ehrgeiz“,7F4D8 74019B0AF260B1EDF79C2~ATpl~Ecommon~Scontent.html (19.07.2010).

15 vgl. Roy, Olivier, 2006, S.104

16 vgl. Haug, Sonja u.a.: „ Muslimisches Leben in Deutschland “ - Studie im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz, Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2009 - Kurzfassung S.1f.

17 vgl. Gerlach, Julia: Zwischen Pop und Dschihad: Muslimische Jugendliche in Deutschland, Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung, 2006(Band 593), S.125.

18 vgl. Haug, Sonja u.a., Nürnberg, 2009 - Kurzfassung S.3

19 vgl. Haug, Sonja u.a., Nürnberg, 2009 - Kurzfassung S.4ff

20 vgl. Haug, Sonja u.a., Nürnberg, 2009 – Vollversion S.120-123

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Junge Muslime in Deutschland - Zwischen Integration und Radikalisierung
Hochschule
Universität Hamburg  (Asien-Afrika-Institut)
Veranstaltung
Islamismus und islamistischer Terrorismus - Ideologien, Ursachen und Manifestationen
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
14
Katalognummer
V159691
ISBN (eBook)
9783640726547
ISBN (Buch)
9783640726660
Dateigröße
433 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
islam, terroismus, migration, integration, deutschland, europa
Arbeit zitieren
Jan Hendrik Holler (Autor:in), 2010, Junge Muslime in Deutschland - Zwischen Integration und Radikalisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/159691

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