Das Zensursystem der DDR in Presse und Rundfunk

Mit Zeitzeugeninterviews und Originaldokumenten


Forschungsarbeit, 2010

93 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

ZensurmaEnahmen in der

Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)

Zensur in der Ara von Walter Ulbricht

Honeckers staatliches Medienkontrollsystem

Die Offnung nach Westen

Experteninterviews

Alfred Eichhorn, Chefredakteur, Radio DDR

Harald Selke, Moderator, Stimme der DDR

Bert Lehwald, Nachrichtensprecher, DT64

Zusammenfassung

Anhang

Literaturnachweis

Onlinequellen

Experteninterviews

Gesetze, Richtlinien, usw

Bildnachweis

Abkurzungen ab

Vorwort

In seinem Roman „Ahasver" beschreibt der Schriftsteller Stefan Heym, wie der Teufel eines nachts den Hauptdarsteller in Ostberlin abholt und in die Holle bringt[1]. Diese Passage war den Zensoren des DDR-Regimes derart suspekt, dass sie eine Untersuchung anstellten, Gutachten verlangten und die Veroffentlichung des Buches uber sieben Jahre hinauszogerten. Sie vermuteten, dass Heym die teuflische Entfuhrung als eine Metapher fur Republikflucht nach Westberlin verwendete. Und das war seinerzeit eine der schwereren Straftaten, die man als DDR-Burger begehen konnte.

Die Deutsche Demokratische Republik schlug ein vollig neues Kapitel in der Geschichte der Presse- und Literaturzensur auf. Wahrend unter den Nazis, im Kaiserreich und auch in der Zeit davor literarische Werke immer nur punktuell ausgesondert bzw. zensiert wurden, erlieB die DDR-Fuhrung von nun an ein generelles Verbot fur Bucher, Zeitschriften, Zeitungen und alle anderen Presseerzeugnisse, die nicht von ihr selbst genehmigt und vor ihrer Veroffentlichung zumindest durch einen staatlichen Zensor begutachtet worden waren.

Der Geschichtswissenschaftler Ernst Wichner ist einer derjenigen, die dieses Zensursystem nach dem Fall der Mauer analysiert haben. Und er bestatigt: „Jedes Manuskript musste in Berlin beim Kulturellen Beirat eingereicht werden. Der erteilte dann die Druckgenehmigung oder verweigerte sie; diese Prozedur verschlang jeweils Monate."[2]

Welche Hintergrunde, welche Befindlichkeiten und welche anderen Umstande zu einem derart totalitaren Vorgehen der Zensurbehorden fuhrten, wird in dieser Hausarbeit nur am Rande untersucht werden konnen. Dazu ist dieser gesonderte Themenbereich zu komplex. Prinzipiell kann aber davon ausgegangen werden, dass der DDR- Fuhrung durchaus bewusst gewesen sein muss, welche zum Teil menschenunwurdigen Zustande im Lande geherrscht haben, und auf welch wackeligen Beinen ihre Macht gestanden hat. Diese Macht versuchten sie durch ihre ZensurmaBnahmen zu stutzen. In dem Punkt unterscheidet sich der DDR-Staat nicht von anderen totalitaren Systemen. Obwohl er sich ideologisch gerade dagegen vehement abzugrenzen versuchte.

Aber die DDR-Zensur kam nicht nur bei vermeintlichen und tatsachlichen Systemfeinden zum Tragen. Selbstverstandlich waren im Arbeiter- und Bauernstaat auch solche Literaturen geachtet, die gegen gute Sitten, Moral und Gesetz verstieEen. Dazu zahlte so genannter „Schund" ebenso, wie bestimmte pornografische, volksverhetzende und Gewalt verherrlichende Schriften. Sie alle standen auf dem Index. Hierbei handelt es sich jedoch mehr um einen international allgemein ublichen Standard, als um ein DDR- spezifisches Phanomen.

Das vorliegende Werk setzt sich mit alledem auseinander und versucht dabei auch zu beleuchten, ob es in den diversen Entwicklungsphasen der DDR auch unterschiedliche Herangehensweisen beim Zensieren gegeben hat. Ohne zu viel vorweg nehmen zu wollen, kann bereits jetzt gesagt werden, dass die Zensoren mit voran schreitendem Alter ihres Staates auch zunehmend milder gestimmt waren. Der Schwerpunkt dieser Betrachtung soll dabei auf dem Rundfunk der DDR mit seinen einzelnen Sendern liegen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zentrales Rundfunkgebaude derDDR in der Berliner NalepastraBe

ZensurmaRnahmen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland von den Siegermachten in vier Zonen aufgeteilt. Wahrend sich die Sektoren der Franzosen, Amerikaner und Briten vereinigten und gemeinsam Westdeutschland mit seinem kapitalistischen System aufbauten, spaltete sich die Sowjetische Besatzungszone (kurz „SBZ" genannt) ab und beschritt mit der Durchsetzung eines sozialistischen Gesellschaftssystems einen anderen Weg. Doch vom Ende des Krieges 1945 bis zur Grundung der DDR 1949 sollten noch vier lange Jahre vergehen.

Medial versuchten die sowjetischen Besatzer an den Geist der Deutschen Revolution von 1848 anzuknupfen. Mit diesen Mitteln sollte auch der beginnenden Stalinisierung Vorschub geleistet werden. Exemplarisch hierfur ist der von Gustav von Wangenheim geschriebene und verfilmte Roman „Und wieder 48" in dem ein junger Journalistik-Student fur Meinungsfreiheit eintritt.

Exemplarisch deswegen, weil sich der Film nach einschneidenden ZensurmaBnahmen durch die sowjetrussischen Besatzer doch deutlich von der Buchvorlage unterschied.[3] Das ist zuvor bei keinem anderen Werk in der SBZ der Fall gewesen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

,,Liste der auszusondemden Literatur in derSBZ, hierAusgabe vom 1.4.1946

Verwaltet wurde die SBZ zunachst direkt durch die Sowjetrussen. Sie hatten eine Militaradministration (SMAD) installiert. Diese setzte zur Uberwachung des Geschehens auf dem Literaturmarkt gleich nach dem Krieg die Deutsche Verwaltung fur Volksbildung ein. Und vor ihr wurde am 1. April 1946 die nebenstehend abgebildete „Liste der auszusondernden Literatur" herausgegeben. Das war ein 526 Seiten starkes Werk, welches die Titel von Schriften enthielt, die nach den Angaben im Vorwort „der Benutzung zu entziehen" waren. Dabei handelte es sich zumeist um Schriften aus der Nazizeit zwischen 1933 und 1945. Aber auch allgemein geachtete Schriften wie etwa volksverhetzendes, Gewalt verherrlichendes oder pornografisches Material und so genannte „Schundromane" waren in diesem Buch aufgelistet.

Die „Liste der auszusondernden Literatur" wurde bis 1953 in die Anfangsjahre der DDR hinein noch dreimal in aktualisierter Fassung veroffentlicht. Erstellt jedesmal von der Deutschen Bucherei in Leipzig, die, nebenbei bemerkt, bereits den Nationalsozialisten zuvor in ahnlicher Weise gedient hatte.

Nach dem Ende des Kalten Krieges gelangte diese Liste ubrigens in rechtsradikalen Kreisen der BRD unter dem verklarenden Namen „Alliierte Zensurliste" zu groBer Bekanntheit. Die Neonazis behaupteten, hierin einen eindeutigen Beweis verstarkter Zensur des „deutschen Kulturgutes" durch die Siegermachte im gesamten Nachkriegsdeutschland gefunden zu haben.

Die ZensurmaBnahmen der sowjetischen Fuhrung in der SBZ war aber tatsachlich nur maBig streng. Das ruhrte einerseits daher, dass sie recht wenig Erfahrung im Umgang mit deutscher Literatur hatten. Andererseits versuchten sie, neben der Installation ihres sozialistischen Gesellschaftssystems in Ostdeutschland auch noch die russische Literatur einzubringen. Ruckblickend lassen alle russischen MaBnahmen den Eindruck entstehen, dass die Sowjets die Medien langst nicht so meisterlich fur ihre ideologischen Zwecke zu nutzen wussten, wie es vor ihnen die Nazis getan hatten. Die sowjetrussischen Versuche, die eigene Ideologie zu transportieren, wirkten schwerfallig.

Wahrend sich beispielsweise der Rundfunk im Westen Deutschlands frei entwickeln konnte, wurden die Atherwellen im Osten staatlich gelenkt. So ordnete der Fuhrungsstab SMAD die Grundung der Sender Radio Berlin und Radio Leipzig an und befahl anderen Sendern zugleich, Programmteile von diesen zu ubernehmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang zu erwahnen, dass Mitarbeiter der „Gruppe Ulbricht", benannt nach dem spateren DDR Staatschef Walter Ulbricht, mit dem Aufbau des Deutschen Demokratischen Rundfunks betraut worden sind. Das zeigt einmal mehr, dass die Sowjets beim Aufbau des Mediensystems in der DDR nichts dem Zufall uberlassen wollten, und nur linientreue Genossen in Fuhrungspositionen gelangt sind. Bei ihnen konnten die Besatzer sicher sein, dass sie keine z. B. staatsfeindlichen Inhalte ubertragen wurden.

Das Netz des Zensorenapparates war in der sowjetischen Besatzungszone engmaschig gestrickt und dezentral organisiert. In jeder ortlichen Kommandantur gab es einen Presseoffizier. Der uberwachte vor allem die Zeitungen und anderen Schriften, die von den so genannten „Blockparteien" (CDU, NDPD und LDPD) herausgegeben wurden. Bei ihnen fand eine klar definierte Vorzensur statt, wahrend sich die SED-nahen Zeitungen durch Selbstverpflichtungen und die „Schere im Kopf" ohnehin an die vorgegebene Linie aus Moskau hielten.

Nicht unerwahnt bleiben darf in diesem Zusammenhang, dass die neuen Parteien, allen voran die SED, ihrerseits ebenfalls Druck auf die Medien ausubten. Das geschah durch die Erstellung von regelrechten Planen fur bestimmte Arten von Positiv- und Jubel- Artikeln, durch Vorformulierung von Schlagzeilen, durch die Darreichung von Argumentationen fur abzudruckende Kommentare und zahlreiche andere Einmischungsversuche im Redaktionsalltag der Presse und des Rundfunks. Entsprechend eintonig gestaltete sich die Auswahl der angebotenen Themen.

In der Anfangszeit war die SBZ-Presse Geburtshelfer fur einen vollig neuen Sprachgebrauch unter den Menschen: „Institutionen wandelten ihre Wesensart, Denk- und Handlungsweisen erhielten neue Bezeichnungen, bislang unbekannte Begriffe traten plotzlich in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens, bewahrte, tradierte, d.h., uber Jahrzehnte in evolutionarem ProzeE entwickelte Kategorien wechselten von heute auf morgen ihren Charakter. Dieselben Begriffe erhielten eine vollstandig andere Bedeutung."[4]

Unter der Fuhrung der 1949 neu gegrundeten DDR wandelten sich dann sowohl die Bilder von Presse und Rundfunk, als auch das Zensursystem.

Zensur in der Ara von Walter Ulbricht

In der Grundungsverfassung der DDR heiRt es im Artikel 9, Absatz 2: „Eine Pressezensur findet nicht statt". Dass dieser Satz mit der Wirklichkeit nicht viel gemein hatte, schien auch die DDR-Fuhrung schnell zu merken. Es wurde sehr wohl zensiert - und das betraf nicht nur die Presse, sondern

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

auch literarische Werke und den gesamten Rundfunk (Horfunk und Fernsehen). Um diesen Gesetzeskonflikt kunftig zu umgehen, wurde der entscheidende Satz kurzerhand aus der Verfassung gestrichen. In der zweiten Neuauflage der DDR- Verfassung vom 6. April 1968 taucht diese Passage nicht mehr auf.

Nun war auch juristisch der Weg frei, ein allumfassendes System der Zensur im Lande zu installieren. Den Grundstein dafur hat mit Sicherheit das erste Staatsoberhaupt der DDR, Wilhelm Pieck, gelegt, obwohl uber Zensur in seiner Amtszeit nur auRerst wenig uberliefert worden ist. Es waren diejahre des Aufbruchs.

Nennenswert ist jedoch der Aufbau eines Netzwerkes von so genannten Volksberichterstattern unter Pieck. Sie kontrollierten medial die Kluft zwischen Plan und Realitat und veroffentlichten ihre Ergebnisse dann in Form von Berichten. Verschiedene Zeitgenossen beschreiben diese sehr spezielle Wesensform des Journalismus als eine Art Spitzeldasein.[5]

Eine neue Redensweise wurde ebenfalls unter Pieck gefestigt: Das „Parteichinesisch". Die Russen mussten nun beispielsweise als „sowjetische Freunde" bezeichnet werden und der Westen wurde das „Lager der Imperialisten und Kriegstreiber". Nach und nach unterschied sich das DDR-Deutsch deutlich von dem in der Bundesrepublik gesprochenen Deutsch. Besonders bei wirtschaftlichen Fachtermini mussten regelrechte Ubersetzungen angefertigt werden, um ein gegenseitiges Verstandnis zwischen beiden Seiten moglich zu machen.

Bis zur Perfektion ausgebaut hat die Pressezensur dann aber Wilhelm Piecks Nachfolger Walter Ulbricht. Der hatte bereits im Krieg durch verschiedene Arbeiten mit und in Medien auf sich aufmerksam gemacht. So nutzte Ulbricht, auf der Seite der Sowjetarmee kampfend, Lautsprecherwagen, um die im Kessel von Stalingrad eingeschlossenen deutschen Soldaten zum Aufgeben zu bewegen. Spater war er Mitarbeiter im deutschsprachigen Programm von Radio Moskau.

Ulbricht wollte die totale Kontrolle. So hob er 1963 die Deutsche Verwaltung fur Volksbildung in den Rang einer Ministerialabteilung. Sie wurde „Hauptabteilung Verlage und Buchhandel" (HV) genannt und unterstand dem Ministerium fur Kultur der DDR. Bis zum Ende der 1970er Jahre fuhrte die HV das strengste Zensursystem in der gesamten Geschichte des Landes. Das AusmaB dieser gewaltigen Zensurbehorde lasst sich gut an der Tatsache darstellen, dass es dort fur jede einzelne Zeitung und Zeitschrift einen eigens zustandigen Zensor gab, der sich tagein tagaus immer wieder nur mit dem ihm personlich anvertrauten Druckperiodikum zu befassen hatte.

So war die gesamte Presse in der DDR gleich dreifach unter Kontrolle: Die Partei nahm von vornherein Einfluss auf die Auswahl der Themen, die Redakteure hatten dank ihrer linientreuen Ausbildung und dem drohenden Damoklesschwert des Zensors bereits von sich aus eine „Schere im Kopf" und falls wirklich mal ein Fakt veroffentlicht werden sollte, der nicht in die Vorstellungen der allseits gegenwartigen SED-Partei passte, dann gab es in der HV immer noch den Zensor, der die Veroffentlichung am Ende stoppte.

Auch Presseerzeugnisse aus dem Ausland, speziell aus der BRD, wurden zensiert. Fur sie galt meist eine Totalzensur, das heiEt, sie wurden der DDR-Bevolkerung gar nicht erst zuganglich gemacht. Das ging so weit, dass Grenzsoldaten den Westburgern bei der Einreise Tageszeitungen und andere Druckerzeugnisse ersatzlos weggenommen haben. Die Staatssicherheit ihrerseits durchsuchte Postsendungen aus dem Westen nach solchen Produkten, um sie ebenfalls einzuziehen.

Doch Ulbrichts luckenlose Medienkontrolle ging noch weiter. Er wollte restlos alle Medien beherrschen. So mussten kunstlerische Buhnenprogramme vorher einer Abnahme unterzogen werden. Den Konsum von Westfernsehen versuchte der DDR-Staat zu unterbinden, indem er Angestellte von staatlichen Betrieben und Multiplikatoren (Polizisten, Armisten, Lehrer usw.) die Verpflichtung abnahm, diese Programme zu meiden. Es wurden sogar vereinzelt Truppen der „Freien deutschenjugend" (FdJ) eingesetzt, die auf den Dachern von groEen Mietskasernen kontrollierten, ob die terrestrischen Antennen nach Westen ausgerichtet waren. In den Schulen wurden Kindern verharmloste Fragen zu Programmteilen der Westsender gestellt, um in Erfahrung zu bringen, welche Eltern die „falschen" Programme einschalteten. Wer Westfernsehen sah oder wer Westradio horte, dem drohte unter Ulbricht Strafe.

Vereinzelt gab es Versuche der DDR-Regierung, westliche Rundfunksender mit Storsendern unhorbar zu machen. Gleichzeitig kassierte aber die Deutsche Post der DDR harte Devisen dafur, dass sie „Feindsender" wie die beiden Programme des RIAS aus Westberlin durch ihre Rundfunk-Ubertragungsleitungen uber das Gebiet der DDR nach Bayern weiterleitete, wo diese uber den Sender GroBer Waldstein bei Hof mit kraftigen 20 Kilowatt (ERP) wieder abgestrahlt wurden und den sudlichen Teil der DDR versorgten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Weiterleitung der RIAS-Programme durch DDR-Gebiet

Fur Buchmanuskripte gait, dass die Verlage vor der Veroffentlichung eine Druckgenehmigung vom Ministerium fur Kultur einholen mussten. Zuvor durchlief das jeweilige Manuskript jedoch eine oft mehrere Monate dauernde Prozedur in der Zensurmaschinerie.

Manchmal schaute der Zensor nur fluchtig hinein und las stichprobenartig ein paar Zeilen. Das war meist bei den Autoren der Fall, die selbst Parteimitglieder waren oder bereits zuvor unauffallige Werke publiziert hatten.

Es gab allerdings auch regelmaEig Falle, in denen mehrere verschiedene Gutachten von hochrangigen Wissenschaftlern angefordert wurden, um die sachlichen Fakten des Inhaltes, etwa geschichtlicher Art, zu uberprufen.

Ein weiterer, nicht unwesentlicher Punkt fur die zentrale Vergabe der Druckgenehmigungen war die stets angespannte Rohstoffsituation in der DDR. Der Rohstoff Papier war sehr knapp und er wurde zentral von Berlin aus auf die ubrigen Teile der Republik verteilt. Auf diese Weise hatte man bei der Partei gleichzeitig die wirtschaftlichen Zusammenhange im Literaturmarkt besser im Blick und konnte sie gegebenenfalls steuern.

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Selbstverstandlich wurde auch die neben der Auslandsagentur Panorama einzige Nachrichtenagentur des Landes, der AUgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN), durch das Ulbricht- und spater Honecker-Regime aufgebaut und kontrolliert. Sie belieferte alle Medien in der DDR mit Nachrichten, Bildern und sonstigen journalistischen Beitragen. Die Agentur „war seit 1953 dem Weisungsrecht des Ministers unterstellt." Der Bezug von anderen Agenturmeldungen war allen Medien des Landes untersagt.[6]

Honeckers staatliches Medienkontrollsystem

Bei seinem Amtsantritt 1971 ubernahm Erich Honecker zunachst das Zensursystem von Ulbricht unverandert, um es dann jedoch im Laufe der Jahre Schritt fur Schritt in kleinen Nuancen zu optimieren, ja hoffahiger zu machen. Es wurde zum Beispiel ein Gesetz erlassen, das die Berufsbezeichnung „freischaffender Schriftsteller" schutzte. Darin wurde erklart, wer sich so nennen durfte und wer nicht.[7] Eine Kandidatenkarte des Schriftstellerverbandes und eine fester Vertrag mit einem DDR-Verlag waren Voraussetzung dafur.

In den 1970er Jahren ruckte dann mehr und mehr der schreibende Arbeiter in den Mittelpunkt des Interesses. Der Arbeiterklasse sollte das Gefuhl gegeben werden, sich selbst frei und kunstlerisch betatigen zu konnen (Stichwort „Bitterfelder Weg"). Naturlich geschah dabei nur wenig, was nicht seitens der Partei organisiert war. Bucher wurden veroffentlicht, es gab Lesungen und andere Veranstaltungsreihen. In Arbeitsgemeinschaften und Seminaren brachte man die schreibenden Arbeiter auf den gewunschten Kurs.

Im Rahmen dieser Entwicklung entstanden in den Betrieben die ersten Betriebszeitungen, die bei der Leserschaft eine groBe Akzeptanz hatten. SchlieElich gaukelten sie ihnen vor, es seien Kollegen, die dort zum Stift griffen. In Wirklichkeit standen die Redakteure auf der Gehaltsliste der SED-Kreisleitung und der Betrieb, in dem die Zeitung erschien, bezuschusste lediglich eine Sekretarin und den Druck der Gazette. Typische Titel dieser Betriebszeitungen waren zum Beispiel „Waggonbau Echo" (VEB Waggonbau Ammendorf), „Start" (Fluggesellschaft Interflug) und „Unser Friedenswerk" (VEB Eisenhuttenkombinat Ost). Ein Mitspracherecht hatten die Betriebe bei ,,ihrer eigenen Zeitung" nicht. Insgesamt gab es 667 Betriebszeitungen in der DDR mit einer Gesamtauflage von 2,5 Millionen Exemplaren.[8]

Aber auch die auflagenstarken, taglich erscheinenden Zeitungen unterstanden weiterhin einer luckenlosen Zensur der SED. Der hochrangige Politburo-Insider Dieter Langguth berichtete in einem Interview nach der Wende uber die Zensorenarbeit der allerhochsten politischen Kopfe: „Die Gestaltung der Seiten 1 und 2 bis ins Detail war eine Art Kult. Auf einer DIN A4-Seite wurde skizziert, wo und wie am nachsten Tag Meldungen, Berichte, Uberschriften, Dachzeilen und Fotos zu stehen hatten. (...) Die Seitenskizzen muEten bis spatestens 12 Uhr auf Herrmanns Tisch sein, weil er sie Honecker nach dem Mittagessen vorlegen muEte."[9] Joachim

[...]


[1] Habitzel, „Der historische Roman der DDR und die Zensur“, 2001, S. 63

[2] Wichner und Wiesner, „Zensur in der DDR“, S. 21

[3] Agde, „Wiederentdeckt“, 2005, S. 1

[4] Vgl. Kronenberg, „Wirtschaftliche Entwicklung und die Sprache der Wirtschaftspolitik in der DDR“, 1993

[5] Duhnke, Stalinismus in Deutschland, 1955, S. 331

[6] Kampmann, „Pressezensur in Deutschland", 1995, S. 296

[7] Boden, „Strukturen und Lenkung von Literatur“, 1993, S. 217

[8] Pannen, „Die Weiterleiter“, 1992, S. 27

[9] ebendort, S. 23

Ende der Leseprobe aus 93 Seiten

Details

Titel
Das Zensursystem der DDR in Presse und Rundfunk
Untertitel
Mit Zeitzeugeninterviews und Originaldokumenten
Hochschule
Universität Leipzig  (Kommunikations- und Medienwissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
93
Katalognummer
V159838
ISBN (eBook)
9783640767595
ISBN (Buch)
9783640767939
Dateigröße
1409 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Radio, DDR, Rundfunk, Hörfunk, Zensur, Mark Hegewald, DT64, Stimme der DDR, Radio DDR I, Radio DDR II, Berliner Rundfunk, Harald Selke, Alfred Eichhorn, Studio Elf
Arbeit zitieren
Mark Hegewald (Autor:in), 2010, Das Zensursystem der DDR in Presse und Rundfunk, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/159838

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